Zur Frage des Zinses – Christian J. Jäggi

Ausgangs­punkt der folgen­den Über­le­gun­gen ist die Tatsa­che, dass die reale Wirt­schaft länger­fris­tig im Allge­mei­nen linear wächst, während die Vermö­gens­wer­te und damit auch die Schul­den deut­lich stär­ker, nämlich – abge­se­hen von kurzen Phasen von Krisen – expo­nen­ti­ell zunehmen.
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1. Zur Zinsproblematik 

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Wesent­li­cher Grund für die wach­sen­de Geld­men­ge in hoch entwi­ckel­ten Gesell­schaf­ten ist der Zins- und Zinses­zins­ef­fekt, der die Geld­ver­mö­gen laufend und expo­nen­ti­ell anwach­sen lässt. Dazu hat Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT vom März/April 2011:37) zu Recht fest­ge­hal­ten: „Je höher der Zins ist, desto schnel­ler wach­sen Bank­gut­ha­ben, desto mehr sind Banken zur Kredit­ver­ga­be gezwun­gen, weshalb Zins­ge­win­ne auto­ma­tisch auch zu einer anstei­gen­den Gesamt­ver­schul­dung führen müssen. Während die Zins­geld­schöp­fung umso schnel­ler in Fahrt kommt, je höher die Zinsen sind, geht die Kredit­geld­schöp­fung umso lang­sa­mer von stat­ten, je höher die Zinsen sind, weil sich teure Kredi­te nun mal schlech­ter verkau­fen als güns­ti­ge“. Das bedeu­tet: Je höher die Zinsen, desto klei­ner die Kredit­geld­schöp­fung, und je tiefer die Zinsen, desto grös­ser die Kredit­geld­schöp­fung. Laut Fuders ist dieser Mecha­nis­mus der Grund, warum die Dollar­geld­men­ge von 2008 bis 2011 nicht mehr expo­nen­ti­ell, sondern nur noch gemä­ßigt gewach­sen ist. Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT vom März/April 2011:37) ist auch der Meinung, dass der eigent­li­che Grund für die Nied­rig­zins­po­li­tik der Zentral­ban­ken nicht die offi­zi­el­le Begrün­dung – nämlich die Vermei­dung einer Kredit­klem­me – sei, sondern das Ziel, das Wachs­tum der Geld­men­ge zu reduzieren.

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Fuders (in HUMANE WIRTSCHAFT Früh­jahr 2020:16) ist beizu­stim­men, dass Geld oft mit Kapi­tal gleich­ge­setzt wird. Kapi­tal kann zwar Geld­form anneh­men, aber nicht alles Geld ist Kapi­tal – und umge­kehrt hat auch nicht jedes Kapi­tal Geld­form. Genau diese Verwechs­lung führt Viele dazu, eine gene­rel­le Abschaf­fung des Zinses zu verlangen.

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Die drei vorherr­schen­den ökono­mi­schen Schu­len defi­nie­ren Zins zwar verschie­den, aber verste­hen ihn jedoch grund­sätz­lich ziem­lich ähnlich. Der klas­si­sche Ansatz fasst den Zins als zeit­lich begrenz­ten Profit­ver­lust auf ausge­lie­he­nes Geld­ver­mö­gen auf. Die Neo-Klas­sik defi­niert den Zins als tempo­rär begrenz­ten Konsum­ver­lust. Und der Keyne­sia­nis­mus, also ein eher nach­fra­ge­ori­en­tier­ter Ansatz, sieht im Zins eine Prämie für den Verzicht auf die Vortei­le der Liqui­di­tät: „In der Klas­sik kompen­siert der Zins den Verzicht auf Profit­mög­lich­keit unter Berück­sich­ti­gung des dabei anfal­len­den Risi­kos. Es entsteht, wenn ein ‚Geld­ka­pi­ta­list’ das Risiko eines ‚Unter­neh­mer­ka­pi­ta­lis­ten’ nicht selbst eingeht, sondern diesem Geld zur Inves­ti­ti­on in Produk­ti­ons­mit­tel leiht. Der Zins ist dann die Diffe­renz zwischen der Prämie der Profit­mög­lich­keit der Inves­ti­ti­on und der Risi­ko­prä­mie des täti­gen Unter­neh­mers. In der Neoklas­sik kompen­siert der Zins den Verzicht auf den Konsum von Gegen­warts­gü­tern, weil sie, als nicht verlie­he­ne, eine höhere Prämie tragen als der Konsum von Zukunfts­gü­tern. Im Keyne­sia­nis­mus entschä­digt der Zins für die aufge­ge­be­ne Liqui­di­täts­prä­mie des Geldes. Die Prämie des Geldes bedeu­tet dabei die Potenz des Geldes, jeder­zeit Forde­run­gen bedie­nen zu können“ (Heinsohn/Steiger 2006:10/11).

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Doch warum verschul­den sich Staat, Unter­neh­men und Priva­te über­haupt? Staa­ten verschul­den sich zumeist aus poli­ti­schen Grün­den, weil die Bevöl­ke­rung gewis­se Leis­tun­gen erwar­tet, die der Staat nicht immer oder im gewünsch­ten Ausmaß finan­zie­ren kann. Staats­schul­den sind anfäng­lich häufig vorfi­nan­zier­te Staats­aus­ga­ben, die – zumin­dest in der Theo­rie – durch die später eintref­fen­den Steu­ern gedeckt werden sollen. Weil Poli­ti­ker primär an einer Wieder­wahl inter­es­siert sind, besteht oft kaum eine Moti­va­ti­on, auf die Ausga­ben­brem­se zu treten, wenn deren Klien­tel bestimm­te Leis­tun­gen erwar­tet. Bei Betrie­ben ist eine – begrenz­te! – Verschul­dung aus zwei Grün­den sinn­voll: Zum einen, weil ein Unter­neh­mer oft nicht in der Lage ist, ohne zusätz­li­ches, frem­des Kapi­tal unter­neh­me­risch tätig zu sein (z. B. Inves­ti­tio­nen in Gebäu­de, Maschi­nen usw.), und zum ande­ren, weil der durch seine Tätig­keit und den Einsatz des Fremd­ka­pi­tals erziel­te Gewinn größer ist als die Kosten, welche durch die Aufnah­me von Fremd­ka­pi­tal entste­hen. Priva­te Haus­hal­te verschul­den sich, weil sie den vorge­zo­ge­nen Genuss eines Produkts als höher einschät­zen als die durch die Verschul­dung entste­hen­den Zusatz­kos­ten (Kredit­zin­sen). Aller­dings ist das Argu­ment ein Trug­schluss, dass sich Priva­te nur mit Hilfe von Verschul­dung gewis­se Dinge über­haupt leis­ten können – denn Konsum­kre­di­te sind immer teurer als der Einkauf gegen Sofort­be­zah­lung, und außer­dem gibt es nicht selten Eigen­tums­vor­be­hal­te, z. B. beim Leasing. Wenn sich jemand privat verschul­det, um sich etwas leis­ten zu können, kann dies früher oder später dazu führen, dass der oder die Betref­fen­de insol­vent wird.

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Damit sind wir bei den indi­rek­ten Zins­las­ten. Zwar trifft es zu, dass jedes Fremd­ka­pi­tal – und übri­gens auch das Eigen­ka­pi­tal – verzinst werden muss. Ebenso rich­tig ist es, dass die Zinsen für Fremd­ka­pi­tal auf mehre­ren Produk­ti­ons­ebe­nen eines Gutes oder einer Dienst­leis­tung zu Buche schla­gen und im Gesamt­preis aufsum­miert werden. Ein Beispiel wäre etwa die Herstel­lung eines Auto­mo­bils, dessen Rohstof­fe, Ausstat­tung und Design alle auch mittels Fremd­ka­pi­tal (mit)finanziert werden. Diese indi­rek­ten Zinsen, wie Hannich (2002:57) sie nennt, schla­gen sich letzt­lich im Endpreis des Auto­mo­bils nieder.

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Doch es ist proble­ma­tisch, diese Zins­an­tei­le einer jeden Produk­ti­ons­stu­fe aufzu­sum­mie­ren. Das zeigt sich etwa am Beispiel von Hannich (2002:58), der argu­men­tiert, dass eine Wohnungs­mie­te zu über 80 % aus Zinsen bestehe. Das würde bedeu­ten, dass der reale Wert der bezo­ge­nen Leis­tung, nämlich das Recht, in der Miet­woh­nung zu wohnen, effek­tiv nur 20 % des Miet­be­trags ausmacht. Man müsste umge­kehrt argu­men­tie­ren: Wenn jemand ein Haus mit der glei­chen Wohn­qua­li­tät bauen oder kaufen würde, die er in seiner Miet­woh­nung genießt, müsste er das entspre­chen­de Geld oder Vermö­gen zuvor anspa­ren. Weil die Einkom­men im Verhält­nis zu den Haus­prei­sen tief sind – ein güns­ti­ges Einfa­mi­li­en­haus kostet in der Schweiz etwa 10 – 15 Jahres­löh­ne eines mitt­le­ren Einkom­mens. Rech­net man mit einer Spar­quo­te von 50 %, verdop­pelt sich diese Zeit. Deshalb muss der Haus­be­sit­zer einen großen Teil der Haus­kos­ten durch einen Kredit vorfi­nan­zie­ren, zum Beispiel durch eine erste und zweite Hypo­thek. Nehmen wir an, er verfügt über 200.000 Fran­ken Eigen­ka­pi­tal und nimmt eine Hypo­thek von 600.000 Fran­ken auf. Ange­nom­men, er zahlt einen mitt­le­ren Hypo­the­kar­zins von 5 %, dann erhö­hen sich die Haus­kos­ten um 30.000 Fran­ken pro Jahr. Zahlt er die Hypo­thek nicht ab, dann erhöht sich der effek­tiv bezahl­te Haus­preis in 20 Jahren um 600.000 Fran­ken Hypo­zin­sen; das Haus kostet ihn also anstatt 800.000 Fran­ken volle 1,4 Millio­nen Fran­ken. Dabei nicht berech­net sind die Amor­ti­sa­ti­on bzw. die erfor­der­li­chen laufen­den Ersatz­in­ves­ti­tio­nen. Das Problem liegt also nicht darin, dass für Fremd­ka­pi­tal Zinsen bezahlt werden müssen, sondern dass die Schuld­ner nicht rich­tig rech­nen – oder anders herum gesagt: Sie schät­zen den Gebrauchs­wert des Eigen­heims zu hoch ein. Oder noch anders gesagt: Das Haus ist in Anbe­tracht des effek­tiv vorhan­de­nen Eigen­ka­pi­tals oder Vermö­gens faktisch zu teuer. Viele Leute verglei­chen nur die in einer Miet­woh­nung zu zahlen­den Miet­zin­sen mit den Hypo­the­kar­zin­sen eines Eigen­heims, sie verges­sen dabei, dass das Eigen­heim enorme Vermö­gens­an­tei­le bindet, die im Falle eine Miet­woh­nung frei verfüg­bar sind. Dazu kommt das zusätz­li­che Risiko, dass der Liegen­schafts­ver­kaufs­preis im Falle eines Verkaufs tiefer sein kann als der ursprüng­li­che Kauf­preis (wie etwa in der Finanz­kri­se 2008 in den USA).

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Zwar trifft es zu – wie Creutz (1994:244) schreibt –, dass bei einer Verzin­sung des in eine Liegen­schaft inves­tier­ten Kapi­tals von sagen wir 5 % in 20 Jahren noch­mals der gesam­te Preis des inves­tier­ten Kapi­tals bezahlt wird. Nur: In diesen 20 Jahren kann der Inves­tor das inves­tier­te Kapi­tal nicht ander­wei­tig nutzen, er kann es nicht durch Konsu­mie­ren verbrau­chen. Ökono­men spre­chen in diesem Zusam­men­hang von Oppor­tu­ni­täts­kos­ten. Verbrau­chen kann er einzig den Zins. Wenn der Eigen­tü­mer dieses Kapi­tal in ein ihm gehö­ren­des Unter­neh­men stecken würde, könnte es sein, dass er damit viel mehr verdient, z. B. 15 %, 20 % oder mehr. Der nied­ri­ge­re Zins einer Inves­ti­ti­on in eine Liegen­schaft lässt sich damit erklä­ren, dass diese Anlage rela­tiv risi­ko­frei ist, während z. B. bei einem Start-Up-Unter­neh­men eine erheb­li­che Gefahr besteht, dass das neu gegrün­de­te Unter­neh­men in den ersten fünf Jahren pleite geht.

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2. Geld­zins, Kapi­tal­zins und Naturalzins 

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Meines Erach­tens bege­hen prin­zi­pi­el­le Zins­geg­ner den Denk­feh­ler, Zins als Gewinn auf verlie­he­nes Geld nicht als eine unter ande­ren Kapi­tal­ge­winn­for­men zu sehen, sondern den Zins sozu­sa­gen als Sünden­bock für alle wirt­schaft­li­chen Exzes­se zu hypo­sta­sie­ren, die es zwei­fel­los gibt. Klas­sisch ist ja die drei­fa­che Rolle von Geld als Tausch­mit­tel, als Rechen­ein­heit und als Wertauf­be­wah­rungs­funk­ti­on (vgl. Jäggi 2018:52). Demge­gen­über ist Kapi­tal ein Produk­ti­ons­fak­tor – neben Arbeit, Boden oder Know-how, und somit auch quan­ti­fi­zier­bar (wenn auch nicht nur!).

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Marx glaub­te noch, dass einzig Arbeit letzt­lich (mehr-)wertschöpfend sei. Umge­kehrt verste­hen viele Zins­kri­ti­ker den Zins als sozu­sa­gen magi­schen Multi­pli­ka­ti­ons­fak­tor auf (Geld-)Kapital. Wert­zu­nah­men oder ‑abnah­men von Gütern, Währun­gen oder Geld können viele Gründe haben: unter­schied­li­che Markt­wer­te eines Produkts in verschie­de­nen loka­len Märk­ten, Ange­bots­man­gel oder Ange­bots­über­schuss, Erwar­tun­gen auf künf­ti­ge Preis­ent­wick­lun­gen (Termin­ge­schäf­te!), verän­der­te Nach­fra­ge usw.

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Vermö­gen in Form von Geld, Währun­gen, Anlei­hen oder ande­ren Kapi­tal­for­men sind genau­so auf Märk­ten handel­ba­re Produk­te wie Liegen­schaf­ten, Autos, land­wirt­schaft­li­che Produk­te oder Weiter­bil­dungs­an­ge­bo­te. Der Zins stellt u. a. den Preis dar, der für eine Kapi­tal­an­lei­he auf dem Kapi­tal­markt zu bezah­len ist. Genau­so wie für Brot ein Preis zu bezah­len ist, der seine Herstel­lungs­kos­ten + einen bestimm­ten Gewinn + eine even­tu­el­le Korrek­tur nach oben oder nach unten je nach Ange­bot und Nach­fra­ge beinhal­tet, besteht eine Anlei­he aus dem Gegen­wert (Nomi­nal­wert) + einem zusätz­li­chen Betrag (Gewinn bzw. Zins) + einer Markt­kor­rek­tur nach oben oder nach unten.

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Die aktu­el­len Nega­tiv­zin­sen sind im Grunde eine Folge des Über­an­ge­bots an Liqui­di­tät. Ähnlich wie bei Infla­ti­on steht der produ­zier­ten Güter­men­ge eine zu große Geld­men­ge gegen­über, deren Wert – entwe­der durch Nega­tiv­zin­sen nomi­nal oder durch infla­tio­nä­re Entwer­tung real verrin­gert wird. Geld hat eine Doppel­funk­ti­on: Erstens wird Geld nicht nach Markt­be­dürf­nis­sen geschaf­fen, sondern nach poli­ti­schen und ökono­mi­schen Erfor­der­nis­sen, und zwei­tens ist Geld in Form von Kapi­tal nicht nur ein auf dem Markt handel­ba­res Produkt, sondern hat auch Wertauf­be­wah­rungs­funk­ti­on. Würde bei einem Brot der Preis unter den Herstel­lungs­kos­ten liegen, würde die Herstel­lung früher oder später einge­stellt, nicht aber bei Geld. Während eine Anlei­he oder ein Darle­hen einen Tausch eines Aktiv­werts (z. B. als Bank­ein­la­ge) gegen einen Passiv­wert (Anspruch auf Rück­zah­lung in entspre­chen­der Höhe) + Gewinn (Zins) darstellt, stellt der Kauf eines Autos einen Tausch eines Aktiv­werts (Geld) gegen einen ande­ren Aktiv­wert (Auto­mo­bil) dar, wobei beide Seiten in einer Win-Win-Situa­ti­on stehen – andern­falls kommt der Kauf nicht zustan­de (bzw. wenn eine Seite meint, nichts dabei zu gewinnen).

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Im Grunde steht also der glei­che Mecha­nis­mus zwischen dem Geld- oder Kapi­tal­zins und – sagen wir – dem Preis­zu­schlag auf ein Handels­pro­dukt, das von A nach B gebracht und dort verkauft wird: Herstel­lungs­kos­ten + Trans­port + Korrek­tur durch Ange­bot und Nach­fra­ge + Gewinn. Wenn Geld oder Kapi­tal zum Null­ta­rif verlie­hen werden müsste, würden ebenso rasch keine Kredi­te mehr ange­bo­ten, wie ein Bäcker seine Produk­ti­on einstel­len würde, wenn er in seinen Brot­preis nur die Herstel­lungs- und Trans­port­kos­ten, aber keinen Gewinn mehr einrech­nen dürfte.
Fuders ist zwei­fel­los zuzu­stim­men, dass „ein auf Zinsen aufge­bau­tes Wirt­schafts­sys­tem sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den selbst zerstört“ (Fuders in HUMANE WIRTSCHAFT vom Früh­jahr 2020:18). Doch der Grund liegt nicht im Zins als solchem, sondern in dessen unge­brems­tem freien Spiel. Klas­si­sche Blasen­bil­dun­gen gibt es an der Börse, wenn in einer Aufschwung­pha­se alle in einen Kauf­rausch verfal­len (so wie etwa in den 1920er Jahren in den USA, oder vor der Wirt­schafts­kri­se 2008 im Immo­bi­li­en­sek­tor eben­falls in den USA). Wenn dazu noch eine unge­brems­te Speku­la­ti­on z. B. mit struk­tu­rier­ten Finanz­pro­duk­ten kommt, wo mit wenig Kapi­tal unge­heu­re Gewin­ne erzielt werden können, wächst das Risiko ins Unend­li­che. Aber auch hier gilt: Es braucht Markt­re­ge­lun­gen und Einschrän­kun­gen verschie­dens­ter Art – und nicht eine Abschaf­fung des Zinses.

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Genau wie bei ande­ren Produk­ten ist nicht der Gewinn bzw. der Zins an sich das Problem, sondern die Höhe des Prei­ses bzw. des Gewinns. Deshalb müsste im Grunde der Zins nach oben beschränkt werden, bei – sagen wir – maxi­mal 5 %. Die Ober­gren­ze muss diskur­siv ausge­han­delt werden und peri­odisch an die gesell­schaft­li­che, wirt­schaft­li­che und an die Markt­si­tua­ti­on ange­passt werden. So kennen bereits heute viele Länder – etwa die Schweiz – gesetz­lich fest­ge­leg­te Wucher­gren­zen, die nicht über­schrit­ten werden dürfen. Genau­so wie bei einem Brot in einer Hungers­not eine 100%ige oder noch stär­ke­re Preis­er­hö­hung inak­zep­ta­bel ist, ist auch ein zu hoher Zins und – vor allem – ein ausufern­der Zinses­zins inak­zep­ta­bel. Denk­bar wäre dies­be­züg­lich eine zeit­li­che Begren­zung des Zinses – und für länge­re Darle­hen ab einem bestimm­ten Zeit­punkt ein Null­zins. Das würde bedeu­ten: Je höher der Zins, desto gerin­ge­re Lauf­zeit des Darle­hens, und umge­kehrt: je länger die Darle­hens­dau­er, desto gerin­ger der Zins (sozu­sa­gen als Gegen­mit­tel zum Zinseszins).

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3. Isla­mic Banking 

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Die glei­che proble­ma­ti­sche Unter­schei­dung zwischen ille­gi­ti­mem Geld- bzw. Kapi­tal­zins und akzep­tier­tem Handels­ge­winn besteht auch im Isla­mic Banking. Und nicht wenige scha­ria­kon­for­me Formen der Kredi­te sind teil­wei­se reine Umge­hungs­ge­schäf­te. Ich möchte das an drei Formen von Kredit­ge­schäf­ten zeigen :

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Das Mudaraba-Konzept
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Das im isla­mi­schen Banken­ge­schäft prak­ti­zier­te Mudara­ba-Konzept beruht auf einer einfa­chen Idee: Zwei Partei­en, eine mit Kapi­tal und die andere mit Know-how tref­fen sich und sind geschäft­lich tätig. Zentral ist dabei die Idee, dass Gewin­ne von beiden geteilt, die Verlus­te jedoch vom Kapi­tal­ge­ber getra­gen werden (vgl. Khan Khadem 2010:140). Diese Praxis gilt als scha­ria­kon­form und stellt keine Verlet­zung des Zins­ver­bo­tes dar. Sie wird aller­dings weder im Koran noch in der Sunna erwähnt (vgl. Nassery 2016:252).

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Dabei fungiert der geld­ge­ben­de Teil – auch Sahib-al-Maal oder Rabb-ul-Maal genannt – als stil­ler Part­ner, während der eigent­li­che Unter­neh­mer – genannt Muda­rib – als Mana­ger, Handel Trei­ben­der oder sonst wie unter­neh­me­risch tätig ist. Der Inves­tor hat dabei prak­tisch keinen oder nur sehr begrenz­ten Einfluss auf die Geschäfts­füh­rung (vgl. Nassery 2016:252). Der Gewinn wird nach einem zu Beginn der Part­ner­schaft fest­ge­leg­ten Schlüs­sel aufge­teilt, der vertrag­lich fest­ge­hal­ten wird. Etwa­ige Verlus­te gehen zulas­ten des Geld­ge­bers, außer wenn der Muda­rib, also der Geschäfts­füh­rer, durch Miss­wirt­schaft, Nach­läs­sig­keit oder durch Verlet­zung der vertrag­li­chen Bedin­gun­gen dafür verant­wort­lich ist (vgl. Khan Khadem 2010:141).

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Dabei gibt es zwei Formen von Mudara­ba: Einen einge­schränk­ten Mudara­ba-Vertrag (Al Mudara­ba sowie Al Muqay­ya­dah) und einen unbe­schränk­ten Mudara­ba-Vertrag (Al Mudara­ba al Mutla­qah). Die erste Form erlegt dem Muda­rib Beschrän­kun­gen für seine Geschäfts­tä­tig­keit auf, etwa in Bezug auf den zeit­li­chen Rahmen seiner Geschäfts­tä­tig­keit, hinsicht­lich dem Geschäfts­ort oder betref­fend die Art der Tätig­keit. Die zweite Vertrags­form erlegt dem Muda­rib keine Einschrän­kun­gen auf (vgl. Khan Khadem 2010:144). Viele isla­mi­sche Banken sind im Mudara­ba-Sektor tätig, etwa als Kapi­tal­ge­ber oder als Inter­me­diä­re, also als Vermitt­ler von Kapital.

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Laut Khan Khadem (2010:146) schafft das Mudara­ba-Konzept eine Win-Win-Situa­ti­on für alle Betei­lig­ten und auch für die Gesell­schaft. Dabei kombi­nie­re Mudara­ba Kapi­tal, Arbeit und Unter­neh­mer­tum. Aller­dings hat der Geld­ge­ber kein Recht, sich am Manage­ment zu betei­li­gen, er kann ledig­lich die Finan­zie­rung gewis­ser Akti­vi­tä­ten beschrän­ken. In Bezug auf die Gewinn­auf­tei­lung haben die beiden Part­ner völlig freie Hand. Gewin­ne können nur solan­ge bean­sprucht werden wie das Kapi­tal intakt ist (vgl. Khan Khadem 2010:146).

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Im Grunde kommt es nicht darauf an, ob Gewinn und Verlust direkt dem Kapi­tal zuge­schla­gen oder von diesem abge­zo­gen werden – wie z. B. direkt über Auszah­lung einer Akti­en­di­vi­den­de oder indi­rekt über stei­gen­de oder sinken­de Akti­en­kur­se – der Gewinn- und Verlust­me­cha­nis­mus bleibt gleich – verschie­den ist ledig­lich, wer vom Gewinn profi­tiert (Kredit­neh­mer und Inves­tor) und wer den Verlust trägt (Inves­tor).

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Laut Čihák und Hesse (2010:28) führt der Gewinn- und Verlust­be­tei­li­gungs­me­cha­nis­mus des Mudara­ba-Konzepts zu einer Verschie­bung des Risi­kos von den Banken hin zum Inves­tor, aber es bewirkt auch ein größe­res Risiko für die Bank­bi­lan­zen. Nach Einschät­zung dieser beiden Autoren ist dabei vor allem das opera­ti­ve Risiko isla­mi­scher Finan­zie­rungs­mo­del­le erheb­lich und größer als bei konven­tio­nel­len Banken, unter ande­rem infol­ge der schwie­ri­ge­ren Stan­dar­di­sie­rung der Prozes­se und Abläufe.

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Musharaka
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Im Unter­scheid zum Mudara­ba-Konzept besteht Musha­ra­ka in Finanz­be­tei­li­gun­gen, in welcher alle Part­ner Gewin­ne und Verlus­te teilen (vgl. Ahmed 2010:127). Dabei besteht die Part­ner­schaft in einer Kapi­tal­part­ner­schaft, zu welcher alle Part­ner Finan­zen, Güter oder andere Formen von Eigen­tum beisteu­ern, nicht aber Arbeit oder nur Kredi­te. Dies im Unter­schied zu Mudara­ba-Part­ner­schaf­ten zwischen Arbeit und Kapi­tal oder reinen Arbeits­part­ner­schaf­ten (shir­kat al‑a’mal). Es gibt lang­fris­ti­ge Musha­ra­ka-Part­ner­schaf­ten und kurzfristige.

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Auf das Musha­ra­kah-Konzept gibt es im Koran keinen Hinweis, wohl aber in den Hadi­then (vgl. Nassery 2016:253).

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Gebräuch­lich ist auch eine degres­si­ve Form von Musha­ra­ka. Dabei nimmt die Betei­li­gungs­ra­te der Bank oder des Geld­ge­bers im Laufe der Zeit sukzes­si­ve ab, bis der andere Part­ner Allein­be­sit­zer des Unter­neh­mens ist (vgl. Nassery 2016:253).

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Auch hier geht es nur um die Auftei­lung von Gewinn und Verlust unter Kapi­tal­ge­ber und Kapi­tal­neh­mer, beide tragen das glei­che Risiko. Nur wird der Gewinn nicht einfach dem Kapi­tal zuge­rech­net, aber der Effekt ist der Gleiche.

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Murabaha
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Als drit­tes Instru­ment für zins­ver­bots­kon­for­me Invest­ments ist Mura­ba­ha zu erwäh­nen. Abge­lei­tet vom arabi­schen Wort ribh bedeu­tet es im Wesent­li­chen Vermö­gen, Aktiv­pos­ten oder Profit. Auch Mura­ba­ha wird im Koran nicht erwähnt, hat aber wahr­schein­lich voris­la­mi­sche Wurzeln (vgl. Nassery 2016:253). Die isla­mi­schen Rechts­ge­lehr­ten haben dieses Konzept als scha­ria­kon­form klas­si­fi­ziert. Dabei wird ein scha­ria­kon­for­mes Objekt, etwa ein Wagen, ein Haus oder Ausrüs­tung über eine Finanz­in­sti­tu­ti­on, z. B. eine Bank, gekauft und dem Kunden zur Verfü­gung gestellt. Dementspre­chend ist Mura­ba­ha eine Trans­ak­ti­on zwischen drei Akteu­ren: dem Käufer, dem Verkäu­fer und einer Finanz­in­sti­tu­ti­on. Dabei verdient die Bank am Wieder­ver­kauf des Gegen­stan­des an den Kunden. Im Unter­schied zu einem zins­ba­sier­ten Darle­hen, das die Bank zum Kauf eines Gegen­stan­des vergibt, besteht Mura­ba­ha aus zwei einzel­nen Kauf- und Verkaufs­hand­lun­gen, zuerst durch den Verkäu­fer an die Bank und von der Bank an den Käufer. Im Unter­schied zu einem Kauf mit einem Darle­hen geht der Gegen­stand vorüber­ge­hend in den Besitz der Bank über. Damit entsteht im Unter­schied zu Mudara­ba- und Musha­ra­ka-Akti­vi­tä­ten bei Mura­ba­ha keine Part­ner­schaft, sondern es erfol­gen zwei zeit­lich versetz­te und sepa­ra­te Kauf-/Ver­kaufs­hand­lun­gen mit jeweils eige­nen Haftungs­be­din­gun­gen (vgl. Nassery 2016:254).
Auch hier wird der direk­te Zuschlag eines Gewinns auf das Kapi­tal vermie­den – aber letzt­lich ist auch das nur eine formel­le bzw. rech­ne­ri­sche Vermei­dung des Zinses.

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Zins ist nicht mehr und nicht weni­ger als ein Gewinn in Form eines Aufprei­ses auf gewis­se Formen von Kapi­tal­an­lei­hen (z. B. Kredi­te, Darle­hen usw.), so wie die Wohnungs­mie­ten minus Ersatz­in­ves­ti­tio­nen minus Teue­rung den Gewinn auf in Wohnun­gen inves­tier­tes Kapi­tal darstel­len. Auch hier ist die Höhe das Problem, nicht die Mieten an sich!
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