„Eigentum verpflichtet dazu, den Gewinn zu maximieren“ – Pat Christ
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Es verunsicherte die Investoren immens. Sollen sie sich weiter in Berlins Hauptstadt engagieren? Vielleicht lieber nicht. Denn was sich hier vollzieht, scheint bedenklich. Vor gut einem Jahr startete ein Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienfirmen. „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ nennt sich die Initiative, die über das Land Berlin ein Gesetz herbeiführen möchte, über das am Ende private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet werden könnten.
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Fraglos bedeutet Enteignung, Probleme mit der Holzhammermethode anzugehen. Schon das Wort klingt in den Ohren vieler schrecklich. Fast ein bisschen nach Kriegsansage. Wobei sowohl das Grundgesetz (GG) als auch das Baugesetzbuch das Faktum der Enteignung kennen. „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ So steht es in Artikel 15 des Grundgesetzes. Laut Baugesetzbuch sind Enteignungen zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert.
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Wohnen wird von Jahr zu Jahr teurer, immer mehr Menschen leben in extrem prekären Verhältnissen. Wolfgang Pempe, Geschäftsführer der Diakonie im Main-Tauber-Kreis, sammelt seit einiger Zeit besonders krasse Fälle. Da ist die junge Mutter, die mit ihrem Kind in einer Ein-Zimmer-Wohnung haust. „Sie sitzt abends mit ihrem Laptop auf der Badewanne, wenn sie arbeiten muss“, schildert Pempe. Ein Klient der Diakonie zog unlängst in eine Wohnung ohne Heizung ein. Ein anderer in eine Bude mit Kochgelegenheit auf der Etage. Sie alle zahlen Miete. Womöglich an gut betuchte Menschen, die ihr Vermögen durch die Vermietung von Bruchbuden weiter vermehren.
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Wie viel sollten Gutbetuchte privat besitzen dürfen? Wann könnte großes Eigentum problematisch werden? Ich stelle die Frage Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld. In einer funktionierenden Marktwirtschaft antwortet er mir, sollten sich Einkommen und Vermögen nach der Leistung bemessen: „Die Leistungsfähigkeit der Menschen klafft aber bei Weitem nicht so weit auseinander, wie es beim Vermögen heute der Fall ist.“
#Enteignung ist die halbe Miete
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Eben deshalb schlagen vor allem junge Leute Krawall. Dies geschieht inzwischen in einem bundesweiten „Aktionsbündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, das sich im August 2019 in Göttingen gründete. Zum 1. Aktionstag am 6. April 2019 kamen mehr als 50.000 Menschen in 19 Städten zusammen. Unter dem Motto „#Enteignung ist die halbe Miete! Vonovia, Deutsche Wohnen, Akelius und Co. raus aus unseren Städten!“ fanden heuer bundesweit Mobilisierungsaktionen zum europaweiten „Housing Action Day“ am 28. März statt. Die geplante Großaktion konnte krisenbedingt zwar nicht live stattfinden, wurde aber online realisiert.
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Junge Leute versuchen in solchen Bündnissen, auf eigene Faust zu verändern, was ihnen immer größere Sorgen bereitet. Das, wogegen sie lautstark protestieren, ist auch ein echtes Problem, bestätigt Dirk Löhr. Dieses Problem besteht darin, dass Eigentum an Grund und Boden vom Wettbewerb, der in einer Marktwirtschaft normalerweise Macht begrenzt, abgeschirmt ist. Denn Grund und Boden sind nun mal nicht vermehrbar. Selbst wenn die Nachfrage nach Bodenerträgen und Bodenwerten, wie es aktuell geschieht, steigt, kann es nicht zu neuen Markteintritten kommen.
Für Dirk Löhr müsste es mit Blick auf die Wohnungsnot in erster Linie darum gehen, dass endlich eine Bodenwertsteuer erhoben wird: „Dadurch kann man Druck auf eine effizientere Nutzung der Flächen schaffen.“ Die Knappheit an bebaubarem Land in den Agglomerationsräumen bedeutet ja, dass sich hier unglaubliches Vermögen in privater Hand befindet: „Der Großgrundbesitz liegt heute in den Städten.“ Über eine Bodenwertsteuer könnte man wenigstens einen Bruchteil dieser Werte zugunsten der öffentlichen Hand abschöpfen: „Das könnte den Kommunen finanziellen Spielraum geben, um die verbleibenden Knappheiten zu managen.“
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Mein Haus auf dem Grund, der ebenfalls mein Eigentum ist, hat vor allem deshalb seinen hohen Wert, weil die Gemeinschaft in den Boden investiert hat: Zum Beispiel in Planung oder Infrastruktur. Diese Kosten sind vom Nutzen entkoppelt. „Eben das hat nichts mit Marktwirtschaft und Leistungsprinzip zu tun“, unterstreicht Löhr. Unsere Spielregeln schaffen sozusagen einen „parasitären Zustand“: „Den mächtige Interessengruppen aufrecht zu erhalten versuchen.“ Man könne es jedoch drehen und wenden wie man will: „Ohne eine Bodenwertsteuer bleiben alle anderen bodenpolitischen Maßnahmen nur Stückwerk.“ Denn nur durch sie fließt jenes Geld, das für die Maßnahmen benötigt wird.
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Zu nichts verpflichtet
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Eigentum verpflichtet heute zu nichts, außer dazu, den Gewinn zu maximieren, meint süffisant Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. „Diese von Recht, Gesetz und Gericht nicht gebremste Perfidie hat zur Finanzkrise geführt“, wetterte Prantl vor einem Jahr in einer Kolumne, mit der er seine Sympathie für die Berliner Enteignungsaktivisten ausdrückte. Die Finanzkrise wiederum habe dazu geführt, dass der Staat die Hypo Real Estate, eine Holding zur gewerblichen Immobilienfinanzierung, „mit gigantischen Mitteln“ durch Verstaatlichung retten musste.
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Die Interessen von Konzernen sind jenen der Menschen oft diametral entgegengesetzt, zeigt Prantl auf. Deshalb sympathisieren plötzlich Menschen, für die Enteignung früher ein Schreckenswort war, für das Vorhaben der Berliner Aktivisten. „Die Menschen spüren, dass sie durch ständige Mieterhöhungen enteignet werden“, schreibt der Münchner Journalist: „Sie sehen auch, dass Mietpreisbremsen, Milieuschutzsatzungen und Ähnliches nichts oder fast nichts bewirkt haben.“ Deshalb seien inzwischen so viele dafür, den Gesellschaften ihr Eigentum gemäß Artikel 15 Grundgesetz wegzunehmen.
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„Staat hat sich enteignet“
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Enteignung ist also, wie man‘s nimmt, längst im vollen Gange. Prantl selbst gelangt zu der Auffassung: „Die öffentliche Hand hat sich selbst enteignet. Sie hat viele Güter, die ihr Eigentum waren, privatisiert, weil das die ökonomische Heilslehre war.“ Das Grundgesetz erinnere den Staat daran, dass er seine Pflichten fürs Gemeinwohl nicht verkaufen könne. Und so werde Artikel 15 deshalb plötzlich wieder aktuell, weil Artikel 14 mit dem berühmten Satz „Eigentum verpflichtet“ nicht geachtet wurde.“
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Es darf nicht sein, dass Normalverdiener nicht mehr die Spur einer Chance haben, in Städten wie München, Stuttgart oder Berlin eine Wohnung zu mieten, meint Rouzbeh Taheri, Kopf der „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Mehr noch: Inzwischen würden alteingesessene Bewohner oder Gewerbetreibende durch horrende Mietsteigerungen verdrängt. Das Volksbegehren, für das er sich einsetzt, nennt er einen „Akt der Notwehr“: „Es geht uns nicht um Enteignungen wie in der DDR oder im Nationalsozialismus.“ Die Unternehmen sollen nach dem Willen der Initiative entschädigt werden.
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Ob Taheri und seine Mitstreiter wohl die Oberhand bekommen werden? Ihr Volksbegehren wird seit fast einem Jahr geprüft. Was für die Aktivisten ein schlechtes Licht auf die direkte Demokratie wirft. Zumal derart lange Prüfungen kein Einzelfall in Berlin sind. Auch der Volksentscheid „Gesunde Krankenhäuser“ war ein volles Jahr in der Prüfung.
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Auswüchse begrenzen
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Durch den Kapitalismus gehen Gemeinwohlinteressen den Bach runter, konstatiert Friedrich Straetmanns, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei. Eigentlich, so der rechtspolitische Sprecher der Bundestagfraktion, soll die Wirtschaft den Menschen dienen und sich an deren Bedürfnissen ausrichten: „Genau das tut das kapitalistische System aber nicht.“ Die Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse sei kein kapitalistischer „Orientierungspunkt“. Von daher bekomme der „Vergesellschaftungsartikel“ des Grundgesetzes neue Relevanz: „Er ist eine Vorschrift zur Begrenzung der kapitalistischen Auswüchse.“
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Als Patentlösung für die grassierende Wohnungsnot schwebt Straetmanns ein staatliches Bauen in der Rechtsform einer Genossenschaft vor. Auf diese Weise könnten Mieter beteiligt und mit Mitwirkungsrechten ausgestattet werden. Für Enteignungen ist der Linken-Politiker immer dann, wenn Marktmacht missbraucht wird: „Wie zum Beispiel von Wohnungskonzernen mit über 3.000 Wohnungen.“
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Auch „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) ist aufgrund der schwierigen Situation auf dem Wohnungsmarkt prinzipiell offen für das Thema „Enteignung“. „Wir sehen bezahlbaren Wohnraum als Bestandteil der Daseinsvorsorge an“, erklärt dazu GiB-Vorstand Carl Waßmuth. Hier versage der private Wohnungsmarkt. Da die Aufgabe des Staates aber auch bei Marktversagen bestehen bleibe, könnte und sollte in Eigentumsrechte eingegriffen werden: „Aber immer gegen angemessene Entschädigung.“ Allerdings erscheint GiB Enteignungen, die Wohnungen betreffen, schwerer als Enteignungen im Zuge eines Straßenbaus.
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Im Straßenbau greift Enteignung, wenn sich Grundeigentümer querstellen und ihr Land, auf dem eine neue Route geschaffen werden soll, nicht freiwillig verkaufen. Vielleicht, weil sie den Straßenbau ablehnen. „Dennoch ist in diesem Fall ganz klar, dass bestimmte Häuser wegmüssen“, so Waßmuth. Doch wie solle man in einer Millionenstadt festlegen, wer enteignet wird und wer nicht? „Außerdem sind wir der Auffassung, dass allein ein Übergang in Staatshand bei weitem nicht ausreicht, um tatsächlich Gemeinwohlinteressen durchzusetzen“, so der GiB-Vorstand. Es brauche auch eine demokratische Kontrolle.
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Was privatisierte Kliniken angeht, sollten staatliche Behörden von ihrer Zwangsgewalt möglichst umgehend Gebrauch machen, fordert GiB: „Enteignungen privatisierter Krankenhäuser sollten sofort angegangen werden.“ Die Sicherstellung einer für alle ausreichenden Krankenhausversorgung sei für GiB ein brennendes Problem. Die Privatisierung von Kliniken, so Waßmuth, habe „sehr viel Schaden angerichtet“. In der Corona-Krise gefährdeten die Privatisierungen „als strukturelles Ergebnis verfehlter Politik“ mittelbar Menschenleben: „Da sie dem schnellen Aufbau von ausreichend Intensivbetten im Wege standen.“
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