Inclusive Capitalism – Wie sich der Finanzsektor die Welt unterwirft – Wolfgang Berger
Roger Martin du Gard, Autor des Werkes „Die Thibaults“ lässt seinen Helden zum 1. Weltkrieg sagen: „Nie zuvor ist die Menschheit so tief erniedrigt, ihre Intelligenz so rücksichtslos unterdrückt worden“.
Der Schweizer Professor Marc Chesney zeigt auf, wie das Demokratieversagen nach dem 1. Weltkrieg zu einer Herrschaft der Finanzaristokratie über die Wirtschaftspolitik führte. [Marc Chesney: „Vom Großen Krieg zur permanenten Krise – Der Aufstieg der Finanzaristokratie und das Versagen der Demokratie“; Versus-Verlag Zürich] Die Akteure dieser Finanzwelt befinden sich in einer Art gemeinschaftlichen Rausches, dessen gesellschaftliche Folgen nur in Ausnahmefällen von ihnen selbst wahrgenommen werden. Sam Polk, Trader eines spekulativen Fonds bringt es auf den Punkt: „Ich wollte mehr Geld und zwar aus dem gleichen Grund, wie ein Alkoholiker noch ein Glas braucht. Ich war süchtig.“ Und weiter: „Nicht nur, dass ich nicht dabei half, Lösungen für die Probleme der Welt zu finden, ich profitierte auch noch davon.“ [ebd.]
Wo genau die Schnittstellen zwischen Geldmacht und politischer Macht ineinanderfließen mag keiner genau beurteilen können. Indizien dafür, dass den „Süchtigen“ der Zugang zu ihrer „Droge“ von mächtigen Beratern aus der Finanzwelt geebnet wurde und immer noch wird, gibt es zuhauf. Ein freier, von politischem Einfluss weitgehend verschonter Finanzmarkt wurde zum wünschenswerten Ziel nahezu aller Eliten der westlichen Welt.
Rolf Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sprach es in einem lesenswerten Aufsatz im Jahr 2000 so aus: „Wenn man so will, haben die Finanzmärkte quasi als ‚fünfte Gewalt‘ neben den Medien eine wichtige Wächterrolle übernommen. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.“ [„Die fünfte Gewalt“ aus DIE ZEIT Nº 18⁄2000 vom 27. April 2000: http://www.zeit.de/2000/18/200018.5._gewalt_.xml (Eingesehen am 21. 10. 2014)]
250 globale Finanzmanager treffen sich in London
Unter dem Thema „Inclusive Capitalism – Anstoß zum Umbruch“ hat Lady Evelyn de Rothschild, Gattin von Robert de Rothschild im Frühsommer nach London eingeladen, zu einem Treffen ins Mansion House, die Residenz des Lord Mayor der City of London.
Die dort ansässigen Finanzfirmen haben Alderman Fiona Woolf als 686. Lord Mayor zur Leiterin der City of London Corporation gewählt – die zweite Frau in diesem Amt seit 1189. Zuvor war sie Partnerin bei CMS Cameron McKenna, einer Kanzlei mit 3.000 Anwälten, die Finanzfirmen bei Rechtsstreitigkeiten mit Staaten vertritt.
Der Prince of Wales hielt den Eröffnungsvortrag. Lady de Rothschild markierte den Roten Faden der Konferenz: Die tiefe Sorge, dass die eigene PR nicht effizient genug sei. Populistische Regierungen könnten den Finanzsektor übernehmen und gar sei der Ausbruch einer Revolution nicht ausgeschlossen: „Es ist wirklich gefährlich, wenn Business als eines der gesellschaftlichen Probleme gesehen wird.“ 61 Prozent der Briten wollen eine Partei wählen, „die am härtesten mit Big Business umspringt”.
Bill Clinton erinnerte an die Depression zu Beginn seiner Regierungszeit. Seine Lösung war die Deregulierung des Finanzsektors durch den Gramm-Leach-Blilay Act, mit der Folge der größten Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in den USA. „Das Vertrauen wiederzugewinnen und Werte zu bilden“ sei deshalb die aktuelle Herausforderung. Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, deutete an, wie das gehen könnte: Um Regierungseingriffe in den Finanzsektor zu vermeiden, sei ein Umbruch in Management, Aufsicht und Ethik erforderlich.
Christine Lagarde, Chefin des International Währungsfonds, wies darauf hin, dass der Anteil des privaten Einkommens am Bruttoinlandsprodukt in Europa heute ähnlich hoch ist wie vor Beginn des 1. Weltkriegs. Seit 1980 habe das reichste Prozent der US-Bürger seinen Anteil am Nationalprodukt mehr als verdoppelt. Die Verhältnisse seien jetzt wie am Vorabend der großen Depression 1929. Die 85 reichsten Menschen der Welt passen in einen Londoner Doppeldeckerbus und haben so viel Vermögen wie die halbe Menschheit.
Die Deutsche Welle kommentierte: „Die Zeit wird zeigen, ob die Inclusive Capitalism Intiative mehr ist als ein Treffen extrem wohlhabender Leute, die in ihren Privatjets anreisen, um ein paar angenehme Stunden miteinander zu verbringen und sich gegenseitig zu versichern, dass sie das Beste für die Gesellschaft tun.“ Die 250 globalen Finanzmanager, die hier zusammengekommen sind, kontrollieren ein Vermögen von 30 Billionen US-Dollar. John Paulson, James Simons und Steven Cohen wurden in 2013 mit jeweils zwei bis zweieinhalb Milliarden Dollar dafür vergütet, David Teppers Einkommen im letzten Jahr betrug 3,5 Milliarden Dollar – ca. 10 Millionen kalendertäglich.
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