Sachparteien statt Machtparteien – Johannes Heinrichs

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Wert­stu­fen­de­mo­kra­tie als innere Synthe­se von direk­ter und reprä­sen­ta­ti­ver Demokratie
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Als Andre­as Bange­mann mich anrief, ob er meinen frühe­ren Arti­kel Jetzt aufs Ganze gehen (HW 3/2009) noch einmal als Beitrag in diesem ganz der Demo­kra­tie gewid­me­ten Heft brin­gen könne, habe ich mich darauf beson­nen, wie viele Arti­kel zur „Vier­glie­de­rung“ ich schon in der HUMANEN WIRTSCHAFT bzw. in deren Vorgän­ge­rin plat­ziert hatte – und mit welchem Erfolg. Nach meinem Schrif­ten­ver­zeich­nis sind es im Ganzen bisher 23 Arti­kel, die mehr oder weni­ger direkt um dieses Thema krei­sen. Hinzu kommen etwa zehn Aufsät­ze in ande­ren frei­wirt­schaft­li­chen Zeit­schrif­ten, um nur von diesen zu spre­chen. Statt eines Nach­drucks eines von ihnen, die man teils im Netz finden kann, ziehe ich einen frischen Beitrag mit rück­bli­cken­der Zusam­men­fas­sung in Diskus­si­on mit mögli­chen Alter­na­ti­ven vor. 

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Meine „Karrie­re“ im frei­wirt­schaft­li­chen Schrift­tum begann im März 1994 mit dem Arti­kel Natür­li­che Wirt­schafts­ord­nung und natür­li­che Sozi­al­ord­nung, zu dem mich der dama­li­ge Redak­teur und Heraus­ge­ber Willi Schmül­l­ing aufge­for­dert hatte. Als „natür­li­che Sozi­al­ord­nung“ charak­te­ri­sier­te ich, in muti­gem Anklang an Gesells Haupt­werk Die natür­li­che Wirt­schafts­ord­nung, die Synthe­se von Hand­lungs­theo­rie und System­theo­rie, die ich seit meinen Frank­fur­ter Vorle­sun­gen (1975 ff.) an der Jesui­ten­hoch­schu­le Sankt Geor­gen entwi­ckelt hatte, eine System­theo­rie, die sich aus dem Inners­ten der handeln­den Refle­xi­ons­we­sen, genannt Menschen, ergibt. Darin wird der leidi­ge Gegen­satz zwischen den indi­vi­du­el­len Akteu­ren und den sozia­len Syste­men über­wun­den, zunächst frei­lich nur in der Theorie.

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Der unauf­ge­lös­te Streit um Hand­lung und System 

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Das Thema ist bis heute von höchs­ter Bedeu­tung. Die beiden Denk­schu­len stehen sich noch immer fremd und daher unfrucht­bar gegen­über: auf der einen Seite die hand­lungs­theo­re­ti­sche von Jürgen Haber­mas als Haupt­er­ben der „Kriti­schen Theo­rie der Gesell­schaft“, auf der ande­ren die von Niklas Luhmann (1927–1998) der noch immer als maßgeb­li­cher System­theo­re­ti­ker gilt. Haber­mas genießt welt­weit höchs­tes Anse­hen, m. E. eben ein im Zuge der 68er Bewe­gung von seinen Vorgän­gern ererb­tes und durch eine halb­dunk­le, kompli­zier­te Spra­che geschickt verwal­te­tes, keines aber, das auf wirk­li­chen Leis­tun­gen zur Klärung der welt­wei­ten Proble­me des Kapi­ta­lis­mus mit seiner schon von Marx zuge­stan­de­nen Verwand­lungs­kraft und Zerstö­rungs­wut in Bezug auf Welt­ernäh­rung, Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit und Natur­ab­bau beruht. Ich halte diese „Welt­macht Haber­mas“ (so die ZEIT schon zu seinem 80. Geburts­tag, dem ähnli­che Jubel­tö­ne zu seinem 90. im Jahre 2019 folg­ten) für eine Macht der Blockie­rung und des modi­schen Denk­er­sat­zes. Nicht einmal der von ihm lancier­te Mode-Ausdruck „Diskurs“ wird geklärt: ob es sich um Rede­zu­sam­men­hang über­haupt handelt (wie im engli­schen und fran­zö­si­schen Sprach­ge­brauch) oder um argu­men­ta­ti­ve, wissen­schaft­li­che Rede! Viel weni­ger gibt es sonst Defi­ni­tio­nen in Haber­mas’ Diskurs, ganz im Gegen­satz etwa zu dem dies­be­züg­lich vorbild­li­chen, philo­so­phisch-begriff­lich fundier­ten Sozio­lo­gen Max Weber (1864–1920).

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Ebenso beruht der Nimbus Luhmanns auf raffi­nier­ten intel­lek­tu­el­len Spie­len und Unklar­hei­ten eher konser­va­tiv-tech­no­kra­ti­scher Prägung, die von seinen Nach­fol­gern mehr oder weni­ger lust­voll weiter­ge­spielt werden, die jedoch in gar keiner Weise den anste­hen­den realen Proble­men auf natio­na­ler, euro­päi­scher und globa­ler Ebene gerecht werden. Diese beiden großen Denk- oder eher Sprech­schu­len fördern in erheb­li­chem Maße das in der Öffent­lich­keit, was kürz­lich Fried­rich Merz seiner Partei beschei­nig­te, aller­dings erst nach dem Wahl­de­sas­ter vom Septem­ber 2021: Denk­faul­heit. Ich möchte für die intel­lek­tu­el­le oder pseu­do­in­tel­lek­tu­el­le Szene des Spät­ka­pi­ta­lis­mus noch hinzu­fü­gen: nach­be­ten­des Mitläu­fer­tum, das sich unter höchst kompli­zier­ten Diktio­nen und unend­li­chen bloßen Text­kennt­nis­sen versteckt. Jener Streit zwischen Hand­lungs- und System­theo­rie blieb unauf­ge­löst liegen. Lösungs­ver­su­che blie­ben völlig unbe­ach­tet, weil jene Promi­nen­ten ihr Genü­gen daran fanden, sich gegen­sei­tig hochzuschaukeln. 

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Aus meiner sozi­al­phi­lo­so­phi­schen Sicht liegen die Dinge gerade in unse­rer Nation, die zwar eine bedeu­ten­de Dich­ter- und Denker­tra­di­ti­on hat, diese jedoch derzeit fast nur noch in der Inge­nieurs­kunst auslebt, derart, dass wir unter der Herr­schaft des „herr­schafts­frei­en Diskur­ses“ (Haber­mas) auf einem Tief­stand des geis­tes- und sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Diskur­ses (im wissen­schaft­li­chen Sinne) ange­langt sind. Und das ist keines­wegs bloß ein akade­mi­sches Problem! Deshalb muss ich so weit ausho­len und mir einige Pole­mik erlau­ben. Denn der Fisch des sozia­len Ganzen stinkt vom Kopfe, von den human- und sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Wort­füh­rern und den akade­mi­schen wie publi­zis­ti­schen Verhält­nis­sen her. Für die Erneue­rung und Weiter­ent­wick­lung der Demo­kra­tie brau­chen wir das diszi­pli­nier­te, schöp­fe­ri­sche Denken und eige­nes Verste­hen, nicht auto­ri­täts­fi­xier­tes Mitläu­fer­tum im Halb­dun­kel. Dies nicht zuletzt in Bezug die sach­ge­rech­te Einord­nung der Wirt­schaft ins Gesamt des Sozia­len, worauf ich nun zu spre­chen kommen werde.

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Grund­an­satz der Reflexions-Systemtheorie 

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Die Grund­ge­dan­ken, die in jenem ersten Arti­kel darleg­te und die ich bis heute unver­än­dert mit ihren weit­rei­chen­den poli­ti­schen Konse­quen­zen zu verdeut­li­chen suche, waren:

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Mensch­li­ches Selbst­be­wusst­sein beruht auf einer inne­ren, geleb­ten Refle­xi­vi­tät (im Unter­schied zu einer bloß nach­träg­li­chen, theo­re­ti­schen Refle­xi­on). Es ist Selbstbezug-im-Fremdbezug. 

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Die zwischen­mensch­li­che Begeg­nung ist ein sozia­les Refle­xi­ons­ge­sche­hen, welches der Baustoff der gesam­ten Gesell­schaft ist, mit all ihren Erschei­nun­gen und Einrichtungen.

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Diese sozia­le Refle­xi­on (ein bis dahin unbe­kann­ter Begriff) hat nur vier wesent­li­che Reflexionsstufen:
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den (indi­vi­du­el­len wie gemein­sa­men) Sachbezug
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das stra­te­gi­sche Verhält­nis der je einsei­ti­gen Interessenverfolgung
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das kommu­ni­ka­ti­ve Verhält­nis der doppel­ten und gegen­sei­ti­gen Refle­xi­on: die Kommu­ni­ka­ti­on. Jeder lässt wech­sel­sei­tig die Inten­tio­nen des Ande­ren wie seine eige­nen gelten. (Dies beginnt beim
Eintritt in die Gemein­sam­keit des Blickens.)
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die meta­kom­mu­ni­ka­ti­ve Ebene der gemein­sa­men Abschluss­re­fle­xi­on (Verab­re­dung) unter Einbe­zug der Sinn-Voraus­set­zun­gen aller sozia­len Begeg­nung: Metakommunikation.

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Kenner werden erken­nen, dass ich hier durch­aus an die „embryo­nal“ geblie­be­ne Hand­lungs­theo­rie und einige Ausdrü­cke von Haber­mas posi­tiv anknüp­fe, dass es sich jedoch bei dieser Refle­xi­ons-System­theo­rie vom Handeln der Menschen her um eine sprung­haf­te Weiter­ent­wick­lung handelt. Doch es kam nicht zu einem echten „Diskurs“ mit den genann­ten Mata­do­ren, auch aus manchen biogra­fi­schen Gründen.

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Die system­theo­re­ti­schen Konse­quen­zen (wenn man die Verhält­nis­se nicht aus der Perspek­ti­ve der Einzel­nen, sondern „von oben“ betrach­tet) sind nämlich, dass es vier große Ebenen des sozia­len Handelns gibt: System­ebe­nen und Wert­stu­fen, wie ich sie später im Buch Revo­lu­ti­on der Demo­kra­tie sowie in zahl­rei­chen Arti­keln mit erwei­ter­ter, frak­ta­ler Unter­glie­de­rung (einem dialek­ti­schen gleich refle­xi­ons­theo­re­ti­schen Glie­de­rungs­prin­zip) so zusam­men­ge­fasst habe:
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