Das Finanzsystem und die Wege zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele – Editorial
Das UN-Nachhaltigkeitsziel Nr. 8 lautet: „Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.“ Dieses Ziel, im Zusammenspiel mit den 16 weiteren, soll dazu beitragen, drei akute Problemkreise der Weltgemeinschaft zu lösen:
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Umweltzerstörung: Wälder werden in alarmierendem Tempo abgeholzt, Ozeane sind durch Plastikmüll vergiftet, die biologische Artenvielfalt ist bedroht und der Klimawandel bringt gravierende Naturkatastrophen mit sich.
Soziale Ungleichheit: Etliche Studien belegen, wie sich das immer weiter wachsende Geldvermögen in den Händen weniger Superreicher konzentriert, während gleichzeitig Milliarden von Menschen in absoluter oder relativer Armut leben müssen. Daraus ergeben sich laufend vergrößernde Einkommensungleichheiten. – - -
Finanzinstabilität: Unsere Abhängigkeit von einem schulden- und renditegetriebenen Finanzsystem hat dazu geführt, dass ganze Länder, kleine und mittlere Unternehmen sowie Privatpersonen ständig am Rande eines wirtschaftlichen Kollapses stehen.
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Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass das Wirtschaftswachstum als treibende Kraft eine zentrale Rolle bei den genannten Problemen spielt. Zahlreiche Studien belegen dies. Dennoch suggeriert die UNO mit ihrem Ziel Nr. 8, dass es eine Form von Wachstum geben kann, die die Umweltzerstörung stoppt und die soziale Ungleichheit verringert.
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Unhaltbarer Widerspruch…
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Von Seiten der Politik und der UN wird zur Erklärung dieses Paradoxons auf die „Entkopplung“ gesetzt. Nachhaltigkeit in Verbindung mit weiterem Wachstum soll demnach erreicht werden, indem der Ressourcenverbrauch reduziert wird, also mit weniger Input ein höherer Output erzeugt werden kann. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass dies im globalen Maßstab nicht funktioniert. Regionale positive Entkopplungstendenzen werden konterkariert durch Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer und solche mit noch laxer Umweltgesetzgebung. So gesehen sind Konzepte wie „Green Growth“ oder „Energiewende“ Schönfärberei: die unrealistische Zielverknüpfung von ungebremstem Wachstum und Nachhaltigkeit. Der Wirtschaftswissenschaftler Timothée Parrique von der schwedischen Universität Lund nennt das in aller Deutlichkeit eine Märchenerzählung. Erschwerend kommt das Jevons-Paradoxon hinzu, benannt nach dem 1835 geborenen Ökonomen William Stanley Jevons. Es beschreibt, wie durch technischen Fortschritt Rohstoffe zwar effizienter genutzt werden können, dieser Vorteil aber zu einer verstärkten Nutzung führt – der Ressourcenverbrauch also weiter steigt. Die neuere Nachhaltigkeitsforschung spricht in diesem Zusammenhang vom Rebound-Effekt.
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…oder ein erreichbares Ziel?
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Hat sich die UN also ein Ziel gesetzt, das nie erreicht werden kann? Der in Chile lehrende deutsche Professor Felix Fuders sieht nur einen Ausweg aus diesem Zielkonflikt. Unser Wirtschaftssystem, die Marktwirtschaft, muss vom Kapitalismus befreit werden. In seinem aktuellen Buch „How to fulfill the UN Sustainability Goals“ kommt er zu dem Schluss, dass nur durch die Beendigung des im Geldsystem eingebauten Selbstvermehrungsprinzips, angetrieben durch Zins und Zinseszins, eine Wirtschaft ohne Wachstum erreicht und die Folgen der eingangs genannten Problemkreise überwunden werden können.
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Geld- und Bodenreformen: Ein Schlüssel zur Lösung
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Felix Fuders setzt auf Geld- und Bodenreformen, die auf Silvio Gesell zurückgehen und von John Maynard Keynes in seinem Hauptwerk ausdrücklich gelobt wurden. Die Idee von Silvio Gesell, dem Begründer der Freiwirtschaftslehre, umfasst grundlegende Reformen im Geldwesen und im Umgang mit Eigentumsrechten an Grund und Boden, die wesentliche Aspekte der modernen Wirtschaft entscheidend ändern könnten. Ein zentraler Punkt ist die Einführung des Freigeldes, eines „fließenden Geldes“, das die Verwendung als Spekulations- und Hortungsmittel verhindert. Dies soll dazu führen, dass Kapital in den Wirtschaftskreislauf gelangt und zu Zinsen nahe null investiert wird, anstatt durch Zinseffekte exponentiell zu wachsen. Ein dagegen immer wieder vorgebrachter Einwand ist allerdings, dass durch die Freiwirtschaftsreform die in Bewegung geratene Geldmenge den Konsum ankurbelt, was zu weiterem ressourcenverbrauchenden Wachstum führen würde. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Konzept des „fließenden Geldes“ durch die Gebühr auf die Geldhaltung neben den positiven Effekten auf die Vermögensverteilung und den Abbau sozialer Ungleichheiten auch geeignet ist, die Geldnachfrage zu senken und andere, direkte und regionale Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu fördern.
Regionalität statt Konsumrausch – Zusammengehörigkeits-Archipele statt Einzelkämpferinseln: Der Weg zur Nachhaltigkeit
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Wenn das Halten von Geld Kosten verursacht, wird man sich intensiver mit Lösungen befassen, die im wahrsten Sinne des Wortes nahe liegen. Man verbindet sich wieder eingehender mit den Menschen seiner Region und findet Wege der Zusammenarbeit, die kein Geld, sondern nur gemeinsame Absprachen erfordern. Auf diese Weise könnte die Freiwirtschaft zu einem „Motor der Nachhaltigkeit“ werden, indem ein Geld in Umlauf gebracht wird, dessen einziger vorteilhafter Nutzen darin besteht, es direkt wieder auszugeben oder weniger darauf angewiesen zu sein als heute. Geld sozusagen als „Schwarzer Peter“, den niemand lange behalten will. So ungewöhnlich es klingen mag, aber „Freigeld“ wäre eines, das auch mehr Freiheit für ein Leben jenseits des Geldes ohne gravierende Wohlstandseinschränkungen schaffen würde.
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Der regionale Bezug und andere kooperative Ansätze könnten dazu führen, dass weniger Ressourcen für den globalen Handel aufgewendet werden müssen. Statt Produkte um die halbe Welt zu verschiffen, werden lokale Alternativen bevorzugt. Damit reduziert man nicht nur den ökologischen Fußabdruck, sondern stärkt auch die lokale Wirtschaft und Gemeinschaft. Dies darf nicht als Trend zu mehr Abschottung, Protektionismus oder Nationalismus missverstanden werden, sondern als das Menschen und Völker verbindende Element zur Rettung unser aller Lebensgrundlagen. Statt eines Inseldenkens braucht die Menschheit ein Archipeldenken, wie es Edouard Glissant in seinem „Traktat über die Welt“ beschreibt: „Uns wird bewusst, was kontinental war und dicht und uns belastete in dem prachtvollen Systemdenken, das bis heute die Geschichte der Menschheit beherrscht hat und das für unsere Zersprengtheiten, unsere Geschichten und für unsere nicht weniger prachtvollen Irrfahrten nicht mehr angemessen ist. Das Denken des Archipels, der Archipele, eröffnet uns die Meere.“
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Wenn das Althergebrachte und Konservative und das Komplexe der Realität miteinander im Streit liegen, dann ist es der Streit zwischen der Wurzelidentität und der Beziehungsidentität. Die freiwirtschaftlichen Reformen können den Weg zur Beziehungsidentität ebnen, was „Archipel“ zum Ausdruck bringt, weil es das Meer und die darunter liegenden, miteinander verbundenen Landmassen als Einheit wahrnimmt. Das bestehende Finanzsystem hat dazu beigetragen, Länder, Unternehmen und Personen zu schaffen, die in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen; Inseln gleich, deren menschliche Bewohner voneinander und von der sie umgebenden Natur isoliert wurden, um einem fragwürdigen wirtschaftlichen Erfolg zu dienen.
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Finanzsystem: Beginn einer neuen Ära
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Die Abschaffung des fatalen Zinseszinseffekts wäre ein radikaler Schritt, der das gesamte Finanzsystem revolutionieren könnte. Durch die Entmachtung des Kapitals und die Förderung realwirtschaftlicher Aktivitäten könnte eine nachhaltige und stabile Wirtschaft entstehen, in der Finanzkrisen der Vergangenheit angehören. Ein solches System würde auch den permanenten Wachstumsdruck, der aus dem Zwang zur Schuldentilgung mit zusätzlicher Zinsbelastung resultiert, überwinden und damit den Weg zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft ebnen.
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Das Potenzial der UN-Nachhaltigkeitsziele
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele erreichbar sind und damit auch das Ziel Nr. 8, wenn wir bereit sind, die wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinungen der letzten 100 Jahre grundlegend zu revidieren. Dies erfordert den Mut, eingefahrene Wege zu verlassen und die Bereitschaft zu radikalen, aber durchdachten Reformen. Es ist eine historische Chance für die Menschheit, durch innovative und nachhaltige Wirtschaftsmodelle eine Welt zu schaffen, in der Mensch und Natur im Gleichgewicht leben können. Die Grundlagen dafür sind gelegt, es liegt an uns, sie umzusetzen. Nur durch gemeinsames Handeln und den Willen zur Veränderung können wir die Herausforderungen unserer Zeit meistern und eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft für alle sichern.
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Ein positiver Ausblick
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Die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele ist also nicht nur ein idealistischer Traum, sondern eine realisierbare Chance. Wenn wir bereit sind, diese Reformen mitzugestalten und lange Zeit gültige „Wahrheiten“ zu hinterfragen und zu überdenken, können wir ein nachhaltiges Wirtschaftssystem entwickeln.
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Felix Fuders, Werner Onken oder Dirk Löhr in der Gegenwart, Silvio Gesell, Dieter Suhr oder Helmut Creutz in der Vergangenheit und viele andere Freiwirtschaftler haben uns gezeigt, dass es möglich ist, eine zukünftige Wirtschaft, ohne die Schattenseiten des Wachstums zu schaffen. Es liegt an uns, die heutigen Anstrengungen zu verstärken und die Ideen weiterzuentwickeln und umzusetzen. Damit schaffen wir die Grundlage für eine Welt, in der wirtschaftlicher Erfolg nicht auf Kosten von Umwelt und sozialer Gerechtigkeit geht, sondern im Einklang und in Balance mit diesen steht. Nehmen wir diese Herausforderung an und gestalten wir gemeinsam eine nachhaltige Zukunft.
Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann- – -
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