Ohne Experimente zu Veränderungen – Andreas Bangemann

Ein Kommen­tar zur Bundes­tags­wahl 2017 – - – 

Die Frage wird oft gestellt: Wer liest Partei­pro­gram­me? Keiner weiß es. Das Gerücht hält sich hart­nä­ckig, wonach sogar die Partei­mit­glie­der sie nicht komplett lesen. Wozu auch? Man lebt sie ja tagtäg­lich. Programm-Kommis­sio­nen erar­bei­ten teil­wei­se jahre­lang unter­schied­lichs­te Themen­kom­ple­xe, die akku­rat gebun­den in Schub­la­den verstau­ben. Verein­zelt versu­chen Medien, Wähler­initia­ti­ven oder Bürger, Partei­en nach den Wahlen an ihre Verspre­chun­gen zu erin­nern und winken dabei mit dem Zaun­pfahl „Wahl­pro­gramm“. „Poli­tik besteht aus Kompro­mis­sen“ ist meist die Antwort der beim Handeln entge­gen eige­ner Vorsät­ze erwisch­ten Partei­spit­zen-Vertre­ter, wenn diese mit Hilfe von Koali­tio­nen an die Tür der Macht klop­fen dürfen. Wahl­pro­gram­me sind zur Mobi­li­sie­rung von Partei­mit­glie­dern und Wählern uner­läss­lich, aber als Mess­lat­te für fakti­sches Handeln eher hinderlich.
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Ginge es nach dem Willen des indi­vi­du­el­len Wählers, gäbe es keine einzel­ne Partei, die seine Anlie­gen für die Zukunft allum­fas­send reprä­sen­tier­ten. Bei Wahlen spie­len Mutma­ßun­gen, Vertrau­en und Grup­pen­dy­na­mik eine Rolle. Das von Gefüh­len getra­ge­ne Stre­ben, zu einer erfolg­rei­chen Gruppe zu gehö­ren, über­strahlt das ratio­na­le Abwä­gen stich­hal­ti­ger Argu­men­te. Der Trend den Wahl­gang auf einzel­ne Perso­nen, die Kanz­ler­kan­di­da­ten auszu­rich­ten und damit der Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit ein Gesicht zu geben, dürfte ein Indiz dafür sein, dass Wahlen vermehrt auf die Gefühls­ebe­ne abwan­dern. Angst­ma­che in Bezug auf ein Thema, wie beispiels­wei­se die Frage von Einwan­de­rung, ein weiteres.
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Ange­sichts der wahr­zu­neh­men­den Komple­xi­tät poli­ti­scher Aufga­ben­stel­lun­gen auf einer Viel­zahl von Gebie­ten, ist das eine nach­voll­zieh­ba­re Entwick­lung. Doch damit einher geht ein Abdrif­ten hin zu Unter­hal­tung, zur Schau­spie­le­rei und Werbe­kam­pa­gnen, bei welchen klare Kontu­ren und vor allem gesell­schaft­li­che Ziele verlo­ren­ge­hen. Poli­tik ist mit Darstel­lung und dem Zwang zum Handeln nach akut einge­tre­te­nen Situa­tio­nen zu einer Art chine­si­schen Teller-Jongla­ge mutiert, bei der weder Zeit noch perso­nel­le Kraft für die Weichen­stel­lung hin zu lang­fris­ti­gen Perspek­ti­ven bleibt. Immer wackelt ein Teller und der Stab muss gedreht werden, um das Herun­ter­fal­len zu verhindern.
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Kurz­fris­ti­ger Erfolg ist ein Prin­zip, das in der Wirt­schaft zum Maß aller Dinge wurde, mit dem Ergeb­nis, dass wir uns als Gesell­schaft von einem Leben in Frie­den, Soli­da­ri­tät und Gemein­schaft entfer­nen. Die Sehn­sucht danach ist vorhan­den. Das bewei­sen die Entwick­lun­gen im „Außer­par­la­men­ta­ri­schen“. Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen beset­zen zuneh­mend jene Felder, die man vorzugs­wei­se in der Poli­tik aufge­ho­ben sehen würde. Man könnte argu­men­tie­ren, dass es sich dabei um poli­ti­sche Arbeit handle, aber ihre Wirkung bleibt ohne Entschei­dungs­macht bescheiden.
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Metho­den zur Gemein­schafts­bil­dung, regio­na­le Trans­for­ma­ti­on, Bürger­en­er­gie-Genos­sen­schaf­ten, völker­ver­stän­di­gen­de Projek­te, neuar­ti­ge Bildungs­for­men und –konzep­te, Frie­dens­ar­beit, Wirt­schaf­ten unter Zurück­drän­gung der Domi­nanz des Geld­stre­bens, eine funk­tio­nie­ren­de Wirt­schaft ohne Wachs­tum, Städte und Regio­nen, die mit eige­nen, komple­men­tä­ren Währun­gen Erfah­run­gen sammeln, und vieles mehr. Die Liste könnte schier unend­lich fort­ge­setzt werden. Alle diese unab­hän­gig von Poli­tik, einzig auf Initia­ti­ve Einzel­ner zurück­ge­hen­den Projek­te haben eines gemein­sam: sie sind noto­risch unter­fi­nan­ziert und können sich nur mühsam und schlep­pend entwi­ckeln, weil es neben­be­ruf­li­ches, ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment erfor­dert. Die gesell­schaft­li­che Dyna­mik ist kaum auszu­den­ken, die sich entfal­ten würde, wenn nur Bruch­tei­le der Milli­ar­den an Steu­er­gel­dern, die man für die Rettung maro­der Banken aufwen­de­te, in die basis­de­mo­kra­ti­schen Pläne und Umset­zun­gen flössen.
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Die Welt jener Poli­tik, über die bei Bundes­tags­wah­len entschie­den wird und das globa­le Wirt­schafts­ge­sche­hen spie­len sich schein­bar in einem von mensch­li­chen Sehn­süch­ten und Wünschen abge­trenn­ten Univer­sum statt. Ihre Reprä­sen­tan­ten besu­chen uns alle vier Jahre, entfa­chen ein Riesen­spek­ta­kel und flie­gen darauf­hin zu ihren Ster­nen zurück. – - –
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