Der Fluch der Globalisierung
Der Fluch der Globalisierung
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Ich lebe in Puch bei Weiz, einem kleinen Dorf in der Steiermark. Mancher Tourist, der seine Ferien hier verbringt, wird den Ort als verträumt bezeichnen, obwohl die Menschen hier keineswegs müßige Träumer sind, sondern im Gegenteil überaus arbeitsam. Das macht sich auf angenehme Weise bemerkbar: Häuser und Gärten sind gepflegt und zeugen von Wohlstand, die Abwesenheit von äußeren Umgrenzungen wie Hecken und Mauern lässt auf gute Nachbarschaft schließen. Gerade die einfachen Leute pflegen hier besonders freundlich und zuvorkommend zu sein. Fremden gegenüber herrscht Toleranz, was mir und meiner Familie zugute kam, als ich mich gegen Ende der Achtzigerjahre entschloss, Berlin zu verlassen und meinen Wohnsitz hier aufzuschlagen – etwa 40 km von Graz entfernt, der nächsten größeren Stadt.
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Wohlstand ist hier keinesfalls selbstverständlich.
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Noch bis vor einem Dreivierteljahrhundert liefen die Kinder barfuß zur Schule. Knechte und Mägde, die es heute längst nicht mehr gibt, waren allgegenwärtig und führten ein nicht nur ärmliches, sondern erbärmliches Leben. Eine heute achtzigjährige Nachbarin, deren Bruder im Krieg gefallen war, hatte als Kind noch den Ochsen zum Pflügen auf das Feld führen müssen. Dennoch reichte die Arbeit auf dem eigenen Grund gerade aus, um die Menschen nicht verhungern zu lassen. Niemand hier würde der „guten alten Zeit“ nachtrauern. Denn alles hat sich danach innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegend geändert: Man möchte sagen, die alte und die neue Zeit haben nichts mehr miteinander gemein.
Wenn ich mir vorstelle, die ganze Menschheit könnte in verträumten Dörfern leben, aber mit modernem Komfort, dann wäre das ein optimistischer Ausblick. Dann hätten wir Grund, mit unserem Leben zufrieden zu sein, denn hier scheint alles auf Dauer, auf leidliche Zufriedenheit und selbst auf Schönheit angelegt. Niemand käme hier auf den Gedanken, die bestehende Gesellschaftsordnung zu stürzen, nach einem neuen Menschen zu rufen oder gar eine blutige Revolution zu beginnen. Zwar ist die Mehrheit mit ihrem Los heute sowenig zufrieden wie sie es in der Vergangenheit war, denn jeder bemisst seinen eigenen Stand und Vorteil an dem seiner Nachbarn, und da es stets jemanden gibt, dem es besser geht, sind dem eigenen Wünschen und Hoffen keine Grenzen gesetzt. Aber das sind die üblichen Geschichten von Neid und Konkurrenz, die seit Anfang der Welt bestehen und wohl auch nur mit ihrem Ende aufhören werden.
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Dennoch trügt die Idylle.
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Schon vor Jahren hatte Helmut Schmidt mit Staunen vermerkt, dass die deutsche Landwirtschaft mit einem Betrag subventioniert wird, der ziemlich genau ihrer Wertschöpfung entspricht – ohne diese staatliche Hilfe wäre sie nicht überlebensfähig. Anders gesagt, ist es der Industriestaat Deutschland, der sich eine Landwirtschaft leistet, die es nicht mehr geben würde, wenn die Bauern ohne diese Hilfe auskommen müssten. Man muss es in aller Deutlichkeit sagen, deutsche und österreichische Landwirte würde es kaum mehr geben, wenn die Industrie beider Länder nicht so leistungsstark wäre, dass sie den Bauern durch entsprechende Subventionen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ermöglicht. Dennoch versucht man, die Last zu reduzieren, indem man die kleinen bäuerlichen Betriebe dazu zwingt, sich zu immer größeren zusammenschließen. Die Folge: Felder, die sich bis an den Horizont ausdehnen, und industrialisierte Massentierhaltung.
Wo beides nur schwer möglich ist, wie in der Bergregion, wo ich lebe, erobert sich der Wald weite Gebiete zurück, die einst bewirtschaftet wurden. Postämter schließen, Gemeinden und Polizeistationen werden zusammengelegt, öffentliche Verkehrsmittel stellen die Fahrten ein. Neuerdings verschwinden auch die Gasthäuser, die für das kommunale Leben noch bis vor kurzem von großer Bedeutung waren. In den kleineren Ortschaften bietet sich ein Anblick der Trostlosigkeit, da die Geschäfte reihenweise veröden. Die Menschen wandern in die größeren Städte ab. Das Land ist zwar nach wie vor schön, es macht immer noch den Eindruck bürgerlicher Wohlhabenheit, aber seit etwa zwei Jahrzehnten trat hier die Wende ein: Die Idylle befindet sich in einem gar nicht mehr so schleichenden Prozess der Entvölkerung.
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Das Selbstvertrauen der hiesigen Menschen
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beruhte auf dem durchaus realen Gefühl, Herren ihres eigenen Schicksals zu sein. Dank ihres Fleißes haben fast alle (einschließlich der ehemaligen Knechte und Mägde) ihr eigenes Dach über dem Kopf und führen ein nicht nur gesichertes, sondern ein Leben, das im Vergleich zur Vergangenheit geradezu opulent anmutet. Dieses elementare Selbstvertrauen in den Erfolg der eigenen Leistung und Kraft ist heute nur noch in Teilen Europas und auch im reichen Norden nur noch in begünstigten Schichten der Bevölkerung zu finden. Das Selbstvertrauen ist abgewandert, es wurde ausgelagert in die aufstrebenden Staaten Asiens, vor allem nach China und Indien. Dort erleben die Menschen gegenwärtig, was bei uns nicht nur abgeschlossen, sondern in Teilen Europas sogar rückläufig ist, nämlich die Erlösung der Bevölkerungsmehrheit aus Jahrtausenden von Armut und Abhängigkeit.
Warum ist den Menschen im Westen der Optimismus abhandengekommen?
Weil nicht nur die Landwirtschaft uns eine verblassende Idylle vor Augen hält, sondern – viel gefährlicher für die Zukunft – auch die Industrie, die doch die Basis unseres Aufstiegs und Reichtums ist. Die größten im Dax registrierten Konzerne Deutschlands sind längst nicht mehr Eigentum der einstigen Deutschland AG (also der führenden deutschen Banken), inzwischen gehören sie zu mehr als der Hälfte einer Internationale der Gläubiger. Die kann ihren Aktienbesitz jederzeit abstoßen und dadurch entwerten, wenn der Standort Deutschland (oder Österreich) nicht den verlangten Profit beschert. Dieser Fall ist jedenfalls dann gegeben, wenn Arbeiter und Angestellte zu hohe Löhne fordern oder der Staat eine in ihren Augen zu teure Wohlfahrts‑, Bildungs- oder Gesundheitspolitik betreibt. Industrien wandern dann nicht nur in den Osten Europas ab, sondern oft verlassen sie den Alten Kontinent überhaupt. Der Staat steht solchen Entscheidungen ohnmächtig gegenüber, weil börsennotierte Unternehmen das Privateigentum ihrer Shareholder sind.
Ulrike Herrmann,
ein Shootingstar in der modeanfälligen Wirtschaftspublizistik
hat dazu andere Vorstellungen. Sie demonstriert mit ihren Thesen, dass es nicht nur populistische Politik, sondern auch eine populistische Wissenschaft gibt – jedenfalls in der immer schon für alle möglichen Ideologien anfälligen ökonomischen Theorie. Sie fordert eine Politik höherer Löhne wie andere höhere Renten, kürzere Arbeitszeit oder längeren Urlaub. Bravo! Die Botschaft ist einfach und leuchtet ein. Schließlich wird kein vernünftiger Mensch daran zweifeln, dass eine höhere Entlohnung vor allem des am schlechtesten gestellten Bevölkerungsteils oder dessen aktive Unterstützung, sofern er von Armut bedroht ist, das Hauptanliegen einer auf sozialen Ausgleich bedachten Politik sein sollte. Eine Vielfalt von Untersuchungen belegt, dass eine in Arm und Reich zerfallende Gesellschaft der Nährboden für extreme Ideologien bis hin zum sozialen Aufruhr ist. Ein Populist kann gewiss sein, mit solchen Forderungen ein breites Publikum anzusprechen, weil die wenigsten danach fragen, ob ihre Verwirklichung unter den herrschenden Bedingungen überhaupt möglich ist. Die derzeitige italienische Regierung aus Politamateuren ist gerade im Begriff, ein Lehrstück in Sachen Realitätsblindheit zu zelebrieren. Während man das fehlende Geld zusammenkratzt, um ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Flat Tax zu finanzieren, erhöhen die internationalen Anleger, in deren Händen sich die enormen Staatsschulden des Landes konzentrieren, den Risikoaufschlag, sprich die Zinsen. Dieser Aufschlag droht in kurzer Zeit so hoch zu werden, dass er ein Loch in das Budget reißt, das größer sein wird als die projektierten Wohltaten an die Armen des Landes.
Deutschland und Österreich
liegen aufgrund ihres Erfindungsreichtums und ihrer Ingenieurskompetenz weit vor Italien, aber in wesentlicher Hinsicht gleichen sie dem südlichen Nachbarn. Die Internationale der Gläubiger bestimmt auch in ihrem Fall, wie weit die Wohltaten des Staates und die der Unternehmen (Löhne) gehen dürfen. Die Nationen Europas sind durchaus frei, wenn es darum geht, in die Extreme von Rechts oder Links abzudriften. Antisemitismus und Fremdenhass oder umgekehrt Toleranz und demokratische Umgangsformen – die Gamme der Möglichkeiten zwischen Orban und Merkel wird hier nach wie vor auf nationaler Ebene bestimmt. Aber gerade dort, wo es um die materielle Wohlfahrt der Bevölkerung geht, ist jedes europäische Land zum bloßen Standort herabgekommen, dessen Schicksal nicht mehr dem eigenen demokratischen Wollen gehorcht, sondern von außen bestimmt wird. Ulrike Herrmann hat recht, wenn sie nach einem stärkeren Staat ruft, der die Belange der Globalisierungsverlierer vertritt. Das Problem ist nur, dass in Deutschland wie Österreich beide Volksparteien der wirtschaftlichen Fremdbestimmung tatenlos zugesehen haben und die neoliberale Kommission an der Spitze Europas sie bis heute aktiv befördert.
- – - Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder
hatte diese Fremdbestimmung viel klarer als die blauäugigen Populisten erkannt und daraus die Konsequenz gezogen. Bevor er die Agenda 2010 durchsetzte, galt Deutschland als Patient, genauer als „kranker Mann Europas“. Schröder entschloss sich zu einer Schrumpfkur für den Sozialstaat, d.h. er verbilligte ihn. Die Internationale der Gläubiger (welche über den größten Teil der Staats- wie der Unternehmensschulden verfügt) dankte es ihm. Danach ging es mit der deutschen Wirtschaft wieder bergauf. Unter den herrschenden Bedingungen der Abhängigkeit tat Schröder zweifellos das Richtige im rechten Moment. Er war nur leider der falsche Mann von der falschen Partei. Bis heute haben ihm die Sozialdemokraten nicht verziehen, dass es ein Kanzler des linken Lagers war, der den ersten Schritt zur Demontage der größten linken Errungenschaft, des Sozialstaats, vollzog. Schröder hat der deutschen Wirtschaft geholfen, aber der Sozialdemokratie ein Vermächtnis hinterlassen, das sehr wohl ein Todeskuss gewesen sein könnte.
Populismus besteht in der Unterdrückung von Fakten, wenn diese dem Wunschdenken widersprechen. Selbst Wirtschaftswissenschaftler wie Heiner Flassbeck und in seinem Gefolge Ulrike Herrmann haben sich bis zum heutigen Tag nicht zu einer offensichtlichen Erkenntnis durchringen können: Durch ihre Abhängigkeit von der Internationale der Gläubiger haben sich die Staaten des Westens in eine Falle begeben, aus der bloßes Wunschdenken sie nicht hinauszuführen vermag. Nicht einmal Forderungen von so elementarer Art wie eine höhere Besteuerung internationaler Unternehmen vermag der Einzelstaat durchzusetzen.
- – - Die Abhängigkeit war von langer Hand vorbereitet
Gerade die erfolgreichen Industriestaaten haben auf immer mehr ausländische Ressourcen zugegriffen. Öl und Gas werden weiterhin in wachsenden Mengen in die westliche Welt geschleust (nur die Vereinigten Staaten sind aufgrund heimischer Schiefergasförderung inzwischen in einer besseren Position). Bald genügte die eigene industrielle Produktion nicht mehr, um die Forderungen der Öl- und Gasförderländer zu begleichen, vielmehr war man gezwungen, ihnen immer größere Anteile an der eigenen Wirtschaft (den Aktien der führenden Unternehmen) einzuräumen – mit anderen Worten, ein immer größeres Mitspracherecht. Ich habe in früheren Schriften für eine Befreiung von dieser Abhängigkeit plädiert („Energiewende“, Popyläen). Ein solarversorgtes Europa könnte sich wieder zum Souverän der eigenen Wirtschaft machen. Doch das ist kein einfacher Schritt, denn er läuft den Interessen der Industrie zuwider, weil er ihrem Expansionsdrang Grenzen setzt. Über solche Vorschläge wird daher bis heute nur milde gelächelt. Ich habe deshalb gleichfalls vorausgesagt, dass an eine Eindämmung der Globalisierung nicht zu denken wäre, solange die USA, bis vor kurzem deren treibende Kraft, sich einer solchen Entwicklung entgegenstemmen.
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Inzwischen ist genau diese Kehrtwende eingetreten: die USA werden protektionistisch
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Allerdings nicht etwa deshalb, weil die Wirtschaftstheoretiker eine neue Theorie aufgestellt hätten. Kapital sollte dort angelegt werden, wo es die besten Resultate erzielt – diese Textbuchwahrheit wird heute so wenig angezweifelt wie in der Vergangenheit, zumal ihr die Wirklichkeit ja weitgehend recht gibt. Auf diese Weise sind erst die Tigerstaaten und inzwischen auch die beiden Milliardenreiche Indien und China, vor allem Letzteres, zu einem verblüffenden Aufschwung gelangt. Was die staatlich betriebene Entwicklungshilfe niemals schaffte, das hat der private Kapitalismus gleichsam über Nacht bewirkt, indem er Technologien und Investitionen in Strömen dorthin fließen ließ, wo Menschen die Bereitschaft aufbrachten, unter härtesten Bedingungen und zu niedrigsten Löhnen zu ihrem eigenen Vorteil und für den ihres Landes zu arbeiten.
In einer idealen Welt könnte dies eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten sein, in der Welt, wie sie ist, liegen Vorteil und Verlust weit auseinander. Wirtschaftstheoretiker pflegen Komplexität auszublenden, wenn sie in Widerspruch zu den schönen Formeln geraten. Die Amerikaner haben einen Großteil ihrer produzierenden Industrien ausgelagert – und mit ihnen die Technologien, denen das Land seinen Vorsprung und seinen Reichtum verdankt. Inzwischen ist ihnen bewusst, dass es allenfalls zwei, drei Jahrzehnte dauern wird, bis sie auf sämtlichen Gebieten (selbst dem militärischen) ihre globale Vormachtstellung verlieren, wenn die Entwicklung weiterhin so verläuft wie in den vergangenen Jahren. In China schießen neue Industrien in unaufhörlicher Folge aus dem Boden; China erweitert seine militärische Präsenz zu Land, auf dem Wasser und in der Luft, inzwischen ist es zu einer Weltraummacht geworden und zur Werkbank der ganzen Welt. Der atemberaubende Aufstieg dieses Landes steht in grellem Kontrast zu den Vereinigten Staaten, wo die einst führenden Industrien als traurige Rostgürtel den Amerikanern das mittelalterliche Gespenst des „Memento mori“ vor Augen führen. Wie jedermann wissen sollte, hat sich China noch bis vor kurzem mit hohen Zollbarrieren gegen ausländische Industrieimporte geschützt – es war das protektionistische Land -, während in führenden amerikanischen Supermarktketten wie Walmart ganze 90 Prozent des Angebots aus dem fernen Osten stammen. In Europa könnte es bald ähnlich sein, denn dorthin exportiert China inzwischen mehr Waren als in die USA.
Der eigentliche Unterschied zwischen den beiden Ländern besteht aber darin, dass das autokratische bis diktatorische China die große Masse der Armen aus ihrer Misere erlöste; deswegen revoltieren sie nicht gegen die Gängelung von oben, sondern sind mit dem Régime weiterhin einverstanden. Die US-amerikanische Élite hat es dagegen fertiggebracht, die Stellung der Mittelschicht zu erschüttern, sodass viele fürchten, in die Armut abzudriften. Deshalb sind die demokratischen Vereinigten Staaten heute von innerem Zerfall bedroht.
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Donald Trump ist in vieler Hinsicht ein Unglück für sein Land
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und könnte es für die übrige Welt gleichfalls werden, aber eines hat er schärfer erkannt als die meisten seiner Rivalen: den Niedergang seines Landes. Seine Forderung „America first“ soll dazu dienen, diesem Missstand abzuhelfen. Die Politik des Protektionismus stößt bei einer Mehrzahl von Amerikanern auf Zustimmung – auch im oppositionellen Lager. „Viele Demokraten tendieren zum Protektionismus, auch wenn sie das nicht so offen sagen… Bernie Sanders, wäre er Präsident, würde,“ so der Harvard Professor Kenneth Rogoff, „nicht anders handeln.“
Was dieser Mann, der die Wahrheit nach Belieben verfälscht, wann immer sie ihm nicht passt, geflissentlich unterschlägt, ist freilich die Tatsache, dass die Deindustrialisierung der Vereinigten Staaten nicht das Werk feindseliger auswärtiger Kräfte ist, sondern von der wirtschaftlich-politischen Élite des Landes zum eigenen Vorteil betrieben wurde. 1991 wurde sie von Robert Reich in „The Work of Nations“ erst theoretisch abgesegnet, bevor der „Washington Consensus“ dann etwa zur gleichen Zeit eine offiziell gebilligte Heilslehre daraus machte. Amerikanische Unternehmen und ihre Gläubiger hatten entdeckt, dass sie außerordentlich viel mehr Profit machen konnten, wenn sie Produkte nicht mehr im eigenen Hochlohnland herstellen ließen, sondern sie in Billiglohnländer herstellen ließen. Auch für Europa hatte das ernste Konsequenzen. Nachdem die Amerikaner mit dieser Politik begonnen hatten, sah man sich hier gleichfalls zur Auslagerung gezwungen, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben.
Die Wirkung war dieselbe wie in den USA: Amerikanische und europäische Arbeiter verloren ihre Posten an die Arbeiter in Fernost, die ihre Arbeit viel billiger verkauften. In den Staaten des Westens hat sich die Schere von Arm und Reich seitdem immer weiter geöffnet.
Ulrike Herrmann
hält eine einfache
populistische Lösung parat
ähnlich derjenigen, wie sie derzeit von Italiens Politamateuren unter Triumphgeheul praktiziert wird: Lasst uns mehr Geld ausgeben! Lasst uns die Internationale der Gläubiger schlicht ignorieren! Ich pflichte Frau Herrmann bei, dass es einer grundlegenden Wende bedarf, und zwar auch in Deutschland, das im Augenblick noch so erfolgreich ist. Die deutsche Autoindustrie, die mit ihren großartigen Ingenieursleistungen in den letzten Jahrzehnten so viel für den Reichtum des Landes tat, steht heute an einem Scheideweg. Benzin und Dieselautos darf es in spätestens zehn bis zwanzig Jahren nicht mehr geben. Der Klimawandel lässt den fossilen Potlatsch nicht länger zu. Aber Elektroautos sind technologisch vergleichsweise primitiv, das können andere Länder genauso gut wie die Deutschen. Da diese die Forschung an Batterien, wo sie einst führend waren, inzwischen so gut wie aufgegeben haben, können andere es vermutlich sogar besser.
Das sind
Doomsday-Reflexionen
Höhere Löhne für die benachteiligten Schichten wären das Gebot der Stunde, ebenso eine größere Handlungsfreiheit des Staates, die dazu die Voraussetzung bildet. Doch dazu müssten wir auf europäischer Ebene unsere Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen (aus dem Nahen Osten und aus Russland) zunächst einmal drastisch reduzieren. Anders gesagt, ist keine ernsthafte Wende zu erwarten oder auch nur möglich, solange Europa nicht in möglichst kurzer Zeit den Übergang von fossiler zu solarer Energie betreibt. Die bisherigen Schritte auf diesem Weg sind, wie jeder wissen sollte, ganz und gar ungenügend.
So bleibt mir nichts anderes übrig, als die schöne Fassade einer Idylle zu genießen, die heute immer noch besteht und uns eine beinahe heile Welt vorgaukelt. – - -
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