Neue Schriftenreihe zu Alternativer Ökonomie – Rezension von Günther Moewes

Schrift über „Piket­tys Krisenkapitalismus“

Unter der Über­schrift „Ökono­mi­sches Alpha­be­ti­sie­rungs­pro­gramm“ hat der rühri­ge kleine pad-Verlag aus Berg­ka­men eine Reihe von bisher 15 Titeln heraus­ge­bracht, in der u. a. auch zwei frühe­re Aufsät­ze aus der „Huma­nen Wirt­schaft“ und ein (stark erwei­ter­ter) aus der „Zeit­schrift für Sozi­al­öko­no­mie“ erschie­nen sind. Ziel der Anfang 2012 begon­ne­nen Reihe ist es, Alter­na­ti­ven zur gängi­gen neoli­be­ra­len Main­stream-Ökono­mie zu erläu­tern. Ganz im Sinne der Forde­rung des im Mai 2014 in den Medien verbrei­te­ten „Inter­na­tio­na­len Mani­fests für eine plura­le­re Ökono­mie“ von Wirt­schafts­stu­den­ten aus 21 Ländern. Und weil die Schrif­ten­rei­he sich nicht an reiche Neoli­be­ra­le wendet, sind die anspruchs­vol­len, aber allge­mein­ver­ständ­li­chen Inhal­te auf jeweils 60 – 70 Seiten beschränkt, broschiert und nur im Direkt­ver­trieb zum annä­hern­den Selbst­kos­ten­preis von fünf Euro erhält­lich. Erstes Heft war 2012 das Mani­fest der fran­zö­si­schen „empör­ten Ökono­men“. In ein ande­res Mani­fest ist sinni­ger­wei­se der Programm­pro­spekt der Schrif­ten­rei­he einge­hef­tet: in das „Ahle­ner Programm“ der CDU von 1947. Und siehe da: das steht der Schrif­ten­rei­he um Längen näher als der heuti­gen CDU-Politik.

Im Juni 2014 erschien in der Reihe die Schrift Heinz‑J. Bontrups „Piket­tys Kapi­ta­lis­mus-Analy­se. Warum die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden“, auf die hier etwas näher einge­gan­gen werden soll. Das Heft unter­schei­det sich grund­le­gend vom bishe­ri­gen anschwel­len­den Piket­ty-Gesang. Während in den meis­ten Medien aus schlich­ter Unkennt­nis so getan wird, als habe Piket­ty etwas sensa­tio­nell Neues entdeckt, verweist Bontrup kühl auf die allseits bekann­ten Ergeb­nis­se der Vertei­lungs­dis­kus­si­on in und über Deutsch­land seit den 60er Jahren: Ange­fan­gen von Oswald Nell-Breu­ning (1960), über den Ökono­men Wilhelm Krelle (1968), über die Jahres­wirt­schafts­be­rich­te der „Memo­ran­dum-Gruppe“ (ab 1975), die Vermö­gens­un­ter­su­chun­gen des DIW (ab 2007), die Berich­te der „Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bän­de“, bis hin zu Hans Ulrich Wehlers 2012 erschie­ne­nen Buch „Die neue Umver­tei­lung“. Auch aus der „Huma­nen Wirt­schaft“ sind übri­gens zwei Grafi­ken abge­bil­det. Selbst Bertels­mann und OECD warnen (aller­dings weni­ger glaub­wür­dig) vor der stei­gen­den Ungleich­ver­tei­lung, und selbst die Reich­tums- und Armuts­be­rich­te der Bundes­re­gie­rung können sie nicht ganz leug­nen. Bontrup zeigt auch anhand von Zita­ten wie und warum diese drama­tisch wach­sen­de Ungleich­ver­tei­lung die Demo­kra­tie bedroht. Fazit: „Die Piket­ty-Hype erstaunt“ zwar (32). Gleich­wohl: „Piket­ty belegt wie kein ande­rer zuvor in langen Daten­rei­hen für 20 Länder, die bis ins 18. Jahr­hun­dert zurück­rei­chen, dass die Rendi­ten auf Vermö­gen ® schnel­ler wach­sen als die Wirt­schafts­leis­tung, das Brut­to­in­lands­pro­dukt (g)“ (5). Er hat so die 54 Jahre alte Vertei­lungs­dis­kus­si­on „veri­fi­ziert […] bleibt […] aber wich­ti­ge Erklä­run­gen schul­dig“ (13).

Piket­ty führt die wach­sen­de Ungleich­ver­tei­lung auf den unter­schied­li­chen Anstieg von priva­ter Kapi­tal­ren­di­te und Sozi­al­pro­dukt zurück: „Wenn die Rendi­te des Kapi­tals vier bis fünf Prozent beträgt,…die Wirt­schaft aber nur mit einem Prozent wächst, nimmt die Ungleich­heit rasend schnell zu“ (7). Das deckt sich mit den Analy­sen, die wir seit Jahr­zehn­ten aus der „Huma­nen Wirt­schaft“ kennen, ebenso wie von zahl­rei­chen ande­ren o. a. Vertei­lungs­kri­ti­kern. Piket­ty folgert deshalb, nur mit einer dras­tisch höhe­ren Besteue­rung der ange­sam­mel­ten priva­ten Kapi­tal­ver­mö­gen ließe sich der Anstieg der Ungleich­ver­tei­lung über­win­den. Gleich­zei­tig behaup­tet er in einem Inter­view aber auch: „Solan­ge die Produk­ti­vi­tät steigt, kann auch die Akku­mu­la­ti­on des Kapi­tals weiter­ge­hen, ohne dass diese Entwick­lung ihre eigene Grund­la­ge zerstört“ (7). Wie bitte? Ist es nicht viel­mehr umge­kehrt so, dass die Ungleich­heit vor allem deshalb so drama­tisch steigt, weil die Ergeb­nis­se der Produk­ti­vi­täts­stei­ge­rung bisher stets einsei­tig der Kapi­tal­sei­te zuflos­sen? Und kommt es deshalb nicht vor allem darauf an, ob und wie die vom Staat einzu­trei­ben­den Millio­närs­steu­ern der ärme­ren Bevöl­ke­rung zugutekommen?

Genau hier setzt die Kritik Bontrups an. Er weist nach, dass der Zusam­men­hang zwischen Produk­ti­vi­tät und priva­ter Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on nicht ganz so einfach ist, wie Piket­ty sich das vorstellt. Zuneh­men­de Kapi­tal­pro­duk­ti­vi­tät kann nun einmal extrem gegen­sätz­lich einge­setzt werden: Entwe­der, um die „Profi­tra­te“ zu erhal­ten oder zu erhö­hen, oder aber, um die Lohn­quo­te zu stei­gern (38). Folg­lich sind Vermö­gens- und Erbschafts­steu­ern auf große Vermö­gen zwar grund­sätz­lich rich­tig. Mit ihnen allein ist es aber nicht getan. Mit ihnen allein wären weder Umwelt­zer­stö­rung und Klima­wan­del verhin­dert worden, noch Vietnam‑, Afgha­ni­stan- und Irak­krieg. Bontrup zählt eine Reihe weite­rer unab­ding­ba­rer Forde­run­gen aus seinem Buch „Arbeit, Kapi­tal und Staat“ auf, die notwen­dig wären, um zu „einer umfas­sen­den Wirt­schafts­de­mo­kra­tie“ zu gelan­gen: von der Über­win­dung „der tota­len Abhän­gig­keit der Beschäf­tig­ten“ (13), über „Gewinn­par­ti­zi­pa­ti­on“ bis zur Über­win­dung des „Inves­ti­ti­ons­mo­no­pols des Kapi­tals“ durch „Mitbe­stim­mung der Beschäf­tig­ten“ (55).

Noch einmal zurück zum Mani­fest der Wirt­schafts­stu­den­ten für eine plura­le­re Ökono­mie. Im Grunde haben wir die ja bereits, wenn auch ausge­rech­net nicht an den Hoch­schu­len. Ökono­men pfle­gen sich gern zu outen als „Ordo­li­be­ra­le“, „Keyne­sia­ner“, „Marxis­ten“, „Gesel­lia­ner“ usw. So lange das so ist, ist Ökono­mie aller­dings keine Wissen­schaft, sondern bloße Mein­olo­gie. Etwa so, als würden sich Physi­ker „Einstei­nia­ner“, „Plan­ckis­ten“ oder „Heisen­ber­gia­ner“ nennen. Erst wenn alle sukzes­siv auf allen aufbau­en und so die Ökono­mie weiter­ent­wi­ckeln wie Physi­ker, wird sie zu einer Wissen­schaft. Bontrup gehört zu denen, die da am Weites­ten voran sind.

Zu Piket­ty ist in der Reihe noch eine weite­re Schrift des Wieners Albert F. Reite­rer erschie­nen. Während Bontrups Text Piket­ty im Zusam­men­hang mit der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Vertei­lungs­de­bat­te steht, gibt Reite­rer eine kriti­sche Einfüh­rung in Piket­tys globa­le Mammut-Studie.

Albert F. Reiterer:
Der Piket­ty-Hype – „The great U‑Turn“.
Piket­tys „Kapi­tal“ und die neoli­be­ra­le Vermö­gens­kon­zen­tra­ti­on, 66 Seiten, 5 Euro.

Heinz‑J. Bontrup:
Piket­tys Kapi­ta­lis­mus-Analy­se. Warum die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, 61 Seiten, 5 Euro

Bezug: pad-Verlag, Am Schleh­dorn 6, 59192 Berg­ka­men / E‑mail: pad-Verlag@gmx.net

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