„Wir werden reüssieren“ – für Wilhelm Schmülling

Zum Tode von Wilhelm Schmülling – - – 

* 26. 11. 1928 in Herrin­gen / Kreis Hamm – † 26. 3. 2017 in Essen-Kettwig – - – 

Als wir im Okto­ber 2016 die „Münde­ner Gesprä­che“ der „Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Gesell­schaft“ erst­mals in der „Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te“ in Wupper­tal durch­führ­ten, kamen zu meiner großen Freude zwei Wegge­fähr­ten aus frühe­ren Zeiten: Wilhelm Schmül­l­ing und Erich Dalitz. Beide waren sie sicht­lich geal­tert, aber ihre Augen funkel­ten wie früher und wie früher betei­lig­te sich Wilhelm Schmül­l­ing noch in seiner gewohnt sach­li­chen und konzi­li­an­ten Art an der Diskus­si­on. Trotz seines hohen Alters über­rasch­te mich die Nach­richt von seinem Tod und sie weckte mancher­lei Erin­ne­run­gen an unsere Begegnungen. – - – 

Zum ersten Mal sind wir uns in den späten 1970er Jahren in der Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te begeg­net. Ich hatte gerade während meiner Zivil­dienst­zeit die Geld- und Boden­re­form­ge­dan­ken kennen­ge­lernt und wollte erkun­den, was für Menschen mit diesen Gedan­ken verbun­den sein könn­ten. Also kam ich als noch ganz junger Mann in einen Kreis von über­wie­gend älte­ren bis schon recht alten Herr­schaf­ten, in dem mir Wilhelm Schmül­l­ing sofort ange­nehm auffiel — nicht nur, weil er noch der mitt­le­ren Gene­ra­ti­on ange­hör­te, sondern auch weil er seine Ansich­ten mit Über­zeu­gung und ohne jede Recht­ha­be­rei vertrat. Als etwa 25-jähri­gen Frie­dens­be­weg­ten beein­druck­te mich sehr, was ich über sein Leben erfuhr. Noch als Jugend­li­cher war er vom NS-Régime zum Kriegs­dienst heran­ge­zo­gen worden und im Alter von 22 Jahren hatte er schon eine fünf­jäh­ri­ge Kriegs­ge­fan­gen­schaft über­lebt. Seine Erleb­nis­se im Krieg und in der Gefan­gen­schaft mach­ten ihn zu einem Pazi­fis­ten, den dann der Kalte Krieg zwischen den Macht­blö­cken des kapi­ta­lis­ti­schen Westens und des kommu­nis­ti­schen Ostens tief beunruhigte. – - – 

Nach einer Lehre als Setzer in einer Drucke­rei übte Wilhelm Schmül­l­ing diesen Beruf fortan viele Jahre lang aus und orga­ni­sier­te sich gewerk­schaft­lich in der dama­li­gen „IG Druck und Papier“. Was ihm real­po­li­tisch als uner­läss­lich erschien, nämlich die Inter­es­sen­ver­tre­tung der Werk­tä­ti­gen gegen­über dem Kapi­tal inner­halb einer Sozi­al­part­ner­schaft von Arbeit und Kapi­tal, erschien ihm in real­uto­pi­scher Hinsicht noch nicht als die ultima ratio der sozia­len und poli­ti­schen Entwick­lung, denn diese Konstel­la­ti­on beruh­te weiter­hin auf der Konzen­tra­ti­on von gewal­ti­gen Kapi­tal­mas­sen in weni­gen Händen. Erstre­bens­wert erschie­nen ihm über die betrieb­li­che Mitbe­stim­mung hinaus eine Dezen­tra­li­sie­rung des Kapi­tals und eine breite Streu­ung des Eigen­tums an Produk­ti­ons­mit­teln in klei­ne­ren und mitt­le­ren Größen­ord­nun­gen, in denen die Menschen selbst­be­stimmt arbei­ten oder sich genos­sen­schaft­lich zusam­men­schlie­ßen können. – - – 

Durch die „Arbeits­ge­mein­schaft frei­wirt­schaft­li­cher Chris­ten“ (AfC), einer Vorläu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on der „Chris­ten für Gerech­te Wirt­schafts­ord­nung“ (CGW), lernte Wilhelm Schmül­l­ing 1960 die Geld- und Boden­rechts­re­form­ge­dan­ken von Silvio Gesell kennen. Schon bald erkann­te er darin eine Möglich­keit, wie die Gesell­schaft zu einem solchen „Wohl­stand für alle“ gelan­gen könnte. Er enga­gier­te sich in der AfC und bald darauf auch in der Partei „Frei­so­zia­le Union“ (FSU), die die Geld- und Boden­re­form damals im poli­ti­schen Raum voran­brin­gen wollte. Außer in Hamburg hatte sie in Nord­rhein-West­fa­len einen größe­ren Landes­ver­band, weil die Partei dort nach 1945 als „Radi­kal-Sozia­le Frei­heits­par­tei“ gegrün­det worden war. – - – 

Seit 1972 gehör­te Wilhelm Schmül­l­ing dem Vorstand der FSU an und arbei­te­te neben seiner Fami­lie und seinem Beruf auch häufig in deren Monats­zeit­schrift „Der Dritte Weg“ mit. Etwa zeit­gleich mit der fried­li­chen Revo­lu­ti­on in Mittel- und Osteu­ro­pa über­nahm er Ende der 1980er Jahre deren Redak­ti­on. Als er wenige Jahre später in Rente ging, entwi­ckel­te sich die Redak­ti­ons­ar­beit zu einem neuen Haupt­be­ruf. Mit einem enor­men Einsatz von Zeit, Ideen und Kraft erneu­er­te Wilhelm Schmül­l­ing diese Zeit­schrift und voll­zog schließ­lich ihre Lösung von der Partei und die Grün­dung des „Förder­ver­eins für Natür­li­che Wirt­schafts­ord­nung“ als neuen über­par­tei­li­chen Heraus­ge­ber. Hinzu kam die Verant­wor­tung, die er gemein­sam mit Gabrie­le Fren­king für den Ausbau der „Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te“ in Wupper­tal übernahm. – - – 

Durch seine viel­fäl­ti­gen Akti­vi­tä­ten in der Geld- und Boden­re­form­be­we­gung war Wilhelm Schmül­l­ing sehr stark vernetzt und vermit­tel­te mir in den ersten Jahren des Aufbaus des „Archivs für Geld- und Boden­re­form“ mancher­lei Kontak­te zu älte­ren Perso­nen, die wieder­um noch Perso­nen aus dem Umfeld Silvio Gesells gekannt hatten wie zum Beispiel dessen Mitar­bei­te­rin Bertha Heim­berg, die die NS-Dikta­tur im briti­schen Exil über­lebt hatte. Mit Schmül­lings Hilfe gelang es, deren Nach­lass aufzu­spü­ren, der sich dann als eine Fund­gru­be für Infor­ma­tio­nen über die Geschich­te der Geld- und Boden­re­form­be­we­gung erwei­sen sollte — ebenso wie der durch Schmül­l­ing wieder­ge­fun­de­ne Nach­lass von Elfrie­de Wenzel, die während der 1950er und 1960er Jahre eine Rolle in der Geschäfts­füh­rung der FSU inne­ge­habt hatte. – - – 

Die chro­ni­sche Über­las­tung durch die Redak­ti­ons­ar­beit — „Der Dritte Weg“ war damals eine Monats­zeit­schrift — musste über kurz oder lang zu einem Nach­las­sen der Kräfte des Redak­teurs und zu seinem Wunsch führen, die Verant­wor­tung für die Redak­ti­on in jünge­re Hände zu über­ge­ben. In Andre­as Bange­mann fand er schließ­lich jenen jünge­ren Mitar­bei­ter, der ihn in zwei­fa­cher Hinsicht entlas­te­te. Die „Humane Wirt­schaft“, wie „Der Dritte Weg“ alsbald hieß, erschien fortan unter der Leitung von Andre­as Bange­mann zwei­mo­nat­lich, denn die andere Hälfte seiner Kräfte braucht er für die Leitung der Silvio-Gesell-Tagungsstätte. – - – 

Auch weiter­hin schrieb Wilhelm Schmül­l­ing noch so manchen Kommen­tar zum Zeit­ge­sche­hen. Erst vor kurzem kriti­sier­te er noch­mals das Miss­ver­hält­nis zwischen der milli­ar­den­schwe­ren Banken­ret­tung und der Abspei­sung unzäh­li­ger Menschen mit Hartz IV (Nr. 1/2017) und er machte sich Sorgen um Europa nach dem Brexit (2/2016). In beson­de­rer Erin­ne­rung blei­ben mir neben den Erin­ne­run­gen an unsere persön­li­chen Begeg­nun­gen seine Warnung vor einer stär­ke­ren Abschot­tung Euro­pas gegen­über Flücht­lin­gen: „Höhere Grenz­wäl­le an den Küsten Afri­kas oder Geld­be­trä­ge an die neuen Poten­ta­ten, damit sie Auffang­la­ger einrich­ten? All das sind Maßnah­men, die die Sympto­me des unge­rech­ten Kapi­ta­lis­mus, aber nicht dessen Ursa­chen bekämp­fen.“ (Nr. 3/2015) „Ohne eine Umwand­lung des Kapi­ta­lis­mus in eine besse­re Wirt­schafts­ord­nung geht es nicht.“ (2/2016) – - – 

Diese Umwand­lung der kapi­ta­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft in eine von mono­po­lis­ti­schen Macht­ge­bil­den freie Markt­wirt­schaft mit einer gerech­ten Rahmen­ord­nung war das Herzens­an­lie­gen von Wilhelm Schmül­l­ing. An ihr mitzu­wir­ken, machte er sich zu seiner Lebens­auf­ga­be. Dafür gebüh­ren ihm ein großer Respekt und eine große Dank­bar­keit. – WERNER ONKEN – - –
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