Boden, wichtig für die Menschen… – Norbert Häring

Boden, wich­tig für die Menschen, getilgt aus der ökono­mi­schen Theorie
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Wohn­ei­gen­tum ist so teuer gewor­den, dass junge Fami­li­en es sich nur leis­ten können, wenn sie gut situ­ier­te Eltern haben. Viele Haus­hal­te geben ein Drit­tel bis die Hälfte ihres Einkom­mens für Miete und Neben­kos­ten aus. Das alles liegt vor allem an stark gestie­ge­nen Grund­stücks­prei­sen, nicht an den Baukos­ten. Die ökono­mi­sche Theo­rie hat dazu fast nichts zu sagen, weil das Thema heikel ist. Dabei gibt es Möglich­kei­ten zur Abhilfe.
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Der Kapi­tal­stock der deut­schen Volks­wirt­schaft, so, wie er statis­tisch gemes­sen wird, besteht offi­zi­ell zur Hälfte aus Wohn­ge­bäu­den. Wenn man Betriebs­im­mo­bi­li­en mitein­be­zieht, sind es zwei Drit­tel. Das liegt an den stark gestie­ge­nen Grund­stücks­prei­sen, die mitein­ge­rech­net werden. Grund­stü­cke und ihre Preise sind offen­kun­dig wich­tig für die Volks­wirt­schaft. Und dennoch: Grund­stü­cke, Boden, Fläche oder Land, welchen Begriff man auch bevor­zugt, kommen in den volks­wirt­schaft­li­chen Lehr­bü­chern und Theo­rien kaum noch vor. Zu Zeiten der Klas­si­ker wie Adam Smith, David Ricar­do und Karl Marx gab es noch drei Produk­ti­ons­fak­to­ren: Arbeit, Boden und Kapi­tal. Das änder­te sich mit dem Über­gang zu den Neoklas­si­kern. Sie fass­ten einfach Boden und produ­zier­tes Kapi­tal zu einem Produk­ti­ons­fak­tor zusam­men. Die offi­zi­el­le Statis­tik folgte dieser Vorga­be der Theorie.
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Dabei hat Boden ganz andere Eigen­schaf­ten als Maschi­nen, Gebäu­de und Fahr­zeu­ge. Boden, im Sinne einer Fläche mit einer bestimm­ten Lage, wird nicht produ­ziert, sondern ist einfach da. Er nutzt sich nicht ab und wird nicht abge­schrie­ben. Boden wird viel­mehr immer teurer, weil er im Zuge des Bevöl­ke­rungs- und Wirt­schafts­wachs­tums immer knap­per und wert­vol­ler wird.
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Die briti­schen Ökono­men Josh Ryan-Coll­ins, Toby Lloyd und Laurie Macfar­la­ne wollen Boden und Land als drit­ten Produk­ti­ons­fak­tor wieder zurück­brin­gen und haben dafür das Buch „Rethin­king the Econo­mics of Land and Housing“ geschrieben.

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„Ein besse­res Verständ­nis der Beson­der­hei­ten von Boden kann uns helfen, drän­gends­te gesell­schaft­li­che Proble­me anzu­ge­hen, wie über­höh­te Immo­bi­li­en­prei­se, Ungleich­heit und stagnie­ren­de Produktivität.“

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Das verspricht Ryan-Coll­ins gänz­lich unbe­schei­den. Adair Turner, ehema­li­ger Chef der briti­schen Finanz­auf­sicht, fügt in einer Lobre­de auf die Publi­ka­ti­on noch die Zunah­me der Verschul­dung und Finanz­kri­sen der Liste der Proble­me hinzu, die man nach der Lektü­re besser verste­he. Der berühm­te klas­si­sche briti­sche Ökonom Adam Smith kommt darin mit der Erläu­te­rung zu Wort:

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„Die Grund­ren­te (Pacht) ist natür­li­cher­wei­se ein Mono­pol­preis. Sie rich­tet sich nicht danach, was der Besit­zer dafür ausge­ge­ben hat oder was er mindes­tens an Einnah­men braucht, sondern danach, was der Farmer sich leis­ten kann zu zahlen.“

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Rente bedeu­tet in der Volks­wirt­schafts­leh­re „leis­tungs­lo­ses Einkom­men“, etwa im Wort Mono­pol­ren­te. Der Grund­stücks­be­sit­zer vergibt sein Grund­stück an den, der bereit ist, den größ­ten Teil des Gewinns abzu­füh­ren, den er durch die Bewirt­schaf­tung machen kann. Preis oder Pacht rich­ten sich heut­zu­ta­ge vor allem nach der Lage und danach, welche Nutzun­gen erlaubt sind.
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Klas­si­ker: Verstaat­li­chen oder besteuern 

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Wenn eine neue Straße oder S‑Bahn gebaut wird, können die Besit­zer der erschlos­se­nen Grund­stü­cke einen großen Teil des Vorteils in Form höhe­rer Grund­stücks­prei­se auf sich ziehen. Wenn die Wirt­schaft und damit Einkom­mens­kraft einer Region wächst ebenso. An den Kosten betei­li­gen müssen sie sich meist nicht. Die klas­si­schen Ökono­men erwar­te­ten und fürch­te­ten deshalb, – wohl zu Recht – dass ein immer größe­rer Anteil der Wachs­tums­di­vi­den­de an die Grund­be­sit­zer gehen würde. Stei­gen­de Mieten und Pach­ten würden die Löhne und Produk­ti­ons­kos­ten nach oben trei­ben und die wirt­schaft­li­che Entwick­lung brem­sen. Für Marx war die Lösung klar: Verstaat­li­chung. Die ande­ren votier­ten für Besteue­rung von Boden­wert­stei­ge­run­gen. Die Steu­er­last sollte so weit wie möglich auf die Bezie­her von Grund­ren­ten fallen – statt auf Arbeits­ein­kom­men oder Einkom­men aus Unter­neh­mer­tä­tig­keit. Denn so hätte sie keine nega­ti­ven Effekte.
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Damals ging es um die Abschaf­fung des briti­schen Import­ver­bots für Getrei­de, von dem der land­be­sit­zen­de Adel profi­tier­te, weil es die Grund­stücks­wer­te stei­ger­te. Das aufstre­ben­de Bürger­tum, dem sich Smith und Ricar­do zuge­hö­rig fühl­ten, hasste es, weil es Lebens­hal­tungs­kos­ten und damit die Löhne nach oben trieb. Ricar­dos Argu­men­te halfen, die Abschaf­fung der „Corn Laws“ herbeizuführen.
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Neoklas­si­sche Neudefinition
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Die Neoklas­si­ker defi­nier­ten später Kapi­tal in eine abstrak­te Größe um, gemes­sen als Geld­be­trag, der in Maschi­nen, Gebäu­de oder Grund­stü­cke inves­tiert werden konnte. Die großen Unter­schie­de zwischen Boden und Kapi­tal­gü­tern spiel­ten plötz­lich keine Rolle mehr. Die Basis für das seit­her domi­nie­ren­de Zwei-Fakto­ren-Wachs­tums­mo­dell nach Roy Harrod und Robert Solow war gelegt. Jeder der beiden abstrak­ten Produk­ti­ons­fak­to­ren Arbeit und Kapi­tal verdient am Markt genau das, was er zum Produk­ti­ons­er­folg beiträgt. John Bates Clark, einer der Väter der Neoklas­sik, begrün­de­te dies seiner­zeit ausdrück­lich mit der Bedro­hung durch sozia­lis­ti­sche Refor­mer, die von Ausbeu­tung der Arbei­ter spra­chen. Dass die Neoklas­si­ker Boden verschwin­den ließen, könnte dazu passen, dass das indus­tri­el­le Bürger­tum Ende des 19. Jahr­hun­derts bereits in großem Ausmaß zu den Grund­be­sit­zern gehör­te. Eine Theo­rie, die die Wert­schöp­fung gleich­mä­ßig auf Kapi­tal und Arbeit aufteil­te, legte nahe, die Steu­er­last auf beide Fakto­ren fallen zu lassen, und eben nicht vorran­gig auf Kapi­tal oder Boden.
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Boden verschwand aus dem Fokus der Theo­rie, der Statis­ti­ker und der Finanz­mi­nis­ter. Boden­prei­se und Boden­wert­stei­ge­run­gen werden fast nirgends vernünf­tig erfasst. Thomas Piket­ty hat in seinem Buch „Das Kapi­tal im 21. Jahr­hun­dert“ einen star­ken Anstieg der Vermö­gen rela­tiv zu den Einkom­men doku­men­tiert. Dieser beruht, wie die Autoren zeigen, allein auf Wert­stei­ge­run­gen beim Vermö­gen, insbe­son­de­re bei Grundstücken.
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Schon vor zwei Jahren hat Nobel­preis­trä­ger Joseph Stig­litz im Aufsatz „The measu­re­ment of wealth“ darauf hinge­wie­sen, dass eine Zunah­me des Vermö­gens, die auf höhere Grund­stücks­wer­te zurück­geht, in keiner Weise eine zusätz­li­che produk­ti­ve Kapa­zi­tät der Volks­wirt­schaft mit sich bringt. Grund­stü­cke hätten daher im Kapi­tal­stock nichts verloren.
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Illu­si­on von Reichtum
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Was aufgrund unvoll­stän­di­ger Statis­tik als Wohl­stands­ge­winn daher­kommt, ist in Wahr­heit nur Umver­tei­lung. Die höhe­ren Grund­stück­wer­te werden regis­triert. Die höhe­ren Kosten für die Mieter und Päch­ter jedoch nicht. So entsteht die Illu­si­on, die Gesell­schaft sei reicher gewor­den, wenn ein Teil von ihr von einem ande­ren Teil mehr für die Nutzung der vorhan­de­nen Grund­stü­cke bekommt.
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Die Rolle der Finanz­bran­che erscheint in einem ande­ren Licht, wenn „Inves­ti­tio­nen“ in Grund­stü­cke nicht mehr als produk­ti­ve Anlage gese­hen werden. Das Haupt­ge­schäft der Banken ist heute nicht mehr, Unter­neh­men Kredi­te für produk­ti­ve Inves­ti­tio­nen zu geben, sondern das Hypo­the­ken­kre­dit­ge­schäft, über­wie­gend mit priva­ten Haus­hal­ten. Zum weit­aus größ­ten Teil geht es dabei um die Finan­zie­rung des Kaufs des Grund­stücks und bereits gebau­ter Häuser. Da Grund­stü­cke, anders als Maschi­nen und Anla­gen, nicht vermehr­bar sind, bedeu­tet der zuneh­men­de Geld­strom in diesen Markt in Form von Hypo­the­ken­kre­di­ten, dass die Preise nach oben getrie­ben werden. Das ist ein Problem, wenn es dazu beiträgt, die Boden­nut­zung für Haus­hal­te und Unter­neh­men teurer zu machen. Wenn es zu einer Preis­bla­se führt, die später platzt, wie 2007 in den USA und Teilen Euro­pas, kann dies auch verhee­ren­de Auswir­kun­gen auf die Volks­wirt­schaf­ten haben. Eine VWL, die die Beson­der­hei­ten von Grund und Boden igno­rier­te, konnte das erst im Nach­hin­ein verstehen.
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Es gibt jedoch Hoff­nung, dass sich der Nebel über den Grund­ren­ten lich­ten könnte. Die Statis­ti­ker sind unzu­frie­den damit, so wenig über den größ­ten Teil des Kapi­tal­stocks zu wissen. Gemein­sam mit der OECD hat die euro­päi­sche Statis­tik­be­hör­de Euro­stat 2015 einen „Compi­la­ti­on Guide on Land Esti­ma­ti­on“ – einen Leit­fa­den zur Schät­zung von Boden­wer­ten – heraus­ge­ge­ben. Dieser soll helfen, „die Infor­ma­ti­ons­lü­cke zu schlie­ßen, die durch die Finanz­kri­se aufge­deckt wurde“.
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Boden­wert­steu­er hat immer mehr Fans
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Und eine breite Koali­ti­on der Vernünf­ti­gen will sich nicht länger damit abfin­den, dass Grund­be­sit­zer steu­er­lich geschont werden, während Arbeit und produk­ti­ve Inves­ti­tio­nen hoch besteu­ert werden.…
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