Die Wachstumszwangsverbrämer – Pat Christ

Ob „wert­ori­en­tiert“, „nach­hal­tig“, „ethisch“ oder „anders“: Wachs­tum bleibt weiter Gebot

Volle Konzen­tra­ti­on auf „wert­ori­en­tier­tes Wachs­tum“, das versprach die CeWe Color Holding AG bei der Haupt­ver­samm­lung vor weni­gen Jahren den Aktio­nä­ren. Euro­pas größ­tes Foto­ent­wick­lungs­un­ter­neh­men steht mit diesem Verspre­chen nicht allei­ne. Seit gerau­mer Zeit häufen sich Aussa­gen von Firmen­chefs, man wolle nicht mehr um jeden Preis wach­sen, verfol­ge keine „bedin­gungs­lo­se Expan­si­on“ (Tele­kom Austria) – sondern strebe ein „nach­hal­ti­ges“ und „wert­ori­en­tier­tes“ Wachs­tum an.

Dass nur die Produk­ti­on, dass nur das Wachs­tum nicht stockt! Darauf kommt es aller­dings bei aller Wert­ori­en­tie­rung weiter­hin an. Was genau mit „wert­ori­en­tiert“ gemeint ist, bleibt ohne­hin fast immer im Dunkeln.

Es klingt origi­nell, sogar ein biss­chen gemüt­lich. „Wert­ori­en­tiert“ macht Wachs­tum viel­leicht auch nicht ganz so viel Angst. „Dass nicht klar defi­niert ist, was man meint, ist bei solchen Begriffs­zu­sam­men­stel­lun­gen üblich“, kommen­tiert der Umwelt­öko­nom Profes­sor Hans Diefen­ba­cher von der Forschungs­stät­te der Evan­ge­li­schen Studi­en­ge­mein­schaft (FEST).

Alles in allem scheint aus dem Begriff kein rech­ter Trost abzu­lei­ten zu sein. Im besten Fall sei „wert­ori­en­tier­tes Wachs­tum“ der Versuch einer Abwand­lung des „quali­ta­ti­ven“ statt quan­ti­ta­ti­ven Wachs­tums, bestä­tigt Diefen­ba­cher. „Dann gibt es in der Lite­ra­tur einen weite­ren Zweig, der den Begriff im Bereich der Unter­neh­mens­ethik ansie­delt“, so der Umweltökonom.

Oft nur ein Mäntelchen 

Doch hier lässt er sich laut Diefen­ba­cher eben­falls oft als „Mäntel­chen“ deku­vrie­ren: „Man muss auch dort genau hinse­hen, wo es um Wachs­tum in Unter­neh­men geht, die keine reine Gewinn­ma­xi­mie­rung verfol­gen.“ So „respek­tiert“ auch die Tele­kom Austria nach den Worten ihres Vorstands Boris Nemsic „regio­na­le und sozia­le Aspek­te“. Das Wachs­tum solle „zukunfts­fä­hig“ sein. Gleich­zei­tig wird offen zuge­ge­ben, dass man in den vergan­ge­nen Jahren Perso­nal abbau­te. Nemsic: „Letzt­lich bleibt die Absi­che­rung der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit das unab­ding­ba­re Funda­ment, auf das sich auch unsere sozia­len und ökolo­gi­schen Enga­ge­ments stützen.“

Weiter­hin bringt man unter die Leute, dass nur eine Wirt­schaft, die wächst, Wohl­stand für alle schafft. Doch diese These erntet immer mehr Wider­spruch. So betont der austra­li­sche Nach­hal­tig­keits­ak­ti­vist Paul Gilding in seinem Buch „Die Klima­kri­se wird alles ändern – und zwar zum Besse­ren“, das Wirt­schafts­wachs­tum sei 2008 per Crash an ökolo­gi­sche Gren­zen gesto­ßen. Er hält es für möglich, die Klima­ver­än­de­rung unter einem Grad plus zu halten, wenn wir unser Ener­gie- und Wirt­schafts­sys­tem umbau­en würden.

So, wie die einen dem Markt „wert­ori­en­tiert“ Wachs­tum abtrot­zen, lehren die ande­ren, wie man „wert­ori­en­tiert“ erfolg­reich sein kann. Letz­te­res vermit­teln zum Beispiel christ­li­che Wirt­schafts­un­ter­neh­mer in einem Kasset­ten­al­bum namens „Lebens­mo­del­le“. Das Wört­chen „wert­ori­en­tiert“ scheint, wie dieses Beispiel zeigt, jedem ein wenig zwie­lich­ti­gen Begriff, wie auch frag­los „Erfolg“ einer sein kann, das Zwie­lich­ti­ge zu nehmen.
Kein Erfolgshindernis 

Der in Südti­rol ange­sie­del­te, christ­li­che ERF Verlag brach­te den Lebens­mo­dell-Ratge­ber heraus. Er ist bei weitem nicht der einzi­ge, der sich um „Wert­ori­en­tie­rung“ dreht. Unter der Über­schrift „Persön­li­che Stärke und Charis­ma“ erschien bei Thales Manage­ment ein „Weg zu Aner­ken­nung, Sicher­heit, Lebens­freu­de, Wert­ori­en­tie­rung“. Zum Thema „Sinn- und Wert­ori­en­tie­rung“ als „neuer Weg zum Unter­neh­mens­er­folg“ gibt es schließ­lich wieder­keh­rend Tipps des Theo­lo­gen Günther Funke, Leiter des Insti­tuts für Exis­tenz­ana­ly­se und Lebensphänomenologie.

So geht es heute nun also aller­or­ten „wert­ori­en­tiert“ darum, Kapi­tal zu verviel­fa­chen und Erfol­ge einzu­heim­sen. Doch wie grün und ethisch man sich auch gibt, die Wachs­tums­rech­nung kann nicht aufge­hen. Uner­müd­lich wird dies von Exper­ten wie Nico Paech betont.

Ähnlich urteilt seit inzwi­schen 20 Jahren Reiner Kling­holz, Direk­tor des Berlin-Insti­tuts für Bevöl­ke­rung und Entwick­lung. Für ihn ist ethi­sches Wachs­tum ebenso illu­sio­när wie für Nico Paech. In seinem Buch „Skla­ven des Wachs­tums“ kriti­siert er den Unwil­len, Konzep­te für ein wirk­lich wachs­tums­frei­es Wohl­erge­hen zu entwickeln.

Auch Städte wollen wachsen 

Derwei­len klagen wachs­tums­freu­di­ge Kommu­nal­po­li­ti­ker über eine grüne Blocka­de­po­li­tik, die ihnen die schö­nen Stadt­ent­wick­lungs­plä­ne vermas­selt. Zum Beispiel „durch über­zo­ge­ne Forde­rung nach Flächen­spa­ren“, wie unlängst aus Rosen­heim verlau­te­te. Kommu­na­ler Wirt­schafts­po­li­tik, die auf die Ansied­lung möglichst vieler und möglichst großer Firmen setzt, ist eine solche Öko-Forde­rung ein Dorn im Auge.

Auch die Poli­tik hilft weiter mit, das System auszu­pres­sen und auszu­sau­gen – nach allen Regeln der Wachs­tums­kunst. Im Klei­nen wie im Großen. „Förde­rung von Wachs­tum und Wett­be­werbs­fä­hig­keit“ bleibt etwa ein erklär­tes Ziel der EU. Darum wurde im Juni 2012 auch der Wachs­tums- und Beschäf­ti­gungs­pakt verabschiedet.

Gerade die EU will ande­ren Wirt­schafts­re­gio­nen so weit wie möglich voraus sein. Doch selbst sie erkennt, dass der bishe­ri­ge bruta­le Wachs­tums­kurs so nicht weiter propa­giert werden kann. Das Wört­chen „Wert­ori­en­tie­rung“ schim­mert durch, wenn es im Jahres­wachs­tums­be­richt 2013 mit Blick auf die Wirt­schafts­kri­se heißt: „Das Ziel ist nicht nur eine Rück­kehr zu Wirt­schafts­wachs­tum, sondern auch die Heran­bil­dung der Basis für eine andere Quali­tät des Wachs­tums nach der Krise.“ Schön formuliert…

Putsch aus Wirtschaftsgründen 

Der bezwin­gen­den Logik ökono­mi­scher Main­stream-Posi­tio­nen setzt die EU also keine Utopie einer neuen Welt entge­gen. „Die Struk­tur­re­for­men auf natio­na­ler und euro­päi­scher Ebene müssen die welt­wei­te Wett­be­werbs­fä­hig­keit der EU stär­ken und das inter­ne Wachs­tum durch nach­hal­ti­ge Tätig­kei­ten fördern“, heißt es im Jahres­wachs­tums­be­richt weiter. Wie gefähr­lich es im Übri­gen auch in einer Demo­kra­tie werden kann, wenn dem Wachs­tums­wahn Einhalt gebo­ten wird, dafür ist Austra­li­en ein gutes Beispiel.

Hier kam es 2010 zu einem Putsch gegen Regie­rungs­chef Kevin Rudd. Für Nick Beams, natio­na­ler Sekre­tär der austra­li­schen Socia­list Equa­li­ty Party, waren dafür in erster Linie wirt­schaft­li­che Gründe maßge­bend. Denn Rudd wollte die Milli­ar­den­ge­win­ne der Berg­bau­in­dus­trie höher besteuern.

Die Berg­bau­kon­zer­ne reagier­ten sauer, als Rudd erklär­te: „Minen­kon­zer­ne verdie­nen einen fairen Gewinn­an­teil. Aber das austra­li­sche Volk verdient auch einen fairen Anteil am Ertrag aus den Ressour­cen seines Landes.“ Die Einnah­men aus der Steuer in Höhe von rund acht Milli­ar­den Dollar pro Jahr soll­ten an die Allge­mein­heit in Form besse­rer Kran­ken- und Alters­ver­sor­gung ausge­schüt­tet werden.

Doch die Minen woll­ten sich nicht kastrie­ren lassen. Vor allem BHP Billi­ton und Rio Tinto, die größ­ten Unter­neh­men Austra­li­ens, die zwischen 2000 und 2010 einen Rein­ge­winn von 74 Milli­ar­den Dollar einge­fah­ren hatten, wehr­ten sich massiv. Rudd wurde als Konse­quenz – jenseits demo­kra­ti­scher Wahlen – von seiner eige­nen Partei abgesetzt.

Werte für Aktionäre 

Wachs­tum und die Stei­ge­rung der Leis­tungs­fä­hig­keit blei­ben obers­tes Gebot. Nur wird, ohne weite­re Belege des „Wie“, allent­hal­ben betont, dass dies nun „wert­ori­en­tiert handelnd“ geschieht. Die Flos­kel nicht zu gebrau­chen, wäre nicht mehr korrekt. Auch die Pensi­ons­kas­se des Schwei­zer Mobi­li­täts­ge­wer­bes fällt in diesen Sing­sang ein. Hier handelt man „wert­ori­en­tiert und verant­wor­tungs­be­wusst“ und wächst „solide“, „nach­hal­tig“, „quali­ta­tiv“, „kontrol­liert“ und „mit Weit­sicht“. Andere Unter­neh­men verste­hen wert­ori­en­tiert weni­ger ideell. Da geht es im Zuge der Wert­ori­en­tie­rung ganz konkret darum, Kapi­tal­wer­te zu schaffen.

„Wert­ori­en­tiert“ Rendi­te­chan­cen best­mög­lich auszu­schöp­fen, dieses Ziel verfolgt ganz offen­siv der Thys­sen­Krupp Konzern. Er beschreibt in einem Papier von 2013 glas­klar, was er unter einem „wert­ori­en­tier­ten Manage­ment“ versteht. Hier geht es dezi­diert nicht um ethi­sche Werte. „Gelingt es einem Unter­neh­men, eine Rendi­te zu erzie­len, die die Rendi­te­er­war­tun­gen des Kapi­tal­mark­tes und somit die Kapi­tal­kos­ten über­trifft, schafft das Unter­neh­men Wert“, heißt es da. Wert­ma­nage­ment diene in erster Linie dazu, die „Zufrie­den­heit der Aktio­nä­re“ zu erhö­hen und die Beur­tei­lung des Unter­neh­mens durch Analys­ten, Banken und Rating­agen­tu­ren zu verbessern.

Thys­sen­Krupp macht aus seinen ausschwei­fen­den Phan­ta­sien eines unbe­grenz­ten Wachs­tums keinen Hehl. Durch neue Projek­te, stra­te­gi­sche Akqui­si­ti­on, Ausbau von Wachs­tums­fel­dern, Effi­zi­enz­stei­ge­rung und „Desin­ves­ti­tio­nen von Nicht-Kern­ge­schäf­ten“, um diese im Port­fo­lio zu redu­zie­ren, soll konti­nu­ier­lich „profi­ta­bel“ und „wert­stei­gernd“ gewach­sen werden. Dies geschieht aktu­ell unter ande­rem mit Rüstungsgeschäften.

Wach­sen mit Rüstung 

Der Stadt­staat Singa­pur bestell­te Ende 2013 zwei neue U‑Boote bei der Thys­sen­Krupp-Toch­ter Howaldts­wer­ke-Deut­sche Werft (HDW). Ab 2020 sollen sie ausge­lie­fert werden. Die Boote und das zuge­hö­ri­ge Ausbil­dungs- und Logis­tik­pa­ket haben einen Wert von etwa 1,6 Milli­ar­den Euro.

Kriegs­geg­nern sträu­ben sich die Haare. „Diese hoch­mo­der­nen Waffen­sys­te­me können bis zu 80 Tage unter­wegs sein und davon vier Wochen unun­ter­bro­chen tauchen“, so der Jour­na­list René Heilig. Mit den U‑Booten verän­der­ten sich massiv die stra­te­gi­schen Gewich­te in der Region: „Es hat eine neue Runde im Rüstungs­wett­lauf begonnen.“

Für Global Player steht es ganz und gar außer Frage, dass die Wirt­schaft wach­sen muss. So gab es auch keine kriti­schen Töne, als sich vor zehn Jahren in München Vertre­ter von Groß­un­ter­neh­men zum Kongress „Die Zukunft des Wachs­tums“ trafen. „Wachs­tum ist der natür­li­che Fort­schritt zwischen zwei Zeit­punk­ten auf dem Entwick­lungs­pfad von Unter­neh­men. Inso­fern ist es nur natür­lich, wenn Unter­neh­men wach­sen“, hieß es dort ganz simpel.

Wachs­tum wurde wie so oft auch als Balsam für die Volks­wirt­schaft darge­stellt. Wach­sen­de Unter­neh­men schaff­ten mehr Arbeits­plät­ze, sie gene­rier­ten mehr Inno­va­tio­nen und sie könn­ten Verschwen­dung redu­zie­ren, hieß es. Doch seien, aufge­merkt „neue Wege und Werte zu finden, durch die das Wachs­tum in Gang gesetzt wird“.

„Ein Idiot oder ein Ökonom“ 

Längst ist bekannt, dass sich das Volks­ein­kom­men nicht zwangs­läu­fig erhöht, wenn das Wirt­schafts­wachs­tum steigt. Vor allem in Ländern des Südens flie­ßen die Zuwäch­se durch Einkom­mens­trans­fer häufig ins Ausland ab. Aber auch in Deutsch­land steigt das produk­ti­ons­ori­en­tier­te BIP weit stär­ker als das Volks­ein­kom­men. Gerade in den Jahren 2004 bis 2008 gab es trotz Wirt­schafts­wachs­tum weni­ger Reallohn.
Dennoch diri­giert der Zwang, zu wach­sen, das Handeln. Selbst ökolo­gi­sche Argu­men­te haben bis jetzt keine Trend­wen­de einge­lei­tet. Dabei sind sie zwin­gend: Eine Erde, deren Ober­flä­che bereits zur Hälfte in das welt­wei­te Wirt­schafts­sys­tem einge­bun­den ist, kann nicht weiter wach­sen. Da helfen auch alle Recy­cling­be­mü­hun­gen nichts. Wie sagt doch Wirt­schafts­pro­fes­sor Kenneth Boul­ding: „Wer glaubt, in einer endli­chen Welt könne die Wirt­schaft unend­lich wach­sen, ist entwe­der ein Idiot oder ein Ökonom.“ 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden moderiert. Es kann etwas dauern, bis dein Kommentar angezeigt wird.