Statistische Idiotie
Die Hintergründe der Entwicklung der VW-Aktie in den letzten beiden Tagen mögen vielfältig sein und einmal mehr in nicht unerheblichem Maße verrückter Zockerei zuzuschreiben sein.
Ich möchte in dem Zusammenhang aber einen ganz anderen Aspekt der Berichterstattung in den „einschlägigen“ Medien aufgreifen.
Statistisch gesehen ist der DAX gestern (27.10.2008) um knapp ein Prozent gestiegen. In Wahrheit haben 29 Daxwerte schlimmste Tagesverluste von durchschnittlich 9 % im Minus hinnehmen müssen. Alleine die Zockeraktie von VW hat mit ihrem völlig irrealen Kurssprung auf 520,- € dem Dax ein Plus beschert. Ein ähnliches Bild bietet sich auch heute. Während die 29 Daxwerte zusammen wohl ein leichtes Minus einfahren, sorgt VW heute mit einem Ansteigen auf derzeit rund 800,- € für ein Plus aller Daxwerte von rund 9 %. Im Grunde haben wir dramatische Einbrüche bei allen großen Unternehmen. (Während ich das hier schreibe schwankt der Kurs der VW-Aktie um 250,- € pro Aktie hin und her und mit ihm natürlich der ganze DAX)
In den Medien wurde in den letzten beiden Tagen eher beiläufig erwähnt, dass der DAX im Plus sei. Als Außenstehender hätte man den Eindruck gewinnen können: Alles ruhig, alles bestens.
Außerdem gab es heute noch eine weitere Meldung, die ich einmal so wiederzugeben versuche, wie ich das heute in den Radio-Nachrichten des WDR gehört habe. „Die Deutschen sparen wieder mehr. Jeder Deutsche hat im ersten Halbjahr 180,- € pro Monat „auf die hohe Kante“ gelegt. 89 Milliarden Euro wurden von Januar bis Juni 2008 gespart“
Die direkt darauf folgende Meldung lautete: „Zahlungsmoral der Deutschen sinkt. Der Verband der Inkasso-Branche stellt eine drastische Verschleppung von Zahlungsverpflichtungen fest“ Ein Radio-Journalist erklärte einen sogenannten Domino-Effekt bei den Lieferantenschulden. Alle schieben ihr Zahlungen nach hinten, weil sie selbst von zu spät eintreffenden Zahlungen betroffen sind. Durch die Insolvenz eines Unternehmens können so leicht weitere mit in den Abgrund gerissen werden.
Sowohl im Falle der Aktien, als auch beim Sparen wurde ein wesentlicher Aspekt einfach nicht erwähnt: Die ungleiche Verteilung hinter den statistisch zusammen gefassten Werten. Die dramatische Scherenöffnung zwischen Habenichtsen und Superreichen lässt die nackte Statistik, die alles in einen Topf wirft und das Ergebnis durch die Anzahl der „Köpfe“ teilt wie eine lächerliche Farce anmuten, mag sie mathematisch auch noch so richtig sein.
Selbst wenn das statistische Bundesamt solche Zahlen veröffentlicht muss das doch nicht notwendigerweise zur Folge haben, dass alle Medien das ohne eigene Recherche wiederkäuen. Ein kurzer Einstieg in die Welt hinter den „geglätteten Zahlen“ würde genügen und eine erschreckende Entwicklung der Gesellschaft würde sichtbar.
Ich kann nicht fassen, dass dermaßen idiotische Statistiken sich unkommentiert in allen Medien breit machen. Was soll das? Dann doch lieber keine Statistik, als eine, die mit der Wahrheit absolut nichts zu tun hat.
Diesen Beitrag kann man nur zu 100% unterschreiben. Was mich völlig fassungslos den derzeitigen Entwicklungen gegenüberstehen lässt, ist die Tatsache, dass die Verantwortlichen ihre gesellschaftlich-soziale Verantwortung offenbar nicht wahrzunehmen vermögen und uns scheinbar völlig unwissender weise in einen verheerenden Strudel des Unterganges hineinziehen. Denn, wenn der Kurs sich nicht grundlegend ändert, steht der nächste Crash vor der Türe. Geht die Egopflege wirklich so weit, dass man die eigene und alle Existenzen aufs Spiel setzt? Es sollte nach 2 Weltkriegen und einem bereits gestarteten 3. Weltkrieg doch endlich klar sein, dass Ressourcen untauglich für private Eigentumsspiele sind und dass die abzockenden Sozialschmarotzer der ‚Spitzenklasse’ ohne sozialer Verantwortung endlich einmal von ihrer eigenen Arbeit leben sollten, ehe wieder einmal ein starker Mann politisch ‚beauftragt’ wird, eine total ausgehöhlte Demokratie auf den Misthaufen der Geschichte zu werfen, um anschließend heulend Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Ich denke wir leben in einer Narrenwelt, die kuriert gehört, bevor es wirklich einen Point of no return gibt.
Begriffe wie „die Deutschen“ oder „pro Kopf“ sind gerade im Zusammenhang mit Angaben zur finanziellen Situation der Bevölkerung völliger Blödsinn.
Beispiel: in einem Hochhaus leben 100 Menschen von Hartz IV. Einer gewinnt den Jackpot im Lotto: 10 Mio Euro. Dann haben die Bewohner des Hauses statistisch jeder 100.000 Euro „auf der hohen Kante“ – welche Freude! Dann brauchen die ja ab sofort auch keine Stütze mehr! Schöne statistische Scheinwelt!
Die Lügenhaftigkeit reicht bekanntlich von der Notlüge über die gemeine Lüge bis zur Statistik.:(
Recherche? Keine Zeit für sowas! Die meisten Journalisten müssen leider zusehen, dass sie Ihre Seite/Sendung schnell füllen. Und wie das bei Topthemen so üblich ist, wird gern alles gemeldet, was gerade ganz gut passt. Bei einem dramatischen Busunfall wird dann auch einige Tage lang jeder noch so kleine (Beinahe-)Busunfall gemeldet, bei Rinderwahn und Vogelgrippe fast jedes verendete Tier (Verdachtsfall!). Das sind die Mechanismen der Branche – und dazu jede Menge Unwissenheit. Also: Weiter so, Andreas, denn auch die Journalisten brauchen kritische, auf Zusammenhänge hinweisende Infos wie Deine!