Wurzeln der Resilienz – Andreas Bangemann

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Gemein­schaft als Basis für wirt­schaft­li­che Stärke
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Commit­ment Pooling: Ein mykorrhi­za­les Netz­werk für die Zukunft des Geldsystems
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In einer Welt, in der wirt­schaft­li­che Insta­bi­li­tät und wach­sen­de sozia­le Ungleich­hei­ten das zentra­li­sier­te, kapi­ta­lis­ti­sche Geld­sys­tem zuneh­mend auf die Probe stel­len, gewin­nen alter­na­ti­ve Wirt­schafts­mo­del­le und regio­na­le Währun­gen an Bedeu­tung. Eines der viel­ver­spre­chends­ten Konzep­te, welches die tradi­tio­nel­le Vorstel­lung von Geld heraus­for­dert, ist das Commit­ment Pooling. Dieser inno­va­ti­ve Ansatz, der von William O. Ruddick und seinem Team bei Grass­roots Econo­mics in Kenia entwi­ckelt wurde, hat das Poten­zi­al, sowohl lokale Gemein­schaf­ten zu stär­ken als auch größe­re Währungs­re­for­men zu inspi­rie­ren. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem System, das der Autor selbst gerne mit der Mykorrhi­za der Pilze vergleicht?
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Die mykorrhi­za­le Meta­pher: Ein Netz­werk für die Zukunft
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Um zu verste­hen, wie Commit­ment Pooling funk­tio­niert, hilft ein Blick in die Natur – genau­er gesagt in die Mykorrhi­za. Diese symbio­ti­schen Netz­wer­ke verbin­den Pflan­zen­wur­zeln mit Pilzen, ermög­li­chen einen inten­si­ven Austausch von Nähr­stof­fen und Infor­ma­tio­nen und schaf­fen so ein wider­stands­fä­hi­ges Ökosys­tem. In diesem Ökosys­tem koexis­tie­ren die Pflan­zen und tauschen nicht nur Ressour­cen aus, sondern bieten auch Schutz vor Umwelt­st­res­so­ren. Die Mykorrhi­za wirkt wie eine Art biolo­gi­sches Inter­net, das den gesam­ten Wald durch­dringt und seine einzel­nen Elemen­te zu einem kohä­ren­ten Ganzen verbindet.
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Das Commit­ment Pooling funk­tio­niert ähnlich. Es ist ein dezen­tra­les Netz­werk, in dem Gemein­schaf­ten ihre Ressour­cen – sei es Arbeits­zeit, Dienst­leis­tun­gen, Güter oder andere Werte – in Form von Gutschei­nen bündeln und inner­halb des Netz­werks austau­schen. So wie Mykorrhi­za den Pflan­zen hilft, effi­zi­en­ter zu wach­sen und wider­stands­fä­hi­ger zu werden, ermög­licht Commit­ment Pooling den Teil­neh­mern, ihre wirt­schaft­li­che Auto­no­mie zu stär­ken und gemein­sam auf Krisen zu reagieren.
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Ein Beispiel ist Mweria, eine tradi­tio­nel­le Praxis der Miji­ken­da an der kenia­ni­schen Küste, bei der Mitglie­der der Gemein­schaft Arbeits­kraft und Ressour­cen austau­schen, um gemein­sam zu arbei­ten, Häuser zu bauen oder Felder zu bestellen.
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„Mweria ist ein alter sozia­ler Vertrag der gegen­sei­ti­gen Hilfe – die Person, die Hilfe erhält, hat eine Schuld zu beglei­chen, indem sie ande­ren hilft. Es ist eine schöne Form des gegen­sei­ti­gen Austauschs.“ Diese Tradi­ti­on der gegen­sei­ti­gen Hilfe wurde durch das Commit­ment Pooling moder­ni­siert, indem die Verpflich­tun­gen digi­tal forma­li­siert und in Form von Gutschei­nen ausge­tauscht werden. Wenn die Gruppe einem ihrer Mitglie­der hilft, gibt das Mitglied, das die Mweria erhält, der Gruppe Gutschei­ne, die die Schuld dieser Person gegen­über der Gruppe darstel­len. Wem gehol­fen wurde, der verpflich­tet sich. Wenn diese Person bei der nächs­ten Mweria hilft, nimmt sie die Gutschei­ne als Gegen­leis­tung an und stellt damit das Handels­gleich­ge­wicht wieder her. Auf diese Weise wurde Infra­struk­tur aufge­baut und die Entwick­lung von 139 Farmen inner­halb eines Jahres in den teil­neh­men­den Gemein­den ermög­licht. Diese Ergeb­nis­se zeigen, wie Commit­ment Pooling sozia­le und wirt­schaft­li­che Vortei­le kombi­nie­ren kann, indem es Gemein­schaf­ten hilft, ihre Ressour­cen zu bündeln und effek­tiv zu nutzen.
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Die Entste­hung des Wert­in­dex-systems: Eine neue Form der Preisbildung
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Eine wesent­li­che Heraus­for­de­rung des Commit­ment Pooling ist die Entwick­lung eines Wert­in­dex­sys­tems, das die Grund­la­ge für den Austausch von Gutschei­nen bildet. In tradi­tio­nel­len Geld­sys­te­men wird der Preis durch das Zusam­men­spiel von Ange­bot und Nach­fra­ge bestimmt. Beim Commit­ment Pooling erfolgt die Preis­bil­dung jedoch anders – sie basiert auf gemein­schaft­li­cher Aushand­lung und kollek­ti­ver Entscheidungsfindung.
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In der Praxis bedeu­tet dies, dass die Werte der verschie­de­nen Verpflich­tun­gen, die in den Pool einge­bracht werden, rela­tiv zuein­an­der fest­ge­legt werden. Diese Bewer­tung ist nicht statisch, sondern kann dyna­misch an die Bedürf­nis­se und Ressour­cen der Gemein­schaft ange­passt werden. Beispiels­wei­se könnte eine Arbeits­stun­de rela­tiv zu einer bestimm­ten Menge an Nahrungs­mit­teln bewer­tet werden. Diese kollek­ti­ve Preis­bil­dung erfor­dert ein hohes Maß an Koope­ra­ti­on und Kommu­ni­ka­ti­on inner­halb der Gemein­schaft, bietet aber auch die Möglich­keit, Werte zu schaf­fen, die den tatsäch­li­chen Bedürf­nis­sen der Betei­lig­ten besser entspre­chen als die oft speku­la­tiv getrie­be­nen Preise in tradi­tio­nel­len Geldsystemen.
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Doch wie lässt sich ein solches gemein­schaft­lich kontrol­lier­tes System mit der tradi­tio­nel­len Wirt­schaft und den dort verwen­de­ten Währun­gen verein­ba­ren, in denen die Preis­bil­dung von Ange­bot und Nach­fra­ge domi­niert wird?
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Die Brücke zur tradi­tio­nel­len Wirt­schaft: Ein Netz aus Wech­sel­kur­sen und Intermediären
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Trotz seiner inno­va­ti­ven Struk­tur ist das Commit­ment Pooling nicht völlig losge­löst von der herkömm­li­chen moder­nen (Geld)Wirtschaft. Viel­mehr bietet es Mecha­nis­men, die es den Teil­neh­mern ermög­li­chen, zwischen beiden Syste­men zu wech­seln. So könn­ten Wech­sel­kur­se zwischen den Pool-Gutschei­nen und tradi­tio­nel­len Währun­gen wie dem US-Dollar fest­ge­legt werden, die regel­mä­ßig ange­passt werden, um Markt­preis­schwan­kun­gen widerzuspiegeln.
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Inter­me­diä­re Akteu­re wie Broker oder spezia­li­sier­te Handels­platt­for­men könn­ten eben­falls eine wich­ti­ge Rolle spie­len, indem sie den Handel zwischen den verschie­de­nen Währun­gen erleich­tern. Diese Akteu­re könn­ten die Wech­sel­kur­se auf der Grund­la­ge der rela­ti­ven Werte im Pool und der Markt­be­din­gun­gen der tradi­tio­nel­len Währun­gen fest­le­gen und so eine funk­tio­na­le Brücke zwischen den beiden Syste­men schlagen.
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Diese Verbin­dung zur tradi­tio­nel­len Wirt­schaft bietet nicht nur die Möglich­keit, die Pool-Gutschei­ne in herkömm­li­che Währun­gen umzu­wan­deln, sondern gewähr­leis­tet auch die Stabi­li­tät des Systems. In Zeiten von Währungs­in­sta­bi­li­tät oder Infla­ti­on könn­ten die Werte inner­halb des Pools als stabi­li­sie­ren­de Fakto­ren wirken, ähnlich wie Mykorrhi­za­netz­wer­ke die Stabi­li­tät eines Ökosys­tems sichern.
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Eine Symbio­se aus regio­na­len Initia­ti­ven und frei­wirt­schaft­li­chen Reformen
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Das Commit­ment Pooling System stellt mit seiner Resi­li­enz und Flexi­bi­li­tät eine wert­vol­le Ergän­zung zu frei­wirt­schaft­li­chen Geld­re­for­men zur Stabi­li­sie­rung der großen Währungs­sys­te­me dar. Frei­wirt­schaft­li­che Ansät­ze, wie sie z.B. in der Frei­geld­theo­rie vorge­schla­gen werden, zielen darauf ab, Geld als stabi­les Tausch­mit­tel frei von Speku­la­ti­on und Infla­ti­on zu etablie­ren. Hier könn­ten regio­na­le Initia­ti­ven wie das Commit­ment Pooling eine entschei­den­de Rolle spielen.
Während frei­wirt­schaft­li­che Refor­men den Zweck verfol­gen, die struk­tu­rel­len Proble­me des globa­len Finanz­sys­tems zu lösen, könnte das Commit­ment Pooling als eine Art „lokale Wurzel“ fungie­ren, die den Boden für diese Verän­de­run­gen berei­tet. Einmal einge­führt, entzieht die Frei­wirt­schaft dem konven­tio­nel­len Geld die Möglich­keit zur Hortung und zwingt es in einen stän­di­gen Fluss ohne zins­be­ding­te Akku­mu­la­ti­on. Das stärkt klein­tei­li­ge Kreis­läu­fe, die ohne Geld auskom­men, und erleich­tert den Handel mit von außen benö­tig­ten Gütern und Dienst­leis­tun­gen, die mit „harten“ Währun­gen bezahlt werden müssen. In der Praxis könnte dies bedeu­ten, dass Regio­nen, die bereits über ein System des Commit­ment Pooling verfü­gen, wider­stands­fä­hi­ger gegen­über exter­nen Schocks und damit besser in der Lage sind, umfas­sen­de­re Wirt­schafts­re­for­men durchzuführen.
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Umge­kehrt könn­ten frei­wirt­schaft­li­che Refor­men die Einfüh­rung und Stabi­li­sie­rung von Commit­ment-Pooling-Syste­men unter­stüt­zen, indem sie eine allge­mei­ne Stabi­li­tät im mone­tä­ren Umfeld schaf­fen, von der lokale Initia­ti­ven profi­tie­ren. So könnte eine Reform des globa­len Währungs­sys­tems, die Infla­ti­on und speku­la­ti­ve Exzes­se eindämmt, den Raum schaf­fen, in dem regio­na­le Währun­gen und Pooling-Syste­me gedei­hen können.
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Der Weg nach vorne: Vom „Pilz“ zur „Wurzel“ des neuen Wirtschaftssystems
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Das Bild des Commit­ment Pooling als mykorrhi­za­les Netz­werk eröff­net die Möglich­keit, ein neues Wirt­schafts­sys­tem zu entwi­ckeln, das tief in den Gemein­schaf­ten verwur­zelt ist und gleich­zei­tig die Vortei­le der globa­len Vernet­zung nutzt. In einer Welt, die zuneh­mend von wirt­schaft­li­cher Unsi­cher­heit geprägt ist, könnte dieser Ansatz ein Weg sein, die wirt­schaft­li­che Auto­no­mie zu stär­ken und gleich­zei­tig eine Brücke zu einem stabi­le­ren und gerech­te­ren globa­len Währungs­sys­tem zu schlagen.
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In der Praxis erfor­dert dies nicht nur die Entwick­lung und Anpas­sung tech­ni­scher Lösun­gen, sondern auch eine tief­grei­fen­de Verän­de­rung der Art und Weise, wie wir über Wert, Austausch und Zusam­men­ar­beit nach­den­ken. Es erfor­dert ein neues ökono­mi­sches Denken, das nicht auf Konkur­renz, sondern auf Koope­ra­ti­on, nicht auf zentra­li­sier­ter Kontrol­le, sondern auf dezen­tra­len Netz­wer­ken basiert.
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Wer sich mit Fragen des Geld­sys­tems beschäf­tigt und nach Wegen sucht, bestehen­de Struk­tu­ren zu verän­dern, findet im Commit­ment Pooling ein faszi­nie­ren­des Modell. Es zeigt, dass sich lokale Initia­ti­ven und globa­le Refor­men nicht ausschlie­ßen, sondern gegen­sei­tig ergän­zen und verstär­ken können. Indem wir uns die Symbio­sen der Natur zum Vorbild nehmen, könn­ten wir die Wurzeln für ein neues, wider­stands­fä­hi­ge­res Wirt­schafts­sys­tem legen, das sowohl lokale Gemein­schaf­ten stärkt als auch zur Stabi­li­sie­rung des globa­len Finanz­sys­tems beiträgt.
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Der Schlüs­sel liegt in der Inte­gra­ti­on dieser Visio­nen, so wie die Mykorrhi­za das komple­xe Gewebe des Waldes verbin­det. Durch die Schaf­fung von Netz­wer­ken, die sowohl lokal als auch global agie­ren, könn­ten wir eine Zukunft gestal­ten, in der wirt­schaft­li­che Sicher­heit nicht mehr eine Frage des „Entwe­der-Oder“, sondern des „Sowohl-als-auch“ ist – und in der die Wurzeln des loka­len Handels den globa­len Baum des Wohl­stands nähren.
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Lite­ra­tur:
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Ruddick (2023): „Commit­ment Pooling – An Econo­mic Proto­col Inspi­red by Ances­tral Wisdom“ erschie­nen im: IJCRR – Inter­na­tio­nal Jour­nal of Commu­ni­ty Curren­cy Rese­arch –  Volume 27, pp 54 – 79; https://ijccr.net/ijccr-27–2023/
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William O. Ruddick ist Grün­der der Grass­roots Econo­mics Foun­da­ti­on https://www.grassrootseconomics.org E‑Mail: will@grassecon.org
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Kurz­link zum Doku­ment (in Englisch): https://hwlink.de/WRCP-276
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Mehr online
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