Frieden braucht Wahrheit – Günther Moewes

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Der Vorsatz der Frank­fur­ter Rund­schau, eine Serie über Krieg und Frie­den zu brin­gen, in der auch Stand­punk­te zu Wort kommen, mit denen sie nicht unbe­dingt über­ein­stimmt, ist eine Rari­tät in der Medi­en­welt. Wie kommt das?
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Haupt­in­diz von Nato, west­li­cher Poli­tik und den sie trei­ben­den Konzern­me­di­en, ist die orga­ni­sier­te „Desin­for­ma­ti­on, die gewal­ti­ge Formen ange­nom­men hat. Sie zerstört das Vertrau­en der Bevöl­ke­rung in die Poli­tik“, sagt der renom­mier­te Tübin­ger Medi­en­wis­sen­schaft­ler Bern­hard Pörk­sen. Sahra Wagen­knecht spricht von einem „vereng­ten Meinungs­kor­ri­dor“. Laut Forsa glau­ben inzwi­schen 40 % der Deut­schen, dass man in Deutsch­land nicht mehr sagen dürfe, was man denke. Das alles stärkt ausge­rech­net die AfD. Beharr­lich wird auch verschwie­gen, dass die Waffen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne ja letz­ten Endes von der Bevöl­ke­rung bezahlt werden und eine der Haupt­ur­sa­chen von Teue­rung und Infla­ti­on sind. Ebenso das US-Frack­ing-Gas, das nicht nur teurer ist als das russi­sche Gas, sondern auch weit­aus schäd­li­cher als Kohle. Denn es besteht zu 98 % aus Methan, von dem laut Exper­ten­schät­zung bis zu 30 % bei Verflüs­si­gung durch Herun­ter­küh­len, Umfül­len, Trans­port und Wieder­erwär­mung an die Atmo­sphä­re verlo­ren gehen. Das berich­te­te ausnahms­wei­se der Sender Phoenix.
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Es begann mit dem Ukrai­ne-Krieg: Putin hatte in mehre­ren Noten an Nato und USA berech­tig­te Sicher­heits­zu­sa­gen verlangt: Kein Nato-Beitritt der Ukrai­ne. Das heißt: keine US-Atom­ra­ke­ten 410 km vor Moskau. Als die Sowjet­uni­on 1953 Atom­ra­ke­ten auf Kuba, also 1800 km vor Washing­ton, statio­nie­ren wollte, hätte Kenne­dy glatt den drit­ten Welt­krieg riskiert, wenn Chruscht­schow nicht einge­lenkt hätte. Putins Noten dage­gen wurden vom Westen nicht beant­wor­tet und verschwie­gen. Verschwie­gen wurde auch, dass die USA, im Gegen­satz zu Putin, stän­dig das Minsk-Abkom­men brachen, sei es durch Manö­ver, „huma­ni­tä­re“ Waffen­lie­fe­run­gen oder Milli­ar­den an rechte Partei­en in der Ukrai­ne. Putin fühlte sich getäuscht, auch durch beleg­te Zitate von Biden, Merkel und Stol­ten­berg. Selbst, als Putin dann Wochen vor Kriegs­be­ginn für alle sicht­bar mit dem Aufmarsch vor der Ukrai­ne begann, hätte der Westen den Krieg noch mit weni­gen Sätzen vermei­den können. Ebenso kurz nach Kriegs­be­ginn, als Isra­els Exmi­nis­ter­prä­si­dent Nafta­li Benett auf Selen­s­kiys Bitte hin in Moskau und Kiew den Entwurf eines Waffen­still­stands-Abkom­mens hatte erar­bei­ten lassen. Der wurde von den USA und Groß­bri­tan­ni­en abge­lehnt. Wohl auch aus Verär­ge­rung darüber, dass sie als Nicht-EU-Mitglie­der nicht am Minsk-Abkom­men betei­ligt worden waren. Fragte man, was sich nach den stehen­den Ovatio­nen für Putin 2001 im Deut­schen Bundes­tag denn plötz­lich so verän­dert habe, hieß es, Putin habe sich verän­dert. Die Frage, ob sich nicht viel­leicht die frühe­ren „Frie­dens-Partei­en“ von Willy Brandt, Petra Kelly und Antje Voll­mer verän­dert hätten, löste Empö­rung aus. Wieder entstand ein Gut-Böse-Schema, aus dem fast alle Kriege hervorgehen.
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Diese Desin­for­ma­ti­on setzt sich im Gaza-Krieg auf beklem­men­de Weise fort: Typi­sches Beispiel: „US-Univer­si­tä­ten sind von einer Welle des Juden­has­ses ergrif­fen“ (Die Welt, 17.12.23). Kritik an der Regie­rung Netan­ja­hu wird stän­dig gezielt in „Anti­se­mi­tis­mus“ umge­deu­tet. Im TV hat die Desin­for­ma­ti­ons­wel­le sicher auch mit dessen Abhän­gig­keit von US-Unter­hal­tungs­sen­dun­gen zu tun.
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Die Bemü­hun­gen um Wahr­heit liegen dage­gen in Deutsch­land unter 10 %. Da man ja nicht alle Zeitun­gen liest, fallen mir vor allem zwei posi­ti­ve Beispie­le ein: Erstens: „Hass für ein Jahr­hun­dert“ (SPIEGEL 4223). Dort wird u. a. die „Nakba“ beschrie­ben, die Flucht von 1,5 Millio­nen Paläs­ti­nen­sern nach Jorda­ni­en 1947 nach der Staats­grün­dung von Israel. Damals war ich 12 Jahre alt und in Deutsch­land wurden auf Druck der Alli­ier­ten erst­mals die Leichen­ber­ge und Erschie­ßun­gen der Juden in Wochen­schau­en und Illus­trier­ten gezeigt. Das hat unsere ganze Kind­heit über­schat­tet. Gas und Erschie­ßun­gen blie­ben den Paläs­ti­nen­sern zwar erspart. Sie verlo­ren aber entschä­di­gungs­los ihre Felder, Häuser und Wohnun­gen an Israel und fris­te­ten ihr verblei­ben­des Leben arbeits‑, besitz‑, staa­ten- und würde­los in Lagern und Zelt­städ­ten. Damals wurde das noch offen kriti­siert, zum Beispiel von Norbert Blüm. Heute stat­tet die Netan­ja­hu-Regie­rung ihre „Sied­ler“ kosten­los mit Waffen aus, um die „Nakba“ noch einmal mit den Paläs­ti­nen­sern im West­jor­dan­land zu insze­nie­ren. Was selbst die USA kriti­sie­ren. Nach dem SPIE­GEL-Bericht warte­te man gespannt auf den Sturm der Leser­brie­fe. Es wurden jedoch keine abge­druckt. Warum? Weite­re Wahr­heits­bei­spie­le? Zum Beispiel das Inter­view von Bascha Mika mit dem israe­li­schen Buch­au­to­ren, Über­set­zer und Lyri­ker Dotan-Drey­fus ein (Frank­fur­ter Rund­schau, 4.12.23).
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Der soge­nann­te Westen, also Europa, Nord­ame­ri­ka, Japan und Taiwan, machen zusam­men 16 % der Welt­be­völ­ke­rung aus. Davon beja­hen laut Umfra­gen durch­schnitt­lich höchs­tens 50 % die Poli­tik ihrer Regie­run­gen. Das sind etwa 8 % der Welt­be­völ­ke­rung. Dieser Anteil geht immer weiter zurück. Der Westen gerät welt­weit immer weiter in die Minder­heit und Isola­ti­on. Deutsch­land wird mitt­ler­wei­le sogar von Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich als allzu Netan­ja­hu-freund­lich kriti­siert. Auch die Begeis­te­rung für die Waffen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne lässt wegen der tausen­den Opfer und des Risi­kos eines drit­ten Welt­kriegs immer mehr nach. Und Putin ist trotz all seiner Fehler und Taten durch alle west­li­chen Sank­tio­nen in seinem Anse­hen bei der russi­schen Bevöl­ke­rung und im globa­len Süden eher gestärkt worden.
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Trotz­dem glau­ben Selen­skyj, der deut­sche Kanz­ler, die heuti­gen Grünen und Vertre­ter von Nato und Bundes­wehr ernst­lich, man könne Russ­land besie­gen. Das glaub­te schon Napo­le­on. Und Deutsch­land 1941. Deren Motiv war damals Erobe­rungs­sucht. Und heute? Da beruht dieser Glaube vor allem auf der vermeint­li­chen Rüstungs­über­le­gen­heit der USA, die nach 1945 welt­weit alle großen Kriege ange­zet­telt und verlo­ren haben. Trotz der erlo­ge­nen Vorwän­de. Hat das wirk­lich etwas mit Menschen­rech­ten und „west­li­chen Werten“ zu tun? Der derzeit belieb­tes­te deut­sche Poli­ti­ker, der soge­nann­te „Vertei­di­gungs­mi­nis­ter“, fordert, man müsse Deutsch­land wieder „kriegs­tüch­tig“ machen. Nicht etwa „abwehr­be­reit“ oder „vertei­di­gungs­tüch­tig“. Ange­sichts der deut­schen Vergan­gen­heit ein unge­heu­er­li­ches Verlangen.
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Tatsäch­lich begin­nen derzeit in den USA und an der FU Berlin Studen­ten­pro­tes­te, die – je nach Verlauf der heuti­gen Kriege – viel­leicht eines Tages vergleich­bar werden mit unse­ren Viet­nam­kriegs-Protes­ten der 68er Jahre. Vergleich­bar ist auch deren Beschimp­fung als „Lang­haa­ri­ge“ und „Terro­ris­ten“ durch Poli­tik, Medien und schwei­gen­de Mehr­heit. Nicht damit vergleich­bar ist aller­dings die Beur­tei­lung tatsäch­li­cher Terro­ris­ten. Heute sind die Prot­ago­nis­ten der 68er Jahre dage­gen Helden, denen auch von den jetzi­gen Meinungs­ma­chern achtungs­vol­le Nach­ru­fe gewid­met werden, wie etwa Rudi Dutsch­ke oder Enzens­ber­ger. Auch die Beschimpf­ten von heute werden irgend­wann von der Geschich­te genau­so reha­bi­li­tiert werden. Auch Greta Thun­berg und die „Klimakle­ber“. Die „schwei­gen­de Mehr­heit“ erkennt die Reali­tät immer zu spät. Die Orga­ni­sa­to­ren der Desin­for­ma­ti­on nutzen das aus.
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