Von Manipulation und Makulaturen – Pat Christ

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Manch­mal stelle ich mir vor, wie sie sich in ihrem Blut wälzen. Wie sie stöh­nen. Viel­leicht ist ein Arm abge­ris­sen. Viel­leicht sind sie in diesem Augen­blick blind gewor­den. Ich habe als Jugend­li­che „Im Westen nichts Neues gele­sen“. Ich habe vor kurzem die beiden Bände von Hein­rich Bölls „Briefe aus dem Krieg“ durch­ge­ackert. Ich bin Anti­mi­li­ta­ris­tin. Und kann es nicht fassen, dass und wie der Ukrai­ne-Krieg in die Länge gezo­gen wird. Das hat mit der Poli­tik zu tun. Mit der russi­schen, aber auch mit der west­li­chen. Und mit Manipulation.
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Die Mili­ta­ri­sie­rung des Landes geht mit einer Zügig­keit voran, die ich vor einem Jahr noch nicht für möglich gehal­ten hätte. Inzwi­schen muss ich aller­dings fest­stel­len: Mir hatte bisher der tiefe­re Blick gefehlt. Der tiefe­re Blick dafür, dass die Bevöl­ke­rung seit langer Zeit durch mani­pu­la­ti­ve Stra­te­gien dazu getrie­ben wird, Mili­tär­aus­ga­ben und Kriegs­ein­sät­ze zu akzep­tie­ren. Die Forschungs­ar­beit „Meinungs­ma­ni­pu­la­ti­ons­stra­te­gien in Frie­den und Krieg“ öffnet mir die Augen. Jens Werni­cke verfass­te sie an der Bauhaus-Universität Weimar 2002 im Kontext des Forschungs­pro­jekts „Feind­schaft“ von Joseph Vogl, heute Lite­ra­tur­pro­fes­sor in Berlin.
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Zum Thema „Mani­pu­la­ti­on“ könnte man eine Biblio­thek mit mehre­ren hundert Bänden zusam­men­stel­len. Das bemer­ke ich, nach­dem ich mich ein biss­chen in das Thema einge­ar­bei­tet habe. Da gibt es etwa „Das große Buch der Mani­pu­la­ti­on“ von Paul Neumann. Als „Ratge­ber“ führt der Band Mani­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken auf. Alex­an­der Fischers 2017 erschie­ne­ne Mono­gra­fie „Mani­pu­la­ti­on“ befasst sich mit der „Theo­rie und Ethik einer Form der Beein­flus­sung“. Albrecht Müllers Spie­gel-Best­sel­ler „Glaube wenig, hinter­fra­ge alles, denke selbst“ will helfen, Mani­pu­la­tio­nen zu durch­bli­cken. 17 Mani­pu­la­ti­ons­me­tho­den werden detail­liert dargestellt.
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Inter­es­sant ist, dass Müller eine bestimm­te Charak­ter­ei­gen­schaft des Menschen als Einfalls­tor für Mani­pu­la­tio­nen ausfin­dig macht: Nämlich Treue. Zu dieser Erkennt­nis kommt er beim Nach­den­ken darüber, warum Leser von Main­stream-Medien à la „Spie­gel“ nicht bemerkt haben, dass sich viele der dort publi­zier­ten Berich­te immer weiter weg von poli­ti­scher Kritik hin zur Anpas­sung an die Poli­tik bewegt haben. „Treue kann zum Verlust der Fähig­keit zum Selber­den­ken führen“, konsta­tiert der Motor des Alter­na­tiv­me­di­ums „Nach­denk­sei­ten“. Gerade Treue gegen­über einem bestimm­ten Medium könne immun machen „gegen die Wahr­neh­mung von Verän­de­run­gen grund­le­gen­der Art“.
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Wer ist ein „Schläch­ter“? – - – Müllers ledig­lich 144 Seiten umfas­sen­des Werk ist von großer poli­ti­scher Dichte. Nach seinen Analy­sen beginnt Mani­pu­la­ti­on damit, dass eine bestimm­te „Sprach­re­ge­lung“ einge­führt wird. „Wir nennen Regie­run­gen, die uns nicht passen, ‚Régime‘ oder ‚Dikta­tu­ren‘“, führt der Publi­zist an. Üblich sei zum Beispiel auch die Rede vom „Schläch­ter Assad“: „Wir spre­chen hinge­gen nicht vom Schläch­ter Moham­med bin Salman al-Saud, wenn wir den Kron­prin­zen von Saudi-Arabi­en meinen.“ Dabei gehe Saudi-Arabi­en mit seinem Volk und seinem südli­chen Nach­barn Jemen mindes­tens so schlimm um, wie der Präsi­dent in Syrien dies angeb­lich tue.
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Es wäre Lesern nicht zu verden­ken, würden sie nach der Lektü­re von Müllers Buch ein flaues Gefühl im Magen haben. Derart kompri­miert wird vor Augen geführt, in welchem Maße mani­pu­liert wird. Zur Sprach­re­ge­lung kommen Müller zufol­ge werten­de Begrif­fe hinzu, die stän­dig gebraucht werden. Was sie letzt­lich meinen, bleibt im Unkla­ren. „Popu­list“ ist für Müller so ein mani­pu­la­ti­ves Wort. Auf Irrwe­ge führen nach seinen Analy­sen schließ­lich in mani­pu­la­ti­ver Weise bewusst verkürzt erzähl­te Geschich­ten. Ist vom Ukrai­ne-Krieg die Rede, müsste nach seiner Ansicht zwin­gend die Nato-Osterwei­te­rung proble­ma­ti­siert werden. Das geschieht aller­dings höchst selten.
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Wer die große Mehr­heit für seine Ziele verein­nah­men möchte, tut schließ­lich gut daran, ein und diesel­be Aussa­ge uner­müd­lich zu wieder­ho­len. Bürger, die tagein, tagaus hören, Russ­land sei „impe­ria­lis­tisch“, werden das irgend­wann unhin­ter­fragt glau­ben. Albrecht Müller verweist in diesem Zusam­men­hang auf „1984“ von George Orwell. Da heißt es: „Und wenn alle ande­ren die von der Partei verbrei­te­te Lügen glaub­ten – wenn alle Aufzeich­nun­gen gleich laute­ten –, dann ging die Lüge in die Geschich­te ein und wurde Wahr­heit.“ Auf dieses Zitat hebt im Übri­gen auch Micha­el Hart­mann in seinem Buch „Befreit euch!“ ab. Ihm geht es eben­falls darum, „Propa­gan­da­lü­gen“ zu entlarven.
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