Kategorie: Archiv 2014

Die „Schöne aus Marienhöhe“ darf nicht sterben – Pat Christ 0

Die „Schöne aus Marienhöhe“ darf nicht sterben – Pat Christ

Saat­gut­ak­ti­vis­ten kämp­fen gegen die geplan­te Novel­lie­rung einer EU-Veror­d­­nung – Radies­chen, Mohn und Zitro­nen­ba­si­li­kum, Obsi­di­an, Slim Jim und Wilde Rauke: Dutzen­de Rari­tä­ten und bewähr­te Haus­gar­ten­sor­ten gab es im Febru­ar beim Saat­­gut-Festi­­val im unter­frän­ki­schen Ipho­fen zu bestau­nen und zu erwer­ben. Star­gast der Veran­stal­tung, die mehre­re hundert Besu­cher von teil­wei­se weit­her anzog, war…

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Schon wieder – Laura Gottesdiener

Die Preise für Eigen­hei­me stei­gen! Die Baukon­junk­tur springt wieder an! Die Krise ist über­wun­den! Seit eini­ger Zeit beju­beln die Medien in den USA die wunder­sa­me Wieder­auf­er­ste­hung der Immo­bi­li­en­märk­te. Was sich hinter dem ganzen Tamtam verbirgt, erfährt man nicht. In der Bran­che brei­tet sich seit knapp zwei Jahren eine komplett neue…

Der Strudel in die Sucht – Karl-Dieter Bodack 0

Der Strudel in die Sucht – Karl-Dieter Bodack

• Steu­ern werden als „Last“ bezeich­net, als „Belas­tung“ empfun­den, von der man sich „befrei­en“ sollte;
• „Steu­er­erspar­nis“ wird hoch geschätzt, erhält gesell­schaft­li­chen Wert, es grün­den sich Unter­neh­men, die Steuer„ersparnis“ als Dienst­leis­tung anbie­ten und dafür gute Hono­ra­re verlangen;
• In Gesprä­chen lobt sich jeder, der es geschafft hat, Steu­ern zu „sparen“, andere erkun­di­gen sich, es entsteht eine Art neuer Volks­sport des „Steu­er­spa­rens“, mit einem gesellschaftlichen
Wert wie er seiner­zeit dem Spar­buch­spa­ren zukam;
• Von den Poli­ti­kern wird gefor­dert, dass sie alles Wünschens­wer­te schaf­fen, Thea­ter, Schu­len und Kinder­gär­ten, Hilfe für Fami­li­en, die Volks­hoch­schu­le, Umge­hungs­stra­ßen, Bürger­parks, Kinder­spiel­plät­ze, mehr Busver­bin­dun­gen schnel­le­re Zugverbindungen;
• Poli­ti­ker werden geschätzt, die das schaf­fen, Steu­ern zu senken und gleich­zei­tig möglichst alle Wünsche erfüllen;
• Die Folge­kos­ten werden igno­riert: Was der Spiel­platz monat­lich in der Pflege, das Thea­ter­en­sem­ble pro Zuschau­er, der Park pro Spazier­gang kostet, ist tabu, niemand spricht darüber,
keiner will es wissen;
• Bürger sparen als Vorsor­ge für schlech­te­re Zeiten oder fürs Alter, brin­gen Geld­be­trä­ge zu Banken, verlan­gen möglichst hohe Zinsen dafür;
• Die Kommu­nen, Länder und der Bund brau­chen viel mehr Geld als sie einneh­men, leihen es von den Banken, rich­ti­ger von den Bürgern mit dem Verspre­chen („Bundes­schät­ze“), es zurückzuzahlen;
• Berühmt wird ein Poli­ti­ker nicht mit einem Park für ein paar Millio­nen, sondern erst mit einem „Frei­zeit­park, der ein paar hundert Millio­nen kostet;
• Anfäng­li­che Millio­nen-Anlei­hen werden zu Milliarden-Anleihen;
• Poli­ti­ker werden gefei­ert, wenn Sie als „Über­vä­ter“ wissen, was den Bürgern guttut und wenn sie das auch gegen Wider­stän­de all derer, die mangels Einsicht dage­gen sind, durchdrücken;
• Die Zinsen für die Kredi­te bean­spru­chen mehr und mehr Antei­le aus den Steuergeldern;
• Die Kredit­sum­men stei­gen, weil mehr und mehr Steu­er­gel­der von Zins­zah­lun­gen absor­biert und gleich­zei­tig die Projek­te immer größer werden;

Das transatlantische Freihandelsabkommen – Wolfgang Berger 0

Das transatlantische Freihandelsabkommen – Wolfgang Berger

Finan­zi­el­le Massen­ver­nich­tungs­waf­fen fahren die Ernte ein -
»Le Monde diplo­ma­tique – die fran­zö­si­sche Zeitung für auswär­ti­ge Bezie­hun­gen – bezeich­net das trans­at­lan­ti­sche Feihan­dels­ab­kom­men TAFTA (Trans­at­lan­tic Free Trade and Invest­ment Agree­ment) als „Staats­streich in Zeit­lu­pe“. In gehei­men Verhand­lun­gen wird es von den mäch­tigs­ten Konzer­nen der Welt, die von 600 Indus­trie­ver­bän­den vertre­ten werden, vorbe­rei­tet. Geset­ze benach­tei­li­gen immer dieje­ni­gen, die bei ihrer Verfas­sung nicht dabei sind. Dabei wird der Mensch „wie ein Konsum­gut betrach­tet, das man gebrau­chen und dann wegwer­fen kann“, schreibt Papst Fran­zis­kus im Evan­ge­lii Gaudi­um und fügt hinzu: „Diese Wirt­schaft tötet“. Sie tötet die Würde, die Frei­heit und den Sinn des Lebens der meis­ten Menschen. Viel­leicht hat Benito Musso­li­ni den Begriff Faschis­mus passend defi­niert: „Die Fusion zwischen Groß­kon­zer­nen und Staa­ten“. Wie ist dieser Vernich­tungs­feld­zug geplant worden? Wie wird er durch­ge­führt? Das Killer-Spiel „Live and let die“ (Lebe und lass andere ster­ben) Banken verge­ben Kredi­te gegen Sicher­hei­ten. Jeder Firmen­chef und jeder Haus­ei­gen­tü­mer weiß das. Bei der Kredit­prü­fung wird meist ein Fünf­tel Eigen­ka­pi­tal verlangt. Für die Banken selbst gilt diese Regel nicht. Große Banken arbei­ten mit 95 Prozent Fremd­ka­pi­tal und hebeln so den Ertrag auf ihr eige­nes Kapi­tal. Eine Milli­on Gewinn blei­ben eine Milli­on, wenn das Geschäft mit Eigen­ka­pi­tal finan­ziert wird. Bei fünf Prozent Eigen­ka­pi­tal erhöht sich der auf das Eigen­ka­pi­tal bezo­ge­ne Gewinn dann fast um das zwan­zig­fa­che. Damit recht­fer­ti­gen die Banken die Millio­nen­ga­gen Ihrer Topma­na­ger, die diese Gewin­ne „erwirt­schaf­ten“ – oder sollen wir besser „ergau­nern“ sagen? Die Versu­chung ist groß, dabei Risi­ken einzu­ge­hen, die die Bank selbst nicht auffan­gen kann. Gilt die Bank als system­re­le­vant weil sie „too big to fail“ (zu groß zum Schei­tern) ist, werden ihre Verlus­te auf die Steu­er­zah­ler abge­wälzt. So sind die Staats­schul­den explo­diert und ganze Länder in den Bank­rott getrie­ben worden. In der Krise waren die Staa­ten dann „too week to act“ (zu schwach zum Handeln). Der ersten Test­läu­fe für dieses Spiel sind vor zehn Jahren vorbe­rei­tet worden: Nied­ri­ge Hypo­the­ken­zin­sen und die Erwar­tung stei­gen­der Immo­bi­li­en­prei­se haben auch Subprime-Kredit­neh­mer (das sind solche mit schlech­ter Boni­tät) in den USA zu Haus­ei­gen­tü­mern gemacht. Diese Kredi­te wurden zu „Deri­va­ten“ (abge­lei­te­ten Wert­pa­pie­ren) gebün­delt und mit kurz­fris­ti­gen Rück­kauf­ver­ein­ba­run­gen („Repos“: Sale and Repurcha­se Agree­ments) weiter­ver­kauft. Hank Paul­son – von 1999 bis 2006 CEO (Vorstands­vor­sit­zen­der) der Invest­ment­bank Gold­man Sachs – hat die US-Banken Bear Sterns und Lehman Brot­hers in Deri­vat­ge­schäf­te in Milli­ar­den­hö­he einge­bun­den. 2006 ist Paul­son US-Finanz­mi­nis­ter gewor­den. Danach haben neue Geset­ze „Deri­va­te“ in „safe havens“ (siche­re Häfen) verwan­delt. Das bedeu­tet: Eine Bank, die Wert­pa­pie­re über Deri­va­te besitzt, kann sie beim Konkurs der Schuld­ner­bank behal­ten. 2008 konn­ten Bear Sterns und Lehman Brot­hers ihre Verpflich­tun­gen zum Rück­kauf der „Deri­va­te“ gegen­über Gold­man Sachs und dem briti­schen Finanz­un­ter­neh­men Barclays nicht erfül­len; sie brachen zusam­men. Die beiden sieg­rei­chen Banken hatten zwei Konkur­ren­tin­nen „gefres­sen“. Durch EU-Direk­ti­ven haben die Besit­zer von Deri­va­ten auch in Europa bevor­zug­ten Gläu­bi­ger­sta­tus. Während es im regu­lä­ren Insol­venz­recht eine Bevor­zu­gung von Gläu­bi­gern nicht gibt, ist sie bei Deri­va­ten jetzt die Norm. Deri­va­te in Verbin­dung mit Repo- Geschäf­ten schöp­fen Geld ohne Sicher­hei­ten. Die eine Bank nimmt, die andere gibt – und das im Kreis­lauf ad infi­ni­tum. Dieses Killer-Spiel wird in den USA „Live and let die“ (Lebe und lass andere ster­ben) genannt. 

Der Bürger und sein Staat – Gerhardus Lang 0

Der Bürger und sein Staat – Gerhardus Lang

Gedan­ken zur „Besteue­rung“ – Jeder Selbst­stän­di­ge beschäf­tigt für
teures Geld einen „Steu­er­be­ra­ter“.
Was berät denn der? Doch nur, wie
man zu viel Steu­ern vermei­det. „Steu­er­ver­mei­dung“
ist der Sinn seines Daseins,
sonst nichts. Jeder macht das
so und befin­det sich damit im gesetzlichen
Rahmen. Im Übri­gen ist das
Steu­er­recht noch im Stadi­um wie zu
Zeiten von Chris­ti Geburt, dessen Eltern
zum Zwecke der Steuerschätzung
nach Beth­le­hem reisen muss­ten, um
der Obrig­keit, der wir „unter­tan sind
und die Gewalt über uns hat“, den
geschul­de­ten Obolus zu entrichten.
(Jeder­mann sei unter­tan der Obrig­keit, die
Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit
ohne von Gott; wo aber Obrig­keit ist,
die ist von Gott verord­net, Römer 13,1)
Heute ist die Obrig­keit von den
Partei­en ausge­wählt immer noch
eine Obrig­keit, die Gewalt über
uns hat und die beschließt, was wir ihr
schul­den. Diese als Finanz­be­hör­de fungierende
Einrich­tung ist ein Staat im
Staate, die in dieser Form schon Jahrhunderte
besteht. Sie hat schon zu Zeiten
der deut­schen Klein­staa­ten existiert,
hat sich mit dem ersten deutschen
Reich gefes­tigt, hat den ersten und den
zwei­ten Welt­krieg ohne Abstri­che überstanden,
hat dem Kaiser­reich das Heer
und die Flotte finan­ziert, hat die Weimarer
Repu­blik mit Infla­ti­on und Deflation
über­stan­den. Dann hat sie ungebrochen
dem Dikta­tor Hitler seine Großmachtspläne
finan­ziert und durfte danach die
Staats­plei­te „abwi­ckeln“.
Nehmen und Geben
Wir, das Volk, von dem alle Staatsgewalt
ausge­hen sollte, müssen nämlich
lang­sam anfan­gen, tatsäch­lich selber
zu beschlie­ßen, was wir für die Zwecke
des Staa­tes ausge­ben wollen. Aber das
wird uns verwei­gert, weil wir so etwas
angeb­lich nicht beur­tei­len könnten.
Gerade auf dem Gebiet des Steuerrechts
wissen die Mäch­ti­gen genau,
wie sie vorge­hen müssen, denn die
Kuh, die man melkt, soll vom Gemolken-
Werden möglichst nichts merken,
es soll diskret zuge­hen (Grund­satz der
Unmerk­lich­keit der Besteue­rung). Es
ist dieses das Prin­zip der Spitzbuben,
dass die Leute, die bestoh­len werden,
es nicht immer gleich merken, damit
nämlich der Dieb möglichst unerkannt
bleibt. Man hat es dem Gott der Diebe
– Merkur – abge­lauscht: man soll
möglichst über­haupt nichts merken.
Das haben auch die Kauf­leu­te und –
last, but not least – die Ärzte (deren
Gott auch Merkur ist!) an sich, unmerklich
das wegzu­schaf­fen, was zu viel ist,
dort­hin, wo es fehlt, wobei sich die drei
Berufe im real exis­tie­ren­den Leben gelegentlich
schlecht vonein­an­der unterscheiden
lassen, weil sie manch­mal im
Einzel­nen als Gemenge­la­ge auftreten.
Inwie­weit nun Poli­ti­ker – insbesondere
Steu­er­po­li­ti­ker – einer der drei genannten
Kate­go­rien ange­hö­ren, ist so
leicht nicht auszu­ma­chen. Sie müssen
auch einer­seits wegneh­men, damit sie
woan­ders hinzu­fü­gen können. Sie können
dabei ärzt­lich handeln, wenn sie
beab­sich­ti­gen, den kran­ken Zustand
in einen gesun­den zu verwan­deln und
wenn die ergrif­fe­nen Maßnah­men auch
zu diesem hehren Ziel führen. Vorgeben
tun es die Poli­ti­ker meist laut­hals, dass
genau dieses und nichts ande­res ihre
Absicht sei. Rech­net man es dann allerdings
vor – oder auch nach –, so landet
zum Schluss das Wegge­nom­me­ne häufig
dort, wo sowie­so schon zu viel ist,
und wird genau denen letzt­lich weggenommen,
denen es gut getan hätte.
Dabei sind die Wege der zu verteilenden
Beute oft so verschlun­gen, dass
die Spuren in die Irre führen, was auch
der Gott Merkur bald nach seiner Geburt
meis­ter­lich beherrsch­te, indem er
die seinem Bruder Apollo gestohlenen
Rinder rück­wärts in sein Versteck führte,
damit es so aussä­he, als wären sie in
entge­gen gesetz­ter Rich­tung gelaufen
Ja, die Frage ist berech­tigt: lässt sich
das Ruder „herum­wer­fen“, oder auch:
lässt sich das oder die Steuer herumwerfen?
Wenn die See stür­misch ist,
ist das nicht so einfach, und manch
ein Schiff ist geken­tert, weil das Steuer
zu schnell oder auch zu spät herumgeworfen
wurde. Deshalb ist es sicher
gut, wenn nicht zu schnell herumgeworfen
wird, wobei dann vor allem der
neue Kurs stim­men muss: es wird zwar
dauernd der Kurs gewech­selt, aber wo
es letzt­lich hinge­hen soll, welches Ziel
erreicht werden muss, darüber macht
sich kaum einer Gedan­ken. Hauptsache
das Schiff fährt mal wieder in einer
ande­ren Rich­tung, egal wohin die Passagiere
eigent­lich wollen.
Im Mittel­punkt aller steuerrechtlichen
Über­le­gun­gen steht heute der Mensch
nur im Hinblick auf den Widerstand,
den er der „lega­len“ Enteig­nung entgegenbringen
wird, aber nicht, wozu das
Ganze eigent­lich dienen soll. Die zentrale
Frage: „Was ist der Mensch?“ wird
ausge­klam­mert. Die einzi­ge Antwort
darauf lautet heute: Der Mensch ist ein
(böser) Egoist, und deshalb muss man
ihn zum Wohl­tun führen, z. B. durch
Erhe­ben von Steu­ern für das Gemeinwohl,
da dieses nicht egois­tisch, sondern
altru­is­tisch (gut) sei. So wird der
Mensch auch gegen seinen Willen anscheinend
von einem bösen zu einem
(jeden­falls teil­wei­se) guten Menschen
gemacht, was vom Gesichts­win­kel der
Ewig­keit her ihm wieder­um nützt (jeden­falls
im höhe­ren Sinn). Wozu sich
also noch Gedan­ken machen!

Fehlt den Menschen das Bewusstwerden? – Richard Steinhauser 0

Fehlt den Menschen das Bewusstwerden? – Richard Steinhauser

Gedan­ken zu Charles Eisen­stein: „Die schö­ne­re Welt, von deren Möglich­keit unsere Herzen schon wissen“ -
Der Vision einer
schö­ne­ren Welt von
Charles Eisenstein
stimme ich voll­auf zu –
sie ist möglich!
Muss man sich aber nicht zuvor
fragen: Warum ist die
heuti­ge Welt nicht so schön?
Alles hat eine Ursache.
Was muss mir bewusst werden? Ich
lebe. Ich bin einer von sieben Milliarden
Menschen. Ich bin ein historisches,
sozia­les und personales
Wesen. Ich trage Verant­wor­tung gegenüber
der Geschich­te, der Gesellschaft
und mir selbst. Der religiöse
Mensch sieht sich als transzendentales
Wesen in der Verant­wor­tung vor
Gott. Daraus folge­re ich meine Lebensaufgabe:
Ich habe mein Leben auf der
Erde so zu gestal­ten, dass noch weitere
Gene­ra­tio­nen auf ihr Leben können.
Ist mir das bewusst?
Als geschicht­li­ches Wesen schlummern
in mir Gene­ra­tio­nen. Als sozialem
Wesen erfah­re ich, dass ich nur
durch das Du zum Ich werde. Eltern
haben mich gezeugt. Ich war hilflos
und voll­kom­men auf sie angewiesen.
Als Erwach­se­ner habe ich Bedürfnisse,
die nur durch eine große Gesellschaft
erfüllt werden können. Als personalem
Wesen stehe ich vor allem in
der Verant­wor­tung für meine Gesundheit.
Nur als gesun­der Mensch kann
ich der Geschich­te, der Gesellschaft
und mir selbst am besten dienen. Und
als tran­szen­den­ta­les Wesen? Als denkender
Mensch versu­che ich meinem
Leben einen Sinn zu geben. Ist mir das
bewusst?
Ich bin hinein­ge­bo­ren in die eine
Welt, in ein Volk, in eine Religion
(Konfes­si­on), in eine Gemeinde,
in eine Fami­lie. Ich lebe in einem
Staat, der Geset­ze erlässt und dadurch
weit­ge­hend mein Leben bestimmt.
Ich benö­ti­ge täglich Geld.
Das Geld­we­sen wird von der Ideologie
des Kapi­ta­lis­mus bestimmt. Der
Staat befin­det über Krieg und Frieden.
Dies wird von der Ideo­lo­gie des
Mili­ta­ris­mus bestimmt. So leben wir
heute in der Welt des real und global
exis­tie­ren­den Mili­ta­ris­mus. Der
Mili­ta­ris­mus ist ein Gewaltsystem
und der Kapi­ta­lis­mus ein Schmarotzersystem.
Die ganze Welt steckt im
Teufels­kreis der Gewalt und Ungerechtigkeit.
Diese Ideo­lo­gien sind
die Verur­sa­cher unse­res weltweiten
Dilem­mas. Ist mir das bewusst?
Um leben zu können, braucht der
Mensch keinen ande­ren Menschen zu
töten, nicht einmal ein Tier. Was tut
der Mensch? Er führt Kriege. Es gibt
keine Recht­fer­ti­gung für den Militarismus.
Um leben zu können, braucht
der Mensch kein Millio­när zu sein.
Was tut der Mensch? Er erfin­det ein
Geld­sys­tem, in dem man Multimillionär,
ja sogar Multi­mil­li­ar­där werden
kann. Es gibt keine Recht­fer­ti­gung für
den Kapi­ta­lis­mus. Mili­ta­ris­mus und
Kapi­ta­lis­mus sind Lebens­lü­gen. Sie
sind das insti­tu­tio­na­li­sier­te Böse in
der Welt. Ist mir das bewusst?
„Die Proble­me, die es in dieser Welt
gibt, können nicht mit den gleichen
Denk­wei­sen gelöst werden, die sie
erzeugt haben.“ (Albert Einstein). Zu
welcher Denk­wei­se müssen wir gelangen?
Zur Gewalt (der Krieg ist die
schlimms­te) gibt es nur eine Alternative,
die Gewalt­frei­heit. Mit der Gewalt
kann kein Kompro­miss geschlossen
werden. Die Gewalt­frei­heit ist
eine funda­men­ta­le Wahr­heit. Erst in
ihr sind wir unse­rer Menschenwürde
würdig. Die Gewalt­frei­heit ist die Voraussetzung
für all unser Denken und
Tun. Nur so können wir unsere Probleme
und Konflik­te, die es in jedem Zusammenleben
gibt, gewalt­frei durch
den Dialog lösen. Erst dann verhalten
wir uns wie vernunft­be­gab­te Wesen,
sind wir Menschen.
Wie mili­tä­ri­sches Denken hat auch
kapi­ta­lis­ti­sches Denken eine lange
Geschich­te. Wie ein Trauma lasten
Mili­ta­ris­mus und Kapi­ta­lis­mus auf
der Menschheit.

Die Teufelei geht weiter! – Kommentar von Wilhelm Schmülling 0

Die Teufelei geht weiter! – Kommentar von Wilhelm Schmülling

Mit welcher Arro­ganz zele­brier­ten bisher
priva­te Banken eine Aura der Seriosität
– bis hin zur Inneneinrichtung
(Inte­ri­eur genannt) und bis hin zum Nadelstreifenanzug
der Ange­stell­ten. All
das sollte die eigene Geschäftstüchtigkeit
unter­strei­chen und die Wertschätzung
gegen­über Kunden, die man großzügig
am Erfolg des Hauses teilnehmen
lassen wollte, Boni­tät vorausgesetzt.
Einige Privat­ban­ken sortier­ten gleich
bei der Geschäfts­an­bah­nung die „Minder­be­mit­tel­ten“
unter einem siebenstelligen
Vermö­gen aus. Denen war offensichtlich
nicht zu helfen, den gnädig
aufge­nom­me­nen Kunden der Upperclass
schon, auch zum Vorteil der Bank.
Dieses anma­ßen­de Verhalten,
Image-Pflege genannt, setzte
sich mehr oder weni­ger bei allen
Banken durch – mit Ausnah­me bei Sparkassen
und Genossenschaftsbanken.
Und so verbrei­te­te sich unter den Kunden
ein nahezu gren­zen­lo­ses Vertrauen.
Seit der Finanz­kri­se von 2008 zerbröselte
dieses Bild. Das Geld der Anle­ger wanderte
in zuneh­men­dem Maße – auch
bedingt durch das schwie­ri­ger werdende
Kredit­ge­schäft mit der Realwirtschaft
– an den inter­na­tio­na­len Finanzmarkt.
Mit der Verbrie­fung von Hypotheken
wurden zuerst Haus­be­sit­zer in bittere
Not gestürzt, dann ganze Länder. Das
Geschäfts­ge­ba­ren bewuss­ter Übervorteilung
von Kredit­neh­mern wurde ruchbar.
Einmal demas­kiert, verspra­chen die
Banken Besse­rung. Und alle Welt glaubte
ihnen. Denn eine solch offensichtlich
schäd­li­che Geschäfts­idee könne keinen
Bestand haben. Weit gefehlt, es muss ja
nicht die glei­che Masche sein.
Wer am 1. 4. 2014 auf ARTE um 23.20
Uhr die Doku­men­ta­ti­on „Die Geschichte
der fran­zö­si­schen Banken. Eine Tragikomödie“
ange­se­hen hat, ist erschüttert
über die Rigo­ro­si­tät der Bankgründer
und dem Ziel, Profit­ma­xi­mie­rung des
ange­leg­ten Kapi­tals nahezu risikolos
zu errei­chen. Die Kapitalkonzentration
bei den Banken ermög­lich­te eine Reichtumssteigerung
neben dem Großgrundbesitz
nun beim Geld­adel. Es war die
Grün­dung des moder­nen Kapitalismus
bis hin zum Raub­tier­ka­pi­ta­lis­mus. Alles
bei ARTE gut recher­chiert. Wer sucht,
der findet. Aller­dings zu nachtschlafender
Zeit. Wer Print­me­di­en bevorzugt,
findet umfang­rei­che Berich­te in alternativen
Zeit­schrif­ten, wie der HUMANEN
WIRTSCHAFT. Auch die hier vorliegende
Ausga­be ist dafür ein Beleg.
Jeder Beitrag wäre eines umfangreichen
Kommen­tars würdig. Wenn ich nun das
„Neue Geschäfts­mo­dell mit US-Immobilien“
von Laura Gottes­die­ner herausgreife,
dann deshalb, weil darin exemplarisch
„schon wieder“ das kaltblütige
Geschäfts­ge­ba­ren – dies­mal mit Mietern
– beschrie­ben wird. Aus den Desastern
des Banken-Crash von 2008
haben jeden­falls die Hedge­fonds nichts
gelernt. Schon 2009 titel­te SPIEGEL
ONLINE „Hedge­fonds star­ten wieder
durch“.
Was aber Laura Gottes­die­ner auf Seite
18 dieser Ausga­be enthüllt, ist die Spitze
der Teufe­lei, nämlich die Abzo­cke der
„Under­class“, vornehm­lich der schwarzen
Bevöl­ke­rung. Sie wähnte sich am
Ziel Ihrer Träume, eine dauer­haf­te Bleibe
in einer Miet­woh­nung zu finden. Stattdessen
zerran­nen viele Träume. Ohne
die Stra­te­gie der Reichtumsvermehrung
der Banken zu kennen, glaub­ten sie sich
dank der vorge­leg­ten Verträ­ge in Sicherheit.
Bis sie die Tricks der Banken und
ihrer Haus­ver­wal­tun­gen zu spüren bekamen.
Ergo: Statt Haus­be­sit­zer sind
nun Mieter das Ziel der Abzocker.
Die Teufe­lei­en gehen aber nicht nur mit
Häusern und Wohnun­gen weiter. Sie
erfas­sen auch die Welt-Handelsbeziehungen.
Nur Wenige wissen um das geplante
Frei­han­dels- und Investitionsabkommen
(TTIP) zwischen der EU und den
Verei­nig­ten Staa­ten von Nordamerika.
Kein Wunder. Denn die Verhandlungen
wurden geheim geführt. Wohlgemerkt
sind die Vertrags­part­ner insgesamt
Demo­kra­tien. Wenn­gleich nach dem
öffent­li­chen Druck die Intransparenz
gelo­ckert wurde, so blei­ben konkrete
Verhand­lungs­tex­te unveröffentlicht.
Was so begrü­ßens­wert als Freihandelszone
geplant wurde, entpuppt sich als
ein Versuch, eine Schutz­zo­ne vornehmlich
für Kapi­tal­in­ves­to­ren und Konzerne
einzu­rich­ten. In diesem Heft und schon
in Heft 01/2014 haben unsere Autoren
die infa­men Machen­schaf­ten erläutert.
Was schlie­ßen wir daraus? Nur in einer
frei­heit­li­chen Ordnung, nicht aber in einer
ausschließ­lich auf Kapi­tal­ertrag fixierten
Wirt­schafts­ord­nung sind grundlegende
Refor­men möglich.

Die größere humanitäre Geste – Johannes Korten, Interview mit Ilija Trojanow 0

Die größere humanitäre Geste – Johannes Korten, Interview mit Ilija Trojanow

Johan­nes Korten führte das Inter­view mit Ilija Trojanow -
Ende Dezem­ber 2013 hat GLS Online-Redak­teur Johannes
Korten in Stutt­gart den Schrift­stel­ler und Autor Ilija Trojanow
getrof­fen. Im Gespräch ging es um die Daten­sam­mel­wut von
Staa­ten und Unter­neh­men, fehlen­des Bürgerengagement,
innere Wider­sprü­che und die Arbeit als Schrift­stel­ler. Ilija
Troja­now ist Kunde und Mitglied der GLS Bank.
»Mit Gewalt kann der Mensch nehmen,
aber nicht geben.« (Ilija Trojanow)
„Das Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbstbestimmung
und die Verhin­de­rung anlass­lo­ser Generalüberwachung
sind zentra­le Themen, für die Sie sich immer
wieder und mit großem Enga­ge­ment einsetzen.
Was treibt Sie dabei ganz persön­lich an?“
„Die Frage ist eher, wieso spüre ich diesen Zugriff
und andere nicht? Die Moti­va­ti­on ist ja meistens
wirk­lich so ein Bauch­ge­fühl, so eine Unerträglichkeit.
Stel­len Sie sich vor, jemand guckt Ihnen über
die Schul­ter und schaut, was Sie gerade in Ihr Handy oder in
Ihren Compu­ter tippen. Da kann und wird wahr­schein­lich jeder
von uns mit Ableh­nung reagie­ren oder mit Abwehr. Wie
kann es aber sein, dass Menschen es nicht als Über­griff, als
Repres­si­on, als Verach­tung ihrer Würde empfin­den, dass
Staa­ten und Groß­kon­zer­ne sie in dieser Art über­wa­chen, kontrollieren
und ihre Daten nach Belie­ben verwen­den. Ich persönlich
empfin­de das als nicht erträg­lich und kann mir auch
eine Gesell­schaft, die halb­wegs human ist und so etwas akzeptiert,
nicht vorstellen.“
„Was glau­ben Sie, worin diese Lethar­gie, diese
Gleich­gül­tig­keit begrün­det ist? Warum bleibt dieser
Aufschrei, warum bleibt diese Wehr­haf­tig­keit in
weiten Teilen der Gesell­schaft aus?“
„Ich glaube, es gibt ein grund­le­gen­des Problem.
Wir bilden uns ein, wir seien demo­kra­tisch verfasst.
Dabei unter­liegt – so glaube ich – unsere Ausbildung
und unsere Kondi­tio­nie­rung weiter­hin einer
uralten Logik, die alles andere als demo­kra­tisch ist, sondern
hier­ar­chisch, eher gehor­sam folgend als selbst­be­stimmt denkend
und agie­rend. Von den Menschen wird eher ein Mitschwimmen,
ein Mitlau­fen, ein Kuschen verlangt, als dass
das demo­kra­ti­sche Ideal eines selbst­be­stimm­ten Individuums
verwirk­licht wäre, das sich Gedan­ken macht, hinterfragt,
kritisch agiert, sich enga­giert und immer wieder diese Freiheit
für sich selber und seine Zeit erkämpft, vertei­digt und erweitert.
Zumal Wider­stand ja auch anstren­gend ist und von
einem selbst ausge­hen muss. In unse­rer Gesell­schaft herrscht
ja das Prin­zip der Fremd­ver­sor­gung. Dissens wird aber nicht
bereit­ge­stellt. Das muss man sich selbst erarbeiten.
Die meis­ten Leute haben das Gefühl, irgend­wie wäre
ihnen eine vage formu­lier­te Frei­heit gewähr­leis­tet. Manche
setzen diese Zuver­sicht mit unse­rem Grund­ge­setz und den
darin verbrief­ten Bürger­rech­ten in Bezie­hung. Aber viele erliegen
dem Irrtum, diese Frei­heit sei so stabil wie die Mauern
ihres Hauses. Das ist ein großes Miss­ver­ständ­nis. Ich
glaube nicht, dass dieses System tatsäch­lich ein Interesse
daran hat, den von mir erwünsch­ten freien und freiheitlich
denken­den kriti­schen Menschen zu erzeu­gen. Im Gegenteil,
wenn man sich anschaut, was in den letz­ten zehn Jahren
passiert ist, Stich­wort Bildungs­re­form, geht es ja genau
in die entge­gen­ge­setz­te Rich­tung: Frei­räu­me veren­gen und
noch mehr zuspit­zen auf ganz bestimm­te, meist wirtschaftlich
rele­van­te Tätigkeiten.“
„Das klingt ja wenig opti­mis­tisch. Wo sehen Sie
denn Chan­cen, dieses Verhal­ten aufzu­bre­chen, die
Menschen dahin zu bewe­gen, die rich­ti­gen Fragen
zu stel­len und quasi eine System­ver­än­de­rung in Ihrem
Sinne herbeizuführen?“
„Es ist ein Miss­ver­ständ­nis zu glau­ben, dass die genaue
Analy­se der herr­schen­den Verhält­nis­se eine
pessi­mis­ti­sche Haltung zum Ausdruck bringt. Im
Gegen­teil, genau das gibt uns Ermu­ti­gung. Wir können
keinen Mut fassen und wir können eine andere, bessere
Welt über­haupt nicht imagi­nie­ren, geschwei­ge denn ihr entgegengehen,
wenn wir nicht ein klares Verständ­nis davon haben,
was uns im Moment einengt, was uns bindet, uns in unseren
Möglich­kei­ten begrenzt, genau­so wie ein Verständnis
der Fehler­haf­tig­kei­ten, der inne­ren Wider­sprü­che, der Risse
dieses Systems abso­lut uner­läss­lich ist, um eine sinn­vol­le alternative
Arbeit zu machen. Das Alter­na­ti­ve beinhal­tet ja semantisch,
dass man sich abgrenzt vom Exis­tie­ren­den, und
um das sinn­voll zu tun, muss man ja die Fehler des Existierenden
erst mal begrei­fen, um dann einen besse­ren Weg einzugehen.
Meine Hoff­nung grün­det auf zwei Sach­ver­hal­te: Zum einen die
Geschich­te der Frei­heit. Es ist faszi­nie­rend zu sehen, dass Menschen
immer wieder gegen alle mögli­chen Wider­stän­de in verschiedener
Weise aufbe­geh­ren. Wir haben das in den letzten
Jahren inter­na­tio­nal erlebt, Stich­wort Brasi­li­en, arabi­sche Welt,
Länder, in denen niemand, selbst die Spezia­lis­ten, das erwartet
hatten; Zum ande­ren mein Zweck­op­ti­mis­mus. Mit dem
enor­men Privi­leg eines Schrift­stel­lers, sehr viel Zeit zu haben,
beschäf­ti­ge ich mich seit 20 Jahren mit dieser Entwick­lung. Die
kata­stro­pha­len Folgen des globa­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus sind
nicht Entwick­lun­gen, die man achsel­zu­ckend wie medikamentöse
Neben­wir­kun­gen hinneh­men kann. Die gegen­wär­ti­ge Entwicklung
stellt das Wesen von Huma­ni­tät an sich in Frage.“

Ausgebrannt – Ralf Oettmeier 0

Ausgebrannt – Ralf Oettmeier

Fakten, tatsäch­li­che Hinter­grün­de, Bewäl­ti­gungs- und Vermei­dungs­stra­te­gien zum Burnoutproblem.
BURNOUT ist in aller Munde. Kaum ein
Tag vergeht, an dem nicht neue Nachrichten
über den Ausstieg von prominenten
Sport­lern, Trai­nern, Poli­ti­kern, Managern
aus der Leistungsgesellschaft
erschei­nen. Der Zustand tota­ler Überforderung
und Erschöp­fung ist dabei nach
Krite­ri­en der Univer­si­täts­me­di­zin noch
nicht einmal eine Diagno­se, sondern nur
eine Störung. Diese zerstört aber viele
Exis­ten­zen, stürzt Fami­li­en ins Unglück,
fördert Firmen­plei­ten und ist schließlich
einer der Haupt­ur­sa­chen für Selbstmord.
Kaum einer der Leser wird nicht in seinem
Umfeld jeman­den kennen, welcher
von der offen­bar moder­nen Volksseuche
betrof­fen ist. Und betrach­tet man unsere
finanz­po­li­ti­sche Situa­ti­on national,
euro­pä­isch wie global, so lassen sich
hier erstaun­li­che Paral­le­len zum Burnoutproblem
der Menschen aufzeigen,
welche durch Aufstau von Problemen
und einem Unver­mö­gen von dessen Lösung
gekenn­zeich­net sind. Als Arzt habe
ich mich zunächst den menschlich-medizinischen
Hinter­grün­den gestellt. Bei
der tief­grün­di­gen Ursachenforschung
kommt man jedoch nicht an finanzökonomischen
Zusam­men­hän­gen vorbei.
Vorbe­mer­kun­gen und Definition
Defi­ni­ti­ons­ge­mäß beschreibt Burnout
einen Zustand anhal­ten­der Überforderung
(Stress) mit Erschöp­fung, Leistungsabfall,
inne­rer Distan­zie­rung und
psycho­so­ma­ti­schen Beschwer­den. Es
handelt sich dabei im eigent­li­chen Sinne
nicht um eine aner­kann­te Krankheit,
sondern eine Lebens­si­tua­ti­on ganz persönlicher
Art. In den Industriestaaten
nimmt diese Proble­ma­tik stetig zu. Insbesondere
in Leistungsberufen
mit
einem Höchstmaß
an Verantwortung,
wie bei Ärzten, Führungskräften,
Verkaufsmanagement
und Poli­ti­kern geht
man von einer Quote
von 30–40 % der
über 40-jährigen
aus. Auch bei Lehrern,
Anwäl­ten und
in Pflegeberufen
wird eine hohe Rate
beob­ach­tet. Nach
aktu­el­len Schät­zun­gen sollen gegenwärtig
etwa 4 Millio­nen Deut­sche Zeichen
dieses Über­las­tungs- und Schwächezustandes
haben. Nach Angaben
der Kran­ken­kas­sen stel­len die Burnouttypischen
Sympto­me, wie Depression,
psychi­sche Störun­gen, psychosomatische
Erkran­kungs­zei­chen und Anpassungsstörungen
inzwi­schen die häufigste
Krank­schrei­bungs­ur­sa­che (AOK:
22,5 Tage/Jahr) dar. Der entstehende
volks­wirt­schaft­li­che Scha­den durch
Arbeits­aus­fall, vermin­der­te Leistungsfähigkeit
und Total­aus­fall geht jährlich
in die Milliarden.

Zeit für etwas Neues – Pat Christ 0

Zeit für etwas Neues – Pat Christ

Zum Jahres­en­de verlässt Vorstands­frau Sylke Schrö­der die EthikBank -
Vergli­chen mit der Deut­schen Bank,
die eine Bilanz­sum­me von 2,2 Billionen
Euro auswei­sen kann, ist die
Ethik­Bank klein: Hier liegt die Bilanzsumme
bei unter 300 Millio­nen Euro.
Doch inner­halb des alter­na­ti­ven Bankensektors
hat sich die Ethik­Bank einen
Namen gemacht. „Wir kommen in
der Wahr­neh­mung der Menschen heute
direkt hinter der GLS-Bank“, sagt
Sylke Schrö­der. Die Mitbegründerin
der Ethik­Bank gehör­te bisher dem
Vorstand an. Zum Jahres­en­de will sie
die Bank verlassen.
Was nicht an einer sich womöglich
geän­der­ten Unternehmensphilosophie
und auch
nicht an Clinch mit Kolle­gen liegt. Sylke
Schrö­der steht heute noch genauso
wie bei der Grün­dung vor zwölf Jahren
zu „ihrer“ Bank. 2002 wurde sie von
ihr und Klaus Euler als Zweigniederlassung
der Volks­bank Eisen­berg eG
gegründet.
Die Konstruk­ti­on bietet bis heute eine
beson­de­re Siche­rung der Kundengelder:
Zum gesetz­li­chen Einlagenschutz
kommt der Schutz durch die Sicherungseinrichtung
des Bundesverbandes
der Volks­ban­ken und Raiffeisenbanken.
Beson­ders bei der EthikBank
ist aber auch, dass es seit 2005 eigene
Mikro­Kon­ten für Insolvenzschuldner
gibt. Seit 2009 vergibt die EthikBank
eigene ÖkoBaukredite.
Banken haben einen schlech­ten Ruf,
weil immer wieder aufkommt, wie sie
trick­sen. Sie nutzen jedes Schlupfloch
im Steu­er­sys­tem aus, locken Anleger
in hoch­ris­kan­te Unternehmensbeteiligungen
und verschwei­gen versteckte
Kosten. Sich in diesem Haifischbecken
zu behaup­ten, ist eine gewal­ti­ge Herausforderung.
Sylke Schrö­der hat diese
Heraus­for­de­rung mit ihren Kollegen
gemeis­tert. Darum hängt sie an „ihrer“
Bank. „Doch ich bin auch noch jung
genug, um etwas Neues anzufangen“,
meint die 48-Jähri­ge. Erleich­tert wurde
ihre Entschei­dung, zu gehen, dadurch,
dass sie die Bank bei Klaus Euler und
Thomas Zahn in guten Händen weiß.
Auszeit auf dem Jakobsweg
Außer­dem verlässt sie die EthikBank
in einer prospe­rie­ren­den Phase. Auch
das macht den Ausstieg einfa­cher. Wie
es nach ihrem Abschied weitergehen
wird, steht noch nicht fest: „Ich werde
mir erst einmal für drei Monate eine Auszeit
nehmen.“ In dieser Zeit möchte Sylke
Schrö­der den Jakobs­weg entlang von
Frank­reich bis Sant­ia­go de Compostela
wandern. Und sich dabei überlegen,
was sie in Zukunft tun möchte. „Es gibt
unter­schied­li­che Optio­nen, die ich derzeit
sondie­re“, sagt sie. Gern würde sie
etwas Krea­ti­ves machen: „Ich habe da
schon lange eine Geschäfts­idee, die es
so noch nicht gibt. Die würde ich gerne
ausprobieren.“

Ei Wei 0

Die Oligarchen kommen – Günther Moewes

2004 habe ich in meinem Buch „Geld oder Leben“ zwei­er­lei darzu­stel­len versucht: Wie und warum ein Finanz­crash unaus­weich­lich war und weiter ist. Und warum der Spät­ka­pi­ta­lis­mus ebenso
unaus­weich­lich in eine Pluto­kra­tie, eine Olig­ar­chen­herr­schaft münden muss, und diese wieder­um in die Mafia. Damals wurde das als Schwarz­ma­le­rei und „Kultur­pes­si­mis­mus“ belächelt
oder igno­riert. Inzwi­schen hat die Reali­tät meine Voraus­sa­gen weit über­holt. Inzwi­schen besit­zen die welt­weit 85 reichs­ten Olig­ar­chen so viel wie die halbe Mensch­heit und 1 % der Menschheit
(70 Mio.) besitzt die Hälfte des Welt­ver­mö­gens. Soge­nann­te „OECD-Exper­ten“ glau­ben zwar, in Deutsch­land seien die Verhält­nis­se güns­ti­ger, weil die einkom­mens­stärks­ten 10 % der Bevölkerung
nur 6,7 mal so viel verdie­nen wie die einkom­mens­schwächs­ten 10 % (OECD-Durch­schnitt 9,5 mal so viel).

Aber das ist aus zwei Grün­den falsch: Erstens wird die Ungleich­ver­tei­lung nicht von den Einkom­men bestimmt, sondern von den Vermö­gen. Und zwei­tens spielt sich die Ungleichverteilung
nicht zwischen den oberen und unte­ren 10 Prozent ab, sondern zwischen den obers­ten 1 Promil­le der Olig­ar­chen und den übri­gen 99,9 % der Bevöl­ke­rung. Die Vermö­gen dieser 1 Promille
haben sich seit etwa 1980 real verdop­pelt. Und der US-Vertei­lungs­for­scher Paul Krug­man schätzt, dass in den USA bereits ein Drit­tel der 50 größ­ten Vermö­gen nicht erar­bei­tet, sondern
ererbt wurde und das zweite Drit­tel in den nächs­ten 20 Jahren vererbt werden wird.[New York Times, 4. 4. 2014] Ausführ­lich wurde die welt­wei­te Ungleich­ver­tei­lung von mir in der Ausga­be 2–2014 der „Huma­nen Wirtschaft“
darge­stellt. Am glei­chen Tag, als diese Ausga­be erschien, wurde auch die neues­te Vermö­gens­un­ter­su­chung des DIW veröf­fent­licht. Sie zeigt, dass meine Zahlen über Armut und Reich­tum noch
zu nied­rig gegrif­fen waren. Inzwi­schen beschrän­ken sich die Olig­ar­chen nicht mehr darauf, im Gehei­men auf den Finanz­märk­ten zu operie­ren und ihre meist leis­tungs­los erwirtschafteten
priva­ten Milli­ar­den diskret zu genie­ßen. Sie beschrän­ken sich auch nicht mehr darauf, ihre Direk­ti­ven in Davos, auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz, über Troi­kas, Stif­tun­gen und Thinktanks unmissverständlich
an die Poli­tik weiter­zu­ge­ben. Oder in Cara­cas, Bang­kok Kairo, Tunis oder Kiew die angeb­li­chen Mittel­schicht­re­vol­ten gegen gewähl­te Regie­run­gen anzu­zet­teln. Mehr und
mehr stei­gen die Olig­ar­chen, wie in den USA, Itali­en, Öster­reich oder jetzt in der Ukrai­ne und der Slowa­kei ganz persön­lich in die Poli­tik ein. In Saudi-Arabi­en, den Emira­ten und Brunei war
das ja schon immer so. Die West-Olig­ar­chen und ihre Haus­me­di­en versu­chen auch, die Ost-Olig­ar­chen (oder, wie DER SPIEGEL schrieb: „die russi­sche Finanz­eli­te“) gegen den „unbe­que­men Putin“
aufzu­wie­geln, offen­sicht­lich koor­di­niert, wie das plötz­li­che, zeit­glei­che Auftau­chen neuer Begriffs­bil­dun­gen zeigt („Russ­land­ver­ste­her“, „Putin­ver­ste­her“). West­li­che Medien beschränken
den Begriff „Olig­ar­chen“ auch gern auf Ostmil­li­ar­dä­re. Nach­dem diese in der Ukrai­ne unge­wählt als „kommis­sa­ri­sche“ Provinz­fürs­ten einge­setzt wurden, machte ihnen der deut­sche Außen­mi­nis­ter flugs seine Aufwartung.

Andreas Bangemann 0

Wären Sie gerne reich, wenn Sie tot sind? – Editorial

Der welt­wei­te Wirt­schafts­leis­tungs­mo­tor läuft heiß und heißer. Das Ziel lautet Wohl­stand. Dafür scheint „Reich­tum“ unent­behr­lich zu sein. Diesem Ziel brin­gen wir Opfer.
Die Umwelt zum Beispiel. Oder die persön­li­che Gesund­heit. Wir bren­nen uns aus, denn das Bestre­ben steht über allem: Wohl­stand. Reich­sein. Dabei sind wir längst so reich wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Gleich­zei­tig müssen wir uns aber mit zuneh­men­den Armuts­pro­ble­men befas­sen. Mauern mit Stachel­draht umge­ben die Paläs­te der Milli­ar­dä­re. In gepan­zer­ten Fahr­zeu­gen werden ihre Kinder, in Städ­ten wie São
Paulo, vorbei an den Blech­hüt­ten der Slums zur Schule gefah­ren. Auch in den wirt­schaft­lich leis­tungs­fä­higs­ten Ländern der Erde pral­len unbe­greif­li­che Gegen­sät­ze aufeinander.
Dabei erkennt man immer das iden­ti­sche Muster: prot­zi­ger Luxus und bekla­gens­wer­te Bedürf­tig­keit zur selben Zeit am glei­chen Ort. Reich­tum ist auf tragi­sche Weise ungleich verteilt. Warum ist das so?
Raymond Firth schrieb 1959 in seinen Studi­en zur Ökono­mie der neusee­län­di­schen Maori: „In den Wäldern von Neusee­land wie in den Savan­nen im Sudan, über­all ist eines Reali­tät: Fami­li­en, die Hunger erlei­den müssen
oder denen es an Lebens­not­wen­di­gem fehlt, sind in einem Dorf unmög­lich, in dem es Fami­li­en gibt, die üppig versorgt sind.“ Da drängt sich die Frage auf: Mit welchem Recht bezeich­nen wir Natur­völ­ker als „primi­tiv“?
„Reich­tum und Armut gehö­ren nicht in einen geord­ne­ten Staat“ erkann­te der 1930 verstor­be­ne Refor­mer Silvio Gesell im Laufe von Studi­en, die in sein Haupt­werk „Die Natür­li­che Wirt­schafts­ord­nung“ mündeten.
Der Fran­zo­se Thomas Piket­ty ist 42 Jahre alt und gegen­wär­tig Wirt­schafts­pro­fes­sor an der „Paris School of Econo­mics“. Dieser Tage ist die engli­sche Über­set­zung seines Buches „Capi­tal in the 21st centu­ry“ (Kapi­tal im 21.
Jahr­hun­dert) erschie­nen. Der Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­ger Paul Krug­man aus den USA bezeich­net das Werk als eines, das die Art wie wir über Gesell­schaft und Wirt­schaft denken, grund­le­gend verän­dern werde.
Piket­ty unter­such­te die Wirt­schafts­wachs­tums­pro­zes­se über einen langen Zeit­raum und glich die Ergeb­nis­se mit der Entwick­lung der Vertei­lung der Geld­ver­mö­gen ab. Dabei stell­te er fest, dass die Geld­ver­mö­gen stets schneller
wuch­sen, als die Wirt­schafts­leis­tung. Bis zum Vorabend des 1. Welt­kriegs war demnach das Kapi­tal in Europa auf das 6- bis 7‑fache der gesam­ten Wirt­schafts­leis­tung eines Jahres ange­wach­sen. Eine Situa­ti­on, die mit der heutigen
vergleich­bar ist. Die wissen­schaft­li­che Erkennt­nis, die sich daraus ablei­tet, lautet: Wach­sen­de Geld­ver­mö­gen gehen grund­sätz­lich einher mit zuneh­men­der Ungleich­ver­tei­lung. Die Autoren der HUMANEN WIRTSCHAFT, allen voran Helmut
Creutz und der in der vorlie­gen­den Ausga­be schrei­ben­de Günther Moewes, bestä­ti­gen in mitt­ler­wei­le Jahr­zehn­te anhal­ten­der Arbeit Piket­tys jetzi­ge Forschungs­er­geb­nis­se. Der zu erwar­ten­de Erfolg des Wirtschaftswissenschaftlers
aus Paris wäre auch einer der akri­bisch im Hinter­grund forschen­den „freien Geis­ter“, die sich – teil­wei­se ein Leben lang – für die grund­le­gen­de Erneue­rung des Geld­sys­tems und des Boden­rechts einset­zen. Schließ­lich kamen
sie zu glei­chen Ergeb­nis­sen, nur ohne die Unter­stüt­zung eines Wissen­schafts­be­triebs. Thomas Piket­ty scheint der rich­ti­ge Mann zum passen­den Zeit­punkt zu sein. Das „Handels­blatt“ traut ihm
zu, er werde „Epoche machen“ und der engli­sche „Guar­di­an“ meint, er versen­ke „rigo­ros alles, was Kapi­ta­lis­ten über die Ethik des Geld­ma­chens denken“. Er kann es demnach schaf­fen, auf höchs­ter Ebene Bewe­gung in die
vermut­lich zentrals­te Aufga­be der Neuzeit zu brin­gen: die Erfor­schung des Geld­sys­tems und dessen Folgen. Können wir eine Kata­stro­phe, wie sie sich vor 100 Jahren schon einmal anbahn­te noch abwenden?
Wenn die Raten des Geld­ver­mö­gens­wachs­tums dauer­haft über jenen des Wirt­schafts­wachs­tums liegen „neigt die Vergan­gen­heit dazu, die Zukunft zu verschlin­gen“, konsta­tiert Piket­ty. Das Schick­sal unse­rer Gesellschaft
ist geprägt von der Domi­nanz ererb­ten Geld­ver­mö­gens. Wer tot ist, den hat die Vergäng­lich­keit des Lebens einge­holt. Die Ansprü­che der Geld­ver­mö­gen von Toten wach­sen gene­ra­tio­nen­über­grei­fend weiter. Thomas Piketty
empfiehlt eine welt­weit orga­ni­sier­te Vermö­gens­steu­er gegen die Reich­tums­kon­zen­tra­ti­on. Das dürfte ein hinrei­chen­des Instru­ment für den erfor­der­li­chen schnel­len Eingriff darstel­len. Löst man damit das ursäch­li­che Problem
auf Dauer? Wenn Geld­ver­mö­gen (Kapi­tal) sich infol­ge Zins und Zinses­zins von selbst vermeh­ren und wach­sen­de Ansprü­che an zukünf­ti­ge Leis­tun­gen von Menschen stel­len, dann kann das Abschöp­fen infol­ge leis­tungs­lo­ser Einkommen
entstan­de­nen Kapi­tals nur der erste Schritt sein. Warum soll­ten wir dabei stehen blei­ben und nur versu­chen, die Ergeb­nis­se eines unge­rech­ten und fehler­haf­ten Systems wieder zu vertei­len, anstatt nicht direkt derlei Erträge
durch System­än­de­run­gen zu verhin­dern? Viele freie Geis­ter und Verfech­ter einer huma­nen Wirt­schaft befas­sen sich mit den Ursa­chen der Ungleich­ver­tei­lung. Sie erar­bei­ten dabei auch Lösungsvorschläge.
Alles deutet darauf hin, dass die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten nach­zie­hen können.

Herz­lich grüßt Ihr Andre­as Bangemann

Leserbriefe 02/2014 0

Leserbriefe 02/2014

Ihre Meinung ist uns wich­tig! Senden Sie uns Ihre Fragen, Anre­gun­gen oder persön­li­chen Meinun­gen. Wir bemü­hen uns, so viele Leser­brie­fe unter­zu­brin­gen, wie möglich. Wenn wir Leser­brie­fe kürzen, dann so, dass das Anlie­gen der Schrei­ben­den gewahrt bleibt. Leser­brie­fe geben nicht die Meinung der Redak­ti­on wieder.

Zum Arti­kel „Geht es auch ohne Geld?“ – Da wird meiner Meinung nach kräf­tig übers Ziel hinausgeschossen.
Ich sehe das prag­ma­ti­scher. Sicher ist der Mensch Teil der Natur,
was bedeu­tet, dass er morgens wenn er aufge­stan­den ist, Hunger
hat und sich aufma­chen muss (etwa arbei­ten gehen?) um was
Essba­res zu finden. In der heuti­gen Zeit der arbeits­tei­li­gen Gesellschaft
(finde ich gar nicht so schlecht) gehe ich um die Ecke zu meinem
Bäcker. Was aber wenn der Bäcker keine Lust hat und heute
lieber faul sein möchte? Und die Kassie­re­rin bei ALDI auch, dann
habe ich ein Problem. Geld an sich ist eine gute Erfin­dung, es darf
sich nur nicht von allei­ne vermeh­ren, es soll nur Tausch­mit­tel sein…

Papst Franziskus – Wegbereiter für die Überwindung der Dominanz des Ökonomischen? – Christoph Rinneberg 0

Papst Franziskus – Wegbereiter für die Überwindung der Dominanz des Ökonomischen? – Christoph Rinneberg

Seit dem 24. Novem­ber 2013 geht ein
Text um die Welt, den wohl kirchennahe
und erst recht kirchen­fer­ne Menschen
der katho­li­schen Kirche kaum zugetraut
haben. Es ist das erste „Apos­to­li­sche
Schrei­ben“ des neuen Paps­tes in Rom,
der als erster sich durch seine Namensgebung
mit Fran­zis­kus von Assisi verbindet.
Vor rund 800 Jahren hat dieser
Fran­ces­co („klei­ner Fran­zo­se“), wie ihn
seine Eltern liebe­voll nann­ten, durch
sein radi­ka­les „Verlas­sen der Welt“
sein neues Verständ­nis von „Gott und
Mensch“ wieder in diese Welt gebracht
und durch sein Leben beglau­bigt. Wegen
seiner Glaub­wür­dig­keit hatten
manche seiner Zeit­ge­nos­sen in ihm gar
einen zwei­ten Chris­tus gesehen.
Mit den Worten „Die Freude des
Evan­ge­li­ums sei immer in euren
Herzen“ lädt Papst Franziskus
alle „christ­gläu­bi­gen“ Menschen
ein, sich auf „Evan­ge­lii Gaudi­um“, die
Freude des Evan­ge­li­ums einzulassen
– und könnte damit kaum protestantischer
sein. Evan­ge­li­um – übersetzt:
frohe Botschaft – ist zum Begriff für
eine Über­win­dung der Existenzängste,
für eine Befrei­ung von TINA-diktierten
– „There Is No Alter­na­ti­ve“ – sog. Sachzwängen
gewor­den. Der neue Papst
hat im Grunde von den ersten Minuten
an in seinem Amt durch ebenso überraschende
wie glaub­wür­di­ge Gesten
dafür gesorgt, dass seine Worte kaum
Barrie­ren zu über­win­den haben, um
auch bei Menschen anzu­kom­men, die
sich nicht als „christ­gläu­big“ verstehen.
Damit hat der Papst kein Wunder
voll­bracht, er hat sich „nur“ voll und
ganz – in Diet­rich Bonhoef­fers Sinne –
der Dies­sei­tig­keit dieser Welt und der
Aufga­be der christ­li­chen Kirchen in dieser
Welt gestellt: Leben geht vor Lehre,
könnte man seine so überraschend
neu klin­gen­de Botschaft auf den Punkt
bringen.
In dieser Betrach­tung der umfangreichen
– in 288 Absät­ze gegliederten
und mit 217 Lite­ra­tur­ver­wei­sen versehenen
– päpst­li­chen Botschaft soll es
in erster Linie um die Abschnit­te 52 bis
60 gehen, in denen „Einige Herausforderungen
der Welt von heute“ thematisiert
werden. Diesen rund 3 Seiten Text
kann man unschwer eine der ärztlichen
Profes­sio­na­li­tät entlie­he­ne Gliederung
nach Symptom, Anamne­se, Diagnose
und Thera­pie unterlegen:
Zu den Sympto­men erfah­ren wir:
„Die Mensch­heit erlebt im Moment eine
histo­ri­sche Wende, die wir an den Fortschritten
able­sen können, die auf verschiedenen
Gebie­ten gemacht werden.
Lobens­wert sind die Erfol­ge, die zum
Wohl der Menschen beitra­gen, zum Beispiel
im Bereich der Gesund­heit, der Erziehung
und der Kommu­ni­ka­ti­on. Wir
dürfen jedoch nicht verges­sen, dass der
größte Teil der Männer und Frauen unserer
Zeit in tägli­cher Unsi­cher­heit lebt,
mit unheil­vol­len Konse­quen­zen. Einige
Patho­lo­gien nehmen zu. Angst und Verzweiflung
ergrei­fen das Herz vieler Menschen,
sogar in den soge­nann­ten reichen
Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude,
nehmen Respekt­lo­sig­keit und Gewalt
zu, die sozia­le Ungleich­heit tritt immer
klarer zutage. Man muss kämp­fen, um
zu leben – und oft wenig würde­voll zu leben….“
(52)
Ergän­zend hierzu wird in den folgenden
Absät­zen u. a. der Hunger in der Welt,
das Wegwer­fen von Lebens­mit­teln, die
Speku­la­ti­on mit Nahrungs­mit­teln, die
Zunah­me des Reich­tums Weni­ger und
der Verar­mung Vieler, die ökonomische
Ausbeu­tung und die sozia­le Unterdrückung
angeführt.
Die Anamne­se ist nicht weni­ger deutlich:
„Dieser epocha­le Wandel ist verursacht
worden durch die enor­men Sprün­ge, die
in Bezug auf Quali­tät, Quan­ti­tät, Schnelligkeit
und Häufung im wissenschaftlichen
Fort­schritt sowie in den technologischen
Neue­run­gen und ihren prompten
Anwen­dun­gen in verschie­de­nen Bereichen
der Natur und des Lebens zu verzeichnen
sind. Wir befin­den uns im Zeitalter
des Wissens und der Information,
einer Quelle neuer Formen einer sehr oft
anony­men Macht.“ (52)
Weiter lesen wir:
Das herr­schen­de „Ungleich­ge­wicht geht
auf Ideo­lo­gien zurück, die die absolute
Auto­no­mie der Märkte und die Finanzspekulation
vertei­di­gen. Darum bestreiten
sie das Kontroll­recht der Staa­ten, die
beauf­tragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls
zu wachen. …“(56)
Die Diagno­se bietet für jeder­mann nachvollziehbare
Erklärungen:
Die unüber­seh­ba­re, zuneh­men­de soziale
Ungleich­heit hat sich nicht einfach so
ergeben:
„… Heute spielt sich alles nach den Kriterien
der Konkur­renz­fä­hig­keit und nach
dem Gesetz des Stär­ke­ren ab, wo der
Mäch­ti­ge­re den Schwä­che­ren zunichte
macht. Als Folge dieser Situa­ti­on sehen
sich große Massen der Bevöl­ke­rung ausgeschlossen
und an den Rand gedrängt:
Ohne Arbeit, ohne Aussich­ten, ohne Ausweg.
Der Mensch an sich wird wie ein
Konsum­gut betrach­tet, das man gebrauchen
und dann wegwer­fen kann. Wir haben
die ‚Wegwerf­kul­tur‘ einge­führt, die
sogar geför­dert wird. Es geht nicht mehr
einfach um das Phäno­men der Ausbeutung
und der Unter­drü­ckung, sondern
um etwas Neues: Mit der Ausschließung
ist die Zuge­hö­rig­keit zu der Gesellschaft,
in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen,
denn durch sie befin­det man sich nicht in
der Unter­schicht, am Rande oder gehört
zu den Macht­lo­sen, sondern man steht
drau­ßen. Die Ausge­schlos­se­nen sind
nicht ‚Ausge­beu­te­te‘, sondern Müll, ‚Abfall‘.“
(53)
Die „Trick­le-Down-Theo­rie“ geht davon
aus, „dass jedes vom freien Markt begünstigte
Wirt­schafts­wachs­tum von sich
aus eine größe­re Gleich­heit und soziale
Einbin­dung in der Welt hervor­zu­ru­fen vermag.
Diese Ansicht, die nie von den Fakten
bestä­tigt wurde, drückt ein undifferenziertes,
naives Vertrau­en auf die Güte
derer aus, die die wirt­schaft­li­che Macht in
Händen halten, wie auch auf die vergötterten
Mecha­nis­men des herrschenden
Wirt­schafts­sys­tems. … Um einen Lebensstil
vertre­ten zu können, der die anderen
ausschließt, … hat sich eine Globalisierung
der Gleich­gül­tig­keit entwi­ckelt. Fast
ohne es zu merken, werden wir unfähig,
Mitleid zu empfin­den gegen­über dem
schmerz­vol­len Aufschrei der ande­ren, wir weinen nicht mehr ange­sichts des Dramas
der ande­ren, noch sind wir daran
inter­es­siert, uns um sie zu kümmern, als
sei all das eine uns fern liegen­de Verantwortung,
die uns nichts angeht. Die Kultur
des Wohl­stands betäubt uns….“ (54)
Ein Grund für die in (54) geschil­der­te Situation
„… liegt in der Bezie­hung, die wir
zum Geld herge­stellt haben, denn friedlich
akzep­tie­ren wir seine Vorherrschaft
über uns und über unsere Gesellschaften.
Die Finanz­kri­se, die wir durchmachen,
lässt uns verges­sen, dass an ihrem
Ursprung eine tiefe anthro­po­lo­gi­sche Krise
steht: die Leug­nung des Vorrangs des
Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen.
Die Anbe­tung des anti­ken goldenen
Kalbs (vgl. Ex. 32, 1–35) hat eine
neue und erbar­mungs­lo­se Form gefunden
im Feti­schis­mus des Geldes und in
der Dikta­tur einer Wirt­schaft ohne Gesicht
und ohne ein wirk­lich menschliches
Ziel. Die welt­wei­te Krise, die das Finanzwesen
und die Wirt­schaft erfasst, macht
ihre Unaus­ge­gli­chen­hei­ten und vor allem
den schwe­ren Mangel an einer anthropologischen
Orien­tie­rung deut­lich – ein
Mangel, der den Menschen auf nur eines
seiner Bedürf­nis­se redu­ziert: Auf den
Konsum.“ (55)

Kant nennt es „Unrecht“ – Thomas Mohrs 0

Kant nennt es „Unrecht“ – Thomas Mohrs

Warum die Geheim­ver­hand­lun­gen über das Handels­ab­kom­men TTIP ein Kultur­bruch sind und warum die Philo­so­phie Einspruch erhebt.

Wie hieß das doch beim alten Kant:
„Alle auf das Recht ande­rer Menschen
bezo­ge­ne Hand­lun­gen, deren Maxime
sich nicht mit der Publi­ci­tät verträgt,
sind Unrecht.“ Über­setzt: Jegliche
poli­ti­sche Maßnah­me, die vor
ihrer Imple­men­tie­rung das Licht der
Öffent­lich­keit scheu­en muss, ist per
defi­ni­tio­nem Unrecht. 1795 hat Immanuel
Kant das geschrie­ben, in seinem
„Ewigen Frie­den“, einer der ersten
echten Globa­li­sie­rungs-Theo­rien. Und
irgend­wie ist noch immer was dran an
dieser „Publizitäts“-These.
Nehmen wir zum Beispiel diese
„Trans­at­lan­tic Trade and Investment
Part­ner­ship“ (TTIP), das
größte „Frei­han­dels­ab­kom­men“ aller
Zeiten, das gerade zwischen der EU und
Nord­ame­ri­ka ausge­han­delt wird. Nein:
Nennen wir das Kind beim Namen:
das gerade übern großen Teich hinweg
in Brüs­sel und Washing­ton ausgemauschelt
wird. Unter Ausschluss
der Öffent­lich­keit, geheim, hinter verschlossenen
Türen. Abge­schirmt von
Vertre­tern demo­kra­tisch gewählter
Parla­men­te und erst recht von NGOs
und Verbrau­cher- und Konsumentenschutzverbänden.
Denn die könn­ten den versammelten
Lobby­is­ten der globa­len Konzerne
und Inves­to­ren womög­lich in die Suppe
spucken – in die Hühner­sup­pe gewissermaßen.
Denn: Wenn das funktioniert
mit der TTIP (bzw. der TAFTA:
Trans­at­lan­tic Free Trade Area), dann
können sich beispiels­wei­se amerikanische
Fleisch­kon­zer­ne mit ihren
Chlor­hüh­nern, die derzeit in Europa
aufgrund der stren­ge­ren Hygiene-
Stan­dards verbo­ten sind, in den europäischen
Markt einkla­gen. Einfach
so, weil diese „über­zo­ge­nen“ europäischen
Stan­dards ein Chlorhuhn-Investitionshemmnis
darstel­len und damit
zukünf­ti­ge mögli­che Gewin­ne der Konzerne
gefährden.
Und wenn ein euro­päi­scher Staat sich
weigern sollte? Dann entschei­det nicht
die natio­na­le oder die euro­päi­sche Gerichtsbarkeit,
sondern im Rahmen des
Frei­han­dels­ab­kom­mens organisierte
Tribu­na­le, beschickt von internationalen
Anwalts­kanz­lei­en, deren Vertreter
heute Kläger, morgen Verteidiger,
über­mor­gen Rich­ter sind. Und wenn
das von der Welt­bank (!) beaufsichtigte
Tribu­nal entschei­det, dass der renitente
Staat die „erwar­te­ten künftigen
Profi­te“ des Konzerns XY „unrecht­mä­ßig“
gefähr­det, dann ist dieser Staat
gezwun­gen, seinen Markt für das
strit­ti­ge Produkt – ob Chlor­huhn, Hormonfleisch,
genver­än­der­tes Saatgut,
„groß­zü­gig“ geprüf­te Pharmaprodukte,
Benzin mit toxi­schen Zusatzstoffen
or whate­ver – zu öffnen. Oder millionenschwere
Entschä­di­gun­gen zu zahlen.
Aus Steu­er­gel­dern, versteht sich.
Ein Witz zur Faschings­zeit? Schön
wär’s, wenn auch nur bedingt lustig.
Nein, es ist kein Witz und lustig
schon gar nicht: Was mit dem TTIP auf
uns zukommt, ist – wie es „Le Monde
diplo­ma­tique“ formu­liert – ein
„Staats­streich in Zeit­lu­pe“, die klammheimliche
Instal­la­ti­on einer „Wirt­schafts-
NATO“, deren Befugnisse
buch­stäb­lich gren­zen-los sind. Es ist ein Kultur-Bruch von fundamentalem
Ausmaß: die totale Unterwerfung
des Primats der Poli­tik unter das
Primat der Wirtschaft.
Daher ist es nötig, das Mons­trum TTIP
als „auf das Recht ande­rer Menschen
bezo­ge­ne Hand­lung“ ins Licht der Öffentlichkeit
zu stel­len, um zu zeigen,
was es ist: Unrecht!

Vision oder Privatvergnügen? – Pat Christ 0

Vision oder Privatvergnügen? – Pat Christ

Leben ohne Geld und möglichst ohne Bedürf­nis­se wird zum neuen Nischenlifestyle.

Er wollte nicht länger um das Goldene
Kalb tanzen. Darum entschied sich
Rapha­el Fell­mer vor drei Jahren, in
„Geld­streik“ zu treten. Seit­her macht
er damit Furore. Wobei er keineswegs
der einzi­ge ist, der sich (vorüber­ge­hen­de?)
„Geld­lo­sig­keit“ zum Ideal
erko­ren hat. Heide­ma­rie Schwermer
entschied sich bereits 1996, ohne
Geld zu leben. Mark Boyle gab immerhin
ein Jahr lang den Konsumverweigerer.
Auch die Vagabundenbloggerin
Michel­le stieg für ein Jahr aus und lebte
ohne Heller und Pfennig.
Einmal aussche­ren – wer wünschte
sich das nicht. Dazu hat auch
jeder das Recht. Inter­es­sant sind
die Missio­nen, die hinter dem jeweiligen
Ausstieg stecken. So hat Raphael
Fell­mer mit seiner Aktion die „Lage
der Welt“ und die ganze Mensch­heit im
Blick. Darun­ter macht er es nicht. „Mein
Geld­streik ist sehr breit angelegt“,
meint er im Gespräch mit der HUMANEN
WIRTSCHAFT. Er ist gegen den Kapitalismus.
Gegen die Verschwendung.
Gegen die Ausbeu­tung von Tieren. Gegen
die Umwelt­ver­schmut­zung. Als ein
„Ausru­fe- und ein Frage­zei­chen“, sagt
er uns, sehe er seinen Streik.
Fell­mer tramp­te länge­re Zeit und kam
dadurch auf den Geschmack der Freiheit
und zu seiner Lebensphilosophie.
Man lerne die Dinge mehr zu schätzen,
wenn man sie nicht einfach kaufen kann,
meint er. „Wenn zum Beispiel beim Trampen
endlich ein Auto hält, freut man sich
viel mehr, als wenn man einfach in den
nächs­ten Bus steigt und 2,50 Euro zahlt“,
so der 30-Jähri­ge. Das leuch­tet ein.
Und es erin­nert an „On The Road“, die
Bibel der Beat-Gene­ra­ti­on. Auch hier
nehmen sich junge Menschen eine
Frei­heit, die ihnen die Gesellschaft
frei­wil­lig nicht gibt. Aber dieses Buch
kennt Fell­mer nicht. „Ich bin nicht sehr
bele­sen“, gibt er zu. Und das ist spürbar.
Über­haupt hat es Fell­mer nicht mit
Theo­rien und Philosophien.
Einfach gestrick­tes Weltbild
Sein einfach gestrick­tes Welt­bild weist
ihn denn auch nicht gerade als Feingeist
aus. Da gibt es die wenig anspruchsvollen
Kate­go­rien „Ja“ beziehungsweise
„gut“ und „Nein“ beziehungsweise
„schlecht“. Rapha­el Fell­mer ist gegen
alles, was nicht gut ist: Den millionenfachen
Hunger in der Welt, das „Killen“
von Tieren, die Zerstö­rung der Natur.
Und er ist für alles, was gut ist. Die Liebe.
Die Mensch­heit. Und dergleichen.
Dass er auf alles eine Antwort parat hat,
wirkt ein wenig ober­schlau. Oberfriedlich
und ober­öko­lo­gisch ist er sowieso.
Nur mit Details, stets die Krux an jeder
Proble­ma­tik, hält er sich nicht lange
auf. Irgend­wie scheint es für ihn nichts
tiefer zu verste­hen zu geben… Das ist
entwaff­nend. Dafür mögen ihn viele. Ist
doch die Sehn­sucht nach einfa­chen Erklärungen
und einfa­chen Lösun­gen in
unse­rer hoch­kom­ple­xen Welt groß. Und
wer möchte Kämp­fer für das Gute nicht
gern unterstützen?
Seine Habe musste er vor seinem Freiheitssprung
übri­gens nicht in einem Depot
unter­brin­gen. Fell­mer hat ein Dach
überm Kopf. Bis Ende vergangenen
Jahres lebte er mit seiner Frau und der
zwei­jäh­ri­gen Toch­ter Alma umsonst im
Frie­dens­haus von Berlin. Zu Jahresbeginn
zog er um. Eine Fami­lie nahm die
drei auf: „Wir haben dort ein Zimmer in
einer Fünf-Zimmer-Wohnung.“ Zu eng?
Aber Fell­mer ist ja ohne­hin dauernd
unter­wegs. Vor allem seit sein Buch erschienen
ist. Daran verdient er im Übrigen
nicht, betont er uns gegen­über. Als E‑Book sind die Seiten kosten­los herunterzuladen.
Von der Aufla­ge wird ein
Drit­tel verschenkt. Der Rest fließt zur
Kosten­de­ckung an den Verlag.
Den Ausschlag für die Entscheidung,
geld­los zu leben, gab eine Tramptour
mit Freun­den nach Mexiko. „Er hatte
kein Geld, kam aber trotz­dem immer
weiter“, schreibt Birgit Baumann über
ihn im „Stan­dard“. „Über den Atlantik
nahmen ihn Italie­ner mit dem Segelboot
mit, in Brasi­li­en saß er hinten auf alten
Last­wa­gen. Er schlief bei der Feuerwehr
und in Schu­len, von Restau­rants nahm
er sich, was ohne­hin übrig war. Im Gegenzug
bot er seine Arbeits­kraft an.“
Wer hätte auf solche Sensa­tio­nen in der
großen weiten Welt in jungen Jahren
keine Lust? Die meis­ten jungen Abenteurer
aller­dings lassen es bei einem
einma­li­gen Erleb­nis bewen­den. Nicht
so Rapha­el Fell­mer. Er beschloss nach
seiner Rück­kehr, fortan auch in Berlin
geld­los zu leben.

Verdientes Denkmal für einen großen Freiwirtschafter – Buchrezension von Heinz Girschweiler 0

Verdientes Denkmal für einen großen Freiwirtschafter – Buchrezension von Heinz Girschweiler

Andre­as Müller beleuch­tet Leben und Gedan­ken Fried­rich Salz­manns in einer Biografie.

Er war ein klei­ner, feiner Mann, dazu
ein Leben lang körper­lich behindert:
Deshalb zählt Fried­rich Salzmann
(1915–1990) nicht zu den lauten und
vorder­grün­dig nicht zu den bekanntesten
Köpfen unter den Schweizer
Frei­wirt­schaf­tern. Fritz Schwarz, Hans
Konrad Sonder­eg­ger, Hans Bernoulli,
Werner Schmid und Werner Zimmermann
stehen für viele in dieser ersten
Reihe. Zu ihnen gehört aber unzweifelhaft
auch Fried­rich Salz­mann. Wer
es nicht ohne­hin schon wusste, dem
macht dies die neu erschie­ne­ne Biografie
klar.
Der Sohn eines Schwei­zer Kaufmanns
– in Persi­en gebo­ren, in
Berlin und in der Schweiz aufgewachsen
– hat ein beeindruckendes
schrift­li­ches Werk hinterlassen,
und er setzte sich ein Leben lang für
die Umset­zung der Erkennt­nis­se Silvio
Gesells ein.
Schon in der Jugend infiziert
Salz­mann kam schon im Elternhaus
mit den frei­wirt­schaft­li­chen Ideen
in Kontakt. Ja er begeg­ne­te als Jüngling
auch noch Silvio Gesell, kurz vor
dessen Tod. So war es für den aufgeweckten
jungen Mann eine Selbstverständlichkeit,
sich in der freiwirtschaftlichen
Jugend­be­we­gung zu
enga­gie­ren. Und früh schon trat er
nach einer kauf­män­ni­schen Lehre
auch als Redner an öffent­li­chen Veranstaltungen
auf. Als blut­jun­ger Korrespondent
in Paris berich­te­te er für
das „Freie Volk“ über die große Politik
im Vorkriegs­frank­reich. Nach seiner
Rück­kehr trat er – an der Seite des
legen­dä­ren Fritz Schwarz – in die Redaktion
des frei­wirt­schaft­li­chen Organs
ein. Er prägte es entscheidend
mit. Und er war – zusam­men mit Werner
Schmid – trei­ben­de Kraft bei der
Grün­dung der Liberalsozialistischen
Partei (LSP) im Jahre 1946. Denn Salzmann
war über­zeugt, dass man sich
poli­tisch einmi­schen musste, wenn
man die gute Sache vorwärtsbringen
wollte.
Als in den Fünf­zi­ger­jah­ren die wirtschaftliche
Basis für die freiwirtschaftliche
Wochen­zei­tung zusehends
schwand, fasste Salzmann
schwe­ren Herzens einen Entschluss:
Er folgte einem Ruf des Schwei­zer Radios
und trat in deren Inlandredaktion
ein. Weil er dank seiner weltläufigen
Erzie­hung ein ausgesprochen
gepfleg­tes Hoch­deutsch sprach und
über eine tiefe, ruhige Stimme verfügte,
war er fürs Radio geboren.
Und Salz­mann blühte in diesem Medium
auf. Er wurde zum anerkannten
Chef der Inland­ab­tei­lung, er moderierte
poli­ti­sche Streitgespräche,
und er führte die erste kriti­sche Sendung
für Konsu­men­ten ein. „Mit kritischem
Grif­fel“ hieß sie und wurde zur
damals besten Sende­zeit am frühen
Sams­tag­nach­mit­tag ausgestrahlt.
Dann, 1971, wurde er auf der Liste des
Landes­rings der Unab­hän­gi­gen in
Bern über­ra­schend in den Nationalrat
gewählt. Dort fiel er als seriöser
Arbei­ter in den Kommis­sio­nen (etwa
zum Medi­en­recht) und als unerbittlicher
Kriti­ker der bundesrätlichen
Wirt­schafts- und Konjunkturpolitik
auf. Dann kam zu seiner Behinderung
durch eine Kinder­läh­mung noch die
Parkin­son-Krank­heit hinzu, und er
musste deshalb 1978 schwe­ren Herzens
aus dem Natio­nal­rat zurücktreten.
Die folgen­den Jahre waren dann
– er hatte seine gelieb­te Gattin, Gefährtin
und Betreue­rin Hilde Grünig
schon früh verlo­ren – von einer zunehmenden
Verein­sa­mung geprägt.
Seine letz­ten fünf Jahre verbrach­te er
in einem Berner Pflegeheim.
Radi­ka­ler Denker
Neben seinem beruf­li­chen Wirken
und der direk­ten poli­ti­schen Arbeit
steht das schrift­stel­le­ri­sche Werk
Salz­manns. Er hat rund ein Dutzend
Bücher geschrie­ben, dazu zahlreiche
Schrif­ten und Tausen­de von Artikeln.
In „Bürger für die Geset­ze“ (1949)
setzt sich der leiden­schaft­li­che Liberale
kritisch mit dem Staat als Erzieher
ausein­an­der und fordert einen
freien Bildungs­markt. In „Jenseits der
Inter­es­sen­po­li­tik“ (1953) widmet er
sich der gros­sen Auseinandersetzung
zwischen Kommu­nis­mus und Kapitalismus
und plädiert für eine wahrhaft
libe­ra­le Wirt­schafts­ord­nung mit
star­ken staat­li­chen Leit­plan­ken. Und
in „Mit der Frei­heit leben“ (1961) vertieft
er diese Auseinandersetzung
zwischen den beiden rivalisierenden
Gesell­schafts­sys­te­men und fordert
seinen radi­kal libe­ral­so­zia­len dritten
Weg.
Salz­manns Biograf weist mit Recht
auf dessen letzte Schrift „Gedan­ken
zu einer lebens­wer­ten Zukunft“
(1985) als eigent­li­ches gedankliches
Vermächt­nis hin. Die programmatische
Schrift fasst die Posi­tio­nen der
Libe­ral­so­zia­lis­ten – wohlbegründet
und konzen­triert – zusam­men. Sie
entstand in enger Zusammenarbeit
mit dem dama­li­gen Sekre­tär der Partei,
Hans Barth. Der Einleitungssatz
ist typisch für das Bürgerverständnis
des philo­so­phisch denken­den und
02/2014 www.humane-wirtschaft.de 37
poli­ti­schen handeln­den Menschen
Fried­rich Salzmann:
„Wir sind nicht nur verantwortlich
für das, was wir tun, sondern
auch für alles, was wir widerspruchslos
dulden.“

Der spaltende Geist und das Geldsystem – Peter Berner 0

Der spaltende Geist und das Geldsystem – Peter Berner

Für eine Diskus­si­ons­kul­tur im Geiste inte­gra­ler Wahrheitsfindung.

Meine voran­ge­stell­ten Ausführungen
über den Umgang mit Bösem und Gutem
in unse­rer poli­ti­schen Kultur („Vom
spal­ten­den Geist zu inte­gra­ler Politik“,
HUMANE WIRTSCHAFT 01/2014) endeten
mit einer Beschrei­bung der positiven
Erfah­rung, die ich mit der Dialog-
Metho­de nach David Bohm in einer
Gesprächs­grup­pe zum Thema „Inte­gra­le
Poli­tik“ gemacht habe. Hier wurde
modell­haft jene „inte­gra­le Wahrheitsfindung“
prak­ti­ziert, die ich für
geeig­net halte, den spal­ten­den Geist,
welcher unsere poli­ti­sche Kultur heute
beherrscht, zu über­win­den und ein
huma­nes, fried­vol­les, nach­hal­tig wirtschaftendes
Gemein­we­sen zu entwickeln
und zu gestalten.
Inte­gra­le Wahrheitsfindung
Wieso müssen wir uns über Wahrheitsfindung
über­haupt Gedan­ken machen?
„Wenn ich wissen will, ob es draußen
regnet, gehe ich ans Fens­ter und schaue
nach“, sagt Ken Wilber, und wenn du
mich nach dem Weg zum Bahn­hof fragst
und ich ihn kenne und dir zeige, wissen
wir hinter­her beide, was vorher nur ich
wusste. Wo also liegt das Problem? Nun
– über­all dort, wo ein Bereich der Wirklichkeit
komple­xer wird und nicht mehr
durch einen einfa­chen Erkennt­nis­akt zu
erfas­sen ist wie das gegen­wär­ti­ge Wetter
oder der Weg zum Bahn­hof, wird es
natür­lich etwas schwie­ri­ger. Und dies
ist mit vielen Wirklichkeitsbereichen,
mit denen wir uns als mensch­li­che Gemeinschaften
befas­sen, eben der Fall –
von der Gestal­tung eines Gartens über
die Leitung eines Unter­neh­mens bis hin
zum Design des welt­wei­ten Geldsystems
oder gar einer geziel­ten Beeinflussung
des Erdklimas.
In einem solchen Fall kann jede® der
Betei­lig­ten in der Regel nur einen Teil
der Wirk­lich­keit, die gerade zu untersuchen
oder zu gestal­ten ist, erkennen
und verste­hen – was ebenfalls
so lange unpro­ble­ma­tisch ist, wie ich
als Betrof­fe­ne® mir dessen bewusst
bin, wo die Gren­zen meines Wissens
liegen. Genau hier aber setzen die
Schwie­rig­kei­ten ein, mit denen wir im
gesell­schaft­li­chen Leben oft zu tun bekommen,
sei es im Alltag, in der Wissenschaft
oder in der Poli­tik. Problematisch
wird es nämlich dann, wenn
die Menschen, die an einem gemeinsamen
Prozess der Wahr­heits- und
Entschei­dungs­fin­dung betei­ligt sind,
ihr jewei­li­ges persön­li­ches Teilwissen
(ihre „Halb­wahr­heit“) fälsch­lich mit
der gesam­ten Wahr­heit gleichsetzen.
Daraus entsteht ein Habi­tus, den ich
als „Hoch­mut der Halb­wahr­heit“ bezeichnen
möchte. Dieser kann auf unterschiedliche
Weise gelebt werden,
sei es ganz offen als missionarische
Haltung, welche die ande­ren überzeugen
und „bekeh­ren“ will oder eher indirekt
als jene in der Poli­tik „demo­kra­ti­scher“
Gesell­schaf­ten heute gängige
Haltung, welche versucht, durch Manipulations-
und Macht­mit­tel verschiedener
Art Mehr­hei­ten (oder einflussreiche
Minder­hei­ten) hinter der eigenen
Posi­ti­on zu versammeln.
Denn es ist nicht allein die Komplexität
der Tatsa­chen, die eine Wahrheitsfindung
erschwert. Wir Menschen
haben seit vielen Jahr­tau­sen­den billigend
unter­stützt oder aktiv daran mit
gear­bei­tet, dass unsere geistig-seelische
Schöp­fer­kraft an priesterliche
Hier­ar­chien oder tech­ni­sche Systeme
dele­giert und infol­ge­des­sen weitgehend
dege­ne­riert wurde. Dies begann
mit der Einfüh­rung der Schrift
in den alten Hoch­kul­tu­ren, die gemäß
der Warnung dama­li­ger Weiser
tatsäch­lich kollek­tiv unser Gedächtnis
schwäch­te und endet wahrscheinlich
noch nicht bei den heuti­gen Navigationssystemen,
die beginnen,
unsere Fähig­keit zu räum­li­cher Orientierung
verküm­mern zu lassen. Eine
heraus­ra­gen­de Rolle spielt dabei
das Verküm­mern unse­res Wahrheitssinnes
durch einen weit­ge­hen­den Verlust
unse­rer „Seelen­ver­an­ke­rung“,
unse­rer inne­ren Verbin­dung mit jenem
tran­szen­den­ten Seins­grund, dem wir
entstam­men, und damit eine Schwächung
unse­rer urei­gens­ten Gewissensbindung
oder mora­li­schen Urteilskraft
– und deren Abtre­tung an äußere Hierarchien,
zunächst an die Priester
der verschie­de­nen Reli­gio­nen, heute
zuneh­mend an die Exper­ten der materialistischen
Wissen­schaft und die Produ­zen­ten der moder­nen Massenmedien,
wobei ich diese beiden Systeme
zusam­men­ge­fasst als „Wahr­heits­in­dus­trie“
bezeich­nen möchte.
Wer heute die Welt, in der wir leben,
möglichst ganz­heit­lich verste­hen will,
muss zwei Schlei­er durch­sto­ßen: zum
einen den psycho­lo­gi­schen Schleier
aus Versu­chun­gen zu Scham, Schuldgefühlen,
ohnmäch­ti­ger Resignation,
pani­scher Angst, priva­ti­sie­ren­der Gier,
heili­gem Zorn oder selbstgerechter,
das Böse auf Gegner projizierender
Fehler­su­che, der sich oft vor eine ungeschminkte
Erkennt­nis der Tatsachen
schiebt – zum ande­ren den Schlei­er der
veröf­fent­lich­ten Meinung, den die oben
genann­te Wahr­heits­in­dus­trie über uns
ausbrei­tet. Und groß ist die Versuchung,
alter­na­ti­ve Wahr­heits­su­che so
zu betrei­ben, dass das Modell „hier
Exper­ten­tum – dort gläu­bi­ge Gefolgschaft“
einfach kopiert und mit anderen,
schein­bar besse­ren oder richtigeren
Inhal­ten verse­hen wird – und dann
versucht wird mit den großen Systemen
in Konkur­renz zu gehen (was in der Regel
in Einver­lei­bung oder Vernichtung
der alter­na­ti­ven Heraus­for­de­rung endet),
anstatt diese Dyna­mik grundsätzlich
zu transzendieren.
Dies nämlich erfor­dert einen Weg, den
ich „Demut der Halb­wahr­heit“ nennen
würde. Hier eben betre­ten wir den Bereich
dessen, was ich[1] als „inte­gra­le
Wahr­heits­fin­dung“ bezeich­nen möchte.
Denn hier wählen wir als Beteiligte
eine Grund­hal­tung, die besagt: Da ich
davon ausge­hen kann, dass ich allein
die komple­xe Wirk­lich­keit nicht überblicke
(auch wenn es noch so sehr den
Anschein haben mag), da es aber für
eine gute Entschei­dung des Gemeinwesens
wich­tig ist, dass wir der jeweils
zutref­fen­den Wahr­heit so nah wie möglich
kommen, bin ich als Teil dieses Gemeinwesens
essen­zi­ell darauf angewiesen,
dass auch alle ande­ren Beteiligten
ihre Teil­wahr­heit, ihren Zugang zum
Ganzen, eben­falls in den „Pool“ hinein
geben. Das bedeu­tet prak­tisch: Wer
eine profi­lier­te Posi­ti­on bezieht, die mir
befremd­lich erscheint, löst nicht mehr
– wie bisher üblich – den Reflex aus,
ihn in die rich­ti­ge Schub­la­de einzuordnen
und mir damit gege­be­nen­falls vom
Leib zu halten, sondern wird innerlich
1 in Anleh­nung an die inte­gra­le Philo­so­phie nach Jean
Gebser, Ken Wilber und anderen
will­kom­men gehei­ßen als eine Person,
die – über die Stimme ihres Gewissens,
welche jede(n) Einzelne(n) an das universelle
Bewusst­sein zurück bindet
– die Wahr­heits­fin­dung der Gemeinschaft
vervollständigt.

Unvergängliche Spuren am Strand des Lebens – Die Redaktion 0

Unvergängliche Spuren am Strand des Lebens – Die Redaktion

In memo­ri­am Margrit Kennedy.

Am 28. Dezem­ber 2013 verstarb
Margrit Kenne­dy in ihrem Zuhause
in Stey­er­berg an Krebs.
Bereits Ende der 70er Jahre begann
sie, inner­halb der beruf­li­chen Tätigkeit
als Archi­tek­tin und Stadtplanerin
die ökolo­gi­schen Fragen in
den Mittel­punkt ihres Wirkens zu stellen.
Ihr Leben bekam jedoch ab 1982
eine unvor­her­seh­ba­re Wendung. Sie
entdeck­te die Ursa­chen für jene Auswirkungen,
die ihre Arbeit als umweltbewusst
denken­de Wissenschaftlerin
und Plane­rin stets maßgeb­lich und vor
allen Dingen nega­tiv beeinträchtigten
im herr­schen­den Geld­sys­tem. Sie war
über­zeugt, dass die Mecha­nis­men einer
auf unend­li­ches Wachs­tum ausgerichteten
Wirt­schaft niemals mit den
Erfor­der­nis­sen eines respektvollen
und wert­schät­zen­den Umgangs mit
der Natur verein­bar sind. Auch erkannte
sie, wie die zuneh­men­den sozialen
Verwer­fun­gen eng mit dem Geldsystem
zusam­men hingen, das vor allen
Dingen zu einem präde­sti­niert war:
Immense Geld­ver­mö­gen bei einer verschwindend
gerin­gen Zahl von Menschen
zu kumu­lie­ren. Und das auf Kosten
und zu Lasten der Gesamt­heit. Die
beruf­li­che und gesell­schaft­li­che Stellung
erlaub­te es ihr, sich auf wirkungsvolle
Weise für Verän­de­run­gen starkzumachen.
Doch Margrit Kenne­dy beließ
es nicht bei theo­re­ti­schen Forderungen
an abstrak­te Adressaten.
Sie ergriff Initia­ti­ve und nutzte internationale
Erfah­rung und den Fundus an
Kontak­ten, um konkre­te Projek­te in die
Tat umzusetzen.
Sowohl im deutsch­spra­chi­gen Raum
als auch welt­weit wäre die Entwicklung
komple­men­tä­rer Währun­gen heute
nicht auf dem Stand, auf dem sie
sich befindet.
Mit Margrit Kenne­dy verliert diese Bewegung
zwar eine der herausragenden
Kräfte, aber Impul­se sind längst
in wegwei­sen­den Projek­ten verwirklicht,
sodass der Geist ihrer Arbeit unverwüstliche
Früch­te trägt. Mit „Geld
ohne Zinsen und Infla­ti­on“ legte sie
bereits 1991 ein leicht verständliches
Buch vor. Unzäh­li­gen Menschen
wurde damit der Blick in die Welt der
schein­bar undurch­sich­ti­gen Zusammenhänge
des Geldes geschärft. „Occupy
Money«, ihre letzte Buchveröffentlichung,
hat die sich weltweit
formie­ren­de Bewe­gung von Protestgruppen
mit grund­le­gen­dem Wissen
inspi­riert. Wissen, das Instru­men­te an
die Hand gibt, mit denen aus Protesten
gegen vermeint­lich fragwürdige
Mächte, eindeu­ti­ge Forde­run­gen für
Zukunfts­lö­sun­gen hervor­ge­hen können.
Natür­lich bemerk­te Margrit Kennedy
zeit­le­bens, wie dick die Bretter
sind, die man bohren muss, um ein
derart funda­men­ta­les Umden­ken vor
allem auf höchs­ter poli­ti­scher Ebene
zu erwir­ken. Ehrgei­zi­ge Ziele, dessen
war sie sich bewusst, erreicht man nur
durch viel­schich­ti­ge Arbeit, maßgeblich
solche, die „von unten“ initiiert
wird. „Viel­falt“ war ohne­hin ein Stichwort,
das sie stets beweg­te. „Wir haben
bezüg­lich Klei­dung, Autos und unendlich
vielen Dingen des Lebens eine
große Viel­falt an Ange­bo­ten. Zu nahezu
jeder einzel­nen Vorlie­be der Menschen
gibt es eine passen­de Auswahl.
Ande­rer­seits schei­nen wir zu glauben,
dass eine einzi­ge Geld­form ausreicht,
all die Funk­tio­nen zu erfüllen,
die das Leben mit sich bringt!“ „Warum
lassen wir den Gedan­ken nicht zu,
dass es sinn­voll ist, ein unerschöpfliches
Reser­voir an Zahlungs­mit­teln zu
gestal­ten, um die unterschiedlichen
Aufga­ben zu meis­tern? Warum sollte
es nicht eigens eine Währung für Bildungsaufgaben
geben? Eine für die Altersvorsorge?
Oder eine, welche den
Erfor­der­nis­sen der Nutzung unserer
Umwelt entspricht?“
In diesem Sinne argu­men­tier­te Margrit
Kenne­dy auf unzäh­li­gen Veranstaltungen,
auf denen sie als Referentin
oder Disku­tan­tin einge­la­den war. Sie
weiger­te sich zu akzep­tie­ren, dass es
„eine Wahr­heit“ für alle Fragen gibt.
Immer war sie von der Tota­li­tät des
Seins über­zeugt. Nichts, was wir tun,
aber auch nichts, was wir nicht tun,
bleibt ohne Folgen für das Ganze.
Sie konnte und wollte nicht verstehen,
warum die Logik eines Geldsystems,
das alles zu zerstö­ren droht, was den
Menschen lieb und wert­voll ist, von einer
Mehr­heit klag­los hinge­nom­men zu
werden scheint.

Erinnerungen an Margrit Kennedy – Helmut Creutz 0

Erinnerungen an Margrit Kennedy – Helmut Creutz

Erin­ne­run­gen
an meine ersten
Kontak­te mit
den monetären
Realitäten –
und der Rolle
Margrit Kennedys
in diesem
Lebensabschnitt.
Der viel zu frühe Tod von Margrit Kennedy
hat bei mir viele Erinnerungen
wach­ge­ru­fen. Vor allem bezo­gen auf
meine ersten Schrit­te in Sachen Zins
und Frei­wirt­schaft und damit jenem
völlig unge­plan­ten Lebensabschnitt,
der für mich, Ende der 1970er Jahre,
durch einen Zufall begann und wenige
Jahre später, durch die Begegnung
mit Margrit, äußerst wich­ti­ge Mut machende
Impul­se erhal­ten hat.
Wie schon häufi­ger berichtet,
wurde ich Ende 1977, durch
die Zuschrift eines Lesers meines
Schul­ta­ge­buchs „Haken krümmt
man beizei­ten“, mit diesen geldbezogenen
Begrif­fen und Themen bekannt.
Jenes Buches, das vor allem durch die
Fern­seh-Vorstel­lung in „Titel, Thesen,
Tempe­ra­men­te“ als Buch des Monats
viele Reak­tio­nen in der Öffentlichkeit
auslös­te, darun­ter auch diese Zuschrift
von Walter Michel aus Berlin, die mein
Leben verän­dern sollte.
Wie sich später heraus­stell­te, handelte
es sich um einen selbst­stän­di­gen Handwerksmeister,
der nach dem Krieg in der
DDR annahm, für das Thema Freiwirtschaft
und Gesell wieder öffent­lich eintreten
zu können. Er hatte sich jedoch
geirrt und wurde wegen seiner Veröffentlichungen
von der damals noch vorherrschenden
sowje­ti­schen Besatzungsmacht
verhaf­tet, erst zum Tode verurteilt
und dann zu lebens­läng­li­cher Haft in der
berüch­tig­ten Festung Baut­zen „begna­digt“,
einer Strafe, von der er mehr als
zehn Jahre absit­zen musste.
Was Walter Michel mir schrieb, war für
mich anfangs völlig unver­ständ­lich. Weder
den Namen Silvio Gesell noch den
Begriff „Frei­wirt­schaft“ (der mich immer
an eine sommer­li­che Gartenwirtschaft
erin­ner­te!) hatte ich je gehört. Und das
Glei­che galt auch für das beigelegte
kleine Buch eines Hans Kühn, „5000
Jahre Kapi­ta­lis­mus“, dem dann jedoch –
wenn auch stilis­tisch etwas aufgemotzt
– einige konkre­te­re Anga­ben und Zahlen
zu entneh­men waren die mich neugierig
mach­ten. Das beson­ders im Hinblick
auf die Auswir­kun­gen exponentiell
wirken­der Abläu­fe, mit denen er den
Zinses­zins-Effekt beschrieb – einer Problematik,
die mir dadurch zum ersten
Mal deut­lich wurde und für die ich vielleicht
auch nur deshalb offen war, weil
sich mir damals, Ende der 1970er Jahre
und ange­sichts der allge­mei­nen Wachstumseuphorie,
schon die Frage aufgedrängt
hatte, wie lange das eigentlich
noch weiter gehen sollte. Doch diese
von Hans Kühn gemach­ten Ausführungen
musste ich jedoch vor einer Antwort
an Walter Michel unbe­dingt überprüfen.
Das betraf vor allem die Gegensätzlichkeiten
von linea­rem und exponentiellem
Wachs­tum und deren Vergleiche
mit den natür­li­chen Wachstumsabläufen.
Bei denen die zeit­li­chen Abstände
zwischen den Verdopp­lun­gen bekanntlich
immer größer und schließ­lich „unend­lich“
werden, wie wir aus unserer
eige­nen Entwick­lung ab 18-
20 Jahren
wissen. Im Gegen­satz dazu, nahm ein
expo­nen­ti­el­les Wachs­tum, mit gleich
blei­bend langen Verdopplungs-Schritten,
stän­dig schnel­ler zu – wie bei den
Geld­an­la­gen durch Zins und Zinseszins
der Fall. Eine Entwick­lung, die –
das hatte ich nach der Schrift von Hans
Kühn verin­ner­licht – förm­lich zu Explosionen
führen musste!
Erfah­run­gen zu den Zinsauswirkungen
in der Praxis
Zinsen waren mir – damals bereits 55
Jahre alt – bis dahin immer nur als eine
schöne Ange­le­gen­heit bekannt, über
deren Gutschrift auf dem Sparbuch
man sich am Jahres­an­fang immer freute.
Und bezo­gen auf die Hypotheken,
die ich für Bauwer­ke laufend aufnehmen
musste, blieb der Mix von Zinsen
und Tilgung in der Miete als Summe
häufig gleich. „Bewei­se“ für die zinsbedingten
Wachs­tums-Wirkun­gen in unserem
norma­len Leben und vor allem
deren Brisanz, entdeck­te ich dann erst
im Zusam­men­hang mit grafi­schen Aufzeichnungen
von Mietberechnungen
und deren Bestandteil-Verschiebungen
im Laufe der Jahre und Jahrzehnte.
Obwohl diese Berech­nun­gen bei den
Wohnungs­bau­fi­nan­zie­run­gen eine
der Voraus­set­zun­gen für die staatlichen
zins­güns­ti­gen Zuschüs­se waren
und man sie im Vorhin­ein nachweisen
musste, waren mir diese Wechselwirkungen
nie aufge­fal­len. Und wirklich
über­zeu­gend wurden sie für mich erst
dann, als ich sie beispiel­haft nebeneinander
in Grafi­ken umsetz­te. Das
vor allem bezo­gen auf jene Vorgänge
im Geld- und Kredit­be­reich, die mir
bislang als problem­los erschie­nen waren:
Wenn man zu viel Geld in der Tasche
hatte und vorerst nicht brauchte,
zahlte man es eben bei den Banken
ein, die es dann zwischen­zeit­lich weiter
verlie­hen. Und dass man dafür einen
– meist nur rela­tiv gerin­gen – Zins
erhielt, war eine kleine Beloh­nung für
diese Erspar­nis­bil­dung, die dann der
Kredit­neh­mer seiner­seits jeweils an
die Bank zu zahlen hatte.

Auf Raiffeisens Spuren – Bericht von Pat Christ 0

Auf Raiffeisens Spuren – Bericht von Pat Christ

Im deutsch­spra­chi­gen Raum grün­den sich immer mehr Sozialgenossenschaften

Ob Post­dienst, Dorf­la­den, Arztpraxen,
Kinder­be­treu­ungs­ein­rich­tun­gen oder
Busver­bin­dun­gen – in länd­li­chen Räumen
dünnt die Infra­struk­tur zum Teil
drama­tisch aus. Hier­auf reagie­ren Sozialgenossenschaften.
Sie setzen sich
für demenz­kran­ke Menschen ein oder
zielen, in Form von Seniorengenossenschaften,
auf ein koope­ra­ti­ves Altern
ab. Der Genossenschaftsgedanke
wächst stetig. So wurden in den vergangenen
acht Jahren in Deutsch­land rund
1.300 Genos­sen­schaf­ten gegründet.
Eine Sozi­al­ge­nos­sen­schaft ist eine
Versi­che­rung auf Gegenseitigkeit:
Man gibt und hilft sich solidarisch.
Dahin­ter steckt die bereits
von Fried­rich Wilhelm Raiff­ei­sen forcierte
Idee, dass alle gemein­sam viel
mehr auf die Beine zu stel­len vermögen
als ein Mensch allei­ne. Das gilt laut
Heike Walk vom Zentrum Tech­nik und
Gesell­schaft (ZTG) der TU Berlin auch
für ein so aktu­el­les Thema wie „Klima­wan­del“.
Als kollek­ti­ve Zusammenschlüsse
haben Genossenschaften
den Analy­sen der Geschäftsführerin
des ZTG-Insti­tuts für Protest- und Bewegungsforschung
zufol­ge vielfältige
Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, um den Klimaschutz
in Städ­ten voranzutreiben.
Viele Sozi­al­ge­nos­sen­schaf­ten treten
als klas­si­sche Non-Profit-Organisationen
auf. Hier schlie­ßen sich Menschen
auf der Basis von Selbst­hil­fe oder ehrenamtlichen
Enga­ge­ment kooperativ
zu zusam­men. Dane­ben exis­tie­ren aber
auch Sozi­al­ge­nos­sen­schaf­ten, die zu
bezah­len­de Leis­tun­gen erbrin­gen, die
zwar gesell­schaft­lich notwen­dig und
zentral für eine nach­hal­ti­ge Entwicklung
sind, vom Markt aber nicht mehr
zur Verfü­gung gestellt werden.
Von pallia­ti­ver Hilfe
bis zur Nahraumversorgung
Die Hand­lungs­fel­der von Sozialgenossenschaften
fächern sich demnach
stark auf. Allein im Gesund­heits- und
Pfle­ge­sek­tor exis­tiert heute eine breite
Ange­bots­pa­let­te, die vom Palliativbereich
über das Senio­ren­woh­nen bis
hin zu Kran­ken­haus­netz­wer­ken reicht.
Selbst der Bereit­schafts­dienst von
Ärzten kann sozialgenossenschaftlich
orga­ni­siert werden. Viele Genossenschaften
enga­gie­ren sich vor dem
Hinter­grund des demographischen
Wandels auch dafür, die sozia­le Infrastruktur
vor Ort zu erhal­ten oder sie neu
zu schaf­fen. Dies betrifft die Kinderbetreuung
und die Jugend­hil­fe ebenso wie
die Themen „Alters­ge­rech­tes Wohnen“
und „Nahraum­ver­sor­gung“.
Um die psycho­so­zia­le Gesund­heit von
Kindern und Jugend­li­chen kümmert
sich im italie­ni­schen Bruneck seit vielen
Jahren die Sozialgenossenschaft
EOS. Bereits 1995 eröff­ne­te die Organisation
eine sozi­al­päd­ago­gi­sche WG
für psych­ia­trisch auffäl­li­ge Jugendliche.
Vier Jahre später star­te­te sie in Bruneck
ein Projekt für ein Beglei­te­tes Wohnen
von Heran­wach­sen­den mit seelischen
Proble­men. Ein zwei­tes Projekt dieser
Art wurde 2001 in Bozen eröff­net. 2005
star­te­te die von der Genos­sen­schaft organisierte
Ambu­lan­te sozialpädagogische
Fami­li­en­ar­beit im Puster­tal. Von
Jahr zu Jahr wuchs die Mitarbeiterzahl.
Heute liegt sie bei um die 80.

Auf, auf zum ersten Gefecht – Kommentar von Wilhelm Schmülling 0

Auf, auf zum ersten Gefecht – Kommentar von Wilhelm Schmülling

Wer den Frie­den will, darf nicht rüsten,
denn der Rüstung folgt der Krieg. Da
Deutsch­land keine Feinde hat, bräuchte
es auch keine Rüstung.
Wenn nur nicht die Rüstungslobby
mit dem Argu­ment „Arbeits­plät­ze“
hausie­ren ginge,
natür­lich nicht bei Ihnen, Sie wollen
sich doch keinen Panzer in den Vorgarten
stel­len, sondern bei denen,
die das Geld dafür haben: bei den Regierenden.
Genau genom­men, haben
auch die Regie­run­gen dafür kein Geld,
das holen sie sich bei Ihnen. Nicht mit
einem bewaff­ne­ten Stoß­trupp, sondern
unbe­waff­net mit Wahlunterlagen,
damit Sie ja die friedliebenden
Rüstungs­be­für­wor­ter wählen. Sehr
freund­lich reden sie über „Frie­dens­si­che­rung“,
leben wir doch in einem
demo­kra­ti­schen Land, das verteidigt
werden müsse.
In Mali, Soma­lia oder Afgha­ni­stan und
vielen Ländern dieser Welt ist das anders.
Da herr­schen Dikta­tur und Not.
Die Terro­ris­ten nützen das schamlos
aus, holen die jungen Männern aus
den Hütten, verspre­chen ihnen Brot
und Spiele, grei­fen erst ihre Landsleute,
dann auch uns an. Also müssen
wir uns bewaff­net verteidigen,
auch am Hindu­kusch. So hieß doch
der Schlacht­ruf zum ersten Gefecht in
Afgha­ni­stan. Jetzt schließt Ursula von
der Leyen Kampf­ein­sät­ze in Mali nicht
mehr aus.
Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Ursula von
der Leyen plädier­te für ein stärkeres,
inter­na­tio­na­les Enga­ge­ment in Afrika.
Die Trup­pen­stär­ke in Mali soll von
180 auf 250 Solda­ten erhöht werden.
Dort leben 15 Millio­nen Menschen, die
Hälfte davon – so Frau von der Leyen
– sind unter 15 Jahre alt. Können wir
sie bis zum Erwach­se­nen­al­ter mit verstärkter
Entwick­lungs­hil­fe versorgen?
Wohl kaum. Also wird Deutschland
zunächst auch Waffen liefern. Da aber
Malis und andere
Afri­ka­ner damit
nicht umgehen
können, müssen
deut­sche Soldaten
vor Ort sein,
um den Umgang
mit der Waffe zu
lehren, auch um
zu töten. Wenn
Terro­ris­ten dabei
stören, wird
zurückgeschossen.
Einige Gutmenschen
schla­gen doch tatsächlich
vor, wir soll­ten nur Brun­nen bauen und
Acker­bau betrei­ben. Was für Narren!
Frie­dens­ver­tei­di­gung ohne Waffen? Ja,
das muss möglich sein, denn wie weit
haben uns bewaff­ne­te „Landes­ver­tei­di­gun­gen“
gebracht? Kürz­lich plakatierte
MISEREOR „Mut ist, Waffen mit
Worten zu bekämp­fen.“ Sich darauf beschränken
bedeu­tet aller­dings, den Zustand
des Elends zu festi­gen. Und hier
muss ange­setzt werden: Gerechtigkeit
zur Grund­la­ge der Poli­tik machen!
Trach­ten wir zuerst nach der Gerechtigkeit
und alles andere wird uns zufallen.
Statt mili­tä­ri­scher Vertei­di­gung unhaltbarer
Zustän­de in der Welt – auch
bei uns – muss die sozia­le Frage gelöst
werden. Ihre Ursa­che muss erkannt
und besei­tigt werden. In einer auf Profit
ausge­rich­te­ten Wirtschaftsordnung
ist das unmög­lich. Eine auf Arbeitsertrag
fixier­te Wirt­schafts­ord­nung muss
einge­rich­tet werden.
Es gibt Hoff­nung. Wir sind dabei, unsere
Einheit mit all unse­ren Mitmenschen
zu erken­nen, so dass es bald
unmög­lich sein wird, einan­der auszubeuten,
zu berau­ben oder gar zu
töten. Solan­ge uns das nicht gelingt,
können wir nicht behaup­ten, in einer
zivi­li­sier­ten Welt zu leben.

Auf, auf zum letz­ten Gefecht zur
Besei­ti­gung systembedingter
Ungerechtigkeiten –
ohne Waffen!

Arbeit zwischen Verherrlichung und Entwertung – Günther Moewes 0

Arbeit zwischen Verherrlichung und Entwertung – Günther Moewes

„In Deutsch­land waren noch nie so viele Menschen in Arbeit wie 2013“ tönt es aus den Medien. Und seit 1960 regel­mä­ßig von allen Kanz­lern: „Die Wende auf dem Arbeits­markt steht unmit­tel­bar bevor.“ Es wird der Eindruck erweckt, die Arbeit nähme wieder zu. Die Reali­tät sieht anders aus. Tatsäch­lich hat die Zahl der durch­schnitt­lich geleis­te­ten Jahres­ar­beits­stun­den in Deutsch­land von 1960 bis 2012 um 35,4 auf 64,6 % abge­nom­men, d.h. um mehr als ein Drit­tel. Wenn sich die Zahl der Beschäf­tig­ten trotz­dem erhöht hat, dann nur, weil diese Verrin­ge­rung des tatsäch­lich erbrach­ten Arbeits­vo­lu­mens in Form von unbe­zahl­ter Arbeits­zeit­ver­kür­zung auf drei Millio­nen Teil­zeit­be­schäf­tig­te abge­la­den wurde. Deren Zahl ist inzwi­schen höher als die der 2,95 Mio. Arbeits­lo­sen. Diese 64,6 % der 1960 erbrach­ten Arbeits­stun­den geben jedoch noch nicht den tatsäch­li­chen Rück­gang des Arbeits­vo­lu­mens wieder. Denn in ihr ist ja noch nicht die enorm gestie­ge­ne Arbeits­lo­sig­keit enthal­ten. 2012 betrug die Arbeits­lo­sig­keit in Deutsch­land 6,8 % (= 2,95 Mio.), 1960 ganze 1,3 % (0,27 Mio.). Würde man die 2012 insge­samt tatsäch­lich geleis­te­ten Jahres­ar­beits­stun­den mit auf die Arbeits­lo­sen verteilen,
hätte jeder Erwerbs­fä­hi­ge pro Jahr 142 Std. weni­ger arbei­ten müssen. Das so ermit­tel­te heute erbrach­te Arbeits­vo­lu­men pro Erwerbs­fä­hi­gen beträgt dann nur noch 59 % dessen von 1960, also über 40% weniger.

Steuerhinterziehung – Volkssport in unterschiedlichen Spielklassen – Dirk Löhr 0

Steuerhinterziehung – Volkssport in unterschiedlichen Spielklassen – Dirk Löhr

Plädoy­er für eine Staats­fi­nan­zie­rung aus ökono­mi­schen Renten

Alle tun es. Die Ikone Ulrich Hoeneß.
Der hono­ri­ge CDU-Schatz­meis­ter Helmut
Lins­sen. Die „mora­li­sche Instanz“
Alice Schwar­zer. Der fein­sin­ni­ge Kultur-
Staats­se­kre­tär André Schmitz aus
Berlin. Beson­ders pikant: Letz­te­rer ist
Mitglied derje­ni­gen Partei, die sich
als Vorrei­ter gegen krimi­nel­le Steuerhinterzieher
sieht. Sein Parteifreund
Peer Stein­brück drohte seiner­zeit damit,
die Kaval­le­rie gegen die kleine
Schweiz ausrü­cken zu lassen.
Dabei nimmt sich jeder das, was
er kann. Steu­er­hin­ter­zie­hung ist
ein Volks­sport. Aller­dings gibt es
verschie­de­ne Ligen. Der eine trägt eben
inter­na­tio­na­le Spiele auf den Bahamas
aus, der andere bleibt in seinem Dorf
stecken – Kreis­klas­se, mit nicht ausgestellten
Handwerkerrechnungen.
Um das deut­sche Steu­er­sys­tem ranken
sich viele Mythen. 70–80 % der
welt­wei­ten Steu­er­li­te­ra­tur sollen sich
angeb­lich des Problem­fal­les Deutschland
anneh­men. Das ist sicher­lich maßlos
über­trie­ben. Doch selbst, wenn es
nur 15 % sind (Späth, o. J.) , ist dies
ange­sichts eines Anteils von 1,2 % an
der Welt­be­völ­ke­rung doch schon eine
recht stolze Zahl. Für den „Vater Staat“
ist es dabei häufig das Klein­vieh, das
Mist macht. Konse­quenz: Gerade Massenfälle
wie Dienst­wa­gen, geldwerte
Vortei­le, Dienst­rei­sen etc. werden
so kompli­ziert und klein­lich geregelt,
dass kaum jemand mehr durchblickt.
Hinzu kommt ein Gerechtigkeitsfimmel
der deut­schen Gerich­te (der sich
dann irgend­wann auch in den Verwaltungsanweisungen
niederschlägt).
Die Kosten des ganzen Thea­ters werden
zu einem großen Teil auf die Steuerpflichtigen
verla­gert (auch in Gestalt
von Rechtsunsicherheiten).
Der erwähn­te Gerechtigkeitsfimmel
der Gerich­te tobt sich leider an der
voll­kom­men falschen Stelle aus. Das
zentra­le Problem der Rentenökonomie
wird nämlich nicht ange­gan­gen. Am
besten erschließt sich dieses über das
sog. „Henry George-Theo­rem“ („Golden
Rule of Local Public Finan­ce“), das
u.a. vom Nobel­preis­trä­ger und früheren
Welt­bank-Chef­öko­no­men Joseph
Stig­litz forma­li­siert wurde.
Das Henry George-Theo­rem (s. Abb.)
kann von links nach rechts und umgekehrt
inter­pre­tiert werden: Die öffentlichen
Güter (Infra­struk­tur, Sicherheit,
Bildung, Gesundheitseinrichtungen)
können unter bestimm­ten Bedingungen
voll­stän­dig aus den Bodenrenten
finan­ziert werden, wobei „Boden“ in
einem sehr weiten Sinne verstanden
wird (als alles, was der Mensch nicht
geschaf­fen hat, und sogar – wie bei
geis­ti­gen Eigen­tums­rech­ten – noch
darüber hinaus). Also: Man bräuchte
gar keine Steu­ern, wenn man den
Staat aus den ökono­mi­schen Renten
finan­zie­ren würde.

Kapitalismus ohne Rücksicht auf Verluste – Friedrich Müller-Reißmann 0

Kapitalismus ohne Rücksicht auf Verluste – Friedrich Müller-Reißmann

Kapi­ta­lis­mus ist die reale Perver­si­on der idea­len Markt­wirt­schaft Die Markt­wirt­schaft ist ein Wirt­schafts­sys­tem, das die (mate­ri­el­len) Bedürf­nis­se aller Menschen auf effiziente,
nach­hal­ti­ge Weise erfüllt und leis­tungs­lo­se Einkom­men tenden­zi­ell unter­bin­det. Kapi­ta­lis­mus bewirkt syste­ma­tisch das Gegen­teil: Verschwen­dung begrenz­ter Ressour­cen und Erzeugung
riesi­ger leis­tungs­lo­ser Einkom­men zulasten
der arbei­ten­den Menschen. Kapitalismus
ist die große wirkungsvolle
Metho­de der Privi­le­gier­ten, den Angriff
der Markt­wirt­schaft auf ihre Privilegien
ins Leere laufen zu lassen.
Hochglanzsystem
Kapitalismus
Die Rekla­me liefert tagtäg­lich den Beweis
für das Versa­gen des gegenwärtigen
Systems. Sie ist das allgegenwärtige
Armuts­zeug­nis des Kapi­ta­lis­mus, gewissermaßen
ein Armuts­zeug­nis auf Hochglanzpapier.
Ihre Botschaft zwischen
den Zeilen lautet: „Ein mündi­ger Verbraucher
wäre eine Kata­stro­phe. Lasst euch manipulieren
und kauft, was ihr eigent­lich nicht
braucht, und vor allem stän­dig mehr – sonst
funk­tio­niert unsere Wirt­schaft nicht!“. Kann
aber ein System auf die Dauer funktionieren,
das einen beispiel­lo­sen Wettbewerb
um die Gunst der Dumm­heit (Eitel­keit,
Verschwen­dungs­sucht, Angeberei
usw.) entfa­chen und stän­dig schüren
muss, um zu funktionieren?
Der Wett­lauf der Titanic’s
Jeder ist verzwei­felt bemüht, an der Spitze
mitzu­hal­ten. Wer nicht ande­ren voraus
ist, hat schon verlo­ren. Ein Wettlauf,
ohne das Ziel zu kennen. Niemand fragt
nach der Rich­tung, niemand stellt sich
die Frage, ob am Ende ein Ziel winkt, für
das sich die ganze Anstren­gung lohnt.
Noch schlim­mer: ein Ende dieses gigantischen
Wett­laufs ist gar nicht vorstellbar.
Der Kapi­tän und die Offi­zie­re feuern
die Mann­schaft an, das Letzte zu geben.
Auch die Passa­gie­re, vor allem die weniger
privi­le­gier­ten unter ihnen, werden
aufge­ru­fen, „umzu­den­ken“, Abstriche
an ihren gewohn­ten Rech­ten hinzunehmen
und alles in den Dienst des Wettlaufs
zu stellen…
„Und glaubt ja nicht, denen auf den anderen
Schif­fen ginge es besser. Auch die
brin­gen schmerz­haf­te Opfer, um nicht
abge­hängt zu werden“. Warum dieser
Wahn­sinn? Eine mögli­che Antwort: Niemand
weiß, wie man sich von diesem
Wett­lauf abkop­pelt, ohne dass man
dann auf einer lang­sam verrot­ten­den Titanic
einsam durch den Ozean dümpelt.
Also schlicht und einfach Mangel an
mach­ba­ren und attrak­ti­ven Alternativen
zum bedin­gungs­lo­sen Wettlauf?
Doch das kann nicht die ganze Antwort
sein. Denn sie erklärt nicht, warum die
Suche nach Alter­na­ti­ven von den Kapitänen
und Offi­zie­ren immer so schnell
als Phan­tas­te­rei, Spin­ne­rei, Wunschdenken
usw. abge­tan oder sogar als gefährliche
System­ver­än­de­rung diffamiert
wird. Nein, die Erklä­rung ist meines Erachtens
darin zu suchen, dass in ihren
Köpfen eine ideo­lo­gi­sche Verklärung
des Wett­laufs als Garant grenzenlosen
Fort­schritts exis­tiert, wohlgemerkt,
genau dieses gigan­ti­schen Wettlaufs,
nicht des Wett­be­werbs als stimulierendem
Prin­zips der Evolu­ti­on, sonst könnte
man ja auch seine Kraft auf den Wettbewerb
der Ideen konzen­trie­ren, wie
das Leben auf dem Schiff am schönsten
und gerech­tes­ten für alle Schiffsbewohner
zu gestal­ten ist. Doch man vertraut
lieber darauf, dass man sich diesen
schwie­ri­gen Fragen nach Lebensqualität
und Gerech­tig­keit nicht stel­len muss,
wenn man nur im großen Wett­lauf die
ande­ren Schif­fe hinter sich lässt.
Ideo­lo­gi­sche Dogmen schwe­ben nicht
im reali­täts­lee­ren Raum. Im Grunde wissen
die Kapi­tä­ne, dass sie selbst nur
dann über­pro­por­tio­nal vom Wettkampf
profi­tie­ren, wenn sie vorn liegen und
das heißt: Wer auf den hinte­ren Plätzen
liegt, zahlt über­pro­por­tio­nal. Eigentlich
wird das ziem­lich offen ausgesprochen.
„Wenn wir unse­ren Wohl­stand halten
wollen, müssen wir im internationalen
Wett­be­werb die Nase vorn behalten.“
Man sagt zwar: Vom freien Welthandel
profi­tie­ren alle, aber man weiß: So gut
wie es uns geht, kann es uns nur gehen,
wenn es den ande­ren nicht so gut geht.
Das ist die Ideo­lo­gie hinter der Ideologie
unse­res Wirt­schafts­sys­tem: Wir können
uns das Glück gar nicht mehr anders
vorstel­len als das Glück von Siegern.
Und Sieger siegen nun mal auf Kosten
der Verlierer.

Kapitalismus – Wort ohne Bedeutung? – Andreas Bangemann 0

Kapitalismus – Wort ohne Bedeutung? – Andreas Bangemann

Kapi­ta­lis­mus – Wort ohne Bedeutung?
Eine Spurensuche

Kapi­ta­lis­mus­kri­tik ist welt­weit an der
Tages­ord­nung. Alle schrei­ben darüber,
alle reden davon. Doch worüber eigentlich?
Was ist Kapitalismus?
Auf der Entde­ckungs­rei­se gelangt man zu
einem leeren Gefäß, in das viele hineinrufen.
Und die Töne der Rufen­den schallen
zurück.
„Unprä­zi­ser Begriff für ein modernes
Wirtschaftssystem …“
So beginnt im „Brock­haus“ die Erklärung
unter dem Stich­wort „Kapi­ta­lis­mus“.
Es folgen zahl­rei­che Hinwei­se auf ökonomische
Denker, die mit ihrer Definition
versuch­ten, die Betrachtungsweise
zum Kapi­ta­lis­mus zu prägen.
Priva­tes Eigen­tum ist für viele eine
Grund­vor­aus­set­zung des Kapitalismus.
Darauf baute Karl Marx seine
Kritik auf und prägte maßgeb­lich die
Diskus­si­on. In den seit Ausbruch der
Wirt­schafts- und Finanz­kri­se sich formierenden,
kapitalismuskritischen
Grup­pen und Orga­ni­sa­tio­nen finden
sich bis zum heuti­gen Tage die Marxschen
Darle­gun­gen wieder.
„Occupy“ – „deutsch: beset­zen, beanspruchen“
ist das bedeutsamste
– auch im nicht englischsprachigen
Raum genutz­te – Wort für das Ziel der
Occupy-Bewe­gung. Das Gefühl der
Ohnmacht im Anblick der immensen
Kapi­tal­sum­men, die dazu zu ermächtigen
schei­nen, die gesam­te Menschheit
in den Abgrund zu stür­zen, befördert
den Wunsch nach einem Ende der bedrohlichen
Entwick­lung. Man wünscht
sich die Quelle des Irrsinns zu besetzen.
Doch wo ist diese Quelle?
Folgt man der Spur des Geldes, dann
stößt man auf Perso­nen. Superreiche,
Banker und Finanz­ak­teu­re, die mit Milliarden
jonglie­ren können und die offenbar
die Augen vor den Folgen ihres Tuns
verschlie­ßen. Der Gedan­ke, die Profiteure
des Systems der Macht zu berauben
und sie selbst zu beanspruchen,
liegt auf der Hand. Doch was wäre mit
einer solchen Aneig­nung erreicht?
Haben nicht ausge­rech­net die von Karl
Marx vorge­schla­ge­nen Lösun­gen einer
völli­gen Enteig­nung der Menschen zu
Guns­ten einer „Allge­mein­heit“ in der
Praxis hinläng­lich bewie­sen, dass trotz
alle­dem ein wesent­li­ches Element des
Wirt­schaf­tens immer weiter fröhliche
Urstän­de feiert?
Die Versu­chung ist groß: Soll ich den
unzäh­li­gen Defi­ni­tio­nen von Kapitalismus
noch eine hinzu­zu­fü­gen? Schließlich
habe ich – wie alle ande­ren – mir
auch eine eigene Vorstel­lung davon
heraus­ge­bil­det, was ich unter diesem
Begriff verste­he. Und da es ja nichts
„Präzi­ses“ und Allge­mein­gül­ti­ges gibt,
warum also nicht?
Außer Kopf­ni­cken von jenen, die meine
Auffas­sung teilen – und ihr sicher noch
einige Details hinzu­fü­gen würden – wäre
damit nicht viel gewon­nen. Ausnahme:
die Defi­ni­ti­on schaff­te es zu allgemeiner
Aner­ken­nung und ihr würde im Brockhaus
„Präzi­si­on“ attes­tiert werden.
Das ist schon sehr unwahrscheinlich.
Apro­pos Wahrscheinlichkeit:
In den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten gibt
es keine Natur­ge­set­ze, wie in der Physik.
Spätes­tens seit der Globalisierung
scheint niemand mehr in der Lage, abgeschlossene
Räume zu defi­nie­ren, innerhalb
welcher Wirt­schaf­ten nach klaren
Regeln mit vorher­seh­ba­ren Folgen
ablau­fen kann. Sobald wir Wirtschaften,
also mitein­an­der in Bezie­hung treten
zum Zwecke eines „Ener­gie­aus­tau­sches
«, gelan­gen wir in Sphä­ren, die
der Physi­ker im Mikro­be­reich längst
als allen eindeu­ti­gen Vorher­sa­gen entzogen
bezeich­nen und nur noch von
Wahr­schein­lich­keit spre­chen würde.
Eine Tatsa­che, die den sich immer auf
der Grund­la­ge voll­stän­di­ger Kausalitätsforderungen
gewähn­ten Physikern
zu Beginn des vori­gen Jahrhunderts
fast den Verstand raubte.
Albert Einstein formu­lier­te es 1924
nach vielen Jahren des Erkenntniswachstums,
beina­he verzwei­felt klingend,
so: „Der Gedan­ke, dass ein einem
Strahl ausge­setz­tes Elek­tron aus
freiem Entschluss den Augen­blick und
die Rich­tung wählt, in der es fortspringen
will, ist mir uner­träg­lich. Wenn
schon, dann möchte ich lieber Schuster
oder Ange­stell­ter einer Spiel­bank sein
als Physiker.“[1]
Es ist deshalb nach­voll­zieh­bar, dass
wir uns heute einer unerschöpflich
schei­nen­den Zahl an Erklärungsversuchen
für die Vorgän­ge in der Wirtschaft
und am Finanz­markt gegenübersehen.
Die daran geknüpf­ten Erwar­tun­gen für
die weite­re Entwick­lung können nur mit
Hilfe des Zufalls eintref­fen. In Wahrheit
fischen alle „Exper­ten“ im Trüben. Zugeben
würde das nur keiner.
Einen Unter­schied zwischen Physikern
und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lern gibt
es jedoch. In der Physik will man die beobachteten
Erschei­nun­gen in der Natur
aufde­cken und ihre kausa­len Zusammenhänge
ergrün­den. Erst Beobachten,
dann Ergrün­den. Man kann sich des
1 Quelle: »Albert Einstein«, Hedwig und Max Born (1969),
S. 118. Brief von Einstein an Max Born, 29. April 1924)
Eindrucks nicht erweh­ren, dass das bei
den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten anders
läuft, um nicht zu sagen umgekehrt.
Man verfügt über einen immer gültigen
Theo­rie-Werk­zeug­kas­ten und schaut in
der Reali­tät nach den Abläu­fen, die dazu
passen und sich damit formen lassen.
Die ande­ren blen­det man aus.
Die Neutra­li­tät des Geldes
Ein Beispiel: In der Ökono­mie wird
ausge­rech­net der essen­zi­ells­te Energieträger
nicht in seinen Eigenschaften
und Wirkun­gen erforscht. In Zeiten
des Papier­gel­des und der Bits und
Bytes verzich­tet man, offen­bar wegen
der vermeint­li­chen Energielosigkeit
des Trägers, dessen Rele­vanz hinsichtlich
der ausge­lös­ten Prozes­se zu erforschen.
So wird bis heute in den Standardwerken
der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten die
„Neutra­li­tät des Geldes“ gelehrt. Zwar
ist die Rede von einem „Schlei­er“, den
das Geld über Trans­ak­tio­nen legt, man
misst ihm aber dennoch keine Bedeutung
in Bezug auf die realen Prozesse
der Wirt­schaft bei.
Ob ein Physi­ker anstel­le eines Ökonomen
das jemals so sähe, angesichts
der Tatsa­che, dass es im Zusammenhang
mit Geld einen Selbstvermehrungsprozess,
wie den des Zins- und
Zinses­zins­sys­tems gibt, darf stark bezweifelt
werden.
Im Rahmen der Spei­che­rung von Geld
in unter­schied­li­che „Kapi­tal­for­men“
entsteht mehr Geld, was wieder­um zu
Auswir­kun­gen in der Wirt­schaft führt.
Zum Beispiel zu realem Wachs­tum, in
Form von mehr Autos, mehr Gebäuden
und vieler­lei ande­ren mate­ri­el­len Dingen.
Versucht man die beharr­li­che Sichtweise
der Neutra­li­tät des Geldes in der
Ökono­mie zu ergrün­den, kommt man
auf aller­lei – für die Betrof­fe­nen wenig
schmei­chel­haf­te – Erklärungsversuche,
die hinsicht­lich der Motive zweifellos
speku­la­tiv sind.
Die Daseins­be­rech­ti­gung und Reputation
dieses Wissens­zwei­ges hängt maßgeblich
davon ab, wie die postulierten
Erkennt­nis­se mit der von jedermann
beob­acht­ba­ren Reali­tät in Einklang stehen.
Da erscheint es ange­sichts der im
Vergleich zur Physik mangeln­den Wissenschaftlichkeit
nur plau­si­bel, dass
sich Beob­ach­tun­gen und Erkenntnisse
zu selbst­er­fül­len­den Prophezeiungen
ausprägen.
Solan­ge die maßgeb­li­chen Wirtschaftsteilnehmer
ihr Verhal­ten, an die von federführenden
Stel­len vorgegebenen
Bedin­gun­gen anpas­sen, handeln auch
alle ande­ren danach. Die immer aufs
Neue entste­hen­den, „natür­lich unvorhersehbaren
«, Neben­wir­kun­gen werden
auf Basis des glei­chen Denkens
sogleich in das bestehen­de Denkmuster
inte­griert und sind infolgedessen
auch erklärt. So arbei­ten keine Wissenschaftler.
So arbei­ten Scharlatane.
Wozu führt das in der Reali­tät? Welche
Auswir­kun­gen hat eine solche Wissenschaft
auf wirt­schaft­li­che Abläufe?
Zunächst einmal erzeugt und verfestigt
man damit Mythen.
• Zum Beispiel den Mythos von den
Flei­ßi­gen, die ausschließ­lich durch ihrer
Hände und ihres Geis­tes Arbeit zu
Reich­tum kamen.
• Reich wird man nur dank außerordentlichem
Fleiß.
• Wer Arm ist, hat enor­men Nachholbedarf
an Streb­sam­keit und dem Aneignen
von Fähig­kei­ten, welche die Gesellschaft
– genau­er: die Wirtschaft
– von einem erwartet.
• Reich sein ist ein Beweis für großartige
Leistungsfähigkeit.
• Arm sein einer für einen Mangel an gesellschaftlicher
Anpassungsfähigkeit.
• Der „Vom-Teller­wä­scher-zum-Millio­när-
Mythos“ ist auch einer, der nur
aufrecht­zu­er­hal­ten ist, wenn dem
Geld Neutra­li­tät beigemes­sen wird.
Der Liste ließen sich unzäh­li­ge andere
Beispie­le hinzu­fü­gen. Doch, was hilft
uns das weiter, in einer Welt, in der diese
Mythen mehr Einfluss auf das tägliche
Leben ausüben, als gutgemeinte
„Gegen­ent­wür­fe“.

Der KannWas kann was! – Redaktion 0

Der KannWas kann was! – Redaktion

Das Kann­Was-Jubi­lä­um – 31. Mai bis 01. Juni 2014 in Kiel
10 Jahre Regio­nal­wäh­rung für Schleswig-Holstein
Sieben enga­gier­te Menschen, die sich für ein gerech­tes Geld­sys­tem einset­zen, grün­de­ten 2004 auf Initia­ti­ve von Dr. Frank Schep­ke, den Verein
Regio­nal­geld Schles­wig-Holstein e. V. und began­nen das Regio­nal­geld Kann­Was heraus­zu­ge­ben. Anläss­lich des 10-jähri­gen Jubi­lä­ums hat der Verein
ein inter­es­san­tes und abwechs­lungs­rei­ches Tagungs­pro­gramm erar­bei­tet und namhaf­te Refe­ren­ten für diese Veran­stal­tung gewin­nen können.
Die Referenten:
Prof. Dr. Wolf­gang Berger, Karls­ru­he. Leiter der Busi­ness Reframing GmbH,Institut für Orga­ni­sa­ti­on und Manage­ment, mit dem
er „Flow“ in Unter­neh­men veran­kert. „Wer etwas verän­dern will, hat alle gegen sich, die sich in den alten Zustän­den bequem
einge­rich­tet haben.“
Dr. Elisa­beth Meyer-Renschhau­sen, Berlin, ist frei­schaf­fen­de Autorin und Privat­do­zen­tin am Insti­tut für Sozio­lo­gie der Freien
Univer­si­tät Berlin.
Dr. Regula Müller, Kiel, gibt Gebrauchs­an­wei­sung zur Herstel­lung von Terra preta heraus und infor­miert über Grundprinzipien
einer ökolo­gi­schen Kreislaufwirtschaft.
Andre­as Bange­mann, Wupper­tal, ist verant­wort­li­cher Redak­teur der Zeit­schrift „HUMANE WIRTSCHAFT“.
Matthi­as Stühr­woldt, Stolpe, ist Bauer und Schrift­stel­ler zugleich.
Jona­than Ries, Wupper­tal, ist gelern­ter Sport­wis­sen­schaft­ler mit dem Schwer­punkt Bewegungstheater.
Bern­hard Schaef­fer, Berlin, Physi­ker, der sich mit der Entwick­lung von Misch­dampf-Kraft­wer­ken beschäftigt.
Prof. Dr. Wolf­gang Deppert, Hamburg, pensio­nier­ter Profes­sor für Philo­so­phie und promo­vier­ter Physi­ker. Grün­dungs­rek­tor des
Sokra­tes-Univer­si­täts­ver­eins e. V.
Volker Viehoff, Jürgen Ceyno­wa und Bernd Petrosch­ka, Lübeck, Sie sind bei uns mit „Rhythm & Lyrics“.
Dr. Frank Schep­ke, Löptin, Bio-Bauer im Unru­he­stand, Begrün­der des Regio­nal­gel­des Kann­Was für Schleswig-Holstein.
Seit 2004 im Vorstand des Vereins Regio­nal­geld Schles­wig-Holstein e.V.
Anmel­dung, Tickets und weite­re Infor­ma­tio­nen: http://www.kannwas.org

Alter Taler im neuen Gewand – Lukas Walter 0

Alter Taler im neuen Gewand – Lukas Walter

Der FREITALER aus Frei­burg im Breisgau

Regio­nal­wäh­run­gen sind ein alter Hut,
könnte man meinen. Dass dem nicht
so ist, zeigen etablier­te Dauerbrenner,
aber auch Regio­gel­der, die sich
neu erfin­den. Die Gemeinschaftswährung
FREITALER exis­tiert seit 2008.
Damals orien­tier­ten sich die Macher,
wie viele aus der Szene, an den Lehren
von Silvio Gesell. So konnte sich
schnell ein klei­ner, aber engagierter
Freun­des­kreis bilden. Im Jahre 2012
wurde dann die Umstel­lung beschlossen.
Weg vom Regio­geld hin zur Spendenplattform.
Als regio­na­les Zahlungsmittel
und Spen­den­platt­form hat der
FREITALER nun etwa 130 Unternehmen
ange­schlos­sen. Diese
Entwick­lung, ein langsames
aber steti­ges Wachs­tum, dauert
nach wie vor an.

Das Beson­de­re:
Keine Klebemarken
Eine tief grei­fen­de und bis heute diskutierte
Verän­de­rung, war die Abschaffung
des Umlauf­im­pul­ses in Form von Klebemarken.
Dieser Impuls, wie er bei vielen
Regio­gel­dern, wie beispiels­wei­se dem
„Chiem­gau­er“ verwen­det wird, kann
für einen schnel­le­ren Umlauf des Geldes
sorgen. Die „Umlauf­ge­bühr“ muss
durch den Kauf einer Klebe­mar­ke bezahlt
werden, die dann auf den Schein aufgebracht
wird. Dadurch ist jeder angehalten
das Geld schnell weiter zu geben, um keine
Klebe­mar­ken kaufen zu müssen.
In Frei­burg brauch­te es oft viel Überzeugungsarbeit
die Unter­neh­men und
Verbrau­cher fürs Kleben zu begeistern.
Dies und der erhöh­te Verwaltungsaufwand
waren die Haupt­grün­de, es 2012 erst einmal ohne Umlauf­ge­bühr zu versuchen.
Dafür trat die Projektförderung
in den Vordergrund.
Die Projekt­för­de­rung im Fokus
Wie bei vielen Regio­nal­wäh­run­gen werden
auch Spen­den für gemeinnützige
Verei­ne in der Region generiert.
Die Förde­rung fließt, sobald beim Eintausch
von Euro in FREITALER ein Projekt
ange­ge­ben wird. Mitt­ler­wei­le können
über 20 verschie­de­ne Projek­te gefördert
werden. Im Mittel­punkt stehen relativ
klei­nen Initia­ti­ven, bei denen schon geringe
Beträ­ge eine große Wirkung hervorrufen.
Das neues­te Projekt ist die Studenteninitiative
Weit­blick Frei­burg e. V.
Sie konn­ten kürz­lich ihre erste Förderung
von 74 FREITALER abho­len. Unterstützer
des Projekts tausch­ten insge­samt 3700 €
in FREITALER ein, 2 % davon gingen sofort
an Weit­blick Frei­burg e. V. „Wir waren
freu­dig über­rascht, dass wir als neues
Projekt mit dieser Förde­rung einsteigen,“
so das Vorstands­mit­glied Eva Kimmig.
Das Beson­de­re dabei ist, dass die Projekte
keine gemein­nüt­zig eingetragenen
Verei­ne sein müssen. Ob ein Projekt förderungswürdig
ist oder nicht, entscheiden
die Bürger vor Ort, indem sie beim
Eintausch ein Projekt wählen. So können
viele verschie­de­ne Initia­ti­ven und Neugründungen
eine größe­re Bekanntheit
errei­chen und Spen­den gene­rie­ren. Im
ersten Jahr mit Projekt­för­de­rung wurden
etwa 100.000 € eingetauscht.
„Die FREITALER werden wir bei einer lokalen
Drucke­rei wieder ausge­ben“, so Eva
Kimmig weiter „Zuvor haben wir bei einer
Online­dru­cke­rei drucken lassen“. Der
gemein­nüt­zi­ge Verein verkauft jedes Jahr
Frei­burg­ka­len­der, die in loka­len Schreibwarengeschäften
erhält­lich sind. Vom
Erlös werden ein Frei­bur­ger Flüchtlingswohnheim
und ein Schul­pro­jekt in Kenia
unter­stützt. „Global denken und lokal
handeln, das ist auch unser Motto“, sagt
Kimmig. Durch den FREITALER, der sich
als Vermitt­ler zwischen Unternehmen
und Projek­ten versteht, kann die Spende
als Start­ka­pi­tal einge­setzt werden, um
weite­re Unter­stüt­zer, wie die Druckerei,
zu gewin­nen. Da die Spende in FREITALER
ausge­zahlt wird, fließt sie wieder in
die regio­na­le Wirt­schaft zurück.

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Sommertagung der HUMANEN WIRTSCHAFT – Freiburg 2014 – Redaktion

Sams­tag, den 21. Juni 2014 in Frei­burg im Breisgau
Veran­stal­tungs­ort: Histo­ri­sches Kauf­haus Frei­burg – Kamin­saal Müns­ter­platz 24 79098 Freiburg
Einlass: 9:00 Uhr
Programm von 10:00 bis 18:00 Uhr

Gesprä­che über Geld im Kauf­haus – Kann es einen besse­ren Ort dafür geben?
In unmit­tel­ba­rer Nähe zum Frei­bur­ger Müns­ter liegt das schöne, histo­ri­sche Gebäu­de, in dem die Sommer­ta­gung 2014 stattfindet.
In der sonnen­reichs­ten Region Deutsch­lands den längs­ten Tag des Jahres erleben!

Erle­ben Sie die HUMANE WIRTSCHAFT leibhaftig:
Sommer­ta­gung am 21. Juni 2014 in Frei­burg im Breisgau.
Ein kurz­wei­li­ger Tag unter ande­rem mit Vorträ­gen von Prof. Dr. Dirk Löhr
und Andre­as Bange­mann bringt die Arbeit und die Menschen hinter der
Zeit­schrift näher.
Weite­re Infor­ma­tio­nen und Anmel­dun­gen in unse­rer Geschäfts­stel­le bei Frau
Erika Schmied:
Luit­pold­str. 10,
91413 Neustadt a.d. Aisch
Tel. (09161) 87 28 672 (vormit­tags),
Fax (09161) 87 28 673
E‑Mail: service@humane-wirtschaft.de
Die Anmel­dung über ein Anmel­de­for­mu­lar mit allen wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen ist
auch im Inter­net möglich: http://goo.gl/njHaFb