„Die Tat wäre das Neue…“ – Pat Christ
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Fest an der Hand des Vaters schritt der Zehnjährige durch die Verwüstung. Sah zerborstene Scheiben. Verbrannte Bücher. Angesengte Hefte. „Mein Vater sagte kein Wort, kommentarlos zeigte er mir, was geschehen ist“, erinnert sich Helmut Försch. Das war im November 1938. Nach dem Judenpogrom. Erlebnisse wie dieses, so der Würzburger, legten den Keim zu einer pazifistischen Grundhaltung, die ihn, über etliche Enttäuschungen hinweg, durch sein bisher 89-jähriges Leben trug.
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Helmut Försch ist ein Kind der Weimarer Republik. Am Tag nach seiner Geburt sprach der Reichstag der Regierung des sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Müller das Vertrauen aus. Über Wochen hatte sich die Regierungsbildung nach der Wahl am 20. Mai 1928 hingezogen. Knapp zwei Jahre amtierte unter Müller schließlich eine Koalition aus SPD, Deutsche Demokratische Partei, Zentrum, Bayerische und Deutsche Volkspartei. Letztmals in der Weimarer Republik konnte sich eine Regierung auf parlamentarische Mehrheiten stützen.
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Das alles scheint weit weg zu sein. Wer kennt heute noch Reichskanzler Müller? Viele kluge Köpfe, die damals lebten, sind inzwischen vergessen. Helmut Försch kämpft in seiner Heimatstadt gegen dieses Vergessen an. Ihm ist es zum Beispiel zu verdanken, dass Würzburg heute im ehemaligen Arbeiterstadtteil Grombühl, wo Försch groß wurde, ein Felix-Fechenbach-Haus hat.
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Der von den Nationalsozialisten ermordete jüdische Journalist, der nahe Würzburg geboren wurde und in Würzburg seine Ausbildung durchlaufen hatte, trat mutig für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit ein. Vor 25 Jahren war Fechenbach den wenigsten Würzburgern ein Begriff. Heute gibt es, letztlich dank Försch, sogar eine Fechenbach-Straba-Haltestelle.
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Christlicher Sozialismus
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In den vergangenen zwei Jahren befasste sich Försch mit einem weiteren vergessenen Würzburger: Vitus Heller. Der hatte vehement gegen Faschismus und Nationalismus angekämpft. Seit 1918 trat der Anhänger der Bergpredigt für einen „christlichen Sozialismus“ als dritte Option einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zwischen Sozialismus und Kapitalismus ein. Dafür nahm er politische Verfolgung auf sich. Im Sommer 1933 kam er zeitweise ins Konzentrationslager Dachau.
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In Vitus Heller, sagt Försch, habe er einen „Bruder im Geiste“ gefunden. Die beiden verbindet zunächst die ärmliche Herkunft. Hellers Eltern waren Landwirte. Der Bub, der einmal den Hof hätte übernehmen sollen, hatte keine höhere Schulbildung genossen. Doch er war ehrgeizig, lernte und las. Bald schickte er erste schriftstellerische Versuche an das Fränkische Volksblatt. Liborius Gerstenberger, damals Chefredakteur, begann, ihn zu protegieren. Durch Zufall kam Heller zum Volksverein, wo man ihn einlud, in Mönchengladbach an Kursen teilzunehmen. Der Bauernjunge begann, sich mit sozialrevolutionären Ideen auseinanderzusetzen.
Helmut Försch durchlief ebenfalls „nur“ acht Klassen einer Würzburger Volksschule. „Ich bin das, was man gemeinhin den ‚Kleinen Mann’ nennt, also kein ‚Gebildeter’, durch Abitur oder gar Promotion geadelter Bürger“, sagt er von sich selbst. Dennoch wagte er, der Nichthistoriker, es, ein Buch über Vitus Heller zu veröffentlichen. „Mir ging es nicht darum, Lorbeeren zu ernten, sondern einen Mann aus der Vergessenheit zu reißen, der verdient hat, als Vorbild zu dienen“, erklärt er. Wobei ihm bewusst sei, dass Ideale wie Frieden und Gerechtigkeit in der heutigen Welt der „Jobs und Pöstchen“, wo es um „viel Geld und Macht“ geht, wie aus einer Märchenwelt zu entstammen scheinen.
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Er war „nur“ ein Bauernbub
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„Ein Bauernbub wollte die Welt verändern“ sollte der Titel von Förschs Buch ursprünglich lauten. Der Verlag wollte es anders. „Vergessener Kämpfer für die Gerechtigkeit“ heißt nun, etwas weniger Neugier weckend, die Überschrift des 196-seitigen Bands, mit dem der Autor an den Gründer der radikal-pazifistischen „Christlich-Sozialen Reichspartei“ (CSRP) erinnert.
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Nicht nur die Biografie, sondern auch der unerschrockene wie unermüdliche Einsatz für den Frieden verbinden Vitus Heller und Helmut Försch. Der Würzburger Autor verbringt selbst am Ende seiner neunten Lebensdekade viel Zeit mit seinem pazifistischen Engagement. Er bringt sich in die Würzburger Geschichtswerkstatt ein, ist bei der „Aktion Stolpersteine“ aktiv, engagiert sich für Würzburgs Erinnerungskultur und gibt bis heute bei den „Naturfreunden“ Impulse. Auch gehört er der „Internationale der Kriegsdienstgegner“ an.
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Dass er nie aufgab, sich zu engagieren, obwohl die Welt immer fataler weg von seinen Idealen schlidderte, ist beachtlich. Viele Engagierte werfen heutzutage die Flinte ins Korn, wenn sie nach ein oder zwei Jahren keinen Erfolg spüren. „Doch ich kann einfach nicht anders“, sagt der betagte Pazifist aus Würzburg.
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Für Vitus Heller setzt er sich – ebenfalls gegen Widerstände aus seinem Umfeld – nun ein, weil er von seinem Kampf „einfach begeistert“ ist, sagt der ehemalige Würzburger Stadtrat, der keiner Partei angehört. Durch seine Recherchen sei ihm Heller „zum Vorbild, mehr noch zum Freund und Genossen“ geworden: „Ich bedaure es sehr, dass ich ihn nicht persönlich kennen lernte, obwohl das nach 1945 möglich gewesen wäre.“ Seit 1924 habe Vitus Heller den damaligen Rechtsruck, aber auch den Kapitalismus vehement bekämpft.
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Kapitalismus als Kriegsursache
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„Im Kapitalismus wird die wichtigste Ursache aller modernen Kriege gesehen“, schreibt Heller 1927 in seiner acht Jahre zuvor gegründeten Wochenschrift „Das neue Volk“. Kapitalismus und Krieg seien „wesenhaft miteinander verbunden“. Bei seinem Konkurrenzkampf um den Profit benötige der Kapitalismus den Militarismus zu seinem Schutz und zur Durchsetzung seiner Interessen.
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Heller wollte die kapitalistische Wirtschaftsordnung überwinden. Ihm schwebte die Idee eines einheitlichen europäischen Wirtschafts- und Zollgebiets vor. Auf dieser Grundlage sollten die Föderativstaaten der „Vereinigten Staaten von Europa“ errichtet werden.
„Von Vitus Heller können unsere Politiker, aber auch wir Bürger viel lernen“, sagt Helmut Försch. Hellers oberste Prämisse seien christliche Werte gewesen, die heute auf dem Altar des Kapitalismus geopfert würden: „Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit wollte er zur Grundlage des öffentlichen wie des privaten Lebens beschwören.“ Seine Christlich-Soziale Reichspartei sei die einzige Partei gewesen, deren Funktionäre und Wahlkreiskandidaten den Kriegsdienst verweigert hatten: „Also nicht nur den Wehrdienst.“
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„Die Tat wäre das Neue“
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Vitus Heller imponiert Försch nicht zuletzt deshalb, weil er nicht, wie Politiker heute, nur große Töne spuckte. Im letzten Wahlkampf habe man wieder einmal eine Menge schöner Worte zu hören bekommen: „Wie ‚Gerechtigkeit’, ‚Frieden’ oder ‚Einheit’.“ Doch das seien eben bloße Worte gewesen. Vitus Heller hingegen habe 1928 betont: „Die Tat wäre das Neue. Nicht die Theorien fehlen, aber das Tun.“
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Oder das Tun steht den Idealen völlig entgegen. Die Politik der CSU und CDU hat für Försch nichts, aber auch gar nichts mehr mit der christlichen Soziallehre gemein. Das Ahlener Programm vom Februar 1947 scheint komplett vergessen. Unter dem Motto „CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus“ hatte man damals ein Wirtschafts- und Sozialprogramm beschlossen, das in der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik wurzelte.
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“, heißt es darin wörtlich. Nach dem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als „Folge einer verbrecherischen Machtpolitik“ könne nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser Neuordnung könne nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, „sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein“. Das deutsche Volk solle eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht.
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„Heute geht es wieder rein um Macht“, kommentiert Försch. Der eklatante Widerspruch zwischen dem, wofür das „C“ im Namen der Volksparteien steht, und wie die Parteien tatsächlich Politik machen, ist für ihn „einfach unerklärlich“. Seit 1945, so Försch, warteten Pazifisten darauf, dass endlich Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden.
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„An Beteuerungen und Versprechen fehlt es nicht“, so der betagte Friedenskämpfer. Doch die Taten fehlten, um den Worten Inhalt zu geben. „Wir sehen, dass das Volk nur wählen darf“, so Försch: „Es kann nicht abstimmen, kann keine Gesetzesvorschläge einbringen.“ Wahlversprechungen würden ständig gebrochen: „Selbst das Parlament ist oft nur Staffage.“ Als unmittelbare Folge sieht Försch den Wahlerfolg der AfD an.
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