Radio Gaga – Wilfried Deiß
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Was haben Google, Facebook, Amazon, Apple & Co. mit einem Radioempfänger zu tun?
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Haben Sie Angst vor einem Radio? Ja genau, so ein Old-School technisches Gerät, das man zu Hause oder im Auto oder draußen einfach einschaltet, einen Sender auswählt und zuhört. Kein Wunder, dass Sie den Kopf schütteln, selbstverständlich haben Sie vor einem Radio KEINE Angst, warum auch.
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Nun denken Sie mal 80 Jahre zurück. Damals war Radio High-Technik. Also in etwa das, was heute weltweite Datennetze sind. Für Menschen damals war es erstaunlich bis unglaublich, aus einem Ding namens Lautsprecher eine Stimme oder Musik aus einer anderen Stadt oder vom anderen Ende der Welt zu hören, und das faszinierender Weise auch noch in Echtzeit.
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Und jetzt denken Sie bitte an Deutschland zu dieser Zeit. Das totalitäre, faschistische Deutschland der Nazis wäre ohne das Radio nicht nur nicht denkbar, sondern wahrscheinlich auch nicht durchführbar gewesen. Das hieß dann Volksempfänger. Und die Menschen saßen, meist in Gemeinschaft, vor diesen Wunder-Apparaten, der Stimme des Führers gebannt lauschend. Das Radio war nicht nur das Medium zur Indoktrination. Viel mehr als das, es änderte im gegebenen Umfeld auch das Leben derjenigen, die gar nicht zuhören wollten. Schon die Nicht-Teilnahme an der Gemeinschafts-Veranstaltung Volksempfänger bedeutete Verdacht. So wie das Nicht-Heben des Armes zum Hitlergruß. Hinzu kam, dass das „Volk“ als Medien-Neuling mit diesem auch nicht umgehen konnte. Eine Rede halten bedeutete damals Schreien, um gehört zu werden von den Massen. Das allerdings wäre mit Mikrofon und Lautsprecher gar nicht mehr nötig gewesen. So blieb dem medien-unerfahrenen Volk verborgen, dass es vor allem Hass ist, der da aus dem Lautsprecher drang.
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Macht Ihnen jetzt das Radio Angst? Bei vielen Menschen damals war das jedenfalls so. Nicht gleich am Anfang, nein, da war es Begeisterung. Aber nach und nach machten sich Sorgen breit, bei den sensiblen und/ oder intelligenten früher, bei anderen später. Bei manchen allerdings nie. Übrigens wäre damals die „Führung“ umso mehr von dieser Technik begeistert gewesen, wenn das Radiogerät außer zu senden auch noch hätte registrieren können, wer gerade vor dem Apparat sitzt und wer welche Kommentare abgibt.
Aber woher kommt nun die Angst? Selbstverständlich ist es nicht das Radiogerät als solches. Es ist das machtvolle technische Mittel in den Händen eines totalitären Systems. Die potentiell aufklärerische, demokratiefördernde und transparente technische Innovation wurde pervertiert zu einem Instrument der Manipulation und Unterdrückung.
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Beim Radio ist die Geschichte letztlich gut ausgegangen, zumindest für die Demokratien westlicher Prägung. Es sind kluge Köpfe mit demokratischer Gesinnung gewesen, die die passenden Gesetze geschrieben haben auf der Basis von Demokratie und Gewaltenteilung. Deshalb, und nur deshalb gibt es in Ihrem Leben und in meinem Leben keinen Grund, sich vor einem Radio zu fürchten.
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Und bei den weltweiten Datennetzen? Wie wird da die Geschichte ausgehen? Was wird aus den unglaublichsten Datensammlungen der Menschheitsgeschichte werden, die zudem auch noch von Milliarden Menschen freiwillig geliefert werden? Wird das nur dann gefährlich, wenn das staatliche System zur Diktatur wird und Datenzugriff erlangt? Oder ist die zunehmend und staatlich-ökonomisch legitimierte Macht der Konzerne bereits für sich der Weg in einen Totalitarismus, den Totalitarismus des Marktes und des Wachstums? Darüber kann man diskutieren, aber die demokratiefeindlichen Tendenzen sind weltweit nicht zu übersehen.
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Immer dann, wenn Weltanschauungen einen Alleinvertretungsanspruch propagieren, und erst recht, wenn das Ziel der Weltverbesserung auf den Fahnen steht, ist zuerst Skepsis angezeigt. Folgen sollten Bestrebungen für mehr Transparenz und mehr Demokratie. Und dafür kann, wenn es die Gesellschaft richtigmacht, nicht nur das gute alte Radio, sondern erst recht das Internet wiederum sehr förderlich sein.
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Insofern: ein Hoch auf das Internet als demokratisches Medium. Das Internet ist eine geniale Erfindung für Informationen, die FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT gedacht sind. (Alles Private sollte besser analog bleiben oder zumindest SEHR gut verschlüsselt). Aber genau dieses Potential des Internets als demokratisches Medium droht der Weltgemeinschaft zu entgleiten. Die Gefahren sind zu geringer Datenschutz und zu hohe Machtkonzentration. Wer sich mit der Thematik befasst weiß, wie eng diese beiden Komponenten miteinander verflochten und voneinander abhängig sind.
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Der erste notwendige Schritt der Weltgemeinschaft ist Datenschutz. Denn konsequente Gesetze dazu (bei denen Europa Vorreiter sein muss, wer sonst?) sind nicht nur zum Schutz von Persönlichkeit und Privatheit zwingend, sondern sind gleichzeitig auch Machtbegrenzung: die Voraussetzung von Demokratie.
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Zum Abschluss der Anlass dieser Ausführungen: die Lektüre von Harald Welzers „Die smarte Diktatur“. Unbedingt lesenswert, Pflichtlektüre für eine ganze Generation. Mit den praktischen Konsequenzen stimme ich nicht immer überein. Man muss sein iPhone nicht wegwerfen, wie Welzer, bewusst plakativ, vorschlägt. Aber man sollte sehr genau wissen, was man NICHT mit dem Smartphone machen sollte. Wer kein Sachbuch lesen möchte, dem kann ich einen spannenden Roman zur Thematik empfehlen, „Der Circle“ von D. Eggers.
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Die Freude an den Möglichkeiten der Technik behalten, aber alles weglassen, was das eigene Leben behindert und die Macht der Totalitaristen in den Konzernzentralen vergrößert. Die Konzerne sollten uns dafür danken. Auch deren Geschäftsgrundlage für die Zukunft sind funktionierende, stabile Gesellschaften. Insofern ist Machtbegrenzung und demokratische Kontrolle wahrscheinlich die nachhaltigste Gewinnstrategie. Das gilt auch für Großkonzerne, die faszinierende Technik herstellen, nicht mehr und nicht weniger. Gutes „Radio“ eben. Und gute Geschäfte sind gern gesehen unter dem Primat der Demokratie.
Was haben Google, Facebook, Amazon, Apple & Co. mit einem Radioempfänger zu tun?
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Haben Sie Angst vor einem Radio? Ja genau, so ein Old-School technisches Gerät, das man zu Hause oder im Auto oder draußen einfach einschaltet, einen Sender auswählt und zuhört. Kein Wunder, dass Sie den Kopf schütteln, selbstverständlich haben Sie vor einem Radio KEINE Angst, warum auch.
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Nun denken Sie mal 80 Jahre zurück. Damals war Radio High-Technik. Also in etwa das, was heute weltweite Datennetze sind. Für Menschen damals war es erstaunlich bis unglaublich, aus einem Ding namens Lautsprecher eine Stimme oder Musik aus einer anderen Stadt oder vom anderen Ende der Welt zu hören, und das faszinierender Weise auch noch in Echtzeit.
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Und jetzt denken Sie bitte an Deutschland zu dieser Zeit. Das totalitäre, faschistische Deutschland der Nazis wäre ohne das Radio nicht nur nicht denkbar, sondern wahrscheinlich auch nicht durchführbar gewesen. Das hieß dann Volksempfänger. Und die Menschen saßen, meist in Gemeinschaft, vor diesen Wunder-Apparaten, der Stimme des Führers gebannt lauschend. Das Radio war nicht nur das Medium zur Indoktrination. Viel mehr als das, es änderte im gegebenen Umfeld auch das Leben derjenigen, die gar nicht zuhören wollten. Schon die Nicht-Teilnahme an der Gemeinschafts-Veranstaltung Volksempfänger bedeutete Verdacht. So wie das Nicht-Heben des Armes zum Hitlergruß. Hinzu kam, dass das „Volk“ als Medien-Neuling mit diesem auch nicht umgehen konnte. Eine Rede halten bedeutete damals Schreien, um gehört zu werden von den Massen. Das allerdings wäre mit Mikrofon und Lautsprecher gar nicht mehr nötig gewesen. So blieb dem medien-unerfahrenen Volk verborgen, dass es vor allem Hass ist, der da aus dem Lautsprecher drang.
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Macht Ihnen jetzt das Radio Angst? Bei vielen Menschen damals war das jedenfalls so. Nicht gleich am Anfang, nein, da war es Begeisterung. Aber nach und nach machten sich Sorgen breit, bei den sensiblen und/ oder intelligenten früher, bei anderen später. Bei manchen allerdings nie. Übrigens wäre damals die „Führung“ umso mehr von dieser Technik begeistert gewesen, wenn das Radiogerät außer zu senden auch noch hätte registrieren können, wer gerade vor dem Apparat sitzt und wer welche Kommentare abgibt.
Aber woher kommt nun die Angst? Selbstverständlich ist es nicht das Radiogerät als solches. Es ist das machtvolle technische Mittel in den Händen eines totalitären Systems. Die potentiell aufklärerische, demokratiefördernde und transparente technische Innovation wurde pervertiert zu einem Instrument der Manipulation und Unterdrückung.
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Beim Radio ist die Geschichte letztlich gut ausgegangen, zumindest für die Demokratien westlicher Prägung. Es sind kluge Köpfe mit demokratischer Gesinnung gewesen, die die passenden Gesetze geschrieben haben auf der Basis von Demokratie und Gewaltenteilung. Deshalb, und nur deshalb gibt es in Ihrem Leben und in meinem Leben keinen Grund, sich vor einem Radio zu fürchten.
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Und bei den weltweiten Datennetzen? Wie wird da die Geschichte ausgehen? Was wird aus den unglaublichsten Datensammlungen der Menschheitsgeschichte werden, die zudem auch noch von Milliarden Menschen freiwillig geliefert werden? Wird das nur dann gefährlich, wenn das staatliche System zur Diktatur wird und Datenzugriff erlangt? Oder ist die zunehmend und staatlich-ökonomisch legitimierte Macht der Konzerne bereits für sich der Weg in einen Totalitarismus, den Totalitarismus des Marktes und des Wachstums? Darüber kann man diskutieren, aber die demokratiefeindlichen Tendenzen sind weltweit nicht zu übersehen.
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Immer dann, wenn Weltanschauungen einen Alleinvertretungsanspruch propagieren, und erst recht, wenn das Ziel der Weltverbesserung auf den Fahnen steht, ist zuerst Skepsis angezeigt. Folgen sollten Bestrebungen für mehr Transparenz und mehr Demokratie. Und dafür kann, wenn es die Gesellschaft richtigmacht, nicht nur das gute alte Radio, sondern erst recht das Internet wiederum sehr förderlich sein.
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Insofern: ein Hoch auf das Internet als demokratisches Medium. Das Internet ist eine geniale Erfindung für Informationen, die FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT gedacht sind. (Alles Private sollte besser analog bleiben oder zumindest SEHR gut verschlüsselt). Aber genau dieses Potential des Internets als demokratisches Medium droht der Weltgemeinschaft zu entgleiten. Die Gefahren sind zu geringer Datenschutz und zu hohe Machtkonzentration. Wer sich mit der Thematik befasst weiß, wie eng diese beiden Komponenten miteinander verflochten und voneinander abhängig sind.
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Der erste notwendige Schritt der Weltgemeinschaft ist Datenschutz. Denn konsequente Gesetze dazu (bei denen Europa Vorreiter sein muss, wer sonst?) sind nicht nur zum Schutz von Persönlichkeit und Privatheit zwingend, sondern sind gleichzeitig auch Machtbegrenzung: die Voraussetzung von Demokratie.
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Zum Abschluss der Anlass dieser Ausführungen: die Lektüre von Harald Welzers „Die smarte Diktatur“. Unbedingt lesenswert, Pflichtlektüre für eine ganze Generation. Mit den praktischen Konsequenzen stimme ich nicht immer überein. Man muss sein iPhone nicht wegwerfen, wie Welzer, bewusst plakativ, vorschlägt. Aber man sollte sehr genau wissen, was man NICHT mit dem Smartphone machen sollte. Wer kein Sachbuch lesen möchte, dem kann ich einen spannenden Roman zur Thematik empfehlen, „Der Circle“ von D. Eggers.
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Die Freude an den Möglichkeiten der Technik behalten, aber alles weglassen, was das eigene Leben behindert und die Macht der Totalitaristen in den Konzernzentralen vergrößert. Die Konzerne sollten uns dafür danken. Auch deren Geschäftsgrundlage für die Zukunft sind funktionierende, stabile Gesellschaften. Insofern ist Machtbegrenzung und demokratische Kontrolle wahrscheinlich die nachhaltigste Gewinnstrategie. Das gilt auch für Großkonzerne, die faszinierende Technik herstellen, nicht mehr und nicht weniger. Gutes „Radio“ eben. Und gute Geschäfte sind gern gesehen unter dem Primat der Demokratie.
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