Der blinde Fleck der Kämmerer – Pat Christ
Die Kassen leeren sich und die Angst geht um in den kommunalen Kämmereien: Wie soll in nächster Zeit all das, was zu finanzieren ist, finanziert werden? Laut Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages, waren letztes Jahr 219 der 294 Landkreise defizitär. 2024 sei die Situation noch schlimmer.
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Die Landkreise werden nach seinen Worten heuer und in den kommenden Jahren noch mehr Kredite aufnehmen müssen. Was bedeutet: Sportvereine, Musikschulen und Büchereien können weniger denn je gefördert werden. Und zwar auch und nicht zuletzt deshalb, weil immer mehr Zinsen bezahlt werden müssen. Die Situation gilt als „fatal“. Vor allem, weil kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.
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Als Hauptgrund für das Desaster gilt der überbordende Aufgabenzuwachs. Da ist natürlich auch was dran: Von Gesetzes wegen müssen Kommunen immer mehr leisten. Für das, was sie mehr leisten müssen, bekommen sie von den Ländern und vom Bund jedoch nicht mehr oder nicht ausreichend Geld. Das ist in der Tat ein Problem. Doch es gibt weitere Schwierigkeiten. Die werden evident, blickt man auf den Schuldendienst. Eigentlich merkwürdig, dass in Kämmereien nicht über die Geldordnung nachgedacht wird.
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Wie fast überall sonst, reicht auch im nordrhein-westfälischen Soest das Geld, das eingenommen wird, nicht aus, um alle Ausgaben zu finanzieren. Die Kreisstadt bei Arnsberg muss heuer voraussichtlich knapp 3,4 Millionen Euro an Zinsen für Kredite zahlen. Das Jahresergebnis 2024 ist laut Kämmerer Peter Wapelhorst negativ. 16 Millionen Euro beträgt das Defizit aktuell. Bei der allerersten Haushaltsaufstellung kam sogar ein noch nie dagewesenes Minus von 26 Millionen Euro heraus. Zehn Millionen Euro zu reduzieren, stellte, teilt mir der Kämmerer mit, eine immense Herausforderung dar.
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Jeder Stadt- und jeder Gemeinderat weiß, was ein defizitärer Haushalt bedeutet: In den Gremien beginnt der Kampf um die Frage, was gestrichen werden kann. Was unbedingt notwendig ist. Und was von dem, was als Aufgabe nicht zwingend vorgeschrieben ist, dennoch unbedingt realisiert werden sollte. Zum Wohl der Bürger. Auch in Soest wurden sämtliche Haushaltsansätze intensiv begutachtet. Das Hauptziel war, alles zu tun, damit die Kommunalaufsicht den Haushalt am Ende genehmigt. Die Stadt wollte unbedingt handlungsfähig bleiben.
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Man beschloss eine Erhöhung der Gewerbe- sowie der Grundsteuer. 2,3 Millionen Euro wurden bei Bauunterhalt und Sanierung eingespart. Die gesamte Verwaltung wurde daraufhin durchgekämmt, welche Sach- und Dienstleistungsaufwendungen gestrichen werden könnten. Das reduzierte das Defizit um eine Million. Das Personalbudget konnte um 150.000 Euro abgesenkt werden. Gleichzeitig spülte die Erhöhung der Steuerhebesätze auf den Durchschnittswert im Kreisgebiet 3,6 Millionen Euro in die Kasse.
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Höhere Tarife
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Das gewaltige Defizit von zehn Millionen Euro, betont Peter Wapelhorst, resultierte nicht aus den steigenden Zinszahlungen. Klar, dass 3,4 Millionen Euro kein Pappenstiel sind. Eine solche Summe für Zinsen belastet ohne Frage. Doch der aktuelle Tarifabschluss im öffentlichen Dienst spielte nach seinen Worten am gravierendsten in die deutliche Verschlechterung der Haushaltslage hinein.
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„In den kommenden Jahren gehen wir nach den aktuellen Planungen von einer höheren Zinsbelastung aus, da wir in der Mittelfristplanung negative Jahresergebnisse erwarten“, sagt er allerdings auch. Dadurch könnten die Kassenkredite steigen. „Die kommenden Jahre sind für die Finanzen der Kommunen insgesamt, auch in Soest, herausfordernd“, kommentiert der Kämmerer.
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Hätte Michael Labuske, sein Kollege aus der Verwaltungsgemeinschaft Kurort Seiffen, Deutschneudorf und Heidersdorf im sächsischen Erzgebirgskreis, 20.000 Euro zur Verfügung, würde er die am liebsten in Kinderbetten der Seiffener Kita investieren. „Noch sind die in Ordnung“, sagt er. Wobei es allerspätestens in fünf Jahren neue Kinderbetten bräuchte. So ein Bettchen für Krippenkinder wird ja ganz schön strapaziert. Es ist gut, die Matratzen möglichst bald auszutauschen. Aber auch für die größeren Kids würde Michael Labuske gerne etwas tun. Weitere Spielgeräte draußen wären klasse, damit sich die Jungs und Mädels nach Herzenslust bewegen können.
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Wie soll es weitergehen?
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20.000 Euro – so viel gehen in der Kurstadt für Zinslasten drauf. Wobei Seiffen lediglich knapp 2.000 Einwohner hat. Aber es geht ja nicht nur um Seiffen. Es dreht sich, sagt auch Michael Labuske, um eine grundsätzliche Frage: Wie soll es weitergehen mit der Finanzierung der vielen Aufgaben vor Ort? Kämmerer müssen ganz schön jonglieren. „Wir sind von Mittelströmen abhängig, die wir nicht in der Hand haben“, sagt der Seiffener Finanzfachmann. Jede Kommune hänge im föderalen System der Finanzförderung drin. Sprich, sie ist von Fördermitteln seitens des Bundes und der Länder abhängig.
Nun sieht es um die Finanzen der öffentlichen Hand fast überall mies aus. Laut Statistischem Bundesamt stieg der Zinsaufwand für Kreditmarktmittel beim Bund von 2022 auf 2023 um 29,3 Mrd. auf 46,7 Milliarden Euro. Das war mehr als das Zweieinhalbfache der Ausgaben des Vorjahres (+ 168,3 %). Etwas moderater stiegen die Zinsausgaben bei Ländern und Gemeinden. Bei Letzteren betrug die Steigerung 41,4 Prozent. Rund 2,9 Milliarden Euro gaben Gemeinden 2023 für Zinsen aus.
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Viele Kommunen stellen laut Michael Labuske fest: Vor Ort reichen die Mittel nicht mehr. Dringend müsste in Schulen investiert werden. Dringend in Kitas. Dringend in Straßen. „Man müsste sich grundsätzlich Gedanken dazu machen, an welcher Stelle man den Hebel ansetzen kann, um etwas zu ändern“, sagt er. Das klingt „sehr nah“ an der Schlüsselfrage der „Humanen Wirtschaft“: Wie kriegen wir grundsätzliche Änderungen hin?
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Das „große“ Thema
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Michael Labuske gehört zu jenen von mir angesprochenen Kämmerern, die bereit gewesen waren, sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen. Die meisten, die ich kontaktierte, taten dies nicht. Vielleicht, so erscheint es mir nach kurzen Mailwechseln, weil sie sich nicht trauten. Vielleicht aus Angst, das Gespräch könnte zu politisch werden. Was Kommunen, weiß ich aus vielen anderen Recherchen, strikt zu vermeiden versuchen. Oder auch, weil das „große“ Thema „Geldordnung“ für Kämmerer eine Materie es, mit der sie sich, obwohl sie Tag für Tag mit dem spitzen Stift vor Zahlen sitzen, noch nie intensiver befasst haben.
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Auch er, sagt Michael Labuske, habe sich noch nicht in Gegenmodelle à la Sivio Gesell vertieft. Unser Gespräch regt ihn dazu an. Dass es das Magazin „Humane Wirtschaft“ gibt, sagt er, sei sehr gut. Es brauche eine „Vielfalt an Betrachtungsstandpunkten“ angesichts der Entwicklung hin zur massiven Verarmung auf der einen und einer astronomischen Kapitalakkumulation auf der anderen Seite.
Konkret würde sich der Seiffener wünschen, dass ein gesellschaftlicher Austausch zu Fragen der herrschenden Geldordnung und möglicher Systemänderungen in Gang gebracht würde. Dies sei umso wichtiger, da hochbrisante Fragen anstehen, die nur mit ausreichend Geld vor Ort gelöst werden können. Michael Labuske denkt an die großen Themen Demographie, Umwelt und Infrastruktur.
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