Janusköpfiges Eigentum – Gero Jenner
Es gibt kein unmittelbareres, kein elementareres Eigentum als das, was ich an meinem eigenen Körper habe. Wenn man mich fesselt, ins Gefängnis wirft oder auch nur meinen Tätigkeitsbereich beschränkt, dann verliere ich das Recht auf dieses angeborene Grundeigentum – meine Freiheit wird aufgehoben. Im Extrem macht man Menschen zu Sklaven, indem man ihnen die Verfügung über den eigenen Körper nimmt. Dieser unterliegt nicht mehr ihrem eigenen Wollen, sondern gerät unter die Botmäßigkeit von Fremden. In der Antike und in den Südstaaten der United States haben die Sklavenhalter andere Menschen zu ihrem Eigentum gemacht und auf diese Weise die eigene Freiheit erhöht. Sie potenzierten ihren Reichtum, aber das geschah auf Kosten der Freiheit anderer Menschen.
– - –
Ein Grundbedürfnis des Menschen: die Verfügung über sich selbst und sein Eigentum
– - –
Die Definition von Eigentum als exklusive Verfügungsberechtigung hat hier – beim eigenen Körper – ihren Ausgangspunkt. Ich bin frei, wenn ich über Dinge – angefangen beim eigenen Körper – nach meinem Wollen, meinen Plänen und meinem Lebenszweck verfüge. Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass es einem Menschen die tiefste Befriedigung verschafft, sich von keinem anderen sagen lassen zu müssen, was er mit seinem eigenen Körper anstellen soll, wenn also kein fremdes Wollen, fremde Pläne und fremde Zwecke an die Stelle des eigenen treten und dadurch seine Freiheit beschneiden. Aus genau diesem Grund sind ja alle Arten der Kollektivierung, wo Menschen von oben gegängelt werden, auf so erbitterten Widerstand gestoßen – sie beschneiden ein Grundbedürfnis des Menschen: die Verfügung über sich selbst und die Dinge, die er als sein Eigentum für sich in Anspruch nimmt.
– - –
Eigentum bildet das erweiterte Ich
– - –
Freiheit wird demnach auf die gleiche Art verstanden, wenn sie sich über den eigenen Körper hinaus auf die Dinge der äußeren Welt erstreckt. Mein Haus, mein Garten, meine Bücher und Geräte bilden mein Eigentum – eine Erweiterung des eigenen Selbst –, wenn sie ausschließlich mir gehören, weil sie mir dienen: nämlich meinem Wollen, meinen Plänen und meinem Lebenszweck. Auch in diesem Fall sind Eigentum und Freiheit unlösbar miteinander verbunden. Das gilt auch für den Genuss, den mir solches Eigentum zu verschaffen vermag. Wir „verwirklichen“ uns nicht nur in unserem Körper, unserem selbstbestimmten Lebenslauf, sondern ebenso in den Dingen, die uns umgeben, sie sind unser erweitertes Ich. Alle Einschränkungen und Eingriffe, die sich der Staat oder irgendeine andere Instanz an meinem Eigentum erlauben, erscheinen mir subjektiv als „Entfremdung“ von diesen Dingen und als Verlust an Freiheit. Eine Eigentumswohnung etwa oder gar ein Eigentumshaus dient der Verwirklichung eigener Pläne, mögen diese nun in Vorstellungen von Gemütlichkeit, architektonischer Schönheit oder privater Abgeschiedenheit bestehen; eine Mietwohnung hingegen dient den Zwecken fremder Eigentümer und schränkt daher meine Freiheit wesentlich ein. Es ist verständlich, dass fast jeder, der es sich leisten kann, lieber Eigentümer als Mieter ist.
– - –
Why Nations Fail
– - –
So ist es nicht erstaunlich, dass jede erfolgreiche Demokratisierung, sowie die nachhaltigsten und belebendsten Auswirkungen auf die Wirtschaft von Reformen ausgehen, welche eine Verteilung von Eigentum auf bisher eigentumslose Schichten bewirken. Demokratien sind in der Regel überhaupt erst dadurch entstanden, dass die Ballung von Macht in den Händen einer feudalen oder sozialistischen Oberschicht erst einmal beendet wurde – meist auf dem Wege von Revolutionen. Ich kenne kein Buch, dass die tonisierende Wirkung solcher Eigentumsverteilung so überzeugend beschreibt wie „Why Nations Fail“ von Acemoglu und Robinson.
– - –
Grund und Boden sind begrenzt
– - –
Allerdings macht sich an dieser Stelle ein regelmäßig eintretender Konflikt bemerkbar: der zwischen dem elementaren Bedürfnis aller Menschen nach (in Eigentum bestehender) Freiheit und der Möglichkeit, diese für eine maximale Zahl von ihnen auch tatsächlich zu realisieren. In jedem einzelnen Staat wie auch auf dem Globus als Ganzem ist der Vorrat an zu bewirtschaftendem Land im Verhältnis zur Bevölkerung begrenzt. Wenn eine kleine Zahl von Eigentümern über sämtliches Land verfügt, läuft dies zwangsläufig darauf hinaus, dass eine Mehrheit darauf verzichten muss. Oder anders gesagt: Liegt die Verfügungsberechtigung über Grund und Immobilien in der Hand einer kleinen Zahl von Investoren, dann läuft dies natürlich darauf hinaus, dass eine Mehrheit niemals ein gleiches Maß an Verfügungsberechtigung und damit an Freiheit genießt. Ist dieser Widerspruch auflösbar?
– - –
Wenn Eigentum eine Mehrheit von Menschen unfrei macht
– - –
Eigentum ist janusköpfig: Es hat die sichtbare Eigenschaft, ein Instrument der Freiheit zu sein, dann nämlich, wenn ich die volle Verfügungsberechtigung darüber genieße, es kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken, wenn ich lediglich der Nutzer fremden Eigentums bin und mich daher dem Wollen, den Plänen und dem Lebenszweck anderer Menschen zu fügen habe. Der kapitalistische Eigentümer, der große Mengen an Land aufkauft, möglicherweise ohne jemals auch nur den Fuß darauf zu setzen, vermehrt zwar die eigene Freiheit, hebt aber zur gleichen Zeit die Freiheit vieler anderer Menschen auf, denen er vorschreiben kann, was sie auf seinem Grund und Boden zu tun und zu lassen haben. Nichts anderes bewirkt ein kollektivistischer Staat, wenn er alles Land „sozialisiert“ und dessen jeweilige Nutzung seinen Bürgern von oben verordnet. Die grassierende Sabotage in den sowjetrussischen Kolchosen war nichts anderes als ein Aufstand gegen Ohnmacht und Unfreiheit. Aus freien Bauern, die bis dahin auf eigenem Land eigenes Wollen, Pläne und Lebenszwecke verwirklichten, waren unfreie Landarbeiter geworden, die sklavisch die Anweisungen einer allmächtigen Bürokratie zu befolgen hatten. Acemoglu und Robinson haben gezeigt, wie solche Unfreiheit – in ihren Worten „ausbeuterische Institutionen“ (extractive institutions) – wirtschaftliches Leben erstickt und auf Dauer nur von Diktaturen durchgesetzt werden kann.
– - –
Vollwertiges, gerechtes Eigentum
– - –
Gelingende Landreformen – gleichgültig ob gegen das geballte kapitalistische Eigentum in den Händen weniger Fonds oder Großgrundbesitzer gerichtet oder gegen das kollektivistische (sozialisierte) Eigentum in der Hand einer kommunistischen Nomenklatura – verfolgen den Zweck, Eigentum, welches die Freiheit weniger Großeigentümer mit der Unfreiheit einer großen Zahl abhängiger Nutzer erkauft, in vollwertiges, gerechtes Eigentum umzuwandeln, in solches also, welches ausschließlich Freiheit verschafft. Das ist der Fall, wenn der jeweilige Eigentümer frei darüber verfügen kann, aber ohne die Freiheit anderer einzuschränken, indem er sie als Sklaven, Leibeigene, Pächter, Zeitarbeiter, Mieter etc. zu eigenen Zwecken benutzt. Wer ein Stück Land selbst bewirtschaftet, der geht damit wie mit seinem eigenen Körper um, also pfleglich und meist sogar liebevoll. Während er auf den Kolchosen das Staatseigentum geraubt oder misshandelt hatte, wenn er Traktoren und Erntemaschinen nicht einfach dahinrosten und auf diese Weise verkommen ließ, behandelt er alles persönliche Eigentum wie eine Kostbarkeit, weil er damit sein je eigenes Wollen, seine Pläne und seinen Lebenszweck realisiert. Wie gesagt, ist es alles andere als ein Zufall, dass gelingende Landreformen fast immer am Beginn einer sich demokratisierenden, freien Gesellschaft stehen.
– - –
Die Tragik der Allmenden
– - –
Weil es im elementaren Interesse jedes Eigentümers liegt, mit den von ihm verwalteten Dingen so sorgfältig umzugehen wie mit dem eigenen Körper, bedarf dieser Umgang keiner äußeren Aufsicht durch andere Menschen, schon gar keiner Kontrolle durch einen Staat. Ganz anders verhält es sich mit Allmenden, dem Gemeineigentum, auf das jeder Bürger zugreifen darf. Es war und ist immer und überall aufs stärkste gefährdet („the Tragedy of the Commons“). Die Meere werden leer gefischt oder rücksichtslos mit Plastik und anderen Abfällen verseucht, Boden und Flüsse vergiftet, wenn das Gemeineigentum nicht der strengsten Kontrolle durch die Allgemeinheit unterliegt, oft repräsentiert durch den Staat oder internationale Organe. Ohne diese ständige Überwachung und Aufsicht holt sich jeder auf Kosten aller anderen, was er sich nur zu holen vermag oder, schlimmer noch, er nutzt das Gemeineigentum als kostenfreie Senke – wie das gegenwärtig mit den Meeren geschieht. Dennoch sind …
– - –
mehr online…
Aktuelle Kommentare