Auf ein Wort – Editorial

Unsere Spra­che ist schön. Quasi aus dem Nichts lassen sich neue Wörter bilden. Man setzt einfach zwei zusam­men und erzeugt ein neues. Oftmals mit völlig ande­rem Sinn. Der Esel und die Brücke werden so zur Esels­brü­cke. Die Englän­der Adam Flet­cher und Paul Hawkins ernann­ten in ihrem „Zwei­spra­chi­gen Wende­buch“ „Deng­lisch for better knowers“ die „Esels­brü­cke“ zu einem der zehn schöns­ten deut­schen Wörter. Man habe das Bild eines treuen Esels vor Augen, mit dem man all die Dinge, die man sich nicht merken kann, über die Brücke in die „Gedächt­nis­stadt“ trage. Kein Wunder, dass derlei Fanta­sien dabei helfen, eine Bezeich­nung fest zu etablie­ren. Wer eine Entde­ckung macht, für die es noch keiner­lei Ausdruck gibt, der versucht es mit einer wahr­nehm­ba­ren Eigen­schaft des Neuen. Solan­ge sich Begrif­fe für Inno­va­tio­nen nicht etabliert haben, halten die Kriti­ker der Schöp­fer nach Merk­ma­len Ausschau, die zur Verun­glimp­fung beitra­gen. »Staats­die­ner« steht im Duden. »Sessel­fur­zer« ebenso.

»Schwund­geld« findet man in keinem Wörter­buch. Wenn man es das erste Mal hört, verbin­det man damit garan­tiert alles andere als etwas Vorteil­haf­tes. Gleich­wohl verbirgt sich etwas Genia­les dahin­ter. Die Verwen­dung des Wortes wurde jedoch maßgeb­lich von Gegnern des hinter dem Begriff stehen­den Konzepts lanciert. Weil es in gewis­ser Weise so konkret war, wird es deshalb bis zum heuti­gen Tage auch von Leuten verwen­det, die im Grunde wissen müss­ten, wie falsch es für das ist, was dabei ausge­sagt werden will. Ausgangs­punkt ist ein Vorschlag, dessen Anwen­dung Geld in seiner Funk­ti­on als Tauschmittel
wirkungs­vol­ler machen und so stabi­li­sie­ren soll, wie es das in keiner Währung je gab. Doch wer strebt danach, etwas so Begeh­rens­wer­tes wie Geld schwin­den zu sehen?

Es geht um eine völlig neuar­ti­ge Währung. Eine, die als öffent­li­che Einrich­tung konzi­piert wird und die vor allem der Gemein­schaft des Währungs­rau­mes dient. Das wieder­um tut sie dann am besten, wenn ihre Nutzung so gere­gelt wird, dass der gewünsch­te Zweck erfüllt wird: Geld muss flie­ßen. Wie das Blut durch die Adern des mensch­li­chen Orga­nis­mus fließt, muss Geld störungs­frei und ohne Staus durch den Wirt­schafts­or­ga­nis­mus strö­men. Der Mensch als Samm­ler und Jäger nimmt lieber ein, als er ausgibt. Fest­hal­ten liegt uns mehr als Loslas­sen. Folg­lich brau­chen wir hin und wieder auch etwas „Druck“, damit wir unse­ren Eigen­nutz dem Gemein­wohl hint­an­stel­len. Für ein „Flie­ßen­des Geld“ ist deshalb die Idee einer Gebühr entwi­ckelt worden. Ursprüng­lich von dem deutsch-argen­ti­ni­schen Unter­neh­mer Silvio Gesell. Eine Gebühr, die dem Geld „Beine macht“ laute­te sein Vorschlag. Und die es krisen­si­che­rer werden lässt. Ein „Flie­ßen­des Geld“ würde Zinsen nicht abschaf­fen. Frei­lich aber die umver­tei­len­de Wirkung von Zinsen,
denn deren Höhe sollte idea­ler­wei­se in Größen­ord­nun­gen pendeln, die „Geld mit Geld verdie­nen“ unter­bin­det. Dennoch wäre es leicht, diese Gebühr nicht bezah­len zu müssen. Dazu braucht man Geld nur im Sinne seines ursprüng­li­chen Zwecks nutzen und es flie­ßen lassen. Es handelt sich also nicht einfach um eine Einnah­me­mög­lich­keit für den Staat, sondern um eine Lenkungs­ab­ga­be, die auf ein Verhal­tens­ziel ausge­rich­tet ist. Nur, wer Geld fest­hält, zahlt Gebühr, wer es nutzt, genießt die Fülle der Ange­bo­te von Produ­zen­ten und Dienst­leis­tern und die Vortei­le der stabils­ten jemals von Menschen ausgedachten
Währung.

Wie kann man zulas­sen, ein solches Währungs­kon­zept „Schwund­geld“ zu nennen? Die ober­fläch­li­chen Verwen­der des Begriffs können oder wollen der Sache nicht auf den Grund gehen. Helfen würde ihnen nur, sich durch eige­nes Forschen kundig zu machen. Unsere bestehen­den Währun­gen, sei es Dollar, Euro, Yen oder das Engli­sche Pfund, ja selbst die „gute alte“ Deut­sche Mark, sind das wahre „Schwund­geld“. Über
lange Zeit­räu­me hat die Infla­ti­on den Geld­wert auf einen Bruch­teil seines ursprüng­li­chen Wertes schwin­den lassen. Was noch weit­aus schwe­rer wiegt ist, dass die Eigen­schaf­ten dieser heute verwen­de­ten Währun­gen im Laufe der Jahre zu bedroh­li­chen Auswir­kun­gen führ­ten. In nahezu allen Ländern mit Infla­ti­ons-Schwund­geld zeigt sich die glei­che gesell­schaft­li­che Spal­tung von Arm und Reich. Ein Geld, das nicht fließt, sondern belie­big zur Erzie­lung leis­tungs­lo­ser Einkom­men „fest­ge­hal­ten“ werden kann, würgt mit der Zeit das Wirt­schafts­le­ben ab und droht Gemein­schaf­ten zu vernich­ten. Die globa­le Naturzerstörung
hinzu­ge­nom­men, haben wir ein Ausmaß erreicht, das nur ein Urteil zulässt: Dieses Geld, einge­bet­tet als eigen­stän­di­ges kapi­ta­lis­ti­sches System in unse­rer Markt­wirt­schaft, erwürgt alles Leben.

Die Bezeich­nung „Würg­geld“ für die aktu­el­len Währun­gen in der Welt ist ange­bracht, denn alle­samt liegt ihnen das Konzept leis­tungs­lo­ser Geld­ein­nah­men durch Zins und Zinses­zins zu Grunde.
Dage­gen ist Flie­ßen­des Geld mit den beschrie­be­nen Eigen­schaf­ten ein Wirk­geld. Die Wirkung bestün­de zum einen in der sukzes­si­ven Auflö­sung von Ungleich­heit und zum ande­ren in der Befrei­ung von künst­lich erzeug­ter Knapp­heit. Zusam­men­ge­nom­men dürf­ten das die bedeut­sams­ten Voraus­set­zun­gen dafür sein, dass wir als Menschen unse­ren Platz im Lebens­raum finden. Dort, wo alles mit allem verbun­den ist.

Herz­lich grüßt Ihr Andre­as Bangemann


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