Das „Wir“ zerbröckelt – Pat Christ

Was vom geplan­ten „Insti­tut für gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt“ zu halten ist – - –

Alles scheint zu zerfled­dern. Da sind die Reichen. Da die Armen. Da die Chris­ten. Da die Musli­me. Hier die „Ossis“. Da die „Wessis“. Hier die „Homos“. Dort die „Hete­ros“. Da die Linken. Dort die Rech­ten. Da sind die, die schon ewig im Lande leben. Andere kamen gerade eben an. Immer weni­ger geht zusam­men. Alles zersplit­tert. Frag­men­tiert. Ein von der Poli­tik herbei­ge­führ­ter Zustand beginnt, die Poli­tik zu beun­ru­hi­gen. Einen „Neuen Zusam­men­halt“ wollen sie schaf­fen, unsere PolitikerInnen.

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Immer­hin: Die Koali­ti­on nimmt zur Kennt­nis, dass unsere Gesell­schaft inzwi­schen völlig zerris­sen und viel­fach gespal­ten ist. Der Koali­ti­ons­ver­trag hat denn auch einen Unter­ti­tel, der aufhor­chen lässt. „Ein neuer Zusam­men­halt für unser Land“, lautet er.
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„Wir wollen einen neuen Zusam­men­halt schaf­fen“, beton­te Angela Merkel auch in ihrer Regie­rungs­er­klä­rung vom 21. März. Mensch­lich und gerecht soll sie werden, die Gesell­schaft unse­res Landes. Dass gerade in Deutsch­land alles ausein­an­der­drif­tet, dass Neid und sozia­le Konkur­renz wach­sen, führt Merkel auf ihre Flücht­lings­po­li­tik zurück. Leider sei der Eindruck entstan­den, „dass in einer großen Notla­ge ganz schnell und umstands­los Frem­den gehol­fen wird, die einhei­mi­schen Deut­schen, die eben­falls der Hilfe bedür­fen, aber zurück­ste­hen müssen“. Ein falscher Eindruck, so Merkel, in einem Land mit „über­gro­ßem Wohlstand“.
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Wie soll gesche­hen, dass ein neuer Zusam­men­halt entsteht? Die Poli­tik scheint ratlos. Und wie so oft in solchen Situa­tio­nen, wird ein neues Insti­tut gegrün­det: Das „Insti­tut für gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt“. Diese Forschungs­ein­rich­tung soll Impul­se geben, wie die viel­fa­chen Risse quer durch unsere Gesell­schaft gekit­tet werden könn­ten. In Sach­sen soll es ange­sie­delt werden. Denn dort soll die Situa­ti­on noch schlim­mer sein als im Rest des Landes.
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Was dieses Insti­tut wohl heraus­fin­den wird? Sehr wahr­schein­lich, dass es tatsäch­lich enorme Unter­schie­de gibt. Von 100 Bundes­bür­gern sind vier so arm, dass sie Monat für Monat Proble­me haben, die Miete zu zahlen, das Geld für den Strom zu über­wei­sen oder eine Hypo­thek abzu­be­zah­len. Um das heraus­zu­fin­den, braucht es aller­dings kein neues Insti­tut. Das weiß auch das statis­ti­sche Bundes­amt. Das weiß sogar noch mehr. Das weiß, dass es 16 Millio­nen Menschen in diesem Land mate­ri­ell nicht gut geht.
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In welchem Maße unsere Gesell­schaft ausein­an­der­drif­tet, bekom­men viele sozia­le Einrich­tun­gen seis­mo­gra­fisch mit. Dazu gehö­ren die Bahn­hofs­mis­sio­nen als Anlauf­stel­le für Heimat- und Hilf­lo­se. Menschen ohne eige­nes Dach über dem Kopf suchen die Bahn­hofs­mis­sio­nen ebenso auf wie Männer und Frauen in prekä­ren Lebens­si­tua­tio­nen oder Geflüch­te­te. 103 Bahn­hofs­mis­sio­nen gibt es derzeit in Deutsch­land. Sie helfen jedes Jahr mehr als zwei Millio­nen Menschen. Jeder zweite befin­det sich in einer dauer­haf­ten sozia­len Notlage.
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Besser als in Afrika?
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Natür­lich, um in diese Rich­tung zielen­de Argu­men­te vorzu­grei­fen, geht es diesen Menschen weit­aus besser als Bürgern in vielen afri­ka­ni­schen oder latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern. Gar keine Frage. Womit wir uns rele­van­te­ren Themen zuwen­den könnten.
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Aber genau das ist der Punkt: Diese Menschen leben nicht in einem afri­ka­ni­schen Staat. Sondern hier. In einer Gesell­schaft, die eigent­lich ein „Wir“ darstel­len sollte. Die von einer aus einem Konsens hervor­ge­gan­ge­nen Regie­rung gelenkt wird. Auf deren Bedürf­nis­se, soweit die Theo­rie, ein Bildungs­sys­tem maßge­schnei­dert wurde.
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So ganz „Wir“ war dieses „Wir“ frei­lich noch nie. Aber das muss auch nicht sein. Welches Indi­vi­du­um könnte auch schon mit allen Fasern seines Seins „Ich“ sagen. Da schert auch so manches aus der Reihe. Aber wir reden auch nicht vom Ideal­zu­stand. Sondern über einen Zustand, der sehr weit weg von einem „Wir“ anzu­sie­deln ist.
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Was einst zusammenhielt
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In frühe­ren Zeiten hielt die Reli­gi­on zusam­men. Das kann heute von außen rasch als Zwangs­ge­mein­schaft abge­tan werden. Aber ich neige dazu, anzu­neh­men, dass viele Menschen damals die reli­giö­se Unter­füt­te­rung als etwas Gege­be­nes hinnah­men. Etwas Gege­be­nes, das verband. Bis auch das zu zerfled­dern begann. Dann sind wir bei Hexern, Hexen und Co.
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Zusam­men­halt kann es nur geben, wenn alle unge­fähr gleich sind. Ich verglei­che das gern mit einer Fami­lie. Nehmen wir eine rich­tig große Fami­lie an. In einem rich­tig großen Haus. Acht Kinder. Eltern. Groß­el­tern. Ist vorstell­bar, dass sich alle zu Tisch setzen und die erste kriegt ein Drei-Gänge-Menü, der zweite ein exklu­si­ves vega­nes Mahl, die dritte Haus­manns­kost, der vierte Ravio­li aus der Disco­un­ter­do­se… Undenk­bar. Man isst in Fami­li­en norma­ler­wei­se das Glei­che. In etwa. Mag sein, der Opa hat Proble­me mit der Verdau­ung. Dann wird das eine oder andere Gericht vari­iert. Der Kleine hat ein Aller­gie­pro­blem. Dann auch. Aber im Großen und Ganzen schna­bu­lie­ren alle das Gleiche.
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In den einzel­nen Zimmern sieht es völlig unter­schied­lich aus. Da Poppos­ter. Dort Reit­kap­pe und Gerte. Da Zinn­sol­da­ten. Gleich ist eben nicht Gleich­ma­che­rei. Aber es wäre wieder­um nicht vorstell­bar, wenn eine oder einer dieser zwölf den gesam­ten zwei­ten Stock für sich allei­ne hätte. Eine andere hätte ein winzi­ges Kämmer­chen. Der nächs­te muss sich das Zimmer mit zwei Geschwis­tern teilen. Es wäre perma­nent Krach und Neid in diesem Haus. In dieser Fami­lie. Und so, wenn frei­lich wesent­lich komple­xer, ist es in unse­rem Land.
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