Horst Köhler und die Verschwendung in der Krise
In seiner guten Rede vom 29.4. beim IX. Munich Economic Summit sagte Horst Köhler unter der Überschrift
„Die Krise nicht verschwenden“
unter anderem folgendes:
„Die Praxis des heute vorherrschenden Finanzkapitalismus kann jedenfalls für uns kein Leitbild
sein. Er ist sich selbst genug. Er operiert vor allem mit Wetten und Schulden. Er steigert seine
eigenen Renditen ohne Rücksicht darauf, ob das dem Wohlergehen der Nationen nutzt. Die
aktuelle Krise zeigt ein Muster, das nicht akzeptabel ist – die Gewinne haben wenige gemacht, die
Verluste muss die Allgemeinheit tragen. Es gibt ein besseres Leitbild. Ralf Dahrendorf hat darauf
schon vor 25 Jahren hingewiesen. Er hat zwischen „Pumpkapitalismus“ und „Sparkapitalismus„
unterschieden. Sparkapitalismus heißt dauerhafte Werte schaffen, statt Wetten einzugehen, heißt
reale Güter und Dienstleistungen finanzieren, statt virtuelle Finanzpyramiden aufzubauen. Im
Sparkapitalismus dominieren nicht das Kurzfristdenken und die Spekulation, sondern die
realwirtschaftliche Investition und ein Eigentum, das sich in Verantwortung bindet. Da ist man an
einem stabilen Geldwert interessiert und bringt allen Respekt entgegen, die Geld zurücklegen und
damit für die Zukunft vorsorgen. Eine Wirtschaft nach diesem Leitbild verbessert die
Lebensbedingungen Aller. Sie zielt auf nachhaltigen Wohlstand für Alle. Einer Wirtschaft mit
diesem Leitbild haben auch die Finanzmärkte zu dienen. Sie sollen als vertrauenswürdiger Mittler
zwischen Sparer und Investoren treten, statt alles in Gefahr zu bringen. Diese dienende Rolle ist
die eigentliche Existenzberechtigung der Finanzmärkte, und sie darauf festzulegen muss das
zentrale Ziel der Neuordnung der Finanzmärkte sein. Die Politik muss ihr Primat über die
Finanzmärkte zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne
Regeln überlassen. Das war ein Grund dafür, dass die Finanzkrise überhaupt entstehen konnte.
Und es hat dazu geführt, dass der Staat in der Finanzkrise erpressbar war – und es bis heute ist.
So etwas darf sich nicht wiederholen. Das gebietet einfache und harte Regeln für die
„Finanzindustrie“. Sie muss Grenzen gesetzt bekommen, damit Freiheit sich nicht selbst zerstört.“
Die Unterscheidung von Pump- und Sparkapitalismus ist verwirrend. Im Kapitalismus entsprechen die gesparten Geldvermögen immer den gerade verliehenen Summen. Nur was der eine gespart hat, kann sich ein Anderer „pumpen“.
Dass die Geldvermögen zum allergrößten Teil als Kredite wieder in die Realwirtschaft geflossen sind, war bis in die siebziger Jahre hinein der Normalfall. Geldvermögen und Realwirtschaft entwickelten sich scheinbar linear wachsend im etwa gleichen Verhältnis.
Die Spekulation am Kapitalmarkt war die Blase auf der Realwirtschaft (Keynes).
Wuchsen die beiden Größen wirklich linear, wie es den Anschein hatte?
Die Geldvermögen und die Schulden wachsen nach mathematischen Gesetzen und dabei vor allem nach jenen der Zins- und Zinseszinsrechnung. Exponentielles Wachstum. Das Wachstum der Realwirtschaft aber unterliegt mehr den physikalischen Gesetzen und das bedeutet, es stößt an natürliche Grenzen. Wachstum bis zum Optimum.
In dieser Grafik von Helmut Creutz ist deutlich zu erkennen, wie sich Bruttoinlandsprodukt und Geldvermögen/Schulden auseinander entwickelt haben.
In dem Maße, in dem sich Geldvermögen und Schulden von der realen Wirtschaftsentwicklung entfernten, nahm zwangsläufig die Macht des Kapitalmarktes zu. Vieles von dem, was wir heute erleben, hängt mit dem enorm gewachsenen Volumen des Kapitalmarktes zusammen. Politische Entscheidungen im Hinblick auf das Geldwesen waren aufgrund der Begrenztheit dieses Marktes in den siebziger Jahren noch wirksam. Heute sind die finanzstarken Akteure dieses Marktes diejenigen, die die Politik am Nasenring durch die Arena führen.
Der Billionendollar-Kapitalmarkt führt die politische und wirtschaftliche Regie. Nur ein Gesetz zählt: das des maximalen Gewinnes. Ein überweigender Teil der Transaktionen hat keinen direkten Bezug zur Realwirtschaft. Die riesigen Summen, die alleine täglich an Aktien und den dazugehörigen Finanzpapieren hin und her bewegt werden, gehen völlig an der realen Wertschöpfung vorbei. Nur bei der Erstausgabe von Aktien fließen einer Aktiengesellschaft Mittel zu, die sie für ihre eigentliche Aufgabe einsetzen kann. An den weiteren Spekulationen nimmt sie nicht mehr als produzierendes oder leistendes Unternehmen teil, sondern bestenfalls noch selbst als Finanzmarktakteur. Der Markt und seine Akteure bestimmen über ihr Verhalten, wann sich ein realer Bezug lohnt und wann es besser ist in Papieren zu bleiben, die nur innerhalb des Marktes verschoben werden.
Der Vergleich mit dem Spielcasino ist dabei angebracht. Es liegt im Ermessen des Spielers, wann er das Casino betritt und wann er es wieder verlässt. Es liegt im Ermessen des Spielers wie viel Geld er innerhalb des Casinos kreisen lässt und wie lange er das tut. Es liegt im Ermessen des Spielers, wann und wie er Mittel wieder in der realen Wirtschaft einsetzt. Im Casino selbst gibt es zum bekannten Spielcasino einen Unterschied. Es gibt nicht die Bank, die immer gewinnt. Was einer verliert, gewinnt stets ein anderer. Man wettet auf Ereignisse, man wettet miteinander und gegeneinander. Gläubiger und Schuldner treffen sich auf dem Parkett des Casinos. Schuldnern bietet sich im Casino die große Chance auf Gewinne, die sie zu Gläubigern machen können. Das Wachsen der Gewinne im Markt – nun schon seit vielen Jahren – hängt maßgeblich mit dem nachfließenden Kapital zusammen, das auch immer weiter wächst. Der Kapitalmarkt zieht die Ersparnisse aus der realen Wirtschaft an – jenem Sparkapitalismus, den sich Horst Köhler wünscht – und lässt dadurch die Nachfrage am Kapitalmarkt immer weiter wachsen. Mit der Nachfrage gehen die Preise gemäß den Gesetzen der Marktwirtschaft nach oben. Es entstehen zum Teil wahnwitzige Preise für Aktien oder Rohstoffe, die nichts mit der realwirtschaftlichen Nachfrage zu tun haben, sondern sich nur auf die kaskadenförmig aufgebauten Spekulationspapiere beziehen.
Kapital, das mehr wird, weil es mehr wird.
Die Börsen – das Parkett mit zwischen Spiegel gelegtem Geld und der Illusion der Unendlichkeit.
Nach dem Willen der Politik – und auch aus Horst Köhlers Rede gehen keine anderen Vorschläge hervor – will man etwas mehr dabei mitreden, wie die Spiegel auf dem Parkett angeordnet werden. Der Gier kann Einhalt geboten werden, in dem man die Illusion ein wenig reglementiert.
Die Ursache der heute spürbaren Auswirkungen der Krise ist auf die Geldvermögens- und Schuldenexplosion zurückzuführen. Diese Explosion wiederum ist auf die beschriebenen mathematischen Gesetze zurückzuführen. Dass diese in einem Bereich wirken können, der eigentlich von den naturbezogenen physikalischen Gesetzen bestimmt sein müsste, hängt mit der durch Menschen installierten Geldordnung zusammen. Eine Geldordnung, der die negative Rückkopplung fehlt, jenes in der Natur allen Wachstumsprozessen zugrunde liegende Prinzip. Wir können alle nur erdenklichen und gutgemeinten Ideen für eine Regulierung innerhalb des Systems in Angriff nehmen. Doch wir werden den Kern des Problems nicht in den Griff bekommen, wenn wir die Geldordnung als ganzes nicht neu ordnen.
Das ist auch die einzige Chance für die Politik, wieder das Primat über die Finanzmärkte zurückzugewinnen und ihnen eine dienende Rolle zuzuweisen. Ordnungsfragen sind die vornehmsten Aufgaben der Politik.
Bild © 2010 Martin Bangemann
Wir brauchen eine Geldordnung mit negativer Rückkopplung.
Nachhaltigkeit auf allen wissenschaftlichen Gebieten und vor allem im Hinblick auf Maßnahmen für die Umwelt ist nutzlos in einer Welt, die sich den unnatürlichen Gesetzen einer Geldordnung ohne Regulativ unterwirft.
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