Arbeit ruiniert die Welt – Günther Moewes

Als „kennt­nis­reichs­ten“ und „ersten Umwelt­jour­na­lis­ten der Repu­blik“ bezeich­nen die Medien Chris­ti­an Schüt­ze, bis 1992 Umwelt­re­dak­teur der Süddeut­schen Zeitung. „Arbeit ruiniert die Welt“ laute­te der Unter­ti­tel zu seinem Buch „Das Grund­ge­setz des Nieder­gangs“ (Schüt­ze, 1989). Im folgen­den Fest­vor­trag zu Schüt­zes 90. Geburts­tag im Dezem­ber 2017 erläu­tert Günther Moewes, warum es für ihn und viele seiner Gene­ra­ti­on zum Kult­buch wurde.
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Als Archi­tek­tur­leh­rer trieb mich beson­ders eine Beob­ach­tung um: Der damals und noch heute herr­schen­de Archi­tek­tur­stil war der soge­nann­te Funk­tio­na­lis­mus. Der war zum einen verspä­te­ter Nach­voll­zug, der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on zum ande­ren Bestand­teil der großen Revo­lu­ti­on der Bilden­den Künste zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts. Solche span­nen­den Aufbruchs­zei­ten hat es ja immer wieder in der Geschich­te gege­ben. Sie versuch­ten, den bishe­ri­gen, abge­nutz­ten Zeit­geist abzu­strei­fen und nach Neuem, Allge­mein­gül­ti­ge­rem zu suchen, nach ratio­na­len, für alle objek­tiv verbind­li­chen Gesetz­mä­ßig­kei­ten. Nach der muffi­gen Stil­ver­mi­schung des Histo­ris­mus wollte der Funk­tio­na­lis­mus wieder eine neue Klar­heit und Rein­heit. Seine Ziele hießen deshalb: Mate­ri­al­ge­recht­heit, Funk­ti­ons­ge­recht­heit und Werkgerechtheit.
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So weit die Theo­rie. „In der Praxis von Archi­tek­tur und Städtebau…vollzog sich jedoch das genaue Gegen­teil dieser theo­re­ti­schen Forde­run­gen. Es entstand eine histo­risch einzig­ar­ti­ge Vermi­schung: bei den soge­nann­ten Verbund­bau­stof­fen und in den Baumärk­ten entstan­den extre­me Mate­ri­al­ver­mi­schung und extre­mes Produk­te­cha­os. In der Archi­tek­tur entstand eine nie dage­we­se­ne Vermi­schung der unter­schied­lichs­ten Gebäu­de- und Dach­for­men. Im Städ­te­bau entstand ein nie dage­we­se­nes Chaos von Gebäu­de­hö­hen, ‑fluch­ten, ‑abstän­den und ‑formen“. Ausge­rech­net, als an den Univer­si­tä­ten neue Fach­be­rei­che mit dem Sehn­suchts­na­men „Raum­ord­nung“ gegrün­det wurden, „wurden Stadt und Dorf, Sied­lung und Land­schaft, Archi­tek­tur und Natur mitein­an­der vermischt“ (Moewes 1995, S. 7). „Vulgär­funk­tio­na­lis­mus“ habe ich das damals genannt.
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Es gab über­haupt keine „Raum­ord­nung“ mehr – es gab nicht einmal mehr „Raum“. Der städ­te­bau­li­che Raum war – erst­ma­lig seit dem Früh­mit­tel­al­ter – total verlo­ren gegan­gen, war zum bloßen „Immo­bi­li­en­ab­fall“ geworden.
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Stadt­raum war von der Renais­sance bis zur Grün­der­zeit stets das eigent­li­che Planungs­ziel gewe­sen, das „primär Gemein­te“. Die Gebäu­de waren nur das „sekun­där Gemein­te“, Model­lier­mas­se, vor allem dazu da, den primär gemein­ten Stadt­raum zu bilden, das Öffent­li­che, das Gemein­schaft­li­che. Die Raum­fol­gen hatten hohen Erleb­nis­wert, hohe Prägnanz, Unver­wech­sel­bar­keit und Einpräg­sam­keit. Von der Gasse über die Straße bis zum Platz – man wusste genau, wann man einen Stadt­raum verließ und den nächs­ten betrat. Soge­nann­te Schwarz­plä­ne von damals zeigen, dass das ganz gezielt und bewusst geschah. Bis auf Kirche, Rathaus oder Schloss gab es Gebäu­de nur als zusam­men­hän­gen­de Mehrzahl.
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Wieso ist heute der Stadt­raum derart verlo­ren­ge­gan­gen? Hat es viel­leicht etwas mit dem Verlust von Gemein­schaft zu tun? Zwar begann uns schon damals zu dämmern, dass es viel­leicht etwas mit der neuen Art unse­res Wirt­schaf­tens zu tu haben könnte. Aber zuerst einmal gab es archi­tek­tur­theo­re­ti­sche Ursa­chen. Der Funk­tio­na­lis­mus hatte das Prin­zip des „Frei­ste­hen­den“ erfun­den. Punkt­haus, Zeilen­haus, Hügel­haus. Diese neue Tendenz zum Einzel­ge­bäu­de gipfel­te im Hoch­haus und vor allem im frei­ste­hen­den Einfa­mi­li­en­haus, das extrem viel Fläche und Versor­gungs­net­ze erfor­der­te. Nicht mehr der Raum war das primär Gemein­te, sondern das Einzel­ge­bäu­de war das einzig Gemein­te. Der Raum war dage­gen das über­haupt nicht Gemein­te, das nicht einmal Bewuss­te. Sogar die ener­gie­güns­ti­ge Block­rand­be­bau­ung wurde als unhy­gie­ni­sche Hinter­hofro­man­tik denun­ziert und aufge­ge­ben. Ausge­rech­net, als erst­ma­lig in der Welt­ge­schich­te der Verkehrs­lärm aufkam, verzich­te­te man auf die ruhi­gen Höfe und sorgte dafür, dass der Krach auch ja von allen Seiten an die Gebäu­de herankam.
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Diese neue „Singu­la­ri­tät“ – wie sie die Sozio­lo­gie heute nennt (Reck­witz 2017) – hatte es so nie gege­ben. Von den alten Fach­werk­städ­ten und ‑dörfern, von den italie­ni­schen Berg­dör­fern und den weißen Dörfern Anda­lu­si­ens, über die Klin­ker­städ­te der Hanse bis zu den Grün­der­zeit­vier­teln – stets waren die Quar­tie­re Gebäu­de­ge­mein­schaf­ten aus einem Guss. Diese „Ensem­ble-Ästhe­tik“ sei verlo­ren gegan­gen, schrieb mir Chris­ti­an Schüt­ze einmal. Und damit das Gefühl für Gemein­schaft, Zuge­hö­rig­keit und Allgemeinverbindlichkeit.
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