Editorial – Die Probleme der Welt erzeugen Rebellen – Andreas Bangemann
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Darf man der Flut an Kommentaren und Einschätzungen zur Brexit-Entscheidung der Bürger Großbritanniens noch etwas hinzufügen?
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Vor dieser Verlegenheit stand ich bei der Erstellung der hier vorliegenden Ausgabe. Ich will es nicht tun und tue es auf gewisse Weise doch. Im Lichte des Chaos an Problemen, denen wir uns mittlerweile ausgesetzt sehen, ist Brexit eine folgenschwere Zutat im komplexen Eintopf der brisanten Weltlage.
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Auf chaotische Phasen in Musikstücken lassen Tonkünstler ordnende Elemente folgen. Die Jahrtausende alte Holzflöte kann zur Ordnung rufen und ein schöpferisches Intervall einleiten. Im Weltorchester ist von derlei Übergang noch nichts zu spüren.
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Ich bezweifle, dass die als Separation wahrnehmbaren Entwicklungen das wachsende Bewusstsein der europäischen Identität in den Herzen der Menschen zurückwerfen. Die aktuellen Geschehnisse sind ein Aufbegehren gegen Machtgefüge, die nicht als verbindend wahrgenommen werden, sondern als Gefahr für Freiheit. Hinzu kommt, dass es auf diesem so reichen Kontinent in zunehmendem Maße existenzbedrohende Armut gibt. Machtkonzentrationsprozesse, Zentralisierung, Reichtumsanhäufung bei Wenigen, Terrorgefahr, Bespitzelung, Big Data usw. Besorgniserregend wirkende Zusammenballungen, soweit das Auge reicht. Ein brodelnder Giftcocktail, den ein unbedeutend daherkommender Tropfen zum Überlaufen bringen kann.
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Menschen sehnen sich nach Verbundenheit. Ein Grund, weshalb der europäische Gedanke kraftvoller ist denn je. Die Briten begehren nicht gegen Verbundenheit auf, sondern gegen Gängelung. Warum sollten wir ihnen das übel nehmen?
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Die strukturelle Abhängigkeit von einem alles Leben durchziehenden Kapitalsystem erzeugte ein Gefüge, das machtvoller ist als jedes menschliche Empfinden und Wunschdenken. Wirtschaften als eine zwangsläufige Begegnung von Menschen und ihren Werken könnte geprägt sein vom Verbundenheitsgedanken. Ist es aber keineswegs. Es ordnet sich den Ansprüchen des Kapitals unter, dessen hässliche Seite wir zu vermenschlichen neigen. Für ungewollte Auswirkungen müssen Schuldige benannt werden können. Dabei ist Kapitalismus bloß ein abstraktes System, das mathematischen Gesetzen folgt. Wir starren auf die Teile und nehmen die gesamte Struktur nicht wahr. Nur so wird erklärbar, dass wir Dinge tun, die unseren Untergang als Spezies genauso beschleunigen, wie den der uns umgebenden Natur. Es scheint keinen Ausweg hin zu einem »guten Leben« zu geben, das wir uns mehrheitlich wünschen.
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Gefangen in einem Milieu der Separierung und tödlichen Vereinzelung kommt der Unmut in extremistischen Worten und Taten zum Ausbruch. Plumpeste Rhetorik genügt den populistischen Neurechten, die Zornigen und Unzufriedenen zu erreichen, weil sie die vermeintlich einzigen politischen Akteure sind, die dem verhassten Machtgefüge Paroli bieten.
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Die Machtorgane sind abgetrennt von den Menschen, die sie vertreten sollten. Folge eines schleichenden Prozesses. Einzelne nehmen wahr, dass es den Volksvertretern nur noch um das Fortbestehen und die Erhaltung von Macht geht. Jegliches Bemühen des Staates dient dem Erhalt. Wen wundert’s da, wenn in London die EU-Befürworter überwogen, während die „Ausgegrenzten“ in den ländlichen Regionen dem zentralistischen Europa die Rote Karte zeigten.
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Wir alle sind Akteure im gleichen Gefüge. Exzesse, die daraus entspringen zu verdammen, ist spaltend und selbstgefällig. Gemeinsam müssen wir die milieubestimmenden Strukturen freilegen und die Regeln von Neuem bestimmen. Der verselbständigte Staatsapparat braucht dafür gewaltlosen rebellischen Druck von unten.
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Wir sind Gefangene eines verwobenen Geflechts aus Macht und Kapital und sollten uns davor hüten, Mitgefangene als Delinquenten niederer Ordnung anzugreifen.
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In einem Milieu, das gemeinschaftliches Handeln belohnt, bewussten Umgang mit der direkten Umwelt befördert und Solidarität aktiv erstrebenswert macht, werden sich die Menschen ändern. Und zwar alle. Die entscheidenden Fragen lauten: Welche Bedingungen braucht es dafür? Was genau muss geändert werden?
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Für regelmäßige Leser dieser Zeitschrift sind das rhetorische Fragen. Für solche, die es noch nicht sind, gibt es in der vorliegenden Ausgabe und in unserem Archiv viel zu entdecken.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
Darf man der Flut an Kommentaren und Einschätzungen zur Brexit-Entscheidung der Bürger Großbritanniens noch etwas hinzufügen?
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Vor dieser Verlegenheit stand ich bei der Erstellung der hier vorliegenden Ausgabe. Ich will es nicht tun und tue es auf gewisse Weise doch. Im Lichte des Chaos an Problemen, denen wir uns mittlerweile ausgesetzt sehen, ist Brexit eine folgenschwere Zutat im komplexen Eintopf der brisanten Weltlage.
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Auf chaotische Phasen in Musikstücken lassen Tonkünstler ordnende Elemente folgen. Die Jahrtausende alte Holzflöte kann zur Ordnung rufen und ein schöpferisches Intervall einleiten. Im Weltorchester ist von derlei Übergang noch nichts zu spüren.
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Ich bezweifle, dass die als Separation wahrnehmbaren Entwicklungen das wachsende Bewusstsein der europäischen Identität in den Herzen der Menschen zurückwerfen. Die aktuellen Geschehnisse sind ein Aufbegehren gegen Machtgefüge, die nicht als verbindend wahrgenommen werden, sondern als Gefahr für Freiheit. Hinzu kommt, dass es auf diesem so reichen Kontinent in zunehmendem Maße existenzbedrohende Armut gibt. Machtkonzentrationsprozesse, Zentralisierung, Reichtumsanhäufung bei Wenigen, Terrorgefahr, Bespitzelung, Big Data usw. Besorgniserregend wirkende Zusammenballungen, soweit das Auge reicht. Ein brodelnder Giftcocktail, den ein unbedeutend daherkommender Tropfen zum Überlaufen bringen kann.
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Menschen sehnen sich nach Verbundenheit. Ein Grund, weshalb der europäische Gedanke kraftvoller ist denn je. Die Briten begehren nicht gegen Verbundenheit auf, sondern gegen Gängelung. Warum sollten wir ihnen das übel nehmen?
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Die strukturelle Abhängigkeit von einem alles Leben durchziehenden Kapitalsystem erzeugte ein Gefüge, das machtvoller ist als jedes menschliche Empfinden und Wunschdenken. Wirtschaften als eine zwangsläufige Begegnung von Menschen und ihren Werken könnte geprägt sein vom Verbundenheitsgedanken. Ist es aber keineswegs. Es ordnet sich den Ansprüchen des Kapitals unter, dessen hässliche Seite wir zu vermenschlichen neigen. Für ungewollte Auswirkungen müssen Schuldige benannt werden können. Dabei ist Kapitalismus bloß ein abstraktes System, das mathematischen Gesetzen folgt. Wir starren auf die Teile und nehmen die gesamte Struktur nicht wahr. Nur so wird erklärbar, dass wir Dinge tun, die unseren Untergang als Spezies genauso beschleunigen, wie den der uns umgebenden Natur. Es scheint keinen Ausweg hin zu einem »guten Leben« zu geben, das wir uns mehrheitlich wünschen.
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Gefangen in einem Milieu der Separierung und tödlichen Vereinzelung kommt der Unmut in extremistischen Worten und Taten zum Ausbruch. Plumpeste Rhetorik genügt den populistischen Neurechten, die Zornigen und Unzufriedenen zu erreichen, weil sie die vermeintlich einzigen politischen Akteure sind, die dem verhassten Machtgefüge Paroli bieten.
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Die Machtorgane sind abgetrennt von den Menschen, die sie vertreten sollten. Folge eines schleichenden Prozesses. Einzelne nehmen wahr, dass es den Volksvertretern nur noch um das Fortbestehen und die Erhaltung von Macht geht. Jegliches Bemühen des Staates dient dem Erhalt. Wen wundert’s da, wenn in London die EU-Befürworter überwogen, während die „Ausgegrenzten“ in den ländlichen Regionen dem zentralistischen Europa die Rote Karte zeigten.
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Wir alle sind Akteure im gleichen Gefüge. Exzesse, die daraus entspringen zu verdammen, ist spaltend und selbstgefällig. Gemeinsam müssen wir die milieubestimmenden Strukturen freilegen und die Regeln von Neuem bestimmen. Der verselbständigte Staatsapparat braucht dafür gewaltlosen rebellischen Druck von unten.
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Wir sind Gefangene eines verwobenen Geflechts aus Macht und Kapital und sollten uns davor hüten, Mitgefangene als Delinquenten niederer Ordnung anzugreifen.
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In einem Milieu, das gemeinschaftliches Handeln belohnt, bewussten Umgang mit der direkten Umwelt befördert und Solidarität aktiv erstrebenswert macht, werden sich die Menschen ändern. Und zwar alle. Die entscheidenden Fragen lauten: Welche Bedingungen braucht es dafür? Was genau muss geändert werden?
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Für regelmäßige Leser dieser Zeitschrift sind das rhetorische Fragen. Für solche, die es noch nicht sind, gibt es in der vorliegenden Ausgabe und in unserem Archiv viel zu entdecken.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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