Ist der Wandel wählbar? – Editorial
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2017 – wieder ein Jahr mit einer Bundestagswahl. Seit 2005 regiert Bundeskanzlerin Angela Merkel mit wechselnden Koalitionspartnern. Man kann ihr und den jeweiligen Regierungen zugutehalten, dass sie viele innen- und weltpolitischen Ereignisse überstanden haben und ihre Sache in den Augen der Wählerinnen und Wähler so gut machten, dass es stets aufs Neue für den Machterhalt reichte. Das deutet sich auch 2017 an. Man traut „der mächtigsten Frau der Welt“ mittlerweile zu, dass sie die Herausforderungen der Zukunft meistern wird, wie unbekannt sie auch sein mögen. Politische Kräfte, die nach Veränderung streben und ihr durch den Charme des Neuen und des Wandels gefährlich werden könnten, gibt es in Deutschland nicht. Der weltweit Urstände feiernde Rechtspopulismus ist ein heißes Eisen, mit dem Demokraten umgehen lernen müssen, um gesellschaftliche Auswirkungen im Zaum zu halten. Eine Kraft, die im Positiven für Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit steht, kann niemand ernsthaft in diesen nationalistischen Tendenzen sehen. Allenfalls eine Protesthaltung, die sich aus der Unzufriedenheit und der Angst breiter Bevölkerungsschichten speist, die sich aussichtslos abgehängt fühlen.
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Ein Mangel der deutschen Demokratie ist zweifellos, dass Parteien mittlerweile weiter von ihrem grundgesetzlichen Auftrag entfernt sind denn je. Sie wirken weniger bei der Willensbildung des Volkes mit, als dass sie diese bestimmen. Erkennbar wird das an all jenen Themen, mit welchen sich viele Nichtregierungsorganisationen in der Hoffnung befassen, dass man sich ihnen an entscheidender politischer Stelle widmet. Doch sogar für Themen, bei denen das „sich widmen“ zutrifft, muss man eher von einem „vereinnahmen und kaltstellen“ reden, wie beispielsweise bei Fragen zur Umwelt. National und international werden seit Jahrzehnten Abkommen mit zeitlich in ferner Zukunft liegenden Zielen geschlossen, deren faktisches Eintreffen durch das Festhalten am unendlichen Wirtschaftswachstum scheitern. Mehr als Bewunderung und Lippenbekenntnisse für die im einleitenden Zitat von John Steinbeck aufgezählten Eigenschaften gibt es in einer Welt nicht zu ernten, die eine Abkehr von Wachstum nicht in Erwägung zieht. Wissenschaftlern, wie dem Oldenburger Niko Paech, der sich für eine „Postwachstumsgesellschaft“ einsetzt, entzieht man mit fadenscheiniger Begründung die Lehrstühle an den Universitäten. Informell, in aktiven Gruppen und bürgerlichen Organisationen wird an diesen Themen gearbeitet, doch um den Preis eines Kampfes gegen die Macht einer Wirtschaft, samt der ihr gefügigen Politik, die in Lippenbekenntnissen Klimaziele postuliert, die jedoch durch ein faktisches „Weiter-So“ niemals erreicht werden können.
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Wie kann der Wandel – die dringend erforderliche, grundlegende Erneuerung – Einzug in die Politik halten? Das dürfte die größte gesellschaftliche Herausforderung in nächster Zeit sein.
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2017 hat eine neugegründete Partei, genauer gesagt ist es ein Bündnis, eine Mammutaufgabe gestemmt und es geschafft, mit dem Sammeln von über 30.000 Unterschriften die bundesweite Zulassung für die Bundestagswahl zu erreichen. Auf allen Wahlzetteln Deutschlands ist das „Bündnis Grundeinkommen“ mit der Zweitstimme wählbar. Man kann zu dem Thema Grundeinkommen unterschiedlicher Meinung sein, weil vieles daran fragwürdig und unausgegoren erscheint. Aber es ist ein Aufschrei aus der Mitte jener abgehängten Gesellschaft, die nach Veränderung strebt. Die Popularität des Themas geht hierzulande nicht zuletzt auf namhafte Persönlichkeiten, wie den Unternehmer Götz Werner zurück. Der Landesvorsitzende aus Mecklenburg-Vorpommern des „Bündnis Grundeinkommen”, Karsten Behr, ziert unsere Titelseite. Er dürfte für manche Leser kein Unbekannter sein, denn im Jahr 2012, dem 150. Geburtsjahr Silvio Gesells, zeichnete er für ein Kunstprojekt verantwortlich, das „GesellSchafftKunst“ hieß. Er verwandelte den Wald der Silvio-Gesell-Tagungsstätte in einen „Zauberwald“, der auf künstlerische Weise ein Thema der Natur, nämlich „Werden und Vergänglichkeit“ in einen Zusammenhang zu Fragen hinsichtlich Wirtschaft und Geld brachte.
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Heute lebt und arbeitet Karsten Behr in Greifswald und sagt zu seiner „Parteiarbeit“: „Bei der Befassung mit dem Grundeinkommen geht es mir um weit mehr, als nur die Veränderung auf dem Gebiet der sozialen Sicherung aller Mitglieder unserer Gesellschaft. Es geht um ein Verständnis dafür, dass wir die Erfolgsgeschichte von Neoliberalismus, Kapitalismus, Turbokapitalismus oder wie auch immer man jene die Weltwirtschaft dominierende Lehre nennen will, als das erkennen, was es ist: Ein den Menschen und die Natur zerstörendes System, dessen Erträge mehr kaputtmachen als sie Gutes bewirken. Wenn wir wollen, dass sich die positiven Eigenschaften der Menschen entfalten können, brauchen wir grundlegende Veränderungen. Das Grundeinkommen ist ein Vehikel dafür und stellt die Frage: Wie wollen wir miteinander leben?“
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann.
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