Zu viel der Ehre … – Pat Christ
Mehr als ein Dutzend Sonderpostwertzeichen wird es 2018 geben. Eines erinnert an den 100. Geburtstag von Helmut Schmidt, ein anderes daran, dass der Wormser Dom vor 1000 Jahren geweiht wurde. Auch die Initiative der „Deutschen Tafeln“ wird mit einer Sonderbriefmarke bedacht. Denn 2018 liegt ihre Gründung 25 Jahre zurück. In diesen 25 Jahren wuchs die Zahl der ehrenamtlich betriebenen Tafel-Läden enorm. Parallel nahm die Kritik an den Tafel-Läden zu.
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1993 eröffnete in Berlin die erste Tafel, um arme Menschen mit Lebensmittelspenden zu unterstützen. 2016 existierten deutschlandweit 925 Tafeln mit mehr als 2.000 Ausgabestellen, in denen sich 60.000 Ehrenamtliche engagieren. 1,5 Millionen Menschen werden inzwischen durch die Tafeln versorgt.
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Zu den prominentesten Tafel-Kritikern gehört Stefan Selke, Forschungsprofessor für transformative und öffentliche Wissenschaft an der Hochschule Furtwangen. „Tafeln wollen das herrschende System nicht verändern, sie wollen auch den Unterschied zwischen Bedürftigen und Gebenden nicht aufheben“, kritisiert er. Jobcenter kalkulieren nach seinen Beobachtungen bei ihrer Sanktionierungspraxis bewusst die Tatsache ein, dass arme Menschen von Tafel-Läden versorgt werden. Aufgrund von Sanktionen haben sie Selke zufolge in den vergangenen zehn Jahren fast zwei Milliarden Euro nicht an Hartz IV-Empfänger ausgezahlt.
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Doch Selke ist nicht nur Tafel-Kritiker. „Mir geht es grundsätzlich darum, die Schlampigkeit zu beenden, mit der sich staatliche Pflichten, unternehmerische Verantwortung und zivilgesellschaftliches Engagement vermischen“, erklärt er gegenüber unserer Redaktion. Diese drei Sektoren hätten in einer modernen Gesellschaft unterschiedliche Aufgaben. Selke: „Durch Schirmherrschaften, Preisverleihungen und rhetorischen Zuckerguss, aber auch durch eine fahrlässige Semantik in der Politik wird der Eindruck erweckt, dass alles so gut zusammenpasst und es in diesem Spiel nur Gewinner geben kann.“
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Bezogen auf die Tafeln plädiert Selke für die Abschaffung der Schirmherrschaft durch ein Ministerium – traditionell liegt die Schirmherrschaft bei der jeweiligen Bundesfamilienministerin. Bezogen auf den gesamten Sektor des Freiwilligenmanagements fordert Selke zu mehr Transparenz auf. Auch möchte er die Monetarisierung des Ehrenamts beenden. Als Forscher interessiert ihn vor allem die Frage, wo und wie durch freiwilliges Engagement bewusst Geld eingespart wird und Arbeitsplätze verloren gehen.
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„Eine Art Tauschmedium“
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Übrigens: Auch Selke engagiert sich. „Für mich ist ehrenamtliches Engagement aber ein ‚Tauschmedium’, ähnlich wie Geld“, sagt er. Aus diesem Grund bringt er sich in Feldern ein, von denen er weiß, dass er von dort mit großer Wahrscheinlichkeit selbst schon einmal in den Genuss des Engagements von anderen gekommen ist. Das fühle sich besser an, als Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich zu den Pflichten des Staates oder in die Verantwortung von Unternehmen gehörten, unterstreicht Selke.
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„Üblicherweise erwähne ich mein Engagement nicht, auch nicht in Bewerbungen“, so der Soziologe. Selke möchte das Ehrenamt nicht „wie eine Ware“ behandeln: „Dann geht der eigentliche Wert, sozusagen die ‚Ehre’, verloren.“ Er rät allen, die sich engagieren wollen, dies nur in Bereichen zu tun, in denen sie, wie Philosophen das nennen, eine echte „Wertberührung“ empfinden: „Und nicht dort, wo man glaubt, anderen gefallen zu müssen.“
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Bei der Tafel in ihrer jetzigen Form würde sich Selke nie engagieren. „Die Tafeln sind ursprünglich angetreten, das Überflüssige zu verteilen“, erläutert er. Diese pragmatische Idee hätten sie schleichend ersetzt durch das Ziel, das Fehlende zu ersetzen. Die Politik wiederum sei froh, dass es die Tafeln gibt.
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1993 eröffnete in Berlin die erste Tafel, um arme Menschen mit Lebensmittelspenden zu unterstützen. 2016 existierten deutschlandweit 925 Tafeln mit mehr als 2.000 Ausgabestellen, in denen sich 60.000 Ehrenamtliche engagieren. 1,5 Millionen Menschen werden inzwischen durch die Tafeln versorgt.
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Zu den prominentesten Tafel-Kritikern gehört Stefan Selke, Forschungsprofessor für transformative und öffentliche Wissenschaft an der Hochschule Furtwangen. „Tafeln wollen das herrschende System nicht verändern, sie wollen auch den Unterschied zwischen Bedürftigen und Gebenden nicht aufheben“, kritisiert er. Jobcenter kalkulieren nach seinen Beobachtungen bei ihrer Sanktionierungspraxis bewusst die Tatsache ein, dass arme Menschen von Tafel-Läden versorgt werden. Aufgrund von Sanktionen haben sie Selke zufolge in den vergangenen zehn Jahren fast zwei Milliarden Euro nicht an Hartz IV-Empfänger ausgezahlt.
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Doch Selke ist nicht nur Tafel-Kritiker. „Mir geht es grundsätzlich darum, die Schlampigkeit zu beenden, mit der sich staatliche Pflichten, unternehmerische Verantwortung und zivilgesellschaftliches Engagement vermischen“, erklärt er gegenüber unserer Redaktion. Diese drei Sektoren hätten in einer modernen Gesellschaft unterschiedliche Aufgaben. Selke: „Durch Schirmherrschaften, Preisverleihungen und rhetorischen Zuckerguss, aber auch durch eine fahrlässige Semantik in der Politik wird der Eindruck erweckt, dass alles so gut zusammenpasst und es in diesem Spiel nur Gewinner geben kann.“
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Bezogen auf die Tafeln plädiert Selke für die Abschaffung der Schirmherrschaft durch ein Ministerium – traditionell liegt die Schirmherrschaft bei der jeweiligen Bundesfamilienministerin. Bezogen auf den gesamten Sektor des Freiwilligenmanagements fordert Selke zu mehr Transparenz auf. Auch möchte er die Monetarisierung des Ehrenamts beenden. Als Forscher interessiert ihn vor allem die Frage, wo und wie durch freiwilliges Engagement bewusst Geld eingespart wird und Arbeitsplätze verloren gehen.
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„Eine Art Tauschmedium“
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Übrigens: Auch Selke engagiert sich. „Für mich ist ehrenamtliches Engagement aber ein ‚Tauschmedium’, ähnlich wie Geld“, sagt er. Aus diesem Grund bringt er sich in Feldern ein, von denen er weiß, dass er von dort mit großer Wahrscheinlichkeit selbst schon einmal in den Genuss des Engagements von anderen gekommen ist. Das fühle sich besser an, als Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich zu den Pflichten des Staates oder in die Verantwortung von Unternehmen gehörten, unterstreicht Selke.
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„Üblicherweise erwähne ich mein Engagement nicht, auch nicht in Bewerbungen“, so der Soziologe. Selke möchte das Ehrenamt nicht „wie eine Ware“ behandeln: „Dann geht der eigentliche Wert, sozusagen die ‚Ehre’, verloren.“ Er rät allen, die sich engagieren wollen, dies nur in Bereichen zu tun, in denen sie, wie Philosophen das nennen, eine echte „Wertberührung“ empfinden: „Und nicht dort, wo man glaubt, anderen gefallen zu müssen.“
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Bei der Tafel in ihrer jetzigen Form würde sich Selke nie engagieren. „Die Tafeln sind ursprünglich angetreten, das Überflüssige zu verteilen“, erläutert er. Diese pragmatische Idee hätten sie schleichend ersetzt durch das Ziel, das Fehlende zu ersetzen. Die Politik wiederum sei froh, dass es die Tafeln gibt.
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