„Negativzinsen“: Eine Erklärung – Norbert Rost
Als ich das erste Mal über die Idee stolperte, es sollte Geld kosten, wenn man Geld hat, fand ich die Idee auch gewöhnungsbedürftig. Das war 2001. Inzwischen ist es in der Euro-Zone und in Japan Standard: Banken kostet es Geld, wenn sie Geld halten. Wenn eine Geschäftsbank (Sparkasse, Deutsche Bank, Volksbank …) Geld über Nacht bei der EZB „parken“ will, muss sie Kosten in Höhe von 0,4 % p.a. der Einlagesumme tragen. Die EZB hat verschiedene Zinssätze, dieser Zins auf Übernacht-Einlagen heißt „Einlagefazilität“.
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Hört man in den deutschsprachigen Blätterwald wird darüber eigentlich nur gemeckert. Negativzinsen machen die Altersvorsorge kaputt, enteignen die Sparer und überhaupt. Interessant ist, wer da meistens meckert oder als Meckerer zitiert wird: Banker und Wirtschaftsprofessoren. Interessanterweise sind es genau diese beiden Berufsgruppen, die in den vergangenen 10 Jahren am wenigsten zur Lösung der Finanzsystemkrise beigetragen haben. Die Banker haben sich vom Staat aushelfen lassen, indem Milliarden an Steuergeldern und Bürgschaften an sie geflossen sind. Und die meisten Wirtschaftsprofessoren wurden allein von der Tatsache, dass der Zinssatz unter Null sinken kann, quasi überrascht. Es war un-denk-bar in den Kreisen der neoklassisch dominierten Finanz- und Volkswirtschaft. Zinsen unter Null sind für viele Wirtschaftswissenschaftler ein geistiger Affront. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler nehmen die Tatsache zwar zur Kenntnis, aber eher so wie die Dursleys zur Kenntnis nehmen, dass in Harry Potters Welt Zaubern wirklich passiert: Sie wollen es nicht akzeptieren, weil es einfach nicht in ihr Weltbild passt.
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Erforschen, wie Wirtschaften und Geld funktioniert
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Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Unsere Volkswirtschaft ist ein Gewebe aus vielen Geschäftsbeziehungen, die auch jeder Nichtunternehmer eingeht. Wer bei „dm“ ein Shampoo kauft, tauscht Geld gegen ein Chemieprodukt und „dm“ kann mit den Einnahmen neue Waren kaufen, alte Kredite ablösen oder Rendite an die Eigentümer ausschütten. Vermutlich legt sich der „dm“-Eigentümer Götz Werner nur einen sehr kleinen Bruchteil des Geldes, was durch die Kassen seiner Läden fließt, in bar in den Tresor. Aber ein bisschen was wird’s schon sein. Er wäre kein guter Kaufmann, wenn er kein Bargeld hält. Stellen wir uns aber mal vor, ALLES GELD wäre in Form von Bargeld vorhanden (und es gäbe keine elektronischen Konten) und jede Familie und jedes Unternehmen würde alles „eigene“ Geld mal für 4 Wochen in Scheinen in die Schublade stopfen. Wenn niemand Geld ausgibt, nimmt niemand Geld ein und wenn nicht mal mehr Geld verliehen würde, könnte auch kein Unternehmer Leute oder Zulieferer bezahlen und eine grandiose Krise wäre die Folge. Wirtschaften wäre nahezu unmöglich.
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Nun existiert der Großteil des Geldes in der Euro-Zone nicht als Bargeld, sondern als Eintrag in einer Datenbank: Kontensysteme in den Banken sind spezielle Datenbanken, und beispielsweise SAP liefert die Software dafür. Und jeder, der ein Konto hat, hat also Geld in Form eines Datenbankeintrags – das ist die Realität in unserem computerisierten Finanzsystem. Wenn wir „Geld auf dem Konto haben“, haben wir also in erster Linie eine Art „Erinnerung unserer Bank“: Damit sie’s nicht vergisst, hat sie in der Datenbank notiert, wieviel sie uns schuldet. Denn das Geld, das „wir bei der Bank haben“, haben wir ihr geliehen! Es sind Ansprüche, die jeder von uns an „seine Bank“ hat. Was aber, wenn die Bank für „unser Geld“ gar keine Verwendung hat?
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Was macht die Bank mit deinem Geld?
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Banken verleihen Geld. Oder sie kaufen werthaltige Sachen wie Unternehmensanteile, Aktien, Schuldscheine (Angela Merkels Schatzmeister Wolfgang Schäuble gibt regelmäßig frische Schuldscheine aus). Was aber, wenn es keine lohnenswerten Kreditnehmer gibt? Was, wenn die Werthaltigkeit von Investitionen fragwürdig ist? Unter welchen Umständen würden Sie, liebe Leserin, denn Geld verleihen, wenn es keine Rendite abwirft oder gar die Rückzahlung des Kredits fragwürdig ist?
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Wenn aber Banken kein Geld verleihen, sondern es bei der EZB „parken“, kriegt die Wirtschaft das Problem, dass ihr Geld „fehlt“. Die Geschäftsbeziehungen stocken dann. Also versucht die EZB die Banken davon abzuhalten, zuviel Geld bei ihr zu parken. Also werden „Parkgebühren“ erhoben: 0,4 % Jahresgebühr auf die Einlagen. Und als Verkehrsteilnehmer finde ich das nur fair! Denn wenn jemand den Radweg zuparkt, will ich auch, dass es ihn teuer zu stehen kommt, den Verkehrsfluss zu bremsen. Es heißt nicht umsonst: „Taler, Taler, du musst wandern“ und nicht „Euro, Euro lieg im Tresor rum“.
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„Wachstum, Wachstum über alles“ war gestern
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Allerdings haben die Banken und wir alle ein Problem! Es ist in einer Postwachstumsökonomie eben nicht mehr so einfach, Renditen größer 0 % einzusammeln. „Postwachstum“ heißt „nach dem Wachstum“ und es ist offensichtlich, dass die Industriewirtschaften des 20. Jahrhunderts zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine massive Sättigung erreicht haben! Die Wohnzimmer sind voll, die Keller sind voll, die Terminkalender sind voll, die Straßen stehen voller Autos, Läden und Läger sind voll: So schnell können wir nicht kaufen, wie die durchroboterisierte Industrie die Waren in die Schaufenster kracht. Wir haben alles! Und daran ändert auch ein neues iPhone wenig. Wo aber die Wirtschaft auf dem Höhepunkt ihres Outputs ist und die Haushalte auf dem Höhepunkt ihrer Lagerhaltung sind, da kann eine Volkswirtschaft eben kaum noch wachsen. Vielleicht (Oh, welch gotteslästerliche Wort!) schrumpft sie sogar mal! Aber davor behüte uns der Gott der Ökonomie, warnen uns die Wirtschaftsjournalisten und die Wirtschaftsprofessoren und sie haben durchaus ein bisschen Recht: Eine schrumpfende Wirtschaftslage kann sich zum Teufelskreis entwickeln. Leider ist das Schimpfen dann aber meist auch das höchste der Gefühle, was aus den Elfenbeintürmen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten kommt. Was hilfreich wäre, wäre forschende Fantasie, die uns ein Bild einer Postwachstumsökonomie zeichnet, mit dem wir künftig arbeiten können. Stattdessen halten die meisten Forscher am Weltbild des 20. Jahrhunderts fest, in dem „Negativzinsen“ ein Nicht-Wort war und in Theorien schlicht nicht vorkam. Die Nullgrenze zu unterschreiten ist ein so provokanter Akt, dass die EZB der Gotteslästerei angeklagt werden müsste, wäre sie selbst nicht eine so gottähnliche Institution im Finanzsystem. So mancher scheint deshalb an die Magie des Hinfortwünschens zu glauben um die kognitive Dissonanz zu heilen und meint, wenn wir nur die Negativzinsen austreiben könnten, wäre ökonomisch wieder alles gut. (Vielleicht wollen die Hinfortwünscher vielmehr verhindern, ihr ökonomisches Fehlbild anpassen zu müssen – das macht man ja auch ungern, sich von liebgewonnenen Weltbildern verabschieden.) Dabei sind „Geldhaltekosten“, wie man „Negativzinsen“ korrekterweise nennen müsste, seit Sommer 2014 geldpolitische Realität. Zwei Jahre!
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Hört man in den deutschsprachigen Blätterwald wird darüber eigentlich nur gemeckert. Negativzinsen machen die Altersvorsorge kaputt, enteignen die Sparer und überhaupt. Interessant ist, wer da meistens meckert oder als Meckerer zitiert wird: Banker und Wirtschaftsprofessoren. Interessanterweise sind es genau diese beiden Berufsgruppen, die in den vergangenen 10 Jahren am wenigsten zur Lösung der Finanzsystemkrise beigetragen haben. Die Banker haben sich vom Staat aushelfen lassen, indem Milliarden an Steuergeldern und Bürgschaften an sie geflossen sind. Und die meisten Wirtschaftsprofessoren wurden allein von der Tatsache, dass der Zinssatz unter Null sinken kann, quasi überrascht. Es war un-denk-bar in den Kreisen der neoklassisch dominierten Finanz- und Volkswirtschaft. Zinsen unter Null sind für viele Wirtschaftswissenschaftler ein geistiger Affront. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler nehmen die Tatsache zwar zur Kenntnis, aber eher so wie die Dursleys zur Kenntnis nehmen, dass in Harry Potters Welt Zaubern wirklich passiert: Sie wollen es nicht akzeptieren, weil es einfach nicht in ihr Weltbild passt.
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Erforschen, wie Wirtschaften und Geld funktioniert
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Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Unsere Volkswirtschaft ist ein Gewebe aus vielen Geschäftsbeziehungen, die auch jeder Nichtunternehmer eingeht. Wer bei „dm“ ein Shampoo kauft, tauscht Geld gegen ein Chemieprodukt und „dm“ kann mit den Einnahmen neue Waren kaufen, alte Kredite ablösen oder Rendite an die Eigentümer ausschütten. Vermutlich legt sich der „dm“-Eigentümer Götz Werner nur einen sehr kleinen Bruchteil des Geldes, was durch die Kassen seiner Läden fließt, in bar in den Tresor. Aber ein bisschen was wird’s schon sein. Er wäre kein guter Kaufmann, wenn er kein Bargeld hält. Stellen wir uns aber mal vor, ALLES GELD wäre in Form von Bargeld vorhanden (und es gäbe keine elektronischen Konten) und jede Familie und jedes Unternehmen würde alles „eigene“ Geld mal für 4 Wochen in Scheinen in die Schublade stopfen. Wenn niemand Geld ausgibt, nimmt niemand Geld ein und wenn nicht mal mehr Geld verliehen würde, könnte auch kein Unternehmer Leute oder Zulieferer bezahlen und eine grandiose Krise wäre die Folge. Wirtschaften wäre nahezu unmöglich.
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Nun existiert der Großteil des Geldes in der Euro-Zone nicht als Bargeld, sondern als Eintrag in einer Datenbank: Kontensysteme in den Banken sind spezielle Datenbanken, und beispielsweise SAP liefert die Software dafür. Und jeder, der ein Konto hat, hat also Geld in Form eines Datenbankeintrags – das ist die Realität in unserem computerisierten Finanzsystem. Wenn wir „Geld auf dem Konto haben“, haben wir also in erster Linie eine Art „Erinnerung unserer Bank“: Damit sie’s nicht vergisst, hat sie in der Datenbank notiert, wieviel sie uns schuldet. Denn das Geld, das „wir bei der Bank haben“, haben wir ihr geliehen! Es sind Ansprüche, die jeder von uns an „seine Bank“ hat. Was aber, wenn die Bank für „unser Geld“ gar keine Verwendung hat?
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Was macht die Bank mit deinem Geld?
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Banken verleihen Geld. Oder sie kaufen werthaltige Sachen wie Unternehmensanteile, Aktien, Schuldscheine (Angela Merkels Schatzmeister Wolfgang Schäuble gibt regelmäßig frische Schuldscheine aus). Was aber, wenn es keine lohnenswerten Kreditnehmer gibt? Was, wenn die Werthaltigkeit von Investitionen fragwürdig ist? Unter welchen Umständen würden Sie, liebe Leserin, denn Geld verleihen, wenn es keine Rendite abwirft oder gar die Rückzahlung des Kredits fragwürdig ist?
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Wenn aber Banken kein Geld verleihen, sondern es bei der EZB „parken“, kriegt die Wirtschaft das Problem, dass ihr Geld „fehlt“. Die Geschäftsbeziehungen stocken dann. Also versucht die EZB die Banken davon abzuhalten, zuviel Geld bei ihr zu parken. Also werden „Parkgebühren“ erhoben: 0,4 % Jahresgebühr auf die Einlagen. Und als Verkehrsteilnehmer finde ich das nur fair! Denn wenn jemand den Radweg zuparkt, will ich auch, dass es ihn teuer zu stehen kommt, den Verkehrsfluss zu bremsen. Es heißt nicht umsonst: „Taler, Taler, du musst wandern“ und nicht „Euro, Euro lieg im Tresor rum“.
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„Wachstum, Wachstum über alles“ war gestern
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Allerdings haben die Banken und wir alle ein Problem! Es ist in einer Postwachstumsökonomie eben nicht mehr so einfach, Renditen größer 0 % einzusammeln. „Postwachstum“ heißt „nach dem Wachstum“ und es ist offensichtlich, dass die Industriewirtschaften des 20. Jahrhunderts zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine massive Sättigung erreicht haben! Die Wohnzimmer sind voll, die Keller sind voll, die Terminkalender sind voll, die Straßen stehen voller Autos, Läden und Läger sind voll: So schnell können wir nicht kaufen, wie die durchroboterisierte Industrie die Waren in die Schaufenster kracht. Wir haben alles! Und daran ändert auch ein neues iPhone wenig. Wo aber die Wirtschaft auf dem Höhepunkt ihres Outputs ist und die Haushalte auf dem Höhepunkt ihrer Lagerhaltung sind, da kann eine Volkswirtschaft eben kaum noch wachsen. Vielleicht (Oh, welch gotteslästerliche Wort!) schrumpft sie sogar mal! Aber davor behüte uns der Gott der Ökonomie, warnen uns die Wirtschaftsjournalisten und die Wirtschaftsprofessoren und sie haben durchaus ein bisschen Recht: Eine schrumpfende Wirtschaftslage kann sich zum Teufelskreis entwickeln. Leider ist das Schimpfen dann aber meist auch das höchste der Gefühle, was aus den Elfenbeintürmen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten kommt. Was hilfreich wäre, wäre forschende Fantasie, die uns ein Bild einer Postwachstumsökonomie zeichnet, mit dem wir künftig arbeiten können. Stattdessen halten die meisten Forscher am Weltbild des 20. Jahrhunderts fest, in dem „Negativzinsen“ ein Nicht-Wort war und in Theorien schlicht nicht vorkam. Die Nullgrenze zu unterschreiten ist ein so provokanter Akt, dass die EZB der Gotteslästerei angeklagt werden müsste, wäre sie selbst nicht eine so gottähnliche Institution im Finanzsystem. So mancher scheint deshalb an die Magie des Hinfortwünschens zu glauben um die kognitive Dissonanz zu heilen und meint, wenn wir nur die Negativzinsen austreiben könnten, wäre ökonomisch wieder alles gut. (Vielleicht wollen die Hinfortwünscher vielmehr verhindern, ihr ökonomisches Fehlbild anpassen zu müssen – das macht man ja auch ungern, sich von liebgewonnenen Weltbildern verabschieden.) Dabei sind „Geldhaltekosten“, wie man „Negativzinsen“ korrekterweise nennen müsste, seit Sommer 2014 geldpolitische Realität. Zwei Jahre!
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