Die neue Superklasse (Teil 1 von 2) – Günther Moewes

Die neue Superklasse
Teil 1: Eine streng wissen­schaft­li­che Polemik
Günther Moewes

Geschicht­li­che Groß­epo­chen werden gemein­hin nach ihren sozia­len Verhält­nis­sen benannt: Es gab die Skla­ven­ge­sell­schaf­ten und die Feudal­ge­sell­schaf­ten. Unsere heuti­ge Epoche versuch­te sich um eine sozia­le Klas­si­fi­zie­rung herum­zu­drü­cken und nannte sich gern „Indus­trie­ge­sell­schaft“. Der Ausdruck „Klas­sen­ge­sell­schaft“ war verpönt. Tatsäch­lich gab es Zeiten, in denen ein arglo­ses Publi­kum glau­ben konnte, die Klas­sen­ge­sell­schaft stehe kurz vor ihrer Über­win­dung. Etwa in West­deutsch­land, als 1949 nach der Währungs­re­form die Ungleich­ver­tei­lung zumin­dest der reinen Geld­ver­mö­gen so gering war wie noch nie. Und als etwas später Ludwig Erhard eupho­risch verkün­de­te: „Wohl­stand für alle“. Dafür wurde er schnell abge­setzt. Er hatte sich bei den soge­nann­ten „Christ­li­chen“ nur einge­schli­chen. Under­co­ver sozusagen.

Heute wissen wir, dass und warum dieser Glaube ein Irrtum war. Die „Klasse“ ist plötz­lich wieder in aller Munde. Aller­dings in einer ganz beson­de­ren Vari­an­te: nicht als einfa­che „Klasse“, sondern gleich als „Super­klas­se“. Lite­ra­tur und TV-Sendun­gen über diese Super­klas­se haben in letz­ter Zeit stark zuge­nom­men. Der Begriff kommt keines­wegs von links. David Roth­kopf zum Beispiel, Autor des sehr infor­ma­ti­ven Buches „Die Super­klas­se“ gehört selber zur Super­klas­se. Er war Unter­staats­se­kre­tär in der Clin­ton-Admi­nis­tra­ti­on, wurde regel­mä­ßig nach Davos einge­la­den und widmet dieser klas­si­schen Super­klas­se-Tagung stolz ein ganzes kriti­sches Kapi­tel. Unter­ti­tel des Buches: „Die Welt der inter­na­tio­na­len Macht­eli­te“. Wer gehört zu dieser Macht­eli­te? Wie groß ist sie? Und wieso hat sie Macht? Sie besteht zuerst einmal aus den Super­rei­chen, Super­mil­li­ar­dä­ren und Super­erben dieser Welt, aus den neuen „Olig­ar­chen“. Laut einer Unter­su­chung der Schwei­zer UBS-Bank vom Novem­ber 2014 sind das welt­weit 211.275 Perso­nen mit einem Mindest­ver­mö­gen von je 30 Mio. Dollar. Zusam­men verfü­gen sie über insge­samt 30 Billio­nen. Und aus diesen 30 Billio­nen werden aufgrund der Schät­zung der UBS-Bank in den nächs­ten fünf Jahren mindes­tens 40 Billio­nen Dollar werden. Es handelt sich wirk­lich um „Billio­nen“ mit 12 Nullen, und nicht etwa um „billi­ons“, dem US-Ausdruck für „Milli­ar­den“.

Besteht also die neue Super­klas­se aus den welt­weit 211.000 Super­rei­chen? Mitnich­ten. Zum einen legen nicht alle Super­rei­chen Wert auf poli­ti­schen Einfluss. Die reichs­ten Deut­schen zum Beispiel, die Gebrü­der Albrecht, haben sich hier stets zurück­ge­hal­ten. Zum ande­ren werden zur Super­klas­se auch einfluss­rei­che Poli­ti­ker, Konzern­chefs und Mili­tärs gezählt, auch wenn ihr Vermö­gen nicht unbe­dingt 30 Millio­nen Dollar beträgt. Wir werden sehen, dass es sich um ein welt­wei­tes Netz­werk handelt und wie dieses Netz­werk funk­tio­niert. David Roth­kopf schätzt die Anzahl dieser Inter­na­tio­nal Einfluss­rei­chen auf „wohl nicht mehr als 10.000“ (S. 61).

Wann, wie und warum entstand diese Super­klas­se? Welche Ziele und welchen Einfluss hat sie und wie kommt dieser Einfluss zustan­de? Ist ihr Einfluss posi­tiv und, wenn nicht – kann er über­haupt noch gestoppt werden? 

Ursa­chen der neuen Superklasse 

Super­klas­sen hat es immer gege­ben. Früher waren sie natio­na­ler Natur und beruh­ten auf Sonder­rech­ten, die vermeint­lich durch Gott, Geburt oder sieg­rei­che Feld­zü­ge gege­ben waren. Wurden diese vermeint­li­chen Sonder­rech­te durch­schaut und entlarvt, war es mit der Super­klas­se meist schnell zu Ende. Im Gegen­satz dazu ist die neue Super­klas­se inter­na­tio­nal und beruht nicht auf Sonder­rech­ten, viel­mehr auf Mecha­nis­men von Geld und Kapi­tal, die für alle gelten. Zumin­dest zu Anfang. Nirgend­wo in den kapi­ta­lis­ti­schen Demo­kra­tien gibt es ein Gesetz, dass einer Super­klas­se Sonder­rech­te einräumt. Die Sonder­rol­le der Super­klas­se beruht in erster Linie auf der leis­tungs­lo­sen, expo­nen­ti­el­len Selbst­ver­meh­rung von Geld und der daraus resul­tie­ren­den, stän­dig stei­gen­den Ungleich­ver­tei­lung der erwirt­schaf­te­ten Vermögen. 

Die poli­ti­sche Arglo­sig­keit gegen­über dieser Ungleich­ver­tei­lung der Vermö­gen resul­tiert in erster Linie daraus, dass ihr wahres Ausmaß nicht erkannt wird. Wie groß ist dieses Ausmaß der Ungleich­ver­tei­lung? In dieser Zeit­schrift wurde bereits mehr­fach das Zehn­säu­len­dia­gramm des DIW von 2007 über die Vermö­gens­ver­tei­lung in Deutsch­land wieder­ge­ge­ben (HW 0309, S.8, HW 0214, S14. Siehe Darstel­lung 1) Damals besaß das reichs­te Zehn­tel der deut­schen Bevöl­ke­rung pro Kopf im Mittel 603.000 Euro. Dementspre­chend ist die Säule der Reichs­ten in diesem Diagramm 6,03 cm hoch (100.000 Euro ≙ 1 cm). Das Durch­schnitts­ver­mö­gen der Deut­schen betrug 88.000 Euro (≙ 8,8 mm). Die 20,7 Milli­ar­den Vermö­gen des inzwi­schen verstor­be­nen Theo Albrecht, Aldi-Besit­zer und reichs­ter Mann Deutsch­lands, hätten in diesem Diagramm 2,07 Kilo­me­ter betra­gen müssen, das 23.500-fache des Durch­schnitts­ver­mö­gens. 8,8 mm gegen­über 2,07 Kilo­me­ter – das war 2007 die Dimen­si­on der Ungleich­ver­tei­lung in Deutsch­land. Inzwi­schen ist sie weit größer. Gibt es irgend­wo jeman­den, der dieses Verhält­nis für ein ange­mes­se­nes Ergeb­nis von Leis­tung oder Gesell­schafts­dien­lich­keit hält? Welt­weit besit­zen 86 Milli­ar­dä­re so viel wie die halbe Mensch­heit. Und laut Schwei­zer UBS haben die Vermö­gen der deut­schen soge­nann­ten „Ultra High Net Worth Indi­vi­du­als“ (= UHNWI = Super­rei­che mit mindes­tens 30 Mio. Dollar nach Abzug der Schul­den) allein im Jahr 2014 um 10 Prozent auf insge­samt 2,583 Billio­nen Dollar zuge­legt. Diese Zuwäch­se zu den Vermö­gen sind prak­tisch leis­tungs­lo­se Einkommen.
Wie kommen solche Milli­ar­den­ver­mö­gen zustan­de? Durch Arbeit? Die durch­schnitt­li­che Jahres­ar­beits­zeit betrug in Deutsch­land seit 1960 etwa 1.600 Stun­den. In einem Arbeits­le­ben von 50 Jahren kommen also etwa 80.000 Stun­den zusam­men. Wären die 20,7 Milli­ar­den von Theo Albrecht erar­bei­tet worden, wäre er auf einen Stun­den­lohn von 259.000 Euro gekom­men. Bill Gates mit seinem Vermö­gen von 66 Milli­ar­den Dollar käme heute in seinem Alter von 59 Jahren auf etwa 43 Arbeits­jah­re (≙ etwa 69.000 Stun­den) und somit auf einen Stun­den­lohn von 957.000 Dollar. So viel zu dem Stamm­tisch­mär­chen, wonach auch Milli­ar­dä­re ihr Vermö­gen „erar­bei­tet“ hätten. Wenn Geld arbei­ten könnte, wäre schon eher der Satz rich­tig: „Sie haben zum größ­ten Teil ihr Geld arbei­ten lassen“. Von irgend­ei­ner Vermö­gens­grö­ße an vermehrt sich Geld also leis­tungs­los von selber. Wodurch? 

Früher vermehr­te sich ein Teil der Vermö­gen leis­tungs­los durch Zinses­zins. Selbst, wenn dessen Prozen­tra­te gering war, kamen bei den Milli­ar­därs­an­le­gern riesi­ge Summen durch den „Zins im Preis“ zusam­men: Da fast alle Stufen der Wert­schöp­fungs­ket­te durch Kredi­te finan­ziert wurden, addier­ten sich z. B. in Ener­gie­prei­sen die Zinsen für den Bau von Stadt­wer­ken, Förder­an­la­gen, Röhren­wer­ken, Stahl­wer­ken, Erzberg­wer­ken usw. auf bis zu 70 Prozent der Endver­kaufs­prei­se. Milli­ar­den Menschen zahl­ten jähr­lich ein paar hundert Dollar oder Euro Soll­zin­sen in ihren Elektrizitäts‑, Gas- und Heiz­öl­rech­nun­gen. Daraus entstan­den Hunder­te von Milli­ar­den Haben­zin­sen, die auf die priva­ten Konten der soge­nann­ten „Anle­ger“ flos­sen. Etwa die Hälfte floss auf die Konten von Sammel­an­le­gern, also Fonds, Pensi­ons­fonds, Stif­tun­gen, Zeich­nern von Staats­an­lei­hen usw.. Die andere Hälfte floss auf die priva­ten Konten von sehr weni­gen Groß­an­le­gern, den Milli­ar­dä­ren der Superklasse.
Beim heuti­gen extre­men Nied­rig­zins stecken zwar immer noch erheb­li­che Altzin­sen in den Prei­sen. Dennoch haben die Milli­ar­dä­re Albrecht, Bill Gates, Warren Buffet und Carlo Slim ihre Vermö­gen nicht in erster Linie mit Zinsen gemacht, sondern vor allem durch nie dage­we­se­ne, riesi­ge Produkt­zah­len (Apple), durch Mono­pol­tricks (Micro­soft) oder durch Unter­be­zah­lung ihrer Ange­stell­ten und Zulie­fe­rer (Aldi, Kik, amazon). Und die großen Finanz­markt­spe­ku­lan­ten durch immer neue Finanz­kon­struk­tio­nen (Deri­va­te, CDOs usw.). Nach­dem die frühe­ren Wirkun­gen des Zinses an derart viele Ersatz­me­cha­nis­men über­ge­gan­gen waren, ließ die Super­klas­se durch ihre soge­nann­ten „Gold­män­ner“ (Trichet, Draghi, sowie US-Finanz­mi­nis­ter, die von der US-Groß­bank Gold­mann Sachs kamen) den Nied­rig­zins einfüh­ren. Die Super­rei­chen konn­ten mühe­los auf Sach­wer­te und andere Mehr­wert­for­men auswei­chen. Die Finanz­mi­nis­ter konn­ten leich­ter ihre Staats­schul­den finan­zie­ren. Es traf wie immer nur die breite Bevöl­ke­rung. Für sie war es prak­tisch wie eine neue Steuer auf ihre Spar­gro­schen. Natür­lich hatte man für den Nied­rig­zins und Nega­tiv­zins eine Begrün­dung bereit: Nach­dem die Zentral­ban­ken Wachs­tum und Konjunk­tur durch eine riesi­ge Geld­schwem­me ankur­beln woll­ten, muss­ten sie erschro­cken fest­stel­len, dass das nicht funk­tio­nier­te. Das Geld wurde bei Zentral- und Geschäfts­ban­ken geparkt, anstatt in die Real­wirt­schaft zu flie­ßen. Das wollte man nun durch Nied­rig- und Nega­tiv­zins bestra­fen und verhin­dern. Eine Art Schwund­geld für Nicht-Reiche. Eine Umlauf­si­che­rung hätte es vermut­lich auch gebracht, meint jetzt sogar Jacob Augstein, einer der weni­gen Intel­li­gen­te­ren der Super­klas­se, die sich über deren Sprach­re­ge­lun­gen noch hinweg­set­zen können. Aller­dings: Trotz dieses Nied­rig­zin­ses sind während­des­sen laut Schwei­zer UBS-Bank 2014 allein die Vermö­gen der 19.095 deut­schen Super­rei­chen um 10 % auf 2.583 Milli­ar­den Dollar gestie­gen, pro Super­rei­chen also durch­schnitt­lich auf 135,3 Millionen.

Die Ungleich­ver­tei­lung und die riesi­gen priva­ten Milli­ar­den­ver­mö­gen sind also Ergeb­nis von Geld- und Mehr­wert­me­cha­nis­men, die zu einer dauern­den selbst­tä­ti­gen Anhäu­fung immer größe­rer priva­ter Groß­ver­mö­gen führen. Obwohl die Ursa­chen dieser Anhäu­fung bereits seit Jahr­zehn­ten ziem­lich genau unter­sucht und belegt worden waren, hat merk­wür­di­ger­wei­se erst Piket­tys sehr trivia­le Formel r > g diesen Erkennt­nis­sen welt­weit zum Durch­bruch verhol­fen. Main­stream-Ökono­men, Konser­va­ti­ve und Sozi­al­de­mo­kra­ten verste­hen offen­bar nur derart anspruchs­lo­se Zusam­men­hän­ge. Sie lassen sich auch nicht durch wissen­schaft­li­che Logik über­zeu­gen, sondern nur durch gewal­ti­ge histo­ri­sche Daten­ber­ge, die sie aller­dings auch nicht verstehen.

Obwohl also die priva­ten Milli­ar­den­ber­ge nur zu einem sehr gerin­gen Teil durch Arbeit oder Gesell­schafts­dien­lich­keit erzeugt wurden, halten sich Milli­ar­dä­re gern für Gutmen­schen, für „Phil­an­thro­pen“, die unei­gen­nüt­zig mit ihrem Geld Stif­tun­gen grün­den und Denk­werk­stät­ten finan­zie­ren, soge­nann­te „Thinktanks“. Wobei das engli­sche „tank“ sowohl als „Spei­cher“, als auch als „Panzer“ verstan­den werden kann. Wir werden noch sehen, was eher zutrifft. Damit wären wir beim ersten Krite­ri­um, das aus den „Super­rei­chen“ die „neue Super­klas­se“ macht: ihr Selbstverständnis. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden moderiert. Es kann etwas dauern, bis dein Kommentar angezeigt wird.