Der Zins hängt nicht am Geld allein – Dirk Löhr

Die Hoff­nun­gen – gerade im zins­kri­ti­schen (v. a. frei­wirt­schaft­li­chen) Spek­trum – sind derzeit groß. Nicht nur bekann­te Ökono­men wie Mankiw, Buiter (zusam­men mit Pani­girt­zoglou) und van Suntum, sondern auch auch die Euro­päi­sche Zentral­bank (EZB) grei­fen den Gedan­ken eines „Nega­tiv­zin­ses“ auf . Das Szena­rio: Würde diese Poli­tik am kurzen Ende des Geld- und Kapi­tal­mark­tes noch entschie­de­ner fort­ge­setzt und würde vor allem Bargeld in die „Nega­tiv­zins­po­li­tik“ einbe­zo­gen, so könnte der Zins­satz am „kurzen Ende“ deut­lich nega­tiv werden und sich am „langen Ende“ auf die Null­mar­ke zube­we­gen. Die Vision von Silvio Gesell – so die Hoff­nung – könnte Wirk­lich­keit werden.

Viele Proble­me, die einem posi­ti­ven Zins zuge­schrie­ben werden (wie das Ausbrem­sen von Inves­ti­tio­nen, die Abdis­kon­tie­rung der Bedürf­nis­se künf­ti­ger Gene­ra­tio­nen, oder die zins­be­ding­te Umver­tei­lung), könn­ten sich so auflösen.

Der Zins hängt nicht am Geld allein
Dieje­ni­gen, die sich auf Silvio Gesell beru­fen, machen frei­lich – im Gegen­satz zu Silvio Gesell selbst – die Rech­nung zumeist ohne den Faktor Boden. Hier erge­ben sich gleich mehre­re Probleme:

Nähe­rungs­wei­se ergibt sich der Boden­wert aus den (mit dem Real­zins­satz) abdis­kon­tier­ten Boden­er­trä­gen („Boden­ren­ten“), also: Boden­wert ≈ Boden­ren­te / Real­zins­satz. Sinkt der Real­zins­satz infol­ge der Nied­rig­zins­po­li­tik der EZB immer weiter ab, stei­gen die Boden­wer­te immer weiter an, damit auch die Preise für Immo­bi­li­en. Es entsteht also eine Blase.
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Aller­dings können die Boden­wer­te nicht bis gegen Unend­lich anstei­gen, da – anders als manch ein Frei­wirt­schaft­ler argu­men­tiert – der Real­zins­satz gar nicht bis gegen Null gehen kann. Zumin­dest ist dies solan­ge nicht möglich, wie am Eigen­tums­re­gime für Grund und Boden (wie auch für andere natür­li­che Ressour­cen) nichts geän­dert wird. Denn der Zins hängt nicht am Geld allein. Bei Privat­ei­gen­tum an Grund und Boden haftet nicht zuletzt auch Grund und Boden ein posi­ti­ver „Eigen­zins­satz“ an. 

Nach Keynes[7] bestimmt die „Liqui­di­täts­prä­mie“ des Geldes (zusam­men mit den Durch­hal­te­kos­ten, die gegen Null gehen) die Unter­gren­ze des Zins­sat­zes am Kapi­tal­markt (also am „langen Ende“). Auch wenn diese Liqui­di­täts­prä­mie des Geldes durch eine „Liqui­di­täts­ge­bühr“ auf Bargeld bzw. durch „Nega­tiv­zin­sen“ auf kurz­fris­ti­ge Einla­gen neutra­li­siert würde, könn­ten daher der posi­ti­ve Eigen­zins­satz des Landes und ähnli­cher Assets weiter­hin einen deut­lich posi­ti­ven Kapi­tal­markt­zins­satz aufrechterhalten[7].

Was ist die „Liqudi­täts­prä­mie“?
Dieter Suhr bezeich­ne­te sie in Bezug auf Geld auch tref­fend als „Joker­vor­teil“: Hat man diese Karte im volks­wirt­schaft­li­chen Karten­spiel inne, kann man alle ande­ren Karten ausste­chen. Geld gewährt maxi­ma­le Flexi­bi­li­tät. Der betref­fen­de Vorteil (gegen­über ande­ren Gegen­stän­den und Rech­ten) kann auch aus dem opti­ons­ar­ti­gen Charak­ter von Geld abge­lei­tet werden: Geld ist nämlich eine univer­sel­le Option – ihm haftet daher eine Opti­ons­prä­mie an. Diesen Flexi­bi­li­täts­vor­teil, der viel­leicht zwischen 1,5 und 2,0 % liegt, gibt man nur auf, wenn man durch die Inves­ti­ti­on des Geldes (wir spre­chen hier nicht über den Konsum) einen höhe­ren Ertrag erzie­len kann. Wenn man beispiels­wei­se mit einem inves­tier­ten Euro 1,03 Euro erwirt­schaf­ten kann, entspricht dieser Rück­fluss 3 % Rendi­te und liegt damit – um Risi­ko­zu­schlä­ge berei­nigt – ober­halb der Liqui­di­täts­prä­mie. Je mehr Kapi­tal aber gebil­det wird, umso schwie­ri­ger fällt das Erzie­len einer „ange­mes­se­nen“ Rendite.

Wie oben bereits ange­deu­tet, wäre eine notwen­di­ge Bedin­gung für den Erfolg einer „Nega­tiv­zins­po­li­tik“, dass die EZB den „Joker­vor­teil“ am kurzen Ende des Geldes entwer­tet. Bargeld und Giral­geld müss­ten also in entspre­chen­der Höhe (also mit 1,5 – 2,0 %) belas­tet werden.

Zur posi­ti­ven Liqui­di­täts­prä­mie von Land
Diese Bedin­gung ist jedoch noch nicht hinrei­chend. Nach Keynes[7] ist es nämlich der Vermö­gens­ge­gen­stand mit der höchs­ten Diffe­renz zwischen Liqui­di­täts­prä­mie und Durch­hal­te­kos­ten, der den Stan­dard für den landes­üb­li­chen Zins­satz setzt. Selbst wenn die Liqui­di­täts­prä­mie des Geldes neutra­li­siert würde: Mit Grund und Boden verhält es sich grund­sätz­lich nicht anders als mit Geld. Auch Land hat eine posi­ti­ve Liqui­di­täts­prä­mie. Warum dies? Nehmen wir verein­fa­chend an, ein Inves­tor habe
a) die Möglich­keit, ein bebau­tes Grund­stück für den Preis von einer Milli­on Euro zu erwerben;
b) die Gele­gen­heit, ein unbe­bau­tes Grund­stück für 200.000 € zu kaufen und zu einem späte­ren Zeit­punkt ein Betriebs­ge­bäu­de für 800.000 € darauf zu errichten.

Wenn es nun unsi­cher ist, wie sich die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on in der nahen Zukunft entwi­ckelt: Welche Inves­ti­ti­ons­stra­te­gie ist wohl für den Inves­tor vorzugs­wür­dig? Jeder eini­ger­ma­ßen ökono­misch denken­de Mensch würde ange­sichts der Unsi­cher­hei­ten Inves­ti­ti­ons­stra­te­gie b) vorzie­hen, weil er hier das Schick­sal seines Invest­ments beein­flus­sen und ggf. durch ein Hinaus­schie­ben oder Unter­las­sen der Inves­ti­ti­on sein Verlust­ri­si­ko begren­zen kann. Die flexi­ble Inves­ti­ti­ons­stra­te­gie b) hat daher gegen­über Inves­ti­ti­ons­stra­te­gie a) einen Mehr­wert – bei Letz­te­rer kann der Inves­tor nichts mehr beein­flus­sen, sondern nur noch hoffen, dass alles gut geht. U. a. deshalb wird für die Flexi­bi­li­tät, die das unbe­bau­te Grund­stück dem Inves­tor gewährt, ein Aufpreis bezahlt. Mit ande­ren Worten wird der Inves­tor das unbe­bau­te Grund­stück, das ihm die flexi­ble Inves­ti­ti­ons­stra­te­gie sichert, nicht für 200.000 € bekom­men, sondern für 200.000 € plus „X“ – also viel­leicht für 300.000 €, jeden­falls aber mit einem erkleck­li­chen Aufschlag.

Und genau­so, wie ein Geld­be­sit­zer den Liqui­di­täts­vor­teil nur dann aufgibt, wenn der Zins­er­trag aus einem Invest­ment größer ist, agiert auch der Eigen­tü­mer eines Grund­stücks: Dieser wird den Flexi­bi­li­täts­vor­teil nur dann aufge­ge­ben, wenn der Kapi­tal­wert bei Inves­ti­ti­on (also Bebau­ung) eben­falls deut­lich größer als der aufge­ge­be­ne Flexi­bi­li­täts­vor­teil ist. Es gibt Anhalts­punk­te dafür, dass dieser Opti­ons­vor­teil sich in der Größen­ord­nung von maxi­mal rund 1 % befin­det, also deut­lich gerin­ger als die Liqui­di­täts­prä­mie des Geldes ist (Geld ist eine viel univer­sel­le­re Option als Land). Aller­dings dürfte der Flexi­bi­li­täts­vor­teil stark vari­ie­ren: So zeigt die Struk­tur­kur­ve der sog. Liegen­schafts­zins­sät­ze (die verein­facht Rein­ertrag und Kauf­prei­se ins Verhält­nis setzt) an, dass Grund­stü­cke mit alten Bauten rela­tiv teurer sind als solche mit jungen Bauten. Naht der Abriss des Gebäu­des, lebt eben der Flexi­bi­li­täts­vor­teil des Grund­stücks wieder auf [7] .

Vor Inkraft­tre­ten der neuen Immo­bi­li­en-wert­ver­ord­nung (Immo­WertV) – die die geschil­der­ten Zusam­men­hän­ge einfach igno­riert – wurde so von Bewer­tungs­sach­ver­stän­di­gen oftmals eine Boden­wert­dämp­fung bei bebau­ten Grund­stü­cken vorge­nom­men – dies aller­dings nach freier, „sach­ver­stän­di­ger Schät­zung“. Theo­re­tisch lässt sich der Flexi­bi­li­täts­vor­teil aber u. a. aus dem Real­op­ti­ons­an­satz ablei­ten, der bei theo­re­ti­schen und z. T. sogar bei prak­ti­schen Wert­ermitt­lung von Land, natür­li­chen Ressour­cen oder auch Paten­ten tatsäch­lich verwen­det wird (http://www.realoptions.org). So ist der Flexi­bi­li­täts­vor­teil umso höher, je länger die Rest­lauf­zeit der Option (bei Privat­ei­gen­tum an Grund und Boden ist diese grund­sätz­lich unbe­grenzt), je höher die Unsi­cher­heit, je höher der Zins­satz (man kann z. B. das nicht in ein Gebäu­de inves­tier­te Geld zwischen­zei­tig auf dem Kapi­tal­markt anle­gen) und je gerin­ger die poten­zi­el­le Konkur­renz (z. B. durch neu ausge­wie­se­ne Baugebiete).

Das Beschrie­be­ne trifft nicht nur für Grund und Boden zu, sondern kann darüber hinaus auch noch für andere Assets – mit ähnli­chen Eigen­schaf­ten wie Land – ange­wen­det werden, die dementspre­chend in die zins­po­li­ti­schen Betrach­tung einbe­zo­gen werden müss­ten. Keynes kannte den Real­op­ti­ons­an­satz nicht. Wäre dies der Fall gewe­sen, hätte er mit Blick auf Land und ähnli­che Vermö­gens­wer­te wohl nicht den Begriff „Liqudi­täts­prä­mie“, sondern viel­leicht allge­mei­ner „Flexi­bi­li­täts­prä­mie“ verwendet.

Konse­quen­zen für eine Negativzinspolitik
Was würde also passie­ren, wenn die EZB ihre Nega­tiv­zins­po­li­tik im frei­wirt­schaft­li­chen Sinne konse­quent fort­setzt, ohne dass am derzei­ti­gen “Land­re­gime” gerüt­telt wird? Die „Grenz­leis­tungs­fä­hig­keit“ des Kapi­tals, also der Kapi­tal­wert der (neuen) Sach­ka­pi­tal­in­ves­ti­tio­nen, dürfte sinken. Diese sind in den meis­ten Fällen irgend­wie an Flächen gebun­den. Damit ist es eine Frage der Zeit, wann die Rendi­te von Maschi­nen und Fabrik­ge­bäu­den so nied­rig ist, dass z. B. nach einem Gebäu­de­ab­riss nicht mehr reinves­tiert wird, sondern die Aufrecht­erhal­tung des Flexi­bi­li­täts­vor­teils des unbe­bau­ten Grund­stücks attrak­ti­ver ist. Wenn aber kein weite­res Real­ka­pi­tal mehr gebil­det wird, verfes­tigt sich die Knapp­heit, und ein Zins taucht wieder auf. Aufgrund von Arbi­tra­ge­me­cha­nis­men beschränkt sich dieser posi­ti­ve Zins­satz nicht nur auf die Gebäu­de, sondern pflanzt sich auf dem gesam­ten Kapi­tal­markt fort.

Es reicht also nicht aus, beim „going nega­ti­ve“ ausschließ­lich auf die EZB zu setzen. Zumin­dest muss gleich­zei­tig auch der Flexi­bi­li­täts­vor­teil des (unbe­bau­ten) Bodens und ähnli­cher Assets ange­grif­fen werden. Dies kann bei Land z. B. über eine entspre­chend hoch ange­setz­te Boden­wert­steu­er (bei Redu­zie­rung ande­rer Abga­ben, also einem „Tax Shift“) oder durch die Verwen­dung von Erbbau­rech­ten gesche­hen. Löhr/Harrison schlu­gen auch aus diesem Grunde eine euro­pa­wei­te Boden­wert­steu­er vor, die den Flexi­bi­li­täts­vor­teil des Bodens zumin­dest beschrän­ken könnte (für Deutsch­land verfolgt die Initia­ti­ve „Grund­steu­er: Zeit­ge­mäß!“ einen ähnli­chen Ansatz).

Damit dürfte es jedoch noch nicht getan sein, da auch ande­ren Vermö­gens­wer­ten (wie z. B. Paten­te) eben­falls ein Flexi­bi­li­täts­vor­teil anhaf­tet. Die Zins­fra­ge ist also – anders als manch ein Zins­kri­ti­ker glaubt – sehr wesent­lich mit der Eigen­tums­fra­ge verbun­den. Der Zins hängt eben nicht am Geld allein. Die Diskus­si­on hier­über wurde aller­dings leider noch gar nicht begonnen. 

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