Die eigentumslose Gesellschaft – Gero Jenner

Marx hat sie gewollt – der Neoli­be­ra­lis­mus hat sie verwirk­licht: die eigen­tums­lo­se Gesell­schaft. Aller­dings ist der Begriff in sich wider­sprüch­lich. Irgend­je­mand besitzt immer die Verfü­gungs­ge­walt über die physi­sche Umwelt, d.h. den Boden, die Häuser, die Büros, Werk­stät­ten, Fabri­ken, ja selbst über Flüsse, Seen und jeden einzeln Quadrat­me­ter Wald. Mit ande­ren Worten: Irgend­je­mand ist immer Eigen­tü­mer. In diesem Sinne gibt es keine eigen­tums­lo­se Gesell­schaft. Der Begriff beruht auf Täuschung.
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Im real exis­tie­ren­den Sozialismus
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lag das Eigen­tum und damit die Verfü­gungs­ge­walt in der Hand des Kollek­tivs – so jeden­falls bestimm­te es die Theo­rie. In der Praxis lag beides in den Händen einer Nomen­kla­tu­ra, die an die Theo­rie von Marx, Engels, Lenin oder Mao glaub­te. Da Verfü­gungs­ge­walt und Eigen­tum den eigent­li­chen Quell aller Macht darstel­len, lag die Macht also keines­wegs bei der eigen­tums­lo­sen Mehr­heit – die bekam die Fünf­jah­res­plä­ne von oben diktiert -; sie lag de facto bei einer verschwin­den­den Minder­heit, die über das Eigen­tum konkret verfüg­te und sich, ganz wie in den frühe­ren Feudal­sys­te­men, das Recht anmaß­te, anstel­le der Mehr­heit und über deren Los zu entscheiden.
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Im neoli­be­ra­len System
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versteckt man sich nicht länger hinter dem Feigen­blatt einer Theo­rie, die eine Illu­si­on vortäuscht. Die Verfü­gungs­ge­walt über den Groß­teil aller Ressour­cen ist während der vergan­ge­nen drei­ßig Jahre in die Hände einer Minder­heit über­ge­gan­gen, die weit­ge­hend unsicht­bar ist, sich aber pars pro toto mit dem Wort „Wall­street“ grob aber nicht unzu­tref­fend charak­te­ri­sie­ren lässt.
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Die Eigen­tums­lo­sig­keit der Massen in den Staa­ten des Westens – des Volks, wie man einmal sagte – hat seit dem soge­nann­ten Washing­ton Consen­sus unheil­vol­le Fort­schrit­te zu verzeich­nen. Jeremy Rifkin, ein Mann mit feinem Gespür für sozia­le Umwäl­zun­gen, hat das schon vor Jahren deut­lich erkannt, als er in einem gleich­na­mi­gen Buch das „Age of Access“ verkün­det. Es handelt sich um die vorneh­me Umschrei­bung für einen Prozess, der nichts ande­res besagt, als dass der Bürger nur noch das Recht auf Zugang (Access) genießt: Zugang zu Häusern, Zugang zu Arbeits­stel­len – also zu Büros und Fabri­ken – Zugang zu Wasser und Boden, Zugang zu Compu­ter­pro­gram­men etc. Dage­gen wurde und wird ihm das Eigen­tum an diesen Gütern schritt­wei­se genom­men. Die Häuser, in denen wir wohnen, die Werk­hal­len, in denen wir arbei­ten, das Wasser, das wir zum Trin­ken benö­ti­gen, die Program­me, die auf unse­ren Compu­tern laufen, gehö­ren inzwi­schen ebenso wenig zu unse­rem Eigen­tum wie die meis­ten Rohstof­fe, die auf natio­na­lem Gebiet gefun­den und ausge­beu­tet werden. Mit ande­ren Worten, wir verfü­gen nicht länger darüber.
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Es sind die großen Fondsgesellschaften,
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die das alles aufge­kauft haben, bzw. weiter­hin ihren sich stetig aufblä­hen­den Porte­feuilles einver­lei­ben. Black­Rock, der größte Vermö­gens­ver­wal­ter der Welt, betreut etwa 4.700 Milli­ar­den Dollar, was mehr als dem Doppel­ten der Markt­ka­pi­ta­li­sie­rung aller Dax-Konzer­ne entspricht. Vanguard verwal­tet 3.200 Milli­ar­den Dollar, und Fide­li­ty steht mit rund 2.000 Milli­ar­den Dollar an verwal­te­tem Vermö­gen nicht weit hinten­an. Sie sind die neuen Herr­scher der Welt, sie eignen sich die Verfü­gungs­ge­walt an, die einmal bei der Mehr­heit der Bürger lag, denn sie besit­zen das Eigen­tum an diesen Dingen.
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