Geld ist kein Tauschmittel – Jens Martignoni
– - -
ABSTRACT
– - -
In diesem zweiten Teil über grundlegende monetäre Konzepte und Ideen, wird die in der Komplementärwährungsszene immer noch stark verankerte Vorstellung von Geld als „Tauschmittel“ in Frage gestellt. Diese Idee und die Definition des Geldes über monetäre Funktionen sind nicht haltbar, müssen in Frage gestellt und durch bessere Konzepte ersetzt werden, wenn eine wirkliche Veränderung des Geldsystems gelingen soll.
– - -
SCHLÜSSELWÖRTER: Geldtheorie, Funktionen des Geldes, Zweck, Zahlungsmittel.
– - -
Den „provokanten Titel“ Geld ist kein Tauschmittel habe ich bereits in einem früheren Beitrag für das IJCCR (Martignoni, 2018) als Kapitelüberschrift verwendet. Die Idee dahinter war, zu erklären, dass die gängige Definition der Funktion des Geldes als Tauschmittel, wie sie in praktisch allen Wirtschaftslehrbüchern zu finden ist, irreführend oder, schlimmer noch, völlig falsch ist. Aber da solche Details in langen Abhandlungen zwar gelesen, aber nicht als grundlegend verstanden werden können (weil es noch keine umfassende Debatte zu diesem Thema gibt), lohnt es sich, sie zu wiederholen und zu vertiefen. Ich wage es daher, zunächst einen großen Teil dieses Abschnitts aus dem Artikel zu zitieren (mit leichten Korrekturen in Sprache, Stil und Quellenangaben) und dann einige weitere Aspekte hinzuzufügen:
„Geld ist kein Tauschmittel“: Dieser vielleicht für viele zuerst widersinnige Titel soll uns helfen, die weit verbreitete Behauptung „Geld ist ein Tauschmittel“ zu überprüfen, die in praktisch jedem Wirtschaftsbuch steht und eine gängige Definition von Geld darstellt. Immer mehr Wissenschaftler vertreten jedoch eine andere Auffassung. Die Analyse von Tausch und Markt ist ein wichtiger Baustein für das Verständnis von Geld, aber darüber hinaus müssen auch die kollektiven Aspekte von Geldstrukturen berücksichtigt werden. Ingham (2004, S. 69) bringt es auf den Punkt: „Die Fokussierung auf Geld als Tauschmittel führt zu einem kategorialen Fehler, bei dem spezifische Geldformen mit der allgemeinen Qualität von ‚Geldhaftigkeit‘ verwechselt werden.“
– - -
Obwohl von Tauschmittel gesprochen wird, wird interessanterweise in den gängigen Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre (z. B. Samuelson, 2004) der Tausch selbst nicht grundlegend behandelt, sondern als gegeben vorausgesetzt.
Eine populäre Definition von Tausch im Wirtschaftslexikon (Grüske / Recktenwald) lautet: „Tausch ist der wirtschaftliche Transfer von Gütern, der Austausch von Dienstleistungen auf der Basis von Arbeitsteilung. Rechtlich gesehen ist der Tausch ein gegenseitiger Vertrag, der auf den Austausch von Ware gegen Ware gerichtet ist, im Gegensatz zum Kauf, der der Austausch von Ware gegen Geld auf der Grundlage von Preisen ist.“
– - -
Hier wird sogar der Kauf und der Tausch als Gegensatz bezeichnet. Auch in keiner anderen Tausch-Definition wird Geld als Tauschkategorie eingeführt, sondern als Teil des Kaufs. Während man beim Tausch eine Ware oder Dienstleistung, die man (hoffentlich) begehrt, direkt vom Tauschpartner erhält, bekommt man beim Kauf eine Bezahlung in Geld, d. h. mehrere Gutscheine, für die nicht der Tauschpartner, sondern unbenannte Dritte verantwortlich sind. Der Verkäufer erwartet, dass diese Gutscheine (wann und bei wem er will) eingelöst werden können. Entscheidend ist nicht, dass der Tausch nun in zwei getrennte Akte zerfällt und jeder dieser beiden Akte wieder als Tausch, Ware gegen Geld und Geld gegen Ware, dargestellt werden kann (Röpke, 1979, S. 114), sondern dass mit der Einführung des Geldes ein Ebenenwechsel vom Individuum zum Kollektiv stattgefunden hat. Röpke erwähnt dies auch kurz darauf (1979, S. 116): Geld wurde daher auch mit einer Eintrittskarte zum „Sozialprodukt“ (d. h. zum vorhandenen Bestand an Gütern und Dienstleistungen) oder als „Anspruch auf das Sozialprodukt“ verglichen. Röpke selbst bezweifelt allerdings diese Sichtweise. Dennoch ist leicht einzusehen, dass Geld nur bei „vielen“ Beteiligten, also im Kollektiv, existieren kann. Es muss von einer hinreichend großen Zahl von Personen und Institutionen freiwillig oder gezwungenermaßen anerkannt werden, sonst verliert es schnell seinen Geldcharakter.
– - -
Der erste Fehler der „individualistischen Tauschtheorie“ besteht also darin, dass beim Übergang vom Tausch zum Geld das Geld selbst unhinterfragt vorausgesetzt und als Ware betrachtet wird, da es das getauschte Gut einfach ersetzen würde. Das heißt, eigentlich wird Geld als Ware betrachtet, was dann in der Logik zu einer irrtümlichen Warentheorie des Geldes führt. Amato und Fantacci (2012, S. 41) fassen dies wie folgt zusammen: „Geld, das seinen Namen zu Recht trägt, ist keine Ware, die auf der Ununterscheidbarkeit seiner ersten beiden Funktionen beruht, sondern eine Institution, die ihre Beziehung im Hinblick auf die Bezahlung bestimmt.“
– - -
Die Grundlage des Geldes ist jedoch ein Kollektiv, das das Geld bereits eingeführt hat, und die einfachste und wirksamste Einführung des Geldes muss ebenfalls kollektiv erfolgen, z. B. durch den Souverän oder in neuerer Zeit durch die moderne Erscheinungsform des Souveräns, den Staat. Schon Karl Polanyi hat dies aus sozialen und historischen Gründen festgestellt:
– - -
„Der Staat, […] war in der Tat der Garant für den Wert des Münzgeldes, das er als Zahlung für Steuern und anderes akzeptierte. Dieses Geld war kein Tauschmittel, sondern ein Zahlungsmittel; es war keine Ware, sondern Kaufkraft; weit davon entfernt, selbst einen Nutzen zu haben, war es nur ein Zähler, der einen quantifizierten Anspruch auf Dinge verkörperte, die man kaufen konnte. Es ist klar, dass eine Gesellschaft, in der die Verteilung vom Besitz solcher Kaufkraftmarken (-token) abhängt, eine völlig andere Konstruktion ist als die Marktwirtschaft.“ (Polanyi, 2001, S. 205).
– - -
„Unter diesem Gesichtspunkt verliert das Geld alle Eigenschaften des Tausches und der Ware und wird zum Rechtsmittel, in erster Linie zum Zahlungsmittel, das von einer Gemeinschaft – in der Regel bis heute von der großen nationalen Gemeinschaft, dem Staat – garantiert wird. Dies wird überall durch die Gesetzgebung über das Geld und das Geldsystem nachvollzogen.“ (Martignoni, 2018, S. 22 – 23)
– - -
Was aber, wenn es kein Tauschmittel, sondern nur ein Zahlungsmittel gibt? Und wie ist es überhaupt mit den Funktionen des Geldes als nützliche Definition? Die Antwort ist vielleicht nicht so angenehm, selbst für besonnene Menschen, die versuchen, bessere Formen des Geldes als Gemeinschafts- oder Komplementärwährungen zu erfinden und einzuführen: Wenn Geld und Währungen nicht über ihre Funktionen definiert würden, müssten auch Alternativen auf anderen Prinzipien beruhen.
– - -
Wenn wir (und hier schließe ich mich als „Geldveränderer“ mit ein) die Suche nach anderen Prinzipien positiv als Herausforderung annehmen, können wir daraus einen wirklichkeitsgetreueren Auftrag ableiten, der als wesentliche Grundlage für die Veränderung des Geldes angegangen werden muss. Es ist notwendig, ein besseres Verständnis oder Bewusstsein für die zu verändernde Materie zu erlangen. Eine sehr gute Anleitung dazu findet sich in Brett Scotts (fantastischem) Blog „Altered States of Monetary Consciousness“ (ASOMOCO) in dem Artikel „Wie die Funktionen des Geldes uns für die Struktur des Geldes blind machen“(„How the functions of money make us blind to the structure of money“). Scott weist auf drei wichtige Aspekte hin, wie wir anfangen sollten, Geld klarer zu sehen, die ich hier leicht angepasst habe:
– - -
Erstens müssen wir damit beginnen, die Struktur (der Währungen und des Geldes) als erstes zu untersuchen, so dass jedes Mal, wenn das Wort „Geld“ ausgesprochen wird, ein klares und vollständiges strukturelles Bild angesprochen wird und nicht nur einzelne Aspekte oder dogmatische Sätze aus einer veralteten Wirtschaftswissenschaft wiederholt werden. Aber wir müssen geduldig sein: Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir die vollständige Struktur wirklich verstehen!
– - -
Zweitens: Wir müssen uns nicht darauf einigen, wie die Struktur in allen Details aussieht, aber wir müssen uns darauf einigen, dass sie im Vordergrund stehen sollte. Das wäre ein großer Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Status quo, der es einfach ablehnt, sie in den Vordergrund zu stellen.
– - -
Drittens müssen wir in der Lage sein, klar zu unterscheiden zwischen der individuellen Erfahrung von Geld – dem vertrauten Gefühl, Münzen und Scheine oder Überweisungen im Alltag zu benutzen – und der verborgenen Struktur, die darüber hinausgeht. So wie wir die Sonne als etwas erleben, das „aufgeht“, und nicht als etwas, das feststeht, während die Erde sich dreht, gibt es einen phänomenologischen Bereich des Geldes, der sich von der Realität seiner Struktur unterscheiden kann, und – manchmal – können vage funktionale Definitionen in diesem Bereich ausreichen. Wenn es jedoch um die Geldpolitik geht, ist es fatal, sich damit zufrieden zu geben.
– - -
(Scott, 2021)
– - -
Wenn wir uns auf diese Reise begeben, um unsere Vorstellungen von Geld neu zu ordnen, beginnt sich die Verwirrung überraschend schnell zu klären, die durch ungenaue und falsche Lehren und deren unreflektierte Anwendung in unserem Verständnis von Wirtschaft und Geld entstanden ist.
– - -
Auf diese Weise können wir den Ansatz der Währungsfunktionen in neue Zusammenhänge stellen. Währungsfunktionen sind nicht dazu da, Geld zu definieren, sondern sie sind wesentliche Grundlagen der Währungsgestaltung, d. h. der Kunst, eine brauchbare Währung zu schaffen. Eine Funktion muss einem Zweck untergeordnet sein, sonst hat sie keine Berechtigung. Ein Beispiel: Der Zweck eines Autos ist es, Menschen von einem Ort zum anderen zu befördern. Dazu muss das Auto verschiedene Funktionen erfüllen, z. B. muss es rollen können, lenkbar sein, einen Antrieb haben, die Insassen vor Witterungseinflüssen schützen usw.. Es ist dann ziemlich klar, welche Funktionen sinnvoll sind und welche nicht. So ist z. B. eine „Bewässerungsfunktion“ oder eine „Backfunktion“ in einem Auto auf den ersten Blick unsinnig. Geld kann und muss also über seinen Zweck und nicht über seine Funktionen definiert werden. Der Zweck des Geldes ist aber bereits in weiten Zügen vorgegeben. Er beginnt mit der menschlichen Existenz und wird von dort durch Willensentscheidungen abgeleitet. Dabei kann man folgende Schritte vornehmen:
Alle Menschen müssen sich entsprechend ihrer Konstitution gemeinsam mit dem Lebensnotwendigen versorgen (das beginnt mit der Geburt).
Die Wirtschaft ist ein Instrument, um die Menschen so zu koordinieren und zu organisieren, dass zumindest die materielle Existenz für alle gesichert ist. (Zweck der Wirtschaft)
– - -
Um die Wirtschaft in ihrer Komplexität des Gebens und Nehmens zu steuern, könnte ein Instrument geschaffen werden, das die Transaktionen (Beiträge und Käufe) erfassbar und bewertbar macht. (Zweck des Geldes)
Dies könnte nun ein Geldsystem sein, das den oben genannten Zwecken dient.
Entsprechend können nun Funktionen abgeleitet werden, wie der Zweck in der Praxis erreicht werden könnte. Diese Funktionen können dann kombiniert und in eine spezifische Währung als Ausdruck eines hoffentlich funktionierenden Geldsystems eingebaut werden. Die Währung sollte nun dazu beitragen, den Zweck so gut wie möglich zu erfüllen.
– - -
Es wäre also wichtig, dass in Zukunft in den Lehrbüchern über den Zweck des Geldes als Mittel zum reibungslosen Funktionieren der Wirtschaft nachgedacht wird, als eine Art Betriebssystem der Wirtschaft.
– - -
Das wirft aber viele Fragen über unser Leben und Zusammenleben auf diesem Planeten auf, die erst einmal geklärt werden müssen, um den Zweck der Wirtschaft gemeinsam bestimmen zu können…
– - -
Ich höre hier auf und bin gespannt, ob sich daraus eine Diskussion entwickeln kann und ob solche Ideen auch weiter vertieft werden können.
– - -
Mehr online
– - –
Aktuelle Kommentare