Wie sich die Welt verändern ließe – Pat Christ
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Kein Mensch will, dass die Ozonschicht immer dünner wird. Niemand möchte, dass immer mehr Tier- und Pflanzenarten von unserem Globus verschwinden. Der Ruf nach Wandel wird lauter. Doch wie „geht“ Wandel? Die aktuelle Corona-Krise bietet aus Sicht der Forscherinnen und Forscher von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) die einmalige Chance, dieser Frage nachzugehen. Dies tun sie in Form eines „Digitalen Logbuchs“, das von Bürgern selbst geschrieben wird.
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Alles verändert sich nach und nach, vieles von dem, was heute noch gilt, kann morgen bereits obsolet sein. Wandel ist letztlich ein ganz normaler Prozess. Meist jedoch vollziehen sich Veränderungen vergleichsweise langsam: Irgendwann kam der Computer auf, irgendwann das Internet, irgendwann hatte so gut wie jeder ein „kluges“ Telefon. Die digitale Transformation als eine der größten Umwandlungen der letzten Jahre hat die Welt enorm verändert. Auch sind soziale und wirtschaftliche Veränderungen zu beobachten. Dennoch wird der Ruf nach „Transformation“ immer lauter. Die Welt soll sich weiter verändern. Und zwar in eine komplett andere Richtung, als das bisher geschah.
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Durch das Corona-Virus erlebten wir, was in keiner Phase seit 1945 derart stark erlebt werden konnte: Von jetzt auf nachher mussten sich die meisten von uns an völlig neue Gegebenheiten anpassen. Was da geschah und immer noch geschieht, genau das interessiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des neuen „Forschungszentrums Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“ der Hochschule Eberswalde. „In unserem Projekt wollen wir zunächst einmal nicht bewerten, ob der aktuelle Wandel, den die Menschen erleben, gut oder schlecht ist, sondern uns interessiert, wie er überhaupt funktioniert“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Uwe Demele.
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Es geht also zunächst nicht darum, einen etwaigen Missstand anzuprangern. Und daraus resultierend einen Wandel zu fordern. Das Team, dem Demele angehört, möchte wissen, was die Menschen beobachten. An sich selbst. Und bei anderen. Das sind zumeist ganz einfache Dinge. „Ich kaufe nur noch einmal pro Woche ein statt mehrmals, um die Anzahl der notwendigen Besuche im Supermarkt zu minimieren“, teilt zum Beispiel einer der Logbuchschreiber mit. „Wir müssen mehr einkaufen, da wir jetzt täglich zuhause kochen aufgrund von Homeoffice und geschlossenem Kindergarten“, berichtet ein anderer Teilnehmer am Citizen-Science-Projekt des HNEE-Forscher-Teams.
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Es trifft nicht alle gleich
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Das Corona-Virus behelligte die Menschen quer durch alle Schichten. Allerdings traf es die einzelnen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark. Genau das, sagt Demele, muss beim Nachdenken darüber, wie eine Transformation in Richtung einer humaneren Gesellschaft gestaltet werden könnte, unbedingt mitbedacht werden. „Wie jemand die Krise erlebt hat und erlebt, ist absolut von seiner individuellen, vor allem aber von seiner wirtschaftlichen Situation abhängig“, sagt der Transformationsexperte. Ein Mensch, der arbeitslos wurde und nun mit der Hartz IV-Mühle konfrontiert ist, erfährt die Krise völlig anders als die Rentnerin, die eine gute Pension bezieht und im eigenen Haus lebt.
Die landläufig verbreitete Ansicht, dass es nur Mut und Willen bräuchte, um endlich eine „echte“ Transformation einzuleiten, teilt Uwe Demele nicht. Die Welt, sagt er, ist nun mal höchst komplex – und wird mit nahezu jedem Tag noch ein bisschen komplexer. „Aus meiner Sicht fehlt eine Transformationsethik“, sagt der 44-jährige Spezialist für Unternehmensverantwortung. Es müsste dringend darüber reflektiert werden, aus welchen Gründen wir welche Form der Transformation benötigen und wem diese Transformation zugutekommen soll. Nur, wenn intensiv hierüber nachgedacht würde, sagt Demele, könnte darangegangen werden, Transformationsschritte bewusst einzuleiten.
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Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz ständig rödeln müssen, die täglich mit einem schier nicht mehr zu bewältigenden Arbeitspensum konfrontiert sind, wünschen sich am meisten eine Transformation in Richtung „humanere Arbeitswelt“. Das jedoch steht womöglich den wirtschaftlichen Interessen ihres Unternehmens im Wege. Vielleicht sind die Betreffenden aber auch nur deshalb überfordert, weil die Firma kein neues Personal findet. Auch könnte sein, dass die notorisch gestresste Person darum derart am Ende ist, weil die Arbeit zuhause weitergeht. Vielleicht handelt es sich um eine alleinerziehende Mutter. Die niemanden hat, der sich mit ihr in die Erziehungsverantwortung teilt.
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Was womit zusammenhängt
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Jeder Bürger kann sich im stillen Kämmerlein ausmalen, wie sich die Gesellschaft und die Welt verändern müsste, damit alle besser leben können und die Natur nicht weiter ausgebeutet wird. Doch das bringt keinen Schritt weiter. „Wir müssen sehr viele Informationen in einen Zusammenhang bringen“, sagt Demele. Auch sei es wichtig, zu erkennen, in welcher Weise die verschiedenen Faktoren aufeinander wirken und rückwirken. Da ist das Ökosystem. Da sind die sozialen Mikrosysteme, in denen die Menschen heute leben. Da ist das Bildungssystem. Das Wirtschaftssystem. Das Finanzsystem. Und all das ist noch einmal in einen globalen Rahmen eingebettet.
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Die Eberswaldener Forscher sind soeben dabei, die Logbucheinträge zu sichten und auszuwerten, um ganz konkret zu erfahren, wie die Menschen den Wandel während der Corona-Pandemie erlebt haben und wie stark ihr Wunsch nach Wandel generell ist. 850 Logbucheinträge kamen bis Ende Juni zusammen. Nach der Sommerpause im September wird das Logbuch noch einmal für eine kurze Phase der Nachbefragung geöffnet, um mit Abstand auf die Corona-Hochphase mit ihren radikalen Veränderungen zu schauen. „Unsere Ergebnisse wollen wir im Anschluss daran als Open Source-Daten zur Verfügung stellen“, so Demele.
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Völlig klar ist, dass die junge Generation die Krise anders erlebt hat als die Älteren. Ebenso deutlich wird nach erster Sichtung, dass die Krise bei einigen Menschen einen Aha-Effekt in Richtung Wandel ausgelöst hat, so Demele: „Während andere gar nicht abwarten können, wieder zu ihren alten Routinen zu kommen“. Von daher sind auch die Wünsche in Bezug auf einen Neustart und einen Corona induzierten Bewusstseinswandel ganz unterschiedlich. Wer erlebt hat, dass er nicht hunderte Kilometer weit fahren muss, um an Informationen zu kommen, weil es virtuell genauso gut geht, wird sich eben dies wünschen: Mehr Virtualität zugunsten von weniger Verkehr.
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Viel Ausdauer nötig
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Es ist anstrengend, so lange an einer Sache zu tüfteln, bis sie „rund“ ist. „Doch wir müssen fragen und wir müssen weiterfragen“, sagt Demele. Woran liegt es denn ganz genau, dass so viele Menschen so furchtbar unzufrieden sind mit dem, was sich in sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht in unserem Land vollzieht? Welche strukturellen Bedingungen liegen dem zugrunde? Wie kam es, dass sich genau diese und keine anderen Strukturen herausgebildet haben? Einfach nur zu fordern, ist für den Wissenschaftler zu wenig: „Wir müssen auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, und uns zu engagieren.“
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Nun stellt sich die Frage, ob die Menschen durch Corona tatsächlich in Stand gesetzt wurden, vehementer für ihre Überzeugung zu kämpfen, dass eine sozial-ökologische Transformation unabdingbar ist. Oft fehlt dazu schlicht die Zeit. Denn die Entschleunigung durch Corona hielt nur für eine kurze Weile an. „Wer am Wochenende von der Arbeit so kaputt ist, dass er einfach nur noch im Sessel liegen will, hat nicht die Zeit und die Kraft, Probleme zu analysieren, Ursachen zu benennen und sich für bessere Bedingungen einzusetzen“ sagt Demele.
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Die meisten führen inzwischen schon wieder ein Leben auf der Überholspur, viele sind einfach nur froh, dass der „Spuk“ bisher halbwegs glimpflich abgelaufen ist. Grundsätzlich verändert hat sich aktuell noch nichts. Dabei gibt es einige Dinge, die nach Demeles Ansicht unbedingt angepackt werden müssten. Das Geldsystem gehört dazu, ist der Zins- und Zinseszinseffekt für den Forscher doch das „Urdilemma des Kapitalismus“.
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