Das Ende der Wachstumsillusion – Andreas Bangemann

Erklä­rung zur Notwen­dig­keit eines Paradigmenwechsels
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Über­all in Europa und in der Welt sind die gesell­schaft­li­chen Verhält­nis­se durch uner­mess­li­chen Reich­tum eini­ger Weni­ger und weit verbrei­te­te Armut vieler Menschen gekenn­zeich­net. Um einem weite­ren Ausein­an­der­drif­ten entge­gen­zu­wir­ken, basie­ren die meis­ten poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Entschei­dun­gen auf dem unein­ge­schränk­ten Glau­ben an ein immer­wäh­ren­des Wirt­schafts­wachs­tum. Ange­sichts der drän­gen­den ökolo­gi­schen Heraus­for­de­run­gen ist die Suche nach Wegen zur Verknüp­fung von Wirt­schafts­wachs­tum mit einer nach­hal­ti­gen Reduk­ti­on des abso­lu­ten Ressour­cen­ver­brauchs einschließ­lich der damit verbun­de­nen CO2-Emis­sio­nen von zentra­ler Bedeu­tung. Ziel ist es, Wachs­tum und Ressour­cen­ver­brauch zu entkop­peln, so dass die Wirt­schaft weiter wächst, während der Ressour­cen­ver­brauch konti­nu­ier­lich sinkt. Eine einfa­che Rech­nung und die heuti­ge Reali­tät zeigen jedoch, dass dies unmög­lich ist. Daher der drin­gen­de Aufruf zum Aufwa­chen und Handeln, denn wir müssen mit der Illu­si­on des unend­li­chen Wachs­tums brechen, bevor wir in eine sozia­le und ökolo­gi­sche Kata­stro­phe stürzen.
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Die Illu­si­on vom unend­li­chen Wachstum
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Als Ausgangs­punkt der folgen­den Berech­nun­gen nehmen wir beispiel­haft eine (Welt-)Wirtschaftsleistung W von 33 Einhei­ten (z. B. Billio­nen Dollar, wie tatsäch­lich im Jahr 2000) an, für die Ressour­cen R von 70 Einhei­ten (z. B. Milli­ar­den Tonnen, wie ca. im Jahr 2000) verbraucht werden. Um einen stabi­len sozia­len Fort­schritt zu gewähr­leis­ten und diesen mit der ökolo­gisch notwen­di­gen Reduk­ti­on des Ressour­cen­ver­brauchs – Stich­wort Ressour­cen­ef­fi­zi­enz – zu koppeln, stre­ben wir eine jähr­li­che Stei­ge­rung von W um 5 % und eine gleich­zei­ti­ge Reduk­ti­on von R um 5 % an.
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Nach einem Jahr haben wir W1 = 34,65 Einhei­ten und R1 = 66,50 Einhei­ten. Dieses Konzept, das Brut­to­so­zi­al­pro­dukt mit sinken­dem abso­lu­tem Ressour­cen­ver­brauch zu erwirt­schaf­ten, erscheint viel­ver­spre­chend. Hätte man im Jahr 2000 mit der Reduk­ti­on begon­nen – wie viele Wissen­schaft­ler, s. u., es sich wünsch­ten – dann sähe die Rech­nung bis 2029 wie in Abbil­dung 1 darge­stellt aus.
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Rech­net man jedoch weiter, so wird schnell klar, dass dieses Modell in einem unlös­ba­ren Wider­spruch endet, der aber zu einer höhe­ren Wahr­heit führt, die diesen Arti­kel leitet. Nach 15 Jahren hat sich die Wirt­schafts­leis­tung auf etwa 69 Einhei­ten verdop­pelt. Im glei­chen Zeit­raum sinkt der Ressour­cen­ver­brauch auf 33 Einhei­ten. Nach 29 Jahren hat sich die Wirt­schafts­leis­tung auf 136 Einhei­ten vervier­facht. Der Ressour­cen­ver­brauch dafür läge dann nur noch bei circa 16 Einheiten.
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Diese Zahlen führen uns zu einem irri­tie­ren­den Para­do­xon: Während die Wirt­schafts­leis­tung mit regel­mä­ßi­gen Verdopp­lungs­ra­ten unend­lich weiter wächst, tendiert der Ressour­cen­ver­brauch gegen Null. In der realen Welt können wir aber nicht unend­lich viele Einhei­ten Wirt­schafts­leis­tung mit null Einhei­ten Ressour­cen errei­chen. Dies offen­bart die Unhalt­bar­keit eines konti­nu­ier­li­chen Wirt­schafts­wachs­tums und entlarvt die Entkopp­lungs­stra­te­gie als eine nicht reali­sier­ba­re Selbst­täu­schung. Um diese Theo­rie mit realen Daten zu unter­mau­ern, werfen wir nun einen Blick auf die tatsäch­li­che Entwick­lung des Ressourcenverbrauchs.
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Die Reali­tät des Ressourcenverbrauchs
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Der Begriff Faktor X geht auf Fried­rich Schmidt-Bleek zurück, der Anfang der 1990er Jahre den „Faktor 10“ einführ­te. Er forder­te, dass die Indus­trie­na­tio­nen ihren Ressour­cen­ver­brauch inner­halb von 50 Jahren um den Faktor 10 (also um 90 Prozent) redu­zie­ren müss­ten, um globa­le Nach­hal­tig­keit zu errei­chen. 1995 erklär­te Ernst-Ulrich von Weiz­sä­cker, dass ein Faktor 4 den Wohl­stand verdop­peln und den Natur­ver­brauch halbie­ren könne. Im Jahr 2000 betrug das globa­le Brut­to­so­zi­al­pro­dukt ca. 33 Billio­nen US-Dollar, für das Jahr 2029 prognos­ti­zie­ren Exper­ten ca. 139 Billio­nen US-Dollar. Diese Zahlen bestä­ti­gen die mathe­ma­ti­schen Wachs­tums­an­sät­ze der Berech­nung im vori­gen Abschnitt: mehr als eine Vervier­fa­chung in 29 Jahren.
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Entge­gen der Ziel­set­zung ist der Ressour­cen­ver­brauch insge­samt weiter gestie­gen. Die Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen pro Wirt­schafts­leis­tungs­ein­heit reich­ten nicht aus, um den durch das Wirt­schafts­wachs­tum stei­gen­den Ressour­cen­ver­brauch abso­lut zu redu­zie­ren. Die von Schmidt-Bleek und Ernst Ulrich von Weiz­sä­cker ange­streb­te Faktor­re­duk­ti­on wurde nicht erreicht. Zwischen 1970 und 2024 hat sich der Ressour­cen­ver­brauch von 30 Milli­ar­den Tonnen (Jahr 2000: ca. 70 Milli­ar­den Tonnen) auf 106 Milli­ar­den Tonnen mehr als verdrei­facht. Bis 2050 rech­nen Exper­ten aus Poli­tik und Wissen­schaft mit einer weite­ren Verdop­pe­lung. Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen konn­ten die stei­gen­de Nach­fra­ge nicht kompensieren.
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Da der Ressour­cen­ver­brauch wegen ener­gie­in­ten­si­ver Prozes­se in einem engen Zusam­men­hang mit den CO2-Emis­sio­nen steht, erschei­nen auch auf diesem Gebiet gesteck­te Klima­zie­le in uner­reich­ba­re Ferne gerückt. Auch dabei werden Erfol­ge in der Reduk­ti­on einzel­ner Länder auf Grund­la­ge von Produk­ti­ons­ver­la­ge­run­gen in andere erzielt. Der Fach­be­griff dafür lautet „Carbon Leakage“.
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Anzei­chen für Carbon Leakage
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Es gibt Hinwei­se darauf, dass ein Teil der Emis­si­ons­min­de­run­gen durch Verla­ge­rung emis­si­ons­in­ten­si­ver Produk­tio­nen ins Ausland erkauft wurde. Insbe­son­de­re Indus­trie­pro­duk­te wie Stahl und Zement sind anfäl­lig für solche Effek­te. Diese Verla­ge­rung verrin­gert den Netto-Effekt der Emissionsreduktionen.
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Verschie­de­ne Studi­en, einschließ­lich der von inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen wie der OECD und der Euro­päi­schen Kommis­si­on, haben Schät­zun­gen für die Carbon Leaka­ge Rate auf natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebene vorge­nom­men. Eine oft zitier­te Progno­se geht davon aus, dass die Carbon Leaka­ge Rate je nach Sektor zwischen 5 % und 20 % liegt. Das bedeu­tet, dass für jede Tonne CO2, die durch stren­ge Emis­si­ons­re­ge­lun­gen im Ursprungs­land einge­spart wird, etwa 0,05 bis 0,2 Tonnen CO2 in einen weni­ger regu­lier­ten Stand­ort ausge­la­gert werden könnten.
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Beispiel Apple und die Produk­ti­on des iPhones
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Im Jahr 2022 hat Apple welt­weit 226,4 Millio­nen „iPhone 13“ verkauft. Davon allein 124,7 Millio­nen in den USA. Laut Apple-eige­ner Anga­ben verur­sacht jedes einzel­ne Gerät einen CO2-Ausstoß von 64 kg. Das ergibt eine Summe von ca. 8 Milli­ar­den Kilo­gramm CO2 (oder 8 Millio­nen Tonnen) allein für die Verkäu­fe in den USA. Da diese Produk­ti­on der in den USA gekauf­ten Geräte aber komplett in China statt­fin­det, fällt die entspre­chen­de CO2-Belas­tung dort an und verbes­sert ande­rer­seits die Statis­tik in den USA. Die Reduk­ti­ons­er­fol­ge in Europa und den USA sind also mit Skep­sis zu betrach­ten. Es zählt nur die globa­le Entwick­lung. Nur global können wir die Proble­me und die damit verbun­de­nen Gefah­ren lösen.
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Fazit: Unser gegen­wär­ti­ges Wirt­schafts­mo­dell, das auf einem Geld­sys­tem mit expo­nen­ti­ell wach­sen­den Schul­den und Geld­ver­mö­gen beruht, ist nach­weis­lich unge­eig­net, die zuneh­men­den ökolo­gi­schen Heraus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen. Zudem verschärft es die sozia­len Ungleichheiten.
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Das Wachs­tum und die sozia­le Ungleichheit
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Im kapi­ta­lis­ti­schen System führen die Konzen­tra­ti­on des Reich­tums und der Zinses­zins­me­cha­nis­mus zu einem stän­di­gen Druck, das Wachs­tum aufrecht­zu­er­hal­ten. Fällt es zu gering aus, wach­sen sozia­le Ungleich­hei­ten und Arbeits­plät­ze sind in Gefahr. Das Rezept: mehr Wachs­tum. Die kata­stro­pha­len Folgen für die Umwelt und die begrenz­ten Ressour­cen unse­res Plane­ten zeigen, dass wir damit in eine unauf­halt­sa­me Nega­tiv­spi­ra­le gera­ten. Ohne radi­ka­le Verän­de­run­gen drohen gefähr­li­che sozia­le und ökolo­gi­sche Krisen.

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