Geor­ges Batail­les Spe­ku­la­tion auf die Öko­no­mie der Ver­schwen­dung – Wolf Die­ter Enkelmann

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LUXUS DENKEN
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Geor­ges Batail­le ist als Ökonom ein Denker des Luxus. Er folgt in drei Punk­ten einem grund­le­gend ande­ren Ansatz, als es sonst in der Ökono­mik üblich ist. Zum ersten denkt er die Ökono­mie aus dem Reich­tum. Zum zwei­ten bezieht er die Revo­lu­ti­on mit ein. Und zum drit­ten stellt er der parti­ku­lä­ren Natio­nal­öko­no­mie eine allge­mei­ne Ökono­mie gegenüber.
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Batail­le sieht in seinem ökono­mi­schen Ansatz eine „koper­ni­ka­ni­sche Wende“, eine „Umkeh­rung aller ökono­mi­schen Grundsätze“[1]: „Vom parti­ku­lä­ren Gesichts­punkt stel­len sich die Proble­me in erster Linie durch den Mangel an Ener­gie­quel­len; vom allge­mei­nen Gesichts­punkt aus stel­len sie sich in erster Linie durch deren Überschuss.”[2] Seine Entschei­dung ist klar, für ihn liegt in der allge­mei­nen Ökono­mie der größe­re Reali­täts­sinn. Nur sie vermag auch, was parti­ku­lär geschieht, rich­tig einzuschätzen.
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Dabei geht Batail­le „von einer elemen­ta­ren Tatsa­che aus: Der leben­di­ge Orga­nis­mus erhält, dank des Kräf­te­spiels der Ener­gie auf der Erdober­flä­che, grund­sätz­lich mehr Ener­gie, als zur Erhal­tung des Lebens notwen­dig ist”[3]. Schon von Natur aus erscheint ihm die Welt­öko­no­mie zum Über­fluss präde­sti­niert. „Für die leben­di­ge Mate­rie insge­samt ist die Ener­gie auf dem Erdball immer über­schüs­sig, hier muss immer in Begrif­fen des Luxus gedacht werden.”[4] Daraus folgt für seine Defi­ni­ti­on der Ökono­mie: Die „Ökono­mie“ ist die „Produk­ti­on und Verwen­dung der Reichtümer”[5]. Daher ist er über­zeugt, dass „nicht die Notwen­dig­keit, sondern ihr Gegen­teil, der ‚Luxus‘, der leben­den Mate­rie und dem Menschen ihre Grund­pro­ble­me stellt”[6]. Und aus der Unfä­hig­keit, den Luxus zu leben und den Reich­tum zu genie­ßen, folgen die epocha­len Kata­stro­phen der Zerstö­rung und Vernich­tung, aber auch die klei­nen alltäg­li­chen Entwer­tun­gen und die schlei­chen­den Herab­wür­di­gun­gen, die sich zu einer nieder­träch­ti­gen Kultur des Klein­mu­tes, des Geizes und des Neides akku­mu­lie­ren können, bis „das Vergnü­gen der Reichen“ allein noch „am Ermes­sen des Elends der anderen”[7] ein Maß findet.
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Batail­le bestrei­tet weder den Mangel noch mate­ri­el­les Elend oder sons­ti­ges Unglück. Im Gegen­teil. Aber er bestrei­tet, dass die Erfah­rung des Mangels zu wahrer ökono­mi­scher Erkennt­nis verhilft. „So erschre­ckend das mensch­li­che Elend auch ist, niemals hat es die Gesell­schaft soweit beherr­schen können, dass das Stre­ben nach Selbst­er­hal­tung, das der Produk­ti­on den Anschein eines Zwecks gibt, das Stre­ben nach unpro­duk­ti­ver Veraus­ga­bung über­wo­gen hätte“[8], es sei denn, sie wäre einge­gan­gen und nurmehr Stoff der Geschichtsbücher.
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„Das mensch­li­che Leben kann in keinem Fall auf die geschlos­se­nen Syste­me redu­ziert werden, auf die es nach ratio­na­len Auffas­sun­gen gebracht wird. Die unge­heu­ren Anstren­gun­gen der Selbst­auf­ga­be, des Sich­ver­strö­mens und Rasens, die es ausma­chen, legen viel­mehr nahe, dass es erst mit dem Bank­rott dieser Syste­me beginnt“[9], die damit ihrer­seits bereits als ein orga­ni­sier­ter Bank­rott zu gelten haben. Und: ausweg­los arm macht, „dass wir Angst haben und uns abwen­den von einer Verschwen­dungs­ten­denz, die uns beherrscht, ja, die uns ausmacht“[10]: Aus dieser Angst vor Über­schwang und Veraus­ga­bung neigen Menschen zu einer „Verfemung“[11] des Reich­tums. Und sie verken­nen sich selbst. „Die Lösung“ der Proble­me der Verar­mung, des Welt- und Seins­ver­lus­tes „erfor­dert an einem bestimm­ten Punkt die Über­win­dung der Angst“[12], andern­falls nicht einmal die Armen ihre Armut, wie sehr sie sie auch erlei­den, rich­tig erken­nen, geschwei­ge irgend­je­mand den Reichtum.
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Die von Batail­le so genann­te Verfe­mung des Reich­tums lässt den gesam­ten ökono­mi­schen Betrieb buch­stäb­lich verkehrt wahr­neh­men. Denn gerade im Mangel ist wenn auch nichts Ange­neh­mes – zu viel. Nicht, dass etwas zu wenig ist, ist das Problem. Auch die Armut ist eine Form des Reich­tums. Sie zeigt die Verfas­sung, in der sich der Reich­tum befindet. 

Batail­le reinte­griert in das Verständ­nis des Mangels und in die Mängel­be­sei­ti­gung herme­neu­tisch das eigent­li­che Ziel, den Reich­tum. Denn in der Besei­ti­gung des Mangels ist der Zweck der Ökono­mie noch nicht erfüllt, sondern nur ein Ausgleich erreicht und ein Zustand, in dem mit dem Mangel auch dessen Gegen­teil jede Reali­tät verliert und die Ökono­mie entro­pisch wird. Es gilt, über den Mangel den Reich­tum nicht aus den Augen zu verlie­ren. Es gilt, sich davor zu hüten, Mangel und Reich­tum nur abstrakt gegen­ein­an­der zu verrech­nen und – so zynisch wie mora­lisch – wech­sel­wei­se dem einen jenen anzu­las­ten und dem ande­ren diesen zugu­te­zu­hal­ten. Und das hat Folgen für die Wahr­neh­mung und Inter­pre­ta­ti­on des Mangels und der Armut wie des Reich­tums und des Luxus. Alles ist nur Modu­la­ti­on des Über­flus­ses, der sich in einen Über­druss verkeh­ren kann.
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REICHTUM ‚ERWERBEN‘ – REICHTUM VERLIEREN
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Ziel der Ökono­mie ist für Batail­le nicht Repro­duk­ti­on und Selbst­er­hal­tung, nicht die Besei­ti­gung des Hungers oder sons­ti­ger Mängel und Schwie­rig­kei­ten. Nicht die Armut an sich, sondern die Unfä­hig­keit, reich zu sein und mit dem Reich­tum der Welt etwas anfan­gen zu können, die Verar­mung nicht der Armen, sondern des Reich­tums ist das Problem. Gelingt es, den Reich­tum zu reali­sie­ren, lassen sich auch die Proble­me des Über­le­bens­kamp­fes, der Armut und der Not ganz anders klären. Die Menschen aber vertrau­en, so Batail­le, nicht ihrem Glück. Sie ertra­gen ihr Glück nicht und vermö­gen nicht zu würdi­gen, welche Verschwen­dung es ist, dass es sie gibt. Einge­schüch­tert von Not und Ängs­ten um ihr Über­le­ben glau­ben sie an den Mangel, sehen über­all zu wenig und setz­ten alles Vertrau­en in die Produk­ti­on der Güter, die sie brau­chen oder zu brau­chen meinen, die sie rettet, aber auch vor der Wahr­heit der Ökono­mie bewahrt. Sie mehren dabei über die Mehrung der Güter nur den Mangel an ihrer Exis­tenz. Kommu­ni­ka­tiv gese­hen heißt Produk­ti­on von daher – Entfremdung… 

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