Zur Frage des Zinses – Christian J. Jäggi
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1. Zur Zinsproblematik
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Wesentlicher Grund für die wachsende Geldmenge in hoch entwickelten Gesellschaften ist der Zins- und Zinseszinseffekt, der die Geldvermögen laufend und exponentiell anwachsen lässt. Dazu hat Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT vom März/April 2011:37) zu Recht festgehalten: „Je höher der Zins ist, desto schneller wachsen Bankguthaben, desto mehr sind Banken zur Kreditvergabe gezwungen, weshalb Zinsgewinne automatisch auch zu einer ansteigenden Gesamtverschuldung führen müssen. Während die Zinsgeldschöpfung umso schneller in Fahrt kommt, je höher die Zinsen sind, geht die Kreditgeldschöpfung umso langsamer von statten, je höher die Zinsen sind, weil sich teure Kredite nun mal schlechter verkaufen als günstige“. Das bedeutet: Je höher die Zinsen, desto kleiner die Kreditgeldschöpfung, und je tiefer die Zinsen, desto grösser die Kreditgeldschöpfung. Laut Fuders ist dieser Mechanismus der Grund, warum die Dollargeldmenge von 2008 bis 2011 nicht mehr exponentiell, sondern nur noch gemäßigt gewachsen ist. Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT vom März/April 2011:37) ist auch der Meinung, dass der eigentliche Grund für die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken nicht die offizielle Begründung – nämlich die Vermeidung einer Kreditklemme – sei, sondern das Ziel, das Wachstum der Geldmenge zu reduzieren.
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Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT Frühjahr 2020:16) ist beizustimmen, dass Geld oft mit Kapital gleichgesetzt wird. Kapital kann zwar Geldform annehmen, aber nicht alles Geld ist Kapital – und umgekehrt hat auch nicht jedes Kapital Geldform. Genau diese Verwechslung führt Viele dazu, eine generelle Abschaffung des Zinses zu verlangen.
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Die drei vorherrschenden ökonomischen Schulen definieren Zins zwar verschieden, aber verstehen ihn jedoch grundsätzlich ziemlich ähnlich. Der klassische Ansatz fasst den Zins als zeitlich begrenzten Profitverlust auf ausgeliehenes Geldvermögen auf. Die Neo-Klassik definiert den Zins als temporär begrenzten Konsumverlust. Und der Keynesianismus, also ein eher nachfrageorientierter Ansatz, sieht im Zins eine Prämie für den Verzicht auf die Vorteile der Liquidität: „In der Klassik kompensiert der Zins den Verzicht auf Profitmöglichkeit unter Berücksichtigung des dabei anfallenden Risikos. Es entsteht, wenn ein ‚Geldkapitalist’ das Risiko eines ‚Unternehmerkapitalisten’ nicht selbst eingeht, sondern diesem Geld zur Investition in Produktionsmittel leiht. Der Zins ist dann die Differenz zwischen der Prämie der Profitmöglichkeit der Investition und der Risikoprämie des tätigen Unternehmers. In der Neoklassik kompensiert der Zins den Verzicht auf den Konsum von Gegenwartsgütern, weil sie, als nicht verliehene, eine höhere Prämie tragen als der Konsum von Zukunftsgütern. Im Keynesianismus entschädigt der Zins für die aufgegebene Liquiditätsprämie des Geldes. Die Prämie des Geldes bedeutet dabei die Potenz des Geldes, jederzeit Forderungen bedienen zu können“ (Heinsohn/Steiger 2006:10/11).
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Doch warum verschulden sich Staat, Unternehmen und Private überhaupt? Staaten verschulden sich zumeist aus politischen Gründen, weil die Bevölkerung gewisse Leistungen erwartet, die der Staat nicht immer oder im gewünschten Ausmaß finanzieren kann. Staatsschulden sind anfänglich häufig vorfinanzierte Staatsausgaben, die – zumindest in der Theorie – durch die später eintreffenden Steuern gedeckt werden sollen. Weil Politiker primär an einer Wiederwahl interessiert sind, besteht oft kaum eine Motivation, auf die Ausgabenbremse zu treten, wenn deren Klientel bestimmte Leistungen erwartet. Bei Betrieben ist eine – begrenzte! – Verschuldung aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen, weil ein Unternehmer oft nicht in der Lage ist, ohne zusätzliches, fremdes Kapital unternehmerisch tätig zu sein (z. B. Investitionen in Gebäude, Maschinen usw.), und zum anderen, weil der durch seine Tätigkeit und den Einsatz des Fremdkapitals erzielte Gewinn größer ist als die Kosten, welche durch die Aufnahme von Fremdkapital entstehen. Private Haushalte verschulden sich, weil sie den vorgezogenen Genuss eines Produkts als höher einschätzen als die durch die Verschuldung entstehenden Zusatzkosten (Kreditzinsen). Allerdings ist das Argument ein Trugschluss, dass sich Private nur mit Hilfe von Verschuldung gewisse Dinge überhaupt leisten können – denn Konsumkredite sind immer teurer als der Einkauf gegen Sofortbezahlung, und außerdem gibt es nicht selten Eigentumsvorbehalte, z. B. beim Leasing. Wenn sich jemand privat verschuldet, um sich etwas leisten zu können, kann dies früher oder später dazu führen, dass der oder die Betreffende insolvent wird.
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Damit sind wir bei den indirekten Zinslasten. Zwar trifft es zu, dass jedes Fremdkapital – und übrigens auch das Eigenkapital – verzinst werden muss. Ebenso richtig ist es, dass die Zinsen für Fremdkapital auf mehreren Produktionsebenen eines Gutes oder einer Dienstleistung zu Buche schlagen und im Gesamtpreis aufsummiert werden. Ein Beispiel wäre etwa die Herstellung eines Automobils, dessen Rohstoffe, Ausstattung und Design alle auch mittels Fremdkapital (mit)finanziert werden. Diese indirekten Zinsen, wie Hannich (2002:57) sie nennt, schlagen sich letztlich im Endpreis des Automobils nieder.
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Doch es ist problematisch, diese Zinsanteile einer jeden Produktionsstufe aufzusummieren. Das zeigt sich etwa am Beispiel von Hannich (2002:58), der argumentiert, dass eine Wohnungsmiete zu über 80 % aus Zinsen bestehe. Das würde bedeuten, dass der reale Wert der bezogenen Leistung, nämlich das Recht, in der Mietwohnung zu wohnen, effektiv nur 20 % des Mietbetrags ausmacht. Man müsste umgekehrt argumentieren: Wenn jemand ein Haus mit der gleichen Wohnqualität bauen oder kaufen würde, die er in seiner Mietwohnung genießt, müsste er das entsprechende Geld oder Vermögen zuvor ansparen. Weil die Einkommen im Verhältnis zu den Hauspreisen tief sind – ein günstiges Einfamilienhaus kostet in der Schweiz etwa 10 – 15 Jahreslöhne eines mittleren Einkommens. Rechnet man mit einer Sparquote von 50 %, verdoppelt sich diese Zeit. Deshalb muss der Hausbesitzer einen großen Teil der Hauskosten durch einen Kredit vorfinanzieren, zum Beispiel durch eine erste und zweite Hypothek. Nehmen wir an, er verfügt über 200.000 Franken Eigenkapital und nimmt eine Hypothek von 600.000 Franken auf. Angenommen, er zahlt einen mittleren Hypothekarzins von 5 %, dann erhöhen sich die Hauskosten um 30.000 Franken pro Jahr. Zahlt er die Hypothek nicht ab, dann erhöht sich der effektiv bezahlte Hauspreis in 20 Jahren um 600.000 Franken Hypozinsen; das Haus kostet ihn also anstatt 800.000 Franken volle 1,4 Millionen Franken. Dabei nicht berechnet sind die Amortisation bzw. die erforderlichen laufenden Ersatzinvestitionen. Das Problem liegt also nicht darin, dass für Fremdkapital Zinsen bezahlt werden müssen, sondern dass die Schuldner nicht richtig rechnen – oder anders herum gesagt: Sie schätzen den Gebrauchswert des Eigenheims zu hoch ein. Oder noch anders gesagt: Das Haus ist in Anbetracht des effektiv vorhandenen Eigenkapitals oder Vermögens faktisch zu teuer. Viele Leute vergleichen nur die in einer Mietwohnung zu zahlenden Mietzinsen mit den Hypothekarzinsen eines Eigenheims, sie vergessen dabei, dass das Eigenheim enorme Vermögensanteile bindet, die im Falle eine Mietwohnung frei verfügbar sind. Dazu kommt das zusätzliche Risiko, dass der Liegenschaftsverkaufspreis im Falle eines Verkaufs tiefer sein kann als der ursprüngliche Kaufpreis (wie etwa in der Finanzkrise 2008 in den USA).
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Zwar trifft es zu – wie Creutz (1994:244) schreibt –, dass bei einer Verzinsung des in eine Liegenschaft investierten Kapitals von sagen wir 5 % in 20 Jahren nochmals der gesamte Preis des investierten Kapitals bezahlt wird. Nur: In diesen 20 Jahren kann der Investor das investierte Kapital nicht anderweitig nutzen, er kann es nicht durch Konsumieren verbrauchen. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von Opportunitätskosten. Verbrauchen kann er einzig den Zins. Wenn der Eigentümer dieses Kapital in ein ihm gehörendes Unternehmen stecken würde, könnte es sein, dass er damit viel mehr verdient, z. B. 15 %, 20 % oder mehr. Der niedrigere Zins einer Investition in eine Liegenschaft lässt sich damit erklären, dass diese Anlage relativ risikofrei ist, während z. B. bei einem Start-Up-Unternehmen eine erhebliche Gefahr besteht, dass das neu gegründete Unternehmen in den ersten fünf Jahren pleite geht.
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2. Geldzins, Kapitalzins und Naturalzins
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Meines Erachtens begehen prinzipielle Zinsgegner den Denkfehler, Zins als Gewinn auf verliehenes Geld nicht als eine unter anderen Kapitalgewinnformen zu sehen, sondern den Zins sozusagen als Sündenbock für alle wirtschaftlichen Exzesse zu hypostasieren, die es zweifellos gibt. Klassisch ist ja die dreifache Rolle von Geld als Tauschmittel, als Recheneinheit und als Wertaufbewahrungsfunktion (vgl. Jäggi 2018:52). Demgegenüber ist Kapital ein Produktionsfaktor – neben Arbeit, Boden oder Know-how, und somit auch quantifizierbar (wenn auch nicht nur!).
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Marx glaubte noch, dass einzig Arbeit letztlich (mehr-)wertschöpfend sei. Umgekehrt verstehen viele Zinskritiker den Zins als sozusagen magischen Multiplikationsfaktor auf (Geld-)Kapital. Wertzunahmen oder ‑abnahmen von Gütern, Währungen oder Geld können viele Gründe haben: unterschiedliche Marktwerte eines Produkts in verschiedenen lokalen Märkten, Angebotsmangel oder Angebotsüberschuss, Erwartungen auf künftige Preisentwicklungen (Termingeschäfte!), veränderte Nachfrage usw.
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Vermögen in Form von Geld, Währungen, Anleihen oder anderen Kapitalformen sind genauso auf Märkten handelbare Produkte wie Liegenschaften, Autos, landwirtschaftliche Produkte oder Weiterbildungsangebote. Der Zins stellt u. a. den Preis dar, der für eine Kapitalanleihe auf dem Kapitalmarkt zu bezahlen ist. Genauso wie für Brot ein Preis zu bezahlen ist, der seine Herstellungskosten + einen bestimmten Gewinn + eine eventuelle Korrektur nach oben oder nach unten je nach Angebot und Nachfrage beinhaltet, besteht eine Anleihe aus dem Gegenwert (Nominalwert) + einem zusätzlichen Betrag (Gewinn bzw. Zins) + einer Marktkorrektur nach oben oder nach unten.
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Die aktuellen Negativzinsen sind im Grunde eine Folge des Überangebots an Liquidität. Ähnlich wie bei Inflation steht der produzierten Gütermenge eine zu große Geldmenge gegenüber, deren Wert – entweder durch Negativzinsen nominal oder durch inflationäre Entwertung real verringert wird. Geld hat eine Doppelfunktion: Erstens wird Geld nicht nach Marktbedürfnissen geschaffen, sondern nach politischen und ökonomischen Erfordernissen, und zweitens ist Geld in Form von Kapital nicht nur ein auf dem Markt handelbares Produkt, sondern hat auch Wertaufbewahrungsfunktion. Würde bei einem Brot der Preis unter den Herstellungskosten liegen, würde die Herstellung früher oder später eingestellt, nicht aber bei Geld. Während eine Anleihe oder ein Darlehen einen Tausch eines Aktivwerts (z. B. als Bankeinlage) gegen einen Passivwert (Anspruch auf Rückzahlung in entsprechender Höhe) + Gewinn (Zins) darstellt, stellt der Kauf eines Autos einen Tausch eines Aktivwerts (Geld) gegen einen anderen Aktivwert (Automobil) dar, wobei beide Seiten in einer Win-Win-Situation stehen – andernfalls kommt der Kauf nicht zustande (bzw. wenn eine Seite meint, nichts dabei zu gewinnen).
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Im Grunde steht also der gleiche Mechanismus zwischen dem Geld- oder Kapitalzins und – sagen wir – dem Preiszuschlag auf ein Handelsprodukt, das von A nach B gebracht und dort verkauft wird: Herstellungskosten + Transport + Korrektur durch Angebot und Nachfrage + Gewinn. Wenn Geld oder Kapital zum Nulltarif verliehen werden müsste, würden ebenso rasch keine Kredite mehr angeboten, wie ein Bäcker seine Produktion einstellen würde, wenn er in seinen Brotpreis nur die Herstellungs- und Transportkosten, aber keinen Gewinn mehr einrechnen dürfte.
Fuders ist zweifellos zuzustimmen, dass „ein auf Zinsen aufgebautes Wirtschaftssystem sich in regelmäßigen Abständen selbst zerstört“ (Fuders in HUMANE WIRTSCHAFT vom Frühjahr 2020:18). Doch der Grund liegt nicht im Zins als solchem, sondern in dessen ungebremstem freien Spiel. Klassische Blasenbildungen gibt es an der Börse, wenn in einer Aufschwungphase alle in einen Kaufrausch verfallen (so wie etwa in den 1920er Jahren in den USA, oder vor der Wirtschaftskrise 2008 im Immobiliensektor ebenfalls in den USA). Wenn dazu noch eine ungebremste Spekulation z. B. mit strukturierten Finanzprodukten kommt, wo mit wenig Kapital ungeheure Gewinne erzielt werden können, wächst das Risiko ins Unendliche. Aber auch hier gilt: Es braucht Marktregelungen und Einschränkungen verschiedenster Art – und nicht eine Abschaffung des Zinses.
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Genau wie bei anderen Produkten ist nicht der Gewinn bzw. der Zins an sich das Problem, sondern die Höhe des Preises bzw. des Gewinns. Deshalb müsste im Grunde der Zins nach oben beschränkt werden, bei – sagen wir – maximal 5 %. Die Obergrenze muss diskursiv ausgehandelt werden und periodisch an die gesellschaftliche, wirtschaftliche und an die Marktsituation angepasst werden. So kennen bereits heute viele Länder – etwa die Schweiz – gesetzlich festgelegte Wuchergrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Genauso wie bei einem Brot in einer Hungersnot eine 100%ige oder noch stärkere Preiserhöhung inakzeptabel ist, ist auch ein zu hoher Zins und – vor allem – ein ausufernder Zinseszins inakzeptabel. Denkbar wäre diesbezüglich eine zeitliche Begrenzung des Zinses – und für längere Darlehen ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Nullzins. Das würde bedeuten: Je höher der Zins, desto geringere Laufzeit des Darlehens, und umgekehrt: je länger die Darlehensdauer, desto geringer der Zins (sozusagen als Gegenmittel zum Zinseszins).
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3. Islamic Banking
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Die gleiche problematische Unterscheidung zwischen illegitimem Geld- bzw. Kapitalzins und akzeptiertem Handelsgewinn besteht auch im Islamic Banking. Und nicht wenige schariakonforme Formen der Kredite sind teilweise reine Umgehungsgeschäfte. Ich möchte das an drei Formen von Kreditgeschäften zeigen :
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Das Mudaraba-Konzept
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Das im islamischen Bankengeschäft praktizierte Mudaraba-Konzept beruht auf einer einfachen Idee: Zwei Parteien, eine mit Kapital und die andere mit Know-how treffen sich und sind geschäftlich tätig. Zentral ist dabei die Idee, dass Gewinne von beiden geteilt, die Verluste jedoch vom Kapitalgeber getragen werden (vgl. Khan Khadem 2010:140). Diese Praxis gilt als schariakonform und stellt keine Verletzung des Zinsverbotes dar. Sie wird allerdings weder im Koran noch in der Sunna erwähnt (vgl. Nassery 2016:252).
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Dabei fungiert der geldgebende Teil – auch Sahib-al-Maal oder Rabb-ul-Maal genannt – als stiller Partner, während der eigentliche Unternehmer – genannt Mudarib – als Manager, Handel Treibender oder sonst wie unternehmerisch tätig ist. Der Investor hat dabei praktisch keinen oder nur sehr begrenzten Einfluss auf die Geschäftsführung (vgl. Nassery 2016:252). Der Gewinn wird nach einem zu Beginn der Partnerschaft festgelegten Schlüssel aufgeteilt, der vertraglich festgehalten wird. Etwaige Verluste gehen zulasten des Geldgebers, außer wenn der Mudarib, also der Geschäftsführer, durch Misswirtschaft, Nachlässigkeit oder durch Verletzung der vertraglichen Bedingungen dafür verantwortlich ist (vgl. Khan Khadem 2010:141).
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Dabei gibt es zwei Formen von Mudaraba: Einen eingeschränkten Mudaraba-Vertrag (Al Mudaraba sowie Al Muqayyadah) und einen unbeschränkten Mudaraba-Vertrag (Al Mudaraba al Mutlaqah). Die erste Form erlegt dem Mudarib Beschränkungen für seine Geschäftstätigkeit auf, etwa in Bezug auf den zeitlichen Rahmen seiner Geschäftstätigkeit, hinsichtlich dem Geschäftsort oder betreffend die Art der Tätigkeit. Die zweite Vertragsform erlegt dem Mudarib keine Einschränkungen auf (vgl. Khan Khadem 2010:144). Viele islamische Banken sind im Mudaraba-Sektor tätig, etwa als Kapitalgeber oder als Intermediäre, also als Vermittler von Kapital.
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Laut Khan Khadem (2010:146) schafft das Mudaraba-Konzept eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten und auch für die Gesellschaft. Dabei kombiniere Mudaraba Kapital, Arbeit und Unternehmertum. Allerdings hat der Geldgeber kein Recht, sich am Management zu beteiligen, er kann lediglich die Finanzierung gewisser Aktivitäten beschränken. In Bezug auf die Gewinnaufteilung haben die beiden Partner völlig freie Hand. Gewinne können nur solange beansprucht werden wie das Kapital intakt ist (vgl. Khan Khadem 2010:146).
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Im Grunde kommt es nicht darauf an, ob Gewinn und Verlust direkt dem Kapital zugeschlagen oder von diesem abgezogen werden – wie z. B. direkt über Auszahlung einer Aktiendividende oder indirekt über steigende oder sinkende Aktienkurse – der Gewinn- und Verlustmechanismus bleibt gleich – verschieden ist lediglich, wer vom Gewinn profitiert (Kreditnehmer und Investor) und wer den Verlust trägt (Investor).
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Laut Čihák und Hesse (2010:28) führt der Gewinn- und Verlustbeteiligungsmechanismus des Mudaraba-Konzepts zu einer Verschiebung des Risikos von den Banken hin zum Investor, aber es bewirkt auch ein größeres Risiko für die Bankbilanzen. Nach Einschätzung dieser beiden Autoren ist dabei vor allem das operative Risiko islamischer Finanzierungsmodelle erheblich und größer als bei konventionellen Banken, unter anderem infolge der schwierigeren Standardisierung der Prozesse und Abläufe.
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Musharaka
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Im Unterscheid zum Mudaraba-Konzept besteht Musharaka in Finanzbeteiligungen, in welcher alle Partner Gewinne und Verluste teilen (vgl. Ahmed 2010:127). Dabei besteht die Partnerschaft in einer Kapitalpartnerschaft, zu welcher alle Partner Finanzen, Güter oder andere Formen von Eigentum beisteuern, nicht aber Arbeit oder nur Kredite. Dies im Unterschied zu Mudaraba-Partnerschaften zwischen Arbeit und Kapital oder reinen Arbeitspartnerschaften (shirkat al‑a’mal). Es gibt langfristige Musharaka-Partnerschaften und kurzfristige.
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Auf das Musharakah-Konzept gibt es im Koran keinen Hinweis, wohl aber in den Hadithen (vgl. Nassery 2016:253).
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Gebräuchlich ist auch eine degressive Form von Musharaka. Dabei nimmt die Beteiligungsrate der Bank oder des Geldgebers im Laufe der Zeit sukzessive ab, bis der andere Partner Alleinbesitzer des Unternehmens ist (vgl. Nassery 2016:253).
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Auch hier geht es nur um die Aufteilung von Gewinn und Verlust unter Kapitalgeber und Kapitalnehmer, beide tragen das gleiche Risiko. Nur wird der Gewinn nicht einfach dem Kapital zugerechnet, aber der Effekt ist der Gleiche.
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Murabaha
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Als drittes Instrument für zinsverbotskonforme Investments ist Murabaha zu erwähnen. Abgeleitet vom arabischen Wort ribh bedeutet es im Wesentlichen Vermögen, Aktivposten oder Profit. Auch Murabaha wird im Koran nicht erwähnt, hat aber wahrscheinlich vorislamische Wurzeln (vgl. Nassery 2016:253). Die islamischen Rechtsgelehrten haben dieses Konzept als schariakonform klassifiziert. Dabei wird ein schariakonformes Objekt, etwa ein Wagen, ein Haus oder Ausrüstung über eine Finanzinstitution, z. B. eine Bank, gekauft und dem Kunden zur Verfügung gestellt. Dementsprechend ist Murabaha eine Transaktion zwischen drei Akteuren: dem Käufer, dem Verkäufer und einer Finanzinstitution. Dabei verdient die Bank am Wiederverkauf des Gegenstandes an den Kunden. Im Unterschied zu einem zinsbasierten Darlehen, das die Bank zum Kauf eines Gegenstandes vergibt, besteht Murabaha aus zwei einzelnen Kauf- und Verkaufshandlungen, zuerst durch den Verkäufer an die Bank und von der Bank an den Käufer. Im Unterschied zu einem Kauf mit einem Darlehen geht der Gegenstand vorübergehend in den Besitz der Bank über. Damit entsteht im Unterschied zu Mudaraba- und Musharaka-Aktivitäten bei Murabaha keine Partnerschaft, sondern es erfolgen zwei zeitlich versetzte und separate Kauf-/Verkaufshandlungen mit jeweils eigenen Haftungsbedingungen (vgl. Nassery 2016:254).
Auch hier wird der direkte Zuschlag eines Gewinns auf das Kapital vermieden – aber letztlich ist auch das nur eine formelle bzw. rechnerische Vermeidung des Zinses.
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Zins ist nicht mehr und nicht weniger als ein Gewinn in Form eines Aufpreises auf gewisse Formen von Kapitalanleihen (z. B. Kredite, Darlehen usw.), so wie die Wohnungsmieten minus Ersatzinvestitionen minus Teuerung den Gewinn auf in Wohnungen investiertes Kapital darstellen. Auch hier ist die Höhe das Problem, nicht die Mieten an sich!
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