Von links nach rechts, von rechts nach links: So stimmt’s. – Jörg Gude
Versuch einer politischen Bewegungslehre.
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Die Behauptung, die hier aufgestellt und durch historische Erfahrungen und Beispiele belegt werden soll, lautet: Parteien und Regierungen müssen ursprünglich linke politische Positionen räumen und diese einem Realitätstest unterziehen, indem die Bewegungsrichtung politisch nach rechts verläuft, um anschließend Erfolg zu haben bei einer Neuorientierung nach links. Erfolgt keine Pendelbewegung nach links, so kann und wird langfristig der politische Erfolg ausbleiben. Umgekehrt: Wenn eine anfänglich linke Position nicht dem Realitätstest auf Machbarkeit und Anpassung nach rechts unterzogen wird, ist oftmals der Machtverlust die Folge.
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Betrachten wir die CDU, eine Neugründung einer bürgerlichen Partei nach dem 2. Weltkrieg, die teilweise an die Traditionen der Zentrumspartei anknüpfte. Das berühmte, unter heutigen Mitgliedern der Partei eher berüchtigte Ahlener Programm der Partei, ist für seine linke, fast marxistische Position der Verstaatlichung der Schwerindustrie (Kohle und Stahl) bekannt. Unter den Bundeskanzlern Adenauer und Erhard entwickelte sich die Regierungspolitik der CDU im Sinne einer Läuterung durch Regierungsverantwortung und Realitäten nach rechts, bis sie für Erstarrung und Konservativismus stand, für die Erhard das Bild einer formierten Gesellschaft fand, während in den USA unter John F. Kennedy eine Liberalisierung, Modernisierung und Demokratisierung einsetzte. Die CDU verlor die Macht, weil sie es versäumte, dem Zeitgeist zu folgen und die Gegenbewegung von rechts nach links auszulösen. Für die Überwindung der ersten großen Rezession bot sie der SPD die Regierungsbeteiligung in einer großen Koalition an.
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Betrachten wir die SPD. Ursprünglich eine linke, fast schon marxistische Partei, fand sie in der Weimarer Republik den Weg nach rechts durch die und während der Übernahme der Regierungsverantwortung. Links von ihr bewegten sich Kommunisten und die Abspaltung der USPD. In der Spätphase der Weimarer Republik wurde sie in den Augen der Wähler zur Stütze eines immer weiter nach rechts und zum Sozialabbau neigenden Systems (Brünning’sche Notverordnungen). Die Präsidentschaftskandidatur des greisen und rechten Kandidaten Hindenburg (gegen Hitler) unterstützte die Sozialdemokratie. Die Gegenbewegung nach links blieb aus oder war dem Wähler nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde machten KPD und auch Nationalsozialisten der SPD Wähler streitig. Ebenso wenig wie die SPD schaffte es auch die Zentrumspartei, wieder nach links auszuweichen.
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Nach dem 2. Weltkrieg begann die SPD wieder weiter links. Der Realitätstest war vernichtend: Mit dem Wahlkampfmotto „Keine Experimente“ gewann Adenauer für die CDU 1957 die absolute Mehrheit in der Bundestagswahl. Mit der großen programmatischen Reform der SPD im Godesberger Programm 1959 wurden marxistische Anklänge fallen gelassen. Die Partei bewegte sich nach rechts und gewann langsam, aber sicher Wähler aus der bürgerlichen Mitte hinzu. Auch konnte die SPD durch ihre Regierungsbeteiligung in der großen Koalition ihr Verantwortungsbewusstsein beweisen. Mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt zeigte sie deutlich auf, dass sie bereit und willens war, selbst die Wegstrecke klar nach links zu gehen. Unsere Bewegungslehre findet hier ihre positive Bestätigung.
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Was kam dann? Als Kanzler verabscheute Willy Brandt den Realitätstest und die Anpassung nach rechts. „Die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen“, war so ein Satz, der bei den Entscheidungsträgern der Wirtschaft nicht so gut ankam. Elf Prozent Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst war ein Fakt, der der Wirtschaft und den Arbeitgebern schadete. Als Kanzler ist Brandt dann wohl auf Betreiben Wehners und Schmidts zum Rücktritt gedrängt worden, wahrscheinlich aus Sorge um die Wirtschaft(spolitik) und nicht wegen der Enttarnung des DDR-Spions Günther Guillaume. Willy Brandt hat als Regierungschef den Realitätscheck mit einer erforderlichen Bewegung zunächst nach rechts nicht durchgeführt, sondern sich ihm verweigert. Also so gesehen, bewahrheitet sich auch hier der Ausgangssatz.
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Sein Nachfolger Helmut Schmidt steht geradezu als Personifizierung für staatsmännischen Realismus und unterzog sich dem Realitätscheck geradezu bereitwillig. Den Weg später nach Konsolidierung der Macht nach links zu gehen, wollte und vermochte er jedoch nicht. „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ war ein Schmidt’scher Ausspruch, gerichtet an den linken Flügel seiner Partei. Die FDP trieb die SPD nach rechts vor sich her, proklamierte mit dem Lambsdorff-Papier eine sogenannte „geistig-moralische Wende“ und verhalf der CDU zur Regierungsmacht.
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Die FDP wiederum, die lange Zeit nicht zu Unrecht als liberaler Korrekturfaktor gegenüber CDU oder SPD auftrat, um aus ihrer Sicht Schlimmeres zu verhindern, ging so weit nach rechts, dass sie heute nicht mehr die Kraft und das Personal hat für eine Wende zu einer linksliberalen Bürgerrechtspartei. Ein Aussetzen aus dem Bundestag bei den vorletzten Parlamentswahlen war die Folge.
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Wir wollen noch einmal zeitlich zurückgehen und auch Politiker und Bewegungen betrachten, die nicht oder nicht unbedingt als links einzustufen sind. Wie steht es mit der NSDAP, dem Namen nach eine auch sozialistische und Arbeiterpartei? Nach der nationalsozialistischen Erhebung oder völkischen Revolution, wie sie von ihren Anhängern gesehen wurde, stand dann die Forderung nach einer Linkswende, einer Ergänzung oder Komplementierung um eine soziale Revolution im Raum entsprechend dem ursprünglichen Parteiprogramm. Hitler hatte sich dann gegen die Linkswende entschieden und für den Mord an deren Protagonisten (Röhm-Putsch). Die Wirtschafts- und Aufrüstungspolitik Hitlers ließ dann später nur noch die Entscheidung offen für Inflation oder deren Zurückstau durch Entscheidung für eine kriegerische Aggression. Hitler wählte letztere Alternative.
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Schauen wir zurück auf Bismarck, mitnichten ein Linker. Er wirkte repressiv gegen die Katholische Kirche im sogenannten Kulturkampf und mit den Sozialistengesetzen gegen die Sozialdemokratie. Bis heute Geltung und Anerkennung gefunden hat er mit der Einführung der Sozialversicherung im Deutschen Reich, mag er sie auch als Instrument gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie gedacht und eingesetzt haben. Diese Linkswende bleibt neben einer gemäßigten Außenpolitik in guter geschichtlicher Erinnerung.
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Betrachten wir Winston Churchill, ohne dessen Willenskraft die Engländer den 2. Weltkrieg nicht durchgestanden hätten. 1940 versprach er seinen Bürgern „nichts als Blut, Schweiß und Tränen.“ Die Unterhauswahlen vom Juli 1945 gewann jedoch nicht der erfolgreiche Kriegs-Premier Churchill, sondern der vergleichsweise blasse Clement Attlee von der Labour Party. Die Wähler wollten Licht am Ende des Tunnels der Anstrengungen sehen und nicht die Fortsetzung der im Grunde bereits verlorenen Großmachtstellung Britanniens. Churchill hatte eine Linkswende vermieden und wurde darum abgewählt. Für den angejahrten Churchill war dies aber nicht das Ende seiner politischen Karriere. Laut Wikipedia errangen die Konservativen mit ihm „im Oktober 1951 einen knappen Wahlsieg, weil er diesmal die Wahlkampfthemen der Labour Party übernommen und den Briten die Fortführung des staatlichen Wohnungsbauprogramms versprochen hatte.“ Realitätstest bestanden. Zuvor einmal erfolglos ohne Linkswende und dann einmal erfolgreich mit Linkswende.
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Gerhard Schröder, der sich selbst gerne als „Genosse der Bosse“ sah, hat mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen bis heute den linken Markenkern der SPD nachhaltig beschädigt. Der Wähler dankt dies heute mit Wahlergebnissen in der Nähe von unter 20 % in Umfragen für die SPD. Da wird es schon schwierig, glaubwürdig einen eigenen Kanzlerkandidaten zu positionieren, um nicht von vornherein als Bewerber um die Juniorpartnerschaft einer GroKo wahrgenommen zu werden.
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Andererseits ist die CDU unter Angela Merkel so weit in die Mitte und nach links gerückt, dass auch große Teile der CDU (und CSU) ihre eigenen Positionen aufgegeben oder als unterminiert erachten. Das Ansehen der Kanzlerin und der Erfolg der Strategie der asymmetrischen Mobilisierung in den Wahlkämpfen ersticken eine Rebellion von rechts in den eigenen Reihen bislang noch im Keim.
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So gesehen erscheint es schwierig für die SPD, in der GroKo jetzt den Realitätstest mit einer Bewegung nach Mitte-rechts auszuhalten (statt nach links auszuscheren) und für die CDU, den Mitte-links-Kurs beizubehalten, um sich Wählerschichten zu erschließen.
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Der Einzug der AfD in Bundestag und Landtage ändert ernsthaft an der Grundposition nichts. Die CDU tat gut daran, gegenwärtig einer Koalition oder Duldung durch die AfD aus dem Wege zu gehen. Dies dient übrigens auch der AfD selbst, die erst noch beweisen kann und muss, dass sie parlamentarisch arbeitsfähig ist und sich nicht selber zerlegt. Mit der Etablierung der AfD als Partei, die auch rechts von der CDU wird es rechnerisch für die SPD annähernd unmöglich, ein rot-rot-grünes Bündnis auch nur rechnerisch darstellen zu können. Davon profitiert die CDU, auch wenn sie Wähler am rechten Rand verliert.
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Bisher noch kein Wort verloren ist darüber, was links oder rechts als Politik einzuordnen ist. In der ökonomischen Theorie der Politik dominiert das Medianwähler-Modell, das von einer Gauß’schen Normalverteilung der Wähler ausgeht. Der Wähler in der Mitte, der Median-Wähler entscheidet die Wahl entsprechend der Nähe der Parteien zu seiner eigenen Position. Im Falle von zwei großen Parteien wie in den USA oder lange Zeit in Großbritannien oder zwei politischen Lagern gewinnt die Wahl, wer am nächsten sich dem Medianwähler annähert. Das Links-Rechts-Schema kann sich orientieren an der Frage staatlicher Eingriffe in die Einkommens- und Vermögensverteilung. Wer dazu als Wähler eine eindeutige Meinung hat, also politisch mehr an den Rändern der Verteilung selber verortet ist, ist eher Mitglied einer Partei als jemand, der weniger dezidiert diese Frage betrachtet. Die List der Demokratie ist nun die, dass nicht wie zu erwarten die leichter links oder rechts in dieser Frage Organisierten nach ihrem Gusto bestimmen, sondern die Partei die Oberhand gewinnt, die dem oder den Wählern in der Mitte am genehmsten erscheint.
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Von links nach rechts, von rechts nach links: So stimmt’s. Soll heißen, so ist die Bewegungsrichtung richtig und so kommen Stimmen für die Parteien zusammen. Genügend zeitgeschichtliche Evidenz ist zusammengetragen worden. Was bedeutet das für die Parteien oder Partner in der GroKo? Es wäre falsch, frühzeitig in die je eigene Denkrichtung überzuwechseln, also für die CDU nach rechts und die SPD nach links auszuscheren. Wie in der ersten GroKo 1969 im Wahlkampf ein lebhafter Disput über die Frage der Aufwertung der DM zwischen Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU; dagegen) und Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD; dafür) stattfand, so sollten die Koalitionspartner Sachfragen in der Endphase der Legislaturperiode kontrovers besetzen und sachlich um die besseren Lösungen ringen. Vorab müssen die CDU und die SPD sich dem Realitätstest stellen, um dann im späteren Wahlkampf eine vergleichsweise Mitte-links-Position einzunehmen, etwa, dass der Markt alleine für viele Probleme und Bedürfnisse der Menschen keine abschließende Regelung bereitstellt.
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Nachwort: Die Stimmenverluste 2017 für CDU und SPD bei der Bundestagswahl sind darauf zurückzuführen, dass diese Parteien in der Flüchtlingsfrage den Realitätstest als Bewegung hin zu rechten Positionen verweigert haben. Sowohl CDU als auch SPD haben im wirtschaftlichen und sozialen Bereich so gehandelt, wie es die hier vorgestellte Theorie nahelegt. – - –
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Die Behauptung, die hier aufgestellt und durch historische Erfahrungen und Beispiele belegt werden soll, lautet: Parteien und Regierungen müssen ursprünglich linke politische Positionen räumen und diese einem Realitätstest unterziehen, indem die Bewegungsrichtung politisch nach rechts verläuft, um anschließend Erfolg zu haben bei einer Neuorientierung nach links. Erfolgt keine Pendelbewegung nach links, so kann und wird langfristig der politische Erfolg ausbleiben. Umgekehrt: Wenn eine anfänglich linke Position nicht dem Realitätstest auf Machbarkeit und Anpassung nach rechts unterzogen wird, ist oftmals der Machtverlust die Folge.
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Betrachten wir die CDU, eine Neugründung einer bürgerlichen Partei nach dem 2. Weltkrieg, die teilweise an die Traditionen der Zentrumspartei anknüpfte. Das berühmte, unter heutigen Mitgliedern der Partei eher berüchtigte Ahlener Programm der Partei, ist für seine linke, fast marxistische Position der Verstaatlichung der Schwerindustrie (Kohle und Stahl) bekannt. Unter den Bundeskanzlern Adenauer und Erhard entwickelte sich die Regierungspolitik der CDU im Sinne einer Läuterung durch Regierungsverantwortung und Realitäten nach rechts, bis sie für Erstarrung und Konservativismus stand, für die Erhard das Bild einer formierten Gesellschaft fand, während in den USA unter John F. Kennedy eine Liberalisierung, Modernisierung und Demokratisierung einsetzte. Die CDU verlor die Macht, weil sie es versäumte, dem Zeitgeist zu folgen und die Gegenbewegung von rechts nach links auszulösen. Für die Überwindung der ersten großen Rezession bot sie der SPD die Regierungsbeteiligung in einer großen Koalition an.
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Betrachten wir die SPD. Ursprünglich eine linke, fast schon marxistische Partei, fand sie in der Weimarer Republik den Weg nach rechts durch die und während der Übernahme der Regierungsverantwortung. Links von ihr bewegten sich Kommunisten und die Abspaltung der USPD. In der Spätphase der Weimarer Republik wurde sie in den Augen der Wähler zur Stütze eines immer weiter nach rechts und zum Sozialabbau neigenden Systems (Brünning’sche Notverordnungen). Die Präsidentschaftskandidatur des greisen und rechten Kandidaten Hindenburg (gegen Hitler) unterstützte die Sozialdemokratie. Die Gegenbewegung nach links blieb aus oder war dem Wähler nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde machten KPD und auch Nationalsozialisten der SPD Wähler streitig. Ebenso wenig wie die SPD schaffte es auch die Zentrumspartei, wieder nach links auszuweichen.
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Nach dem 2. Weltkrieg begann die SPD wieder weiter links. Der Realitätstest war vernichtend: Mit dem Wahlkampfmotto „Keine Experimente“ gewann Adenauer für die CDU 1957 die absolute Mehrheit in der Bundestagswahl. Mit der großen programmatischen Reform der SPD im Godesberger Programm 1959 wurden marxistische Anklänge fallen gelassen. Die Partei bewegte sich nach rechts und gewann langsam, aber sicher Wähler aus der bürgerlichen Mitte hinzu. Auch konnte die SPD durch ihre Regierungsbeteiligung in der großen Koalition ihr Verantwortungsbewusstsein beweisen. Mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt zeigte sie deutlich auf, dass sie bereit und willens war, selbst die Wegstrecke klar nach links zu gehen. Unsere Bewegungslehre findet hier ihre positive Bestätigung.
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Was kam dann? Als Kanzler verabscheute Willy Brandt den Realitätstest und die Anpassung nach rechts. „Die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen“, war so ein Satz, der bei den Entscheidungsträgern der Wirtschaft nicht so gut ankam. Elf Prozent Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst war ein Fakt, der der Wirtschaft und den Arbeitgebern schadete. Als Kanzler ist Brandt dann wohl auf Betreiben Wehners und Schmidts zum Rücktritt gedrängt worden, wahrscheinlich aus Sorge um die Wirtschaft(spolitik) und nicht wegen der Enttarnung des DDR-Spions Günther Guillaume. Willy Brandt hat als Regierungschef den Realitätscheck mit einer erforderlichen Bewegung zunächst nach rechts nicht durchgeführt, sondern sich ihm verweigert. Also so gesehen, bewahrheitet sich auch hier der Ausgangssatz.
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Sein Nachfolger Helmut Schmidt steht geradezu als Personifizierung für staatsmännischen Realismus und unterzog sich dem Realitätscheck geradezu bereitwillig. Den Weg später nach Konsolidierung der Macht nach links zu gehen, wollte und vermochte er jedoch nicht. „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ war ein Schmidt’scher Ausspruch, gerichtet an den linken Flügel seiner Partei. Die FDP trieb die SPD nach rechts vor sich her, proklamierte mit dem Lambsdorff-Papier eine sogenannte „geistig-moralische Wende“ und verhalf der CDU zur Regierungsmacht.
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Die FDP wiederum, die lange Zeit nicht zu Unrecht als liberaler Korrekturfaktor gegenüber CDU oder SPD auftrat, um aus ihrer Sicht Schlimmeres zu verhindern, ging so weit nach rechts, dass sie heute nicht mehr die Kraft und das Personal hat für eine Wende zu einer linksliberalen Bürgerrechtspartei. Ein Aussetzen aus dem Bundestag bei den vorletzten Parlamentswahlen war die Folge.
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Wir wollen noch einmal zeitlich zurückgehen und auch Politiker und Bewegungen betrachten, die nicht oder nicht unbedingt als links einzustufen sind. Wie steht es mit der NSDAP, dem Namen nach eine auch sozialistische und Arbeiterpartei? Nach der nationalsozialistischen Erhebung oder völkischen Revolution, wie sie von ihren Anhängern gesehen wurde, stand dann die Forderung nach einer Linkswende, einer Ergänzung oder Komplementierung um eine soziale Revolution im Raum entsprechend dem ursprünglichen Parteiprogramm. Hitler hatte sich dann gegen die Linkswende entschieden und für den Mord an deren Protagonisten (Röhm-Putsch). Die Wirtschafts- und Aufrüstungspolitik Hitlers ließ dann später nur noch die Entscheidung offen für Inflation oder deren Zurückstau durch Entscheidung für eine kriegerische Aggression. Hitler wählte letztere Alternative.
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Schauen wir zurück auf Bismarck, mitnichten ein Linker. Er wirkte repressiv gegen die Katholische Kirche im sogenannten Kulturkampf und mit den Sozialistengesetzen gegen die Sozialdemokratie. Bis heute Geltung und Anerkennung gefunden hat er mit der Einführung der Sozialversicherung im Deutschen Reich, mag er sie auch als Instrument gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie gedacht und eingesetzt haben. Diese Linkswende bleibt neben einer gemäßigten Außenpolitik in guter geschichtlicher Erinnerung.
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Betrachten wir Winston Churchill, ohne dessen Willenskraft die Engländer den 2. Weltkrieg nicht durchgestanden hätten. 1940 versprach er seinen Bürgern „nichts als Blut, Schweiß und Tränen.“ Die Unterhauswahlen vom Juli 1945 gewann jedoch nicht der erfolgreiche Kriegs-Premier Churchill, sondern der vergleichsweise blasse Clement Attlee von der Labour Party. Die Wähler wollten Licht am Ende des Tunnels der Anstrengungen sehen und nicht die Fortsetzung der im Grunde bereits verlorenen Großmachtstellung Britanniens. Churchill hatte eine Linkswende vermieden und wurde darum abgewählt. Für den angejahrten Churchill war dies aber nicht das Ende seiner politischen Karriere. Laut Wikipedia errangen die Konservativen mit ihm „im Oktober 1951 einen knappen Wahlsieg, weil er diesmal die Wahlkampfthemen der Labour Party übernommen und den Briten die Fortführung des staatlichen Wohnungsbauprogramms versprochen hatte.“ Realitätstest bestanden. Zuvor einmal erfolglos ohne Linkswende und dann einmal erfolgreich mit Linkswende.
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Gerhard Schröder, der sich selbst gerne als „Genosse der Bosse“ sah, hat mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen bis heute den linken Markenkern der SPD nachhaltig beschädigt. Der Wähler dankt dies heute mit Wahlergebnissen in der Nähe von unter 20 % in Umfragen für die SPD. Da wird es schon schwierig, glaubwürdig einen eigenen Kanzlerkandidaten zu positionieren, um nicht von vornherein als Bewerber um die Juniorpartnerschaft einer GroKo wahrgenommen zu werden.
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Andererseits ist die CDU unter Angela Merkel so weit in die Mitte und nach links gerückt, dass auch große Teile der CDU (und CSU) ihre eigenen Positionen aufgegeben oder als unterminiert erachten. Das Ansehen der Kanzlerin und der Erfolg der Strategie der asymmetrischen Mobilisierung in den Wahlkämpfen ersticken eine Rebellion von rechts in den eigenen Reihen bislang noch im Keim.
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So gesehen erscheint es schwierig für die SPD, in der GroKo jetzt den Realitätstest mit einer Bewegung nach Mitte-rechts auszuhalten (statt nach links auszuscheren) und für die CDU, den Mitte-links-Kurs beizubehalten, um sich Wählerschichten zu erschließen.
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Der Einzug der AfD in Bundestag und Landtage ändert ernsthaft an der Grundposition nichts. Die CDU tat gut daran, gegenwärtig einer Koalition oder Duldung durch die AfD aus dem Wege zu gehen. Dies dient übrigens auch der AfD selbst, die erst noch beweisen kann und muss, dass sie parlamentarisch arbeitsfähig ist und sich nicht selber zerlegt. Mit der Etablierung der AfD als Partei, die auch rechts von der CDU wird es rechnerisch für die SPD annähernd unmöglich, ein rot-rot-grünes Bündnis auch nur rechnerisch darstellen zu können. Davon profitiert die CDU, auch wenn sie Wähler am rechten Rand verliert.
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Bisher noch kein Wort verloren ist darüber, was links oder rechts als Politik einzuordnen ist. In der ökonomischen Theorie der Politik dominiert das Medianwähler-Modell, das von einer Gauß’schen Normalverteilung der Wähler ausgeht. Der Wähler in der Mitte, der Median-Wähler entscheidet die Wahl entsprechend der Nähe der Parteien zu seiner eigenen Position. Im Falle von zwei großen Parteien wie in den USA oder lange Zeit in Großbritannien oder zwei politischen Lagern gewinnt die Wahl, wer am nächsten sich dem Medianwähler annähert. Das Links-Rechts-Schema kann sich orientieren an der Frage staatlicher Eingriffe in die Einkommens- und Vermögensverteilung. Wer dazu als Wähler eine eindeutige Meinung hat, also politisch mehr an den Rändern der Verteilung selber verortet ist, ist eher Mitglied einer Partei als jemand, der weniger dezidiert diese Frage betrachtet. Die List der Demokratie ist nun die, dass nicht wie zu erwarten die leichter links oder rechts in dieser Frage Organisierten nach ihrem Gusto bestimmen, sondern die Partei die Oberhand gewinnt, die dem oder den Wählern in der Mitte am genehmsten erscheint.
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Von links nach rechts, von rechts nach links: So stimmt’s. Soll heißen, so ist die Bewegungsrichtung richtig und so kommen Stimmen für die Parteien zusammen. Genügend zeitgeschichtliche Evidenz ist zusammengetragen worden. Was bedeutet das für die Parteien oder Partner in der GroKo? Es wäre falsch, frühzeitig in die je eigene Denkrichtung überzuwechseln, also für die CDU nach rechts und die SPD nach links auszuscheren. Wie in der ersten GroKo 1969 im Wahlkampf ein lebhafter Disput über die Frage der Aufwertung der DM zwischen Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU; dagegen) und Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD; dafür) stattfand, so sollten die Koalitionspartner Sachfragen in der Endphase der Legislaturperiode kontrovers besetzen und sachlich um die besseren Lösungen ringen. Vorab müssen die CDU und die SPD sich dem Realitätstest stellen, um dann im späteren Wahlkampf eine vergleichsweise Mitte-links-Position einzunehmen, etwa, dass der Markt alleine für viele Probleme und Bedürfnisse der Menschen keine abschließende Regelung bereitstellt.
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Nachwort: Die Stimmenverluste 2017 für CDU und SPD bei der Bundestagswahl sind darauf zurückzuführen, dass diese Parteien in der Flüchtlingsfrage den Realitätstest als Bewegung hin zu rechten Positionen verweigert haben. Sowohl CDU als auch SPD haben im wirtschaftlichen und sozialen Bereich so gehandelt, wie es die hier vorgestellte Theorie nahelegt. – - –
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