Wenn Kreise Kreise ziehen – Daniela Saleth

Der Kreis ist die stabils­te Form in der Geome­trie. Auf seiner Linie sind alle Punkte immer gleich weit vom Zentrum entfernt. Es gibt kein Oben und kein Unten, keine Ecken und keine Kanten, keinen Anfang und kein Ende. Der Kreis ist das Symbol für die Rhyth­men in der Natur, für Einheit, Ausge­gli­chen­heit, Ewig­keit, Verbun­den­sein und geschlos­se­ne Syste­me. Auf dem Sommer­camp 2015 am „Lern­ort Wupper­tal“ ließen sich viele Kreise finden, manche schlie­ßen und manche öffnen. Zwei Wochen lang vom 13. – 26. Juli fanden sich über den gesam­ten Zeit­raum verteilt geschätz­te 250 Menschen auf dem Gelän­de der Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te ein, sangen und tanz­ten im Kreis, widme­ten sich natür­li­chen Kreis­läu­fen, bilde­ten „Foodcir­cles“, bauten eine Rotun­de, mach­ten die Wupper­ta­ler Frei­licht­büh­ne rund und form­ten gemüt­li­che Kreise um das allabend­li­che Lagerfeuer.

Es ist Sonn­tag, der 27. Juli. Die Wupper­ta­ler Frei­licht­büh­ne liegt mit ihrem char­man­ten Baustel­len­cha­rak­ter nach aufre­gen­den vier­zehn Tagen unter einem typisch bergi­schen Regen­him­mel wieder ruhig da, während neben­an die „Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te“ noch zu vibrie­ren scheint von all den Begeg­nun­gen, dem Geläch­ter und der Musik, die sie Tags zuvor beim großen Abschieds­abend durch­dran­gen. Drum herum schüt­telt wie eh und je der Wald fröh­lich und unbe­küm­mert seine Blät­ter, jetzt aller­dings auch auf das Manda­la-Dach einer klei­nen Stroh­bal­len-Rotun­de und auf eine fast ferti­ge Lehm­zie­gel­pres­se. Über das Gelän­de wuseln verein­zelt Menschen im Alter zwischen 7 und über 60 Jahren – teil­wei­se mit Babys auf den Armen –, die noch einmal kräf­tig mit anpa­cken: Schil­der müssen einge­sam­melt werden, geret­te­te Lebens­mit­tel von Foodsha­ring, die übrig­ge­blie­ben sind, werden „fair­teilt“, die provi­so­ri­sche Dusch­ka­bi­ne in Nach­bars Garten, wo der Fami­li­en­zelt­platz während des Sommer­camps war, wird abge­baut und letzte Zelte einge­packt. Jeder hilft jedem und steht bei, wo er kann.
Von Anfang an beruh­ten die Planung und Umset­zung des Sommer­camps auf dieser Art des gemein­sa­men Arbei­tens und Anpa­ckens. Von Anfang an war es ein Schiff, das nicht nur einen, sondern viele Kapi­tä­ne und Rude­rer brauch­te. Sei es bei der Erstel­lung der Work­shop-Inhal­te, bei der finan­zi­el­len Verwirk­li­chung, beim Auf- und Abbau, bei der Gestal­tung der gemein­sa­men Abende, bei der Beschaf­fung von Mate­ria­li­en und Essen und beson­ders bei der tatsäch­li­chen Durch­füh­rung des Sommer­camps. Das Orga-Team rund um Holger Kreft und Andre­as Bange­mann setzte von Anfang an auf Schwarm­in­tel­li­genz und das rich­ti­ge Maß an Struk­tur und Frei­heit. „Das zu erle­ben und ein Teil dieser struk­tu­riert und gleich­zei­tig frei chao­ti­schen, also orga­ni­schen Lebens­form zu sein, hat mein Leben sehr berei­chert und trägt dazu bei, dass ich meinen Alltag nun tatsäch­lich mit neuen Augen, Ohren und neuem Gespür erfah­re“, sagt Henry Hovan­nes­jan aus Berlin, einer der vielen Work­shop-Anbie­ter, und fügt hinzu: „Was in mir am meis­ten ‚nach­klingt‘ ist die bedin­gungs­lo­se Bereit­schaft zu lernen, zu teilen und gemein­sam zu sein!“ 

Diese bedin­gungs­lo­se Bereit­schaft legten, um nur einige wenige zu nennen, z.B. „Work­a­way­er“ aus England, Litau­en, Irland und England an den Tag, darüber hinaus Chris­toph Vallen mit seinen „Free­birds“, die Food­sa­ver Wupper­tals und der Deme­ter-Biohof „Örkhof“ aus dem Wind­rather Tal. „Workaway.info“ ist eine Platt­form im Inter­net, auf der Projek­te welt­weit nach moti­vier­ten Unter­stüt­zern suchen, bzw. vice versa inter­es­sier­te Menschen das für sie rich­ti­ge Projekt finden können. Was die „Work­a­way­er“ im Gegen­zug erhal­ten, ist kosten­lo­se Verpfle­gung und Unter­kunft und frei vermit­tel­tes prak­ti­sches Wissen. Die Work­a­way­er des Sommer­camps 2015 konn­ten am Ende ihrer Zeit in Wupper­tal auf eine Viel­zahl verrich­te­ter Dinge blicken, seien es die vielen selbst kreierten bunten Schild­chen und ein Foodsha­ring-Banner, ein ange­leg­ter Panora­ma-Zelt­platz mit Blick übers Feld auf das Bergi­sche Land, ange­leg­te Wald­we­ge zur Rotun­de oder drei ferti­ge Kompost­toi­let­ten. Darüber hinaus brach­ten sie sich selbst ein, indem Oscar aus England z. B. einen Work­shop zum Thema „Demo­cra­tic Schools“ und Franzi aus Irland Acro­ba­tic Yoga zum Mitma­chen anbot.

Chris­toph Vallen hinge­gen sorgte mit seinem Enga­ge­ment für Seelen­nah­rung und wunder­ba­re musi­ka­li­sche und künst­le­ri­sche Momen­te. Mit seinen Musi­ker-Freun­den von „Free Like Me“ aus Vene­zue­la und Austra­li­en und „Pasaje“ aus Argen­ti­ni­en gelan­gen inten­si­ve Begeg­nun­gen unter dem Ster­nen­him­mel, wild tanzend um ein Lager­feu­er und laut im Kreis gemein­sam singend, aber auch still genie­ßend und stau­nend im Gabrie­le-Fren­king-Saal. Denn Chris­toph hat es sich unter dem Namen „Free­birds“ zur Beru­fung gemacht, die rich­ti­gen Menschen am rich­ti­gen Ort zur rich­ti­gen Zeit zusam­men zu brin­gen, um magi­sche Ubuntu-Momen­te zu kreieren, bei denen „jeder alles gibt, damit am Ende alle alles haben“. 

Foodsha­ring Wupper­tal steu­er­te seinen Teil bei, indem alle zwei bis drei Tage geret­te­te Lebens­mit­tel aus verschie­de­nen Super­märk­ten Wupper­tals von den Food­sa­vern zum Sommer­camp gebracht wurden; da gab es Berge an Brot (für den fast schon zum Kult gewor­de­nen Brot­sa­lat, einen Salat aus haupt­säch­lich würzig gebra­te­nen, großen Brot­c­rou­tons), viel Obst, Gemüse und Salat, palet­ten­wei­se Pudding (den konn­ten manche am Ende fast schon nicht mehr sehen), Aufstri­che, Milch, Sahne und so weiter und so fort. Gekocht wurde mittags aller­dings vornehm­lich vegan und nur selten zusätz­lich vege­ta­risch. Beim Früh­stück und Abend­brot konnte man dann frei wählen und für sich selbst entschei­den, ob man den Pudding oder doch den frischen Obst­sa­lat essen wollte.

Manuel Hart­mann, leiten­der Gärt­ner am idyl­li­schen Örkhof im Wind­rather Tal, erlaub­te den Sommer­cam­pern an einem Tag, bei ihnen auf dem Hof ihr eige­nes Obst und Gemüse für den Tag zu ernten und schenk­te dazu noch sechs Kilo­gramm selbst ange­bau­tes Bio-Getrei­de. Das war eine beson­ders schöne Gabe, da dadurch die gesün­de­re und nach­hal­ti­ge Alter­na­ti­ve zur vorherr­schen­den Lebens­mit­tel­in­dus­trie aufge­zeigt werden konnte. Die schwin­del­erre­gen­den Ausma­ße der globa­len Wirt­schafts­mi­se­re kann Foodsha­ring nämlich nur als Symt­pom und nicht an der Wurzel bekämp­fen und ist somit keine Lösung, sondern ein zwar sinn­vol­ler, aber doch auch trau­ri­ger Neben­ef­fekt.
Sommer­camp-Teil­neh­me­rin und Gesund­heits­be­ra­te­rin Gudrun Bern­hardt jeden­falls freute sich sehr über das Geschenk, da sie nun auf Eigen­in­itia­ti­ve hin jeden Morgen für die Sommer­cam­per einen Frisch­korn­brei nach dem Rezept von Dr. Bruker mit keim­fä­hi­gem Bio-Getrei­de und frischem Obst zube­rei­te­ten konnte. 

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