Finanzausgleich und Grundsteuer – Dirk Löhr

Wann wächst zusam­men, was zusammengehört?



Im Blog­bei­trag vom 26. August (FINANZAUSGLEICH – QUOD LICET IOVI, NON LICET BOVI) wurde die Belas­tung beschrie­ben, die gerade kreis­freie Städte und Stadt­staa­ten mit ihren zentral­ört­li­chen Funk­tio­nen zu tragen haben.



Hier­mit sind hohe Infra­struk­tur-Fixkos­ten verbun­den, die aber derzeit zu einem erheb­li­chen Teil als exter­ne Effek­te („Spill­overs“) v. a. den Kommu­nen im „Speck­gür­tel“ der großen Städte zugu­te­kom­men. Die Stadt­staa­ten und kreis­frei­en Städte haben zwar einen entspre­chend hohen Fixkos­ten­ap­pa­rat aus den zentral­ört­li­chen Einrich­tun­gen am Bein, können diesen aber nicht ange­mes­sen finan­zie­ren. Leis­tungs­an­ge­bot und Finanz­aus­stat­tung sind entkop­pelt. Die Folge ist eine entspre­chend hohe Verschul­dung. Abbil­dung 1 illus­triert exem­pla­risch die pro-Kopf-Verschul­dung der Kommu­nen in Nord­rhein-West­fa­len, gereiht nach Gemeindegrößenklassen:



Abbil­dung 1: NRWs-Pro-Kopf-Verschul­dung der Kommunen
(Eigene Darstel­lung, Quelle: HaushaltsSteuerung.de)



In unse­rem anfangs erwähn­ten Blog­bei­trag haben wir eben­falls darge­stellt, dass eine – aller­dings oft unpo­pu­lä­re Option – die Einge­mein­dung von „Speck­gür­tel-Kommu­nen“ sein kann. Den eigent­li­chen Schlüs­sel zur Lösung der Verschul­dungs­pro­ble­ma­tik für Zentra­le Orte liefert jedoch das Henry George-Theo­rem (z. B. Arnott / Stig­litz 1979). Hier­nach schafft das kommu­na­le Leis­tungs­an­ge­bot (v. a. die öffent­li­che Infra­struk­tur) über­haupt erst die Boden­ren­ten – die Kommu­nen und ihr staat­li­cher „Over­head“ sind „rent-crea­ting insti­tu­ti­ons“ (Harri­son 2006). Umge­kehrt können die Boden­ren­ten auch zur Finan­zie­rung der Fixkos­ten der öffent­li­chen Infra­struk­tur verwen­det werden – dies ist das Prin­zip der „sich selbst finan­zie­ren­den Infra­struk­tur“ (Harri­son 2006). Im Ideal­fall (Voll­ab­schöp­fung der Boden­ren­te, opti­ma­le Bevöl­ke­rungs­grö­ße etc.) wären gar keine ande­ren Steu­ern für die Finan­zie­rung der Fixkos­ten der Infra­struk­tur nötig (die alte Idee der „Single Tax“). Aller­dings funk­tio­niert das Prin­zip der „sich selbst finan­zie­ren­den Infra­struk­tur“ nur inso­weit, wie die durch die (kommu­na­le) Infra­struk­tur erzeug­ten Boden­er­trä­ge nicht in ganz andere Kassen flie­ßen – seien diese nun privat oder öffent­lich. Der anfangs erwähn­te Blog­ar­ti­kel stell­te dar, dass das Henry George-Prin­zip umso mehr erodiert wird, je höher
a) der Anteil der priva­ti­sier­ten Boden­ren­ten ist und
b) je stär­ker der Konnex „Infra­struk­tur­in­ves­ti­ti­on – Finan-
zierung aus Boden­ren­ten“ durch die Vergemeinschaftung
von Steu­ern und den Finanz­aus­gleich auseinandergeris-
sen wird.



Zu a) Den stei­gen­den Anteil der Boden­ren­te am Volks­ein­kom­men stellt Abbil­dung 2 dar. Das Henry George-Prin­zip der Kopp­lung von Leis­tungs­an­ge­bot und Finanz­aus­stat­tung wird hier zerris­sen, weil nur ein gerin­ger Prozent­satz der kommu­nal geschaf­fe­nen – und in den letz­ten Jahren stark ange­stie­ge­nen – Boden­ren­ten (nach meinen vorläu­fi­gen Berech­nun­gen dürfte dieser unter­halb von 15 Prozent liegen) über­haupt durch Steu­ern abge­schöpft wird.



Erst der Steu­er­staat macht es möglich, dass die durch die Öffent­lich­keit (Agglo­me­ra­ti­on von Fach­kräf­ten, Nach­fra­ge, öffent­li­cher Infra­struk­tur) geschaf­fe­nen Boden­ren­ten priva­ti­siert werden; die dadurch entste­hen­de Finan­zie­rungs­lü­cke wird durch die Sozia­li­sie­rung privat geschaf­fe­ner Werte (= Steu­ern) mehr schlecht als recht gefüllt.


Zu b) Doch auch im öffent­li­chen Bereich wird ausein­an­der­ge­ris­sen, was zusam­men­ge­hört. Vor allem Gemein­schafts­steu­ern und Finanz­aus­gleich entkop­peln Leis­tungs­an­ge­bot und Finanz­aus­stat­tung von Kommu­nen und Ländern. Nun sind aber die Boden­ren­ten das Poten­zi­al, aus dem die Steu­ern letzt­lich geschöpft werden („ATCOR“: all tax comes out of rent; Gaff­ney 2009). „Radi­ziert“ sind die Boden­ren­ten aber in den Kommu­nen. Diese tragen die Letzt­ver­ant­wor­tung für die Inwert­set­zung von Land. Die aufkom­mens­stärks­ten Steu­ern (Einkommen‑, Körper­schaft- und Umsatz­steu­ern) sind aber Gemein­schafts­steu­ern; sie leiten zunächst einen erheb­li­chen Teil der lokal geschaf­fe­nen Boden­ren­ten in einen zentra­len Topf. Im Gegen­zug versucht man, die finan­zi­ell weit­ge­hend entblöß­ten Kommu­nen wieder über den Finanz­aus­gleich notdürf­tig zu beklei­den. Notdürf­tig, denn von dem Anteil an Boden­ren­ten, der über­haupt durch Steu­ern in die öffent­li­che Hand über­führt wird, landet mehr als die Hälfte eben nicht bei Kommu­nen und Ländern, sondern bleibt beim Bund hängen.


Damit Kommu­nen (und auch Länder) einen ange­mes­se­nen Anteil des über ihre Leis­tun­gen erzeug­ten sozia­len Über­schus­ses bekom­men, bietet sich v. a. eine Stär­kung der Grund­steu­er an. Die Akzep­tanz der Grund­steu­er könnte erhöht werden, indem im glei­chen Zuge andere Steu­ern gesenkt werden (Tax Shift). Die Grund­steu­er sollte dabei als Boden­wert­steu­er ausge­stal­tet sein, denn nur diese kann den sozia­len Über­schuss abschöp­fen, der in und von den Gemein­den geschaf­fen wurde – eben die Boden­ren­te. Will man den Kommu­nen den Gegen­wert dessen zuflie­ßen lassen, was durch ihr Leis­tungs­an­ge­bot geschaf­fen wurde, muss die Grund­steu­er aber aus dem kommu­na­len und länder­be­zo­ge­nen Finanz­aus­gleich (bei der Bemes­sung der Finanz­kraft) entlas­sen werden.


Ein erster Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung stellt inso­weit der jüngs­te Vorschlag der unions­re­gier­ten Bundes­län­der dar, das System des Länder­fi­nanz­aus­gleichs auf eine neue Basis zu stel­len. Entspre­chen­de Konzep­te tun allein deswe­gen Not, weil 2019 der jetzi­ge Länder­fi­nanz­aus­gleich, der Soli­dar­pakt II mit Ostdeutsch­land und andere Finanz­ge­set­ze auslau­fen. Nach den Vorstel­lun­gen der unions­re­gier­ten Länder soll der Länder­fi­nanz­aus­gleich nur noch über den Umsatz­steu­er-Ausgleich abge­wi­ckelt werden (also den bishe­ri­gen Umsatz­steu­er-Vorweg­aus­gleich). Der Länder­an­teil am gesam­ten Umsatz­steu­er­auf­kom­men wird dabei entspre­chend der Einwoh­ner­zahl den einzel­nen Ländern zuge­ord­net. Im Vorschlag der unions­re­gier­ten Länder soll eine – durch den Bund finan­zier­te – Modi­fi­ka­ti­on die unter­schied­li­che Finanz­kraft der Länder durch Zu- und Abschlä­ge berück­sich­ti­gen. Insbe­son­de­re die ostdeut­schen Länder sollen so nicht schlech­ter gestellt werden als bisher.
Aller­dings haben insbe­son­de­re finanz­schwa­che SPD-Länder wie Berlin skep­tisch auf diese Pläne reagiert. Auf den Gedan­ken, die Reform des Finanz­aus­gleichs mit einer Grund­steu­er­re­form zu verbin­den und zu diesem Zwecke die Grund­steu­er aus dem Finanz­aus­gleich heraus­zu­neh­men, kam man ohne­hin bislang nicht. Dies,
obwohl einer sach­ge­rech­ten Grund­steu­er­re­form neben befürch­te­ten Verschie­bun­gen der Abga­ben­be­las­tung bei den Steu­er­pflich­ti­gen v. a. die Ände­rung der Finanz­mit­tel­ver­tei­lung unter den Ländern beim Finanz­aus­gleich im Wege stand (und immer noch steht);
und obwohl gerade die hoch­ver­schul­de­ten und mehr­heit­lich SPD-regier­ten Stadt­staa­ten Hamburg, Berlin und Bremen beson­ders davon profi­tie­ren würden, wenn die dort hohen Boden­ren­ten auch in die eige­nen Scha­tul­len flie­ßen könn­ten. Gerade die Stadt­staa­ten könn­ten also von einer Heraus­nah­me der Grund­steu­er aus dem Finanz­aus­gleich in beson­de­rer Weise profi­tie­ren – dies aller­dings nur im Rahmen einer refor­mier­ten Grund­steu­er, über die sich auch die Boden­ren­ten abschöp­fen lassen.
Die Heraus­nah­me der Grund­steu­er aus dem Länder­fi­nanz­aus­gleich – z. B. auf Grund­la­ge des Unions-Vorschla­ges – könnte auch die Grund­la­ge für eine länder­spe­zi­fi­sche Rege­lung der Grund­steu­er darstel­len (bzw. eine länder­spe­zi­fi­sche Öffnungs­klau­sel in einem bundes­ein­heit­li­chen Grund­steu­er­ge­setz). Dies alles wäre auch ein wich­ti­ger Schritt in Rich­tung Wettbewerbsföderalismus.


Damit ist frei­lich noch nichts über den kommu­na­len Finanz­aus­gleich gesagt, der länder­spe­zi­fisch gere­gelt ist. Auch hier sollte die Grund­steu­er grund­sätz­lich heraus­ge­nom­men werden – dies wäre aber Sache der Länder. 

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