Geld ist ein Nervensystem – Brett Scott
Geld ist ein Nervensystem und die Finanzwelt ist der motorische Kortex
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Brett Scott, ins Deutsche übertragen von Andreas Bangemann
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Ökonomen verwenden häufig Blutmetaphern für Geld und betrachten es als eine Substanz mit Wert, die in der Wirtschaft „fließt“. Finanziers mögen diese Vorstellung von Geld als Kreislaufsystem, weil sie ein Bild ihres Tätigkeitsbereichs als „schlagendes Herz“ der Weltwirtschaft vermittelt.
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In dieser Metapher transportiert Geld eine Fracht wie Blutplasma, das Nährstoffe zu den Zellen befördert. Es wird als ein System zur Wertübertragung betrachtet. Dieser Glaube wird durch denjenigen verstärkt, die es als „Wertaufbewahrungsmittel“ bezeichnen, als ob der Wert „im“ Geld läge. Viele Menschen im Finanz- und Fintech-Sektor sprechen von Zahlungsplattformen als „Werttransfersysteme“, als ob PayPal, Stripe und der Bankensektor dem „Wertaufbewahrungsmittel“ Wege zum Transport seiner Fracht von A nach B zur Verfügung stellen würden.
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Diese Metaphern von fließenden Werten sind höchst irreführend und verschleiern die wahre Natur des Finanzwesens. Geld ist nicht wie Blut, das durch die Adern fließt. Es ist wie Nervenimpulse, die Muskeln in Bewegung setzen. Bevor wir auf dieses Bild näher eingehen, wollen wir zunächst den „Körper“ betrachten, in den dieses Nervensystem eingebettet ist.
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Die Wirtschaft als Superorganismus
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Ein durchschnittlicher Mensch hat etwa 30 Billionen Zellen in seinem Körper, aber obwohl jede Zelle als einzelnes Ganzes erscheinen mag, können sie nicht getrennt voneinander existieren. Wenn man eine Zelle aus dem Körper entfernt, stirbt sie ab. Die Zellen sind also ein Netzwerk, das voneinander abhängt und zusammenarbeitet, und man selbst ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Im menschlichen Körper gibt es sozusagen eine innere Ökonomie, in der sich die Zellen gemeinsam versorgen, aber getrennte Aufgaben in diesem Gesamtprozess übernehmen. Wenn Zellen über „die Ökonomie“ diskutieren müssten, ginge es um den Körper, in dem sie sich befinden.
Einige Zellen können in Organen wie Lunge und Herz vereint sein, die auch als zusammenarbeitend betrachtet werden können. Stellen Sie sich vor Ihre Lunge teile Ihrem Herzen mit, dass es vor der Sauerstoffanreicherung des vom Herzgewebe benötigten Blutes zunächst Energie benötigt, die über ein Pumpen des Herzens an das Lungengewebe abgegeben wird. Das ist die Grundidee hinter der wechselseitigen Abhängigkeit: Jedes Organ mag seine eigenen internen Prozesse haben, aber man kann nicht davon ausgehen, dass sie unabhängig voneinander überleben.
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So ist es auch in der menschlichen Gesellschaft. Wie Zellen werden wir immer in ein bereits bestehendes soziales Unterstützungsnetzwerk hineingeboren, und wenn nicht, sterben wir. Wenn wir erwachsen werden, entwickeln wir ein unabhängiges Selbstbewusstsein und eine eigene Persönlichkeit, aber das bedeutet nicht, dass wir ohne andere überleben können. In vielerlei Hinsicht sind wir die „Zellen“ eines sozialen Superorganismus, und die Wirtschaft besteht aus all den Prozessen, in denen wir zusammenarbeiten, um für uns selbst zu sorgen. Manchmal sieht diese Zusammenarbeit nicht so aus oder fühlt sich nicht so an. Zum Beispiel könnten die Frühstücksflocken, die wir essen, von Menschen auf der anderen Seite der Welt abhängen. Wir können diese Menschen nicht sehen und doch gäbe es ohne sie nicht dieses Frühstück.
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Es ist offensichtlich, dass es im Laufe der Zeit viele verschiedene Arten und Größen von wirtschaftlichen „Superorganismen“ gegeben hat. So könnte das folgende Symbol beispielsweise eine Gruppe von Jägern und Sammlern darstellen, die in der Antike gemeinsam am Feuer saßen und ihr Essen teilten:
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Das ist ein kleiner Superorganismus, aber das war über 200.000 Jahre lang ganz normal. Wie alle Gruppen überlebten auch die Jäger und Sammler, weil Sonnenlicht und Regentropfen Pflanzen aus dem Boden wachsen ließen, die unzählige Lebewesen ernährten. Sie alle waren in Ökosysteme eingebunden, die sie am Leben erhielten, während sie Kinder großzogen, Gemeinschaften bildeten und Dinge herstellten. Damals war klar, dass „Wertübertragung“ bedeutete, dass ein Mensch einem anderen Menschen einen realen Gegenstand übergab oder eine Arbeit verrichtete.
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Geldsysteme sind erst vor etwa 6000 Jahren entstanden. Wenn ich eine kurze Geschichte des Geldes auf hohem Niveau erzählen sollte, würde ich sagen, dass Geld ein politisiertes Kreditsystem ist, das unsere zuvor kleinräumigen Systeme gegenseitiger Abhängigkeit auflöste und sie zu den großräumigen Systemen gegenseitiger Abhängigkeit neu kombinierte, die wir heute nutzen (in dem wir von Menschen auf der anderen Seite des Planeten abhängig sind, die uns Getreide für Frühstücksflocken liefern). Diesen Wandel könnte man wie in der folgenden Grafik dartellen.
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Der größere Umfang einer Geldwirtschaft bietet auch mehr Raum für spezialisierte Cluster. Ähnlich wie sich Zellen zu voneinander abhängigen Organen verbinden, die zusammenarbeiten, können sich auch Gruppen von Menschen mit anderen Gruppen zusammenschließen. Zum Beispiel könnte ein kleiner genossenschaftlicher Bauernhof tatsächlich eine interne Struktur haben, die einer alten Jäger- und Sammlergruppe ähnelt, aber heutzutage nur ein Subsystem der gegenseitigen Abhängigkeit innerhalb eines viel größeren Systems ist. Der Bauernhof könnte auf Inputs von Unternehmen angewiesen sein, die wiederum verschiedene Subsysteme sind, die sich aus verschiedenen Personen zusammensetzen.
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Der sich wandelnde Superorganismus
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Eine urzeitliche Jäger- und Sammlergruppe funktioniert auf einer anderen Ebene und mit anderen Machtverhältnissen als eine Marktwirtschaft, aber eine Person aus beiden herauszureißen ist, als würde man eine Zelle aus einem Körper herauszureißen. Ein Jäger und Sammler wird es sehr schwer haben, allein zu überleben, genauso wie es für eine Person im modernen Kapitalismus unglaublich schwierig sein wird, ohne die Unterstützung aller anderen zu überleben.
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Diese unterschiedlichen Strukturen gegenseitiger Abhängigkeit haben eines gemeinsam: Jeder Mensch innerhalb dieser Strukturen ist in einem Netz von Inputs – von denen er abhängig ist – und Outputs – für diejenigen, die von ihm abhängig sind – gefangen. Der Hauptunterschied zwischen einer Jäger- und Sammlerwirtschaft und unserer Wirtschaft besteht darin, dass bei den Jägern und Sammlern die Netze aus Inputs und Outputs klein, eng, sichtbar und relativ fest sind. Man kann buchstäblich sehen, von wem man abhängig ist, und die Abhängigkeitsstrukturen bleiben relativ konstant.
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Im Gegensatz dazu sind die Netze von Inputs und Outputs in einer Geldwirtschaft dagegen viel größer, lockerer, weniger sichtbar und weniger fest. Das liegt daran, dass Geld ein Kreditsystem ist, das uns in großem Maßstab miteinander verbindet, aber die Verbindungen können relativ leicht gelöst und neu kombiniert werden. Der Wert steckt immer noch in den Menschen und in der Erde, aber der Wertetransfer – und damit meine ich die Bewegung von Gütern oder Arbeitskräften – wird durch Verschiebung von Schuldverhältnissen ausgelöst. Das gibt unserer Wirtschaft ihren fließenden Charakter. Es ist ein wenig wie ein System, in dem sich Zellen (oder Gruppen von Zellen) vorübergehend von einem Teil des wirtschaftlichen Superorganismus lösen können, um sich woanders einzufügen, wie in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
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